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474 Kasuistik Kriminalistik 8-9/2009 
RECHT AKTUELL 
Heimliche akustische Überwachung eines Gesprächs 
im Besuchsraum einer Haftanstalt 
1. Die heimliche akustische Überwachung eines Ehegattengesprächs im Be-sucherraum 
einer Haftanstalt kann je nach den Umständen des Einzelfalls 
eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren (Art. 20 Abs. 3 i. V. mit 
Art. 2 Abs. 1 GG sowie Art. 6 Abs. 1 MRK) darstellen. 
2. Hieraus ergibt sich ggf. ein Beweisverwertungsverbot. 
unmittelbar aus den §§ 100a, c und f 
StPO. Die richterliche Anordnung der 
akustischen Überwachung entspreche den 
Tatbestandsvoraussetzungen des § 100f 
StPO, weil sie der Aufklärung einer schwe-ren 
(Katalog-) Straftat gedient und Grund 
zu der Annahme bestanden habe, dass 
die Erforschung des Sachverhalts ohne 
die Maßnahme aussichtslos oder erheb-lich 
erschwert gewesen wäre. Die akusti-sche 
Maßnahme dürfe auch ohne Wissen 
des Betroffenen angeordnet werden. Die 
in den §§ 100a und c StPO enthaltenen 
Regelungen zum Schutz des Kernbereichs 
privater Lebensgestaltung seien hier nicht 
entsprechend anwendbar. Der Besuchs-raum 
einer Haftanstalt sei kein unantast-barer 
Kernbereich privater Lebensgestal-tung. 
Dies gelte auch für Gespräche mit 
nahen Angehörigen, wenn diese – wie 
hier – die Prognose begründet erscheinen 
ließen, dass solche Gespräche auch Ver-dunkelungshandlungen 
zum Gegenstand 
haben. Der Senