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Spektrum der Wissenschaft - Artikel zum Talking Tree
1. BOTANIK
Der vernetzte Baum
Eine 150 Jahre alte Eiche in Erlangen hat eine »Stimme« bekommen: Sie wurde
mit modernsten Messgeräten ausgestattet, die über ihr Dasein berichten –
und gleichzeitig wertvolle Daten für das Forschungsprojekt »Bäume im Klima-
wandel« liefern.
Von Daniel Lingenhöhl
E
in Baum steht jahrein, jahraus stumm an seinem Eiche angebracht wurde. Ein Anemometer misst beispiels-
Ort. Er erduldet Stürme und Trockenperioden, leidet weise die Windgeschwindigkeit und -richtung, ein Pluviograf
vielleicht unter Luftverschmutzung, wird von Tieren die Menge an Regen, Tau oder Schnee, die im Umfeld des
als Wohnstätte genutzt – und kann nicht darüber be- Baums niedergeht. Dazu kommen ein Thermometer für die
richten. Das soll nun ein Projekt ändern, das »Spektrum der Lufttemperaturen sowie fotoelektrische Sensoren, die die
Wissenschaft« zusammen mit dem Institut für Geografie der Sonnenscheindauer und damit auch den Bewölkungsgrad
Universität Erlangen-Nürnberg durchführt und einer 150 des Himmels über Erlangen aufzeichnen. Diese Geräte wur-
Jahre alten Stieleiche im Botanischen Garten von Erlangen den mit Hilfe eines Gestänges knapp außerhalb des eigentli-
eine Stimme verleiht. Hierfür zeichnen Messgeräte auf, was chen Kronenraums der Eiche montiert, um die Bedingungen
um den Baum herum und in ihm geschieht. Eine spezielle im Freiland abzubilden – so, wie sie ungefiltert auf die äuße-
Software »übersetzt« dann diese Daten in kurze Textbot- re Laubschicht treffen.
schaften für das Internet: Sie sollen einen Eindruck davon Auf das Wetter reagiert der Baum durch physiologische
vermitteln, was das Leben eines Baums alles beeinflusst. Änderungen – die zwei weitere, technisch ausgefeilte Senso-
Herzstück des »twitternden Baums« ist die so genannte ren überwachen. Ein Saftflussmesser registriert kontinuier-
Black Box – quasi der Flugschreiber der Eiche. Sie fasst die lich, wie viel Wasser die Eiche im Boden aufnimmt und von
von den verschiedensten Messgeräten aufgezeichneten Um- seinen Wurzeln aus zu den Blättern transportiert. Dazu wur-
welteinflüsse und Baumparameter zusammen und übermit- den zwei dünne Messnadeln übereinander angeordnet durch
telt sie an eine zentrale Rechnereinheit. Die Daten stammen die Rinde ins Holz der Eiche gestochen. Sie erfassen die Tem-
unter anderem von einer Wetterstation, die ebenfalls an der peraturdifferenzen, die zwischen den Spitzen der beiden
Sensoren auftreten. Über diesen Unterschied lässt sich dann
mit einer Formel der tatsächliche Wasserfluss berechnen.
Zu den sensibelsten Messgeräten der Eiche 2.0 gehört der Saft- Wie stark der Baum durch Fotosynthese im Jahresverlauf
flusssensor, der hier gerade mit Hilfe eines Gleitmittels installiert wächst, nimmt wiederum ein Dendrometer auf: ein Gerät,
wird. Über die minimalen Temperaturunterschiede zwischen das den Dickenzuwachs der Eiche aufzeichnet. Es dokumen-
den beiden Sensorspitzen lässt sich mit Hilfe einer speziellen For- tiert zeitlich hoch aufgelöst die Reaktionen der Pflanzen auf
mel errechnen, wie viel Wasser der Baum von den Wurzeln zur ihre Umwelt und erlaubt die genaue Zuordnung der Wachs-
Spitze transportiert. tumsphasen zu den jeweiligen Umweltfaktoren.
