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Geschichte der Portraitplastik

Übergeordneter Gesichtspunkt der Betrachtung: Natur ähnlichkeit
(andere Gesichtspunkte könnten sein: Bezug zur Architektur, zum
Umraum, Komposition, Oberfl ächenbearbeitung; kirchliche Funktion ...)

1
Die griechische Plastik (etwa 1000 - 0) und die römische Plastik (etwa
100 v. Chr. - 300 n. Chr.) sind in hohem Maße naturalistisch und auf
Ähnlichkeit ausgerichtet.
Dabei ist zu unterscheiden, dass es in der griechischen Antike keine
eigenst ändige Bildnisplastik gibt, quot;den Teil eines Körpers darzustellen
h ätte dem Ideal der Ganzheit des Menschen widersprochenquot;
(Grundkurs Kunst, S. 87). Erhaltene Köpfe sind Fragmente von ganzen
Figuren. Für ihren mimischen Ausdruck und die Körperhaltung hat man
im 18. Jhdt. das Schlagwort quot;edle Einfalt - stille Größequot; (Winckelmann)
gepr ägt.
Abgebildet wurden z.B. Götter, Szenen der griechischen Mythologie,
Sportler (Olympiade).

In der römischen Kunst jedoch gibt es das eigenst ändige Portrait mit
individuellem Ausdruck, bestimmte Menschen mit ihren persönlichen
Gesichtszügen sind gemeint (private und öffentliche Personen).

In der frühchristlichen und mittelalterlichen Kunst gibt es keine
abbildhaften Portraitdarstellungen im sp ätantiken oder modernen
Sinne, auch nicht in der Malerei. Selbst ändige Bildnisse wie das
Kopfreliquiar (S. 93) entstehen z.B. erst im 12. Jhdt. und sind nicht mit
dem Naturalismus antiker Köpfe vergleichbar. Der Kopf einer
romanischen Plastik (11./12. Jhdt.) ist eher naturfern und gleiches gilt für
die Köpfe gotischer Figuren, die z.T. abwesend oder l ächelnd auf
schmalen Körpern ruhen, unter deren Gew ändern man sich die
richtigen Proportionen vorstellen muß. Im wesentlichen wurde die
Bibelgeschichte illustriert.
Dies ä ndert sich langsam im sp äten Mittelalter, in der Endphase der
Gotik, wo im Übergang zur Renaissance und zur Neuzeit das Interesse
am Individuum im quot;Hier und Jetztquot; statt am Jenseits entsteht.

2
quot;Der Mensch nimmt (in der Renaissance, 15. Jhdt.) eine zentrale
Position ein und wird zum Gegenstand der Erkenntnis. All dies ist auch
verbunden mit einem neuen Interesse an der Antike (S. 96). In Italien
entdeckt man die antiken Statuen wieder.
Renaissance = Wiedergeburt.
Antike Bildnisplastiken werden zum Vorbild, der Illusionismus wird z.B.
durch Bemalung noch verst ärkt.
Extreme Form: der Naturabguß.
Auch im Bereich der ganzen Figur geht es stark um anatomische
Richtigkeit, Vorbild ist die Spielbein - Standbein - Haltung der
klassischen griechischen Skulptur.

Für die Haltung und Mimik der Bildnisse aus der Renaissance gilt, dass
die Gesichter eher ernst, bescheiden und anmutig wirken - das findet
sich auch in der Körperhaltung der ganzen Figur wieder.
Die barocke Bildnisbüste wirkt demgegenüber wie mitten aus der
Bewegung oder aus dem Gespr äch gerissen, der mimische Ausdruck
ist gesteigert. Bernini (17. Jhdt.) hat Stein wie Wachs geformt und den
Plastiken eine bis dahin nicht gesehene, fast schon schauspielhafte
Lebendigkeit verliehen. Die Ganzfiguren des Barock wirken
entsprechend dynamisch in ihrer Komposition und ihrem Raumbezug (s.
Abbildungen Arbeitspapier).

Im Klassizismus (18./19. Jhdt.) empfindet man die barocken
Darstellungen als affektiert und übertrieben und kehrt zum Ausdruck der
antiken, der klassischen Werke zurück. Hintergrund sind verkürzt gesagt
die Ideale der Tugend und Einfachheit (quot;edle Einfalt - stille Größequot;) und
auch der Bildung, mit denen sich die Bürger (franz. Revolution) von der
höfischen Kultur absetzen wollen. Demokratie: Ursprung in der Antike.
Winckelmann erhob die Kunst der griechischen Antike zum Vorbild,
quot;glatter weißer Marmor war das bevorzugte Material der Bildhauer des
Klassizismus, die dabei ignorierten, daß die für sie vorbildliche antike
Skulptur ursprünglich farbig gefaßt warquot; (S. 100). Im Polychromiestreit
konnten sich die Zeitgenossen nicht einigen, ob die griechischen Tempel
und Skulpturen bemalt oder weiss waren.
Dichter und Denker der Zeit (z.B. Schillerbüste, S. 101), Bildungsabsicht.
Zum zweiten Mal in der Geschichte der Kunst wird die Antike zum
Vorbild.

3
Ende des 19. Jhdts. findet im Impressionismus eine Ver änderung in der
Formauffassung statt, und zwar ausgehend von der Malerei: Mit der
Erfindung der Fotografie ist es nicht mehr allein die Malerei, die ein
illusionistisches Bild der Wirklichkeit geben kann. Folge ist, dass Maler
beginnen, aus dem Pinselstrich zu malen, zu experimentieren, sichtbare
Begrenzungen aufzulösen, Farbwirkungen erst im Auge des Betrachters
entstehen lassen (Gelb und Rot nebeneinander lösen beim Betrachten
Orange aus). Entsprechend zu dieser Entwicklung zeigt die Oberfl äche
einer Plastik aus dieser Zeit Bearbeitungsspuren, Fragmente von
Körpern werden kunstwürdig, einzelne Teile werden ausführlich bearbeitet
und andere wie im Rohentwurf belassen (S. 106-107, 142).
Bezogen auf den übergeordneten Gesichtspunkt Naturn ähe l ässt sich
sagen, dass die impressionistische Skulptur eine Brückenfunktion
einnimmt im Verh ältnis zur Skulptur des 20. Jhdts., und zwar insofern,
als sich die Form nicht mehr so stark dem Inhalt unterordnet wie bisher.
Je mehr die Naturn ähe, der Illusionismus, abnimmt, desto mehr kann
der Bildhauer in freien Formen schaffen, was im 20. Jhdt. stark zunimmt.

4
Im Expressionismus werden Masken und starke Vereinfachungen
zugunsten einer ausdrucksstarken Formensprache bevorzugt.
Auch im Kubismus (S. 112) ist der Kopf nur ein Anlass dafür, ein Spiel
mit Fl ächen und Formen auszuprobieren.
Das Gleiche gilt für den Konstruktivismus; im gezeigten Beispiel wird der
Kopf in geometrische Grundkörper zerlegt und neu arrangiert.
Vorreiterfunktion hat auch hier die Malerei.
Sowohl in der Malerei als auch in der Skulptur folgt im 20. Jhdt., dass
die Darstellungen immer abstrakter werden (s. a. Brancusi, liegender
Kopf) und zunehmend keine Natur ähnlichkeit mehr vorhanden ist.
Gegenst ändlich zu arbeiten gilt lange Zeit als verpönt, Künstler
untersuchen eher Materialien oder Prozesse und realisieren das
künstlerisch noch nicht Gesehene (Bilder S. 160 - 217).
In den achtziger Jahren des letzten Jhdt. kippt diese Entwicklung wieder
um und es entstehen neue figurative Ans ätze in der Malerei, bald auch
in der Skulptur, und zwar im Sinne einer zun ächst expressiven
Auffassung z.B. wie bei Baselitz (S. 127).
Die Portraits und Figuren Balkenhols führen diesen Weg weiter; was den
Gesichtausdruck (h äufig teilnahmelos, ernst) und die Körperhaltung
anbelangt, ist eine Verbindung zur klassischen Plastik auszumachen
(Ausstellungsbilder).