BEiDE FotoS: RichaRD ZinKEn
26 SPEKTRUMDERWISSENSCHAFT·JUlI2011
2. Um das Bild abzurunden, fließen Umweltdaten zur Fein-
staub- und Ozonbelastung von einer Messstation des Bayeri-
schen Landesamts für Umwelt an den Zentralcomputer des
Twitterbaums. Der erfasst alle Messungen, wertet sie aus und
übersetzt sie in kurze Textbotschaften. Die Eiche teilt dann
über ihre Homepage und Twitterseite im Internet mit, dass
beispielsweise ein eisiger Wind an ihr zerrt, die Blütezeit be-
vorsteht oder bodennahes Ozon ihre Blätter reizt und die Fo-
tosynthese beeinträchtigt. Eine Kamera rundet das Angebot
ab: So kann jeder Besucher der Website beobachten, wie sich
die Eiche im Lauf des Jahres wandelt.
Der ganze Aufwand ist nicht nur eine Spielerei, die Öko-
logie und neue Medien verknüpft: Er dient auch handfes-
ter Wissenschaft. Denn die gesammelten Daten werden vom
Institut für Geografie in Erlangen ausgewertet und fließen in
verschiedene Forschungsprojekte ein – etwa zum Thema
»Stadtklima und Stadtvegetation«.
Erlanger Wissenschaftler sind zudem an einem Projekt
des bayerischen Forschungsverbunds FORKAST beteiligt, das
die Auswirkungen klimatischer Extremereignisse auf Wälder
an Trockenstandorten untersucht. Im Fokus stehen vor al-
lem die Zukunftschancen von Eichen und Rotbuchen, die
ökologisch wie ökonomisch besonders wertvolle Baumbe-
stände bilden. Die Forscher bearbeiten Fragestellungen wie:
Wann und wie wächst eigentlich ein Baum? Wie unterschei-
det sich ein Baum in der Stadt von einem im Wald? Leidet er
im Sommer unter Dürre und Schadstoffen und stellt gar teil-
weise sein Wachstum ein? Lassen sich hieraus Schlussfolge-
rungen ableiten, wie Waldbäume künftig reagieren werden,
wenn im Zuge des Klimawandels die Sommer zunehmend
heißer und trockener werden und somit immer mehr dem
heutigen Stadtklima ähneln?
Vorbild für den Erlanger Baum ist eine Buche in Brüssel,
die bereits seit mehr als einem halben Jahr entsprechend
ausgerüstet ist und über das Internet mit einer wachsenden
Fangemeinde kommuniziert. Sie dient allerdings nicht
gleichzeitig der Wissenschaft. Möglicherweise wächst welt-
weit gesehen bald ein ganzer twitternder Wald, denn in na-
her Zukunft sollen weitere Bäume ihre Botschaften funken.
In New York steht schon einer in den Startlöchern. Passend
wäre es – haben doch die Vereinten Nationen für 2011 das
WaltER WElSS, UnivERSität ERlanGEn–nüRnBERG
Jahr des Waldes ausgerufen. Ÿ
Daniel Lingenhöhl ist promovierter Geograf und Redaktionsleiter online
bei »Spektrum der Wissenschaft«.
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Mehr aus dem Leben der Erlanger Eiche erfahren kann man auf
der baumeigenen Seite, bei Twitter, Youtube und Flickr – und
Diese Stieleiche aus dem Botanischen Garten von Erlangen
sehen, wie der vernetzte Baum sich in den nächsten Monaten
entwickelt. wurde zum twitternden Baum auserkoren. Der weiße Kasten
Homepage: www.talking-tree.de an ihrem Stamm beinhaltet die Black Box, in der alle Mess-
Blog: www.wissenslogs.de/wblogs/blog/talkingtree daten der Wetterstation und weiterer Sensoren einlaufen. Die
Youtube: www.youtube.com/talkingtreede
Twitter: www.twitter.com/talkingtree_de Wetterstation selbst ist am rechten Rand der Krone, ungefähr
in der Mitte, angebracht (Pfeil).
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