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  • 1. Geschichte der Portraitplastik Übergeordneter Gesichtspunkt der Betrachtung: Natur ähnlichkeit (andere Gesichtspunkte könnten sein: Bezug zur Architektur, zum Umraum, Komposition, Oberfl ächenbearbeitung; kirchliche Funktion ...) 1 Die griechische Plastik (etwa 1000 - 0) und die römische Plastik (etwa 100 v. Chr. - 300 n. Chr.) sind in hohem Maße naturalistisch und auf Ähnlichkeit ausgerichtet. Dabei ist zu unterscheiden, dass es in der griechischen Antike keine eigenst ändige Bildnisplastik gibt, quot;den Teil eines Körpers darzustellen h ätte dem Ideal der Ganzheit des Menschen widersprochenquot; (Grundkurs Kunst, S. 87). Erhaltene Köpfe sind Fragmente von ganzen Figuren. Für ihren mimischen Ausdruck und die Körperhaltung hat man im 18. Jhdt. das Schlagwort quot;edle Einfalt - stille Größequot; (Winckelmann) gepr ägt. Abgebildet wurden z.B. Götter, Szenen der griechischen Mythologie, Sportler (Olympiade). In der römischen Kunst jedoch gibt es das eigenst ändige Portrait mit individuellem Ausdruck, bestimmte Menschen mit ihren persönlichen Gesichtszügen sind gemeint (private und öffentliche Personen). In der frühchristlichen und mittelalterlichen Kunst gibt es keine abbildhaften Portraitdarstellungen im sp ätantiken oder modernen Sinne, auch nicht in der Malerei. Selbst ändige Bildnisse wie das Kopfreliquiar (S. 93) entstehen z.B. erst im 12. Jhdt. und sind nicht mit dem Naturalismus antiker Köpfe vergleichbar. Der Kopf einer romanischen Plastik (11./12. Jhdt.) ist eher naturfern und gleiches gilt für die Köpfe gotischer Figuren, die z.T. abwesend oder l ächelnd auf schmalen Körpern ruhen, unter deren Gew ändern man sich die richtigen Proportionen vorstellen muß. Im wesentlichen wurde die Bibelgeschichte illustriert. Dies ä ndert sich langsam im sp äten Mittelalter, in der Endphase der Gotik, wo im Übergang zur Renaissance und zur Neuzeit das Interesse am Individuum im quot;Hier und Jetztquot; statt am Jenseits entsteht. 2 quot;Der Mensch nimmt (in der Renaissance, 15. Jhdt.) eine zentrale Position ein und wird zum Gegenstand der Erkenntnis. All dies ist auch verbunden mit einem neuen Interesse an der Antike (S. 96). In Italien entdeckt man die antiken Statuen wieder. Renaissance = Wiedergeburt. Antike Bildnisplastiken werden zum Vorbild, der Illusionismus wird z.B. durch Bemalung noch verst ärkt. Extreme Form: der Naturabguß. Auch im Bereich der ganzen Figur geht es stark um anatomische Richtigkeit, Vorbild ist die Spielbein - Standbein - Haltung der
  • 2. klassischen griechischen Skulptur. Für die Haltung und Mimik der Bildnisse aus der Renaissance gilt, dass die Gesichter eher ernst, bescheiden und anmutig wirken - das findet sich auch in der Körperhaltung der ganzen Figur wieder. Die barocke Bildnisbüste wirkt demgegenüber wie mitten aus der Bewegung oder aus dem Gespr äch gerissen, der mimische Ausdruck ist gesteigert. Bernini (17. Jhdt.) hat Stein wie Wachs geformt und den Plastiken eine bis dahin nicht gesehene, fast schon schauspielhafte Lebendigkeit verliehen. Die Ganzfiguren des Barock wirken entsprechend dynamisch in ihrer Komposition und ihrem Raumbezug (s. Abbildungen Arbeitspapier). Im Klassizismus (18./19. Jhdt.) empfindet man die barocken Darstellungen als affektiert und übertrieben und kehrt zum Ausdruck der antiken, der klassischen Werke zurück. Hintergrund sind verkürzt gesagt die Ideale der Tugend und Einfachheit (quot;edle Einfalt - stille Größequot;) und auch der Bildung, mit denen sich die Bürger (franz. Revolution) von der höfischen Kultur absetzen wollen. Demokratie: Ursprung in der Antike. Winckelmann erhob die Kunst der griechischen Antike zum Vorbild, quot;glatter weißer Marmor war das bevorzugte Material der Bildhauer des Klassizismus, die dabei ignorierten, daß die für sie vorbildliche antike Skulptur ursprünglich farbig gefaßt warquot; (S. 100). Im Polychromiestreit konnten sich die Zeitgenossen nicht einigen, ob die griechischen Tempel und Skulpturen bemalt oder weiss waren. Dichter und Denker der Zeit (z.B. Schillerbüste, S. 101), Bildungsabsicht. Zum zweiten Mal in der Geschichte der Kunst wird die Antike zum Vorbild. 3 Ende des 19. Jhdts. findet im Impressionismus eine Ver änderung in der Formauffassung statt, und zwar ausgehend von der Malerei: Mit der Erfindung der Fotografie ist es nicht mehr allein die Malerei, die ein illusionistisches Bild der Wirklichkeit geben kann. Folge ist, dass Maler beginnen, aus dem Pinselstrich zu malen, zu experimentieren, sichtbare Begrenzungen aufzulösen, Farbwirkungen erst im Auge des Betrachters entstehen lassen (Gelb und Rot nebeneinander lösen beim Betrachten Orange aus). Entsprechend zu dieser Entwicklung zeigt die Oberfl äche einer Plastik aus dieser Zeit Bearbeitungsspuren, Fragmente von Körpern werden kunstwürdig, einzelne Teile werden ausführlich bearbeitet und andere wie im Rohentwurf belassen (S. 106-107, 142). Bezogen auf den übergeordneten Gesichtspunkt Naturn ähe l ässt sich sagen, dass die impressionistische Skulptur eine Brückenfunktion einnimmt im Verh ältnis zur Skulptur des 20. Jhdts., und zwar insofern, als sich die Form nicht mehr so stark dem Inhalt unterordnet wie bisher. Je mehr die Naturn ähe, der Illusionismus, abnimmt, desto mehr kann der Bildhauer in freien Formen schaffen, was im 20. Jhdt. stark zunimmt. 4
  • 3. Im Expressionismus werden Masken und starke Vereinfachungen zugunsten einer ausdrucksstarken Formensprache bevorzugt. Auch im Kubismus (S. 112) ist der Kopf nur ein Anlass dafür, ein Spiel mit Fl ächen und Formen auszuprobieren. Das Gleiche gilt für den Konstruktivismus; im gezeigten Beispiel wird der Kopf in geometrische Grundkörper zerlegt und neu arrangiert. Vorreiterfunktion hat auch hier die Malerei. Sowohl in der Malerei als auch in der Skulptur folgt im 20. Jhdt., dass die Darstellungen immer abstrakter werden (s. a. Brancusi, liegender Kopf) und zunehmend keine Natur ähnlichkeit mehr vorhanden ist. Gegenst ändlich zu arbeiten gilt lange Zeit als verpönt, Künstler untersuchen eher Materialien oder Prozesse und realisieren das künstlerisch noch nicht Gesehene (Bilder S. 160 - 217). In den achtziger Jahren des letzten Jhdt. kippt diese Entwicklung wieder um und es entstehen neue figurative Ans ätze in der Malerei, bald auch in der Skulptur, und zwar im Sinne einer zun ächst expressiven Auffassung z.B. wie bei Baselitz (S. 127). Die Portraits und Figuren Balkenhols führen diesen Weg weiter; was den Gesichtausdruck (h äufig teilnahmelos, ernst) und die Körperhaltung anbelangt, ist eine Verbindung zur klassischen Plastik auszumachen (Ausstellungsbilder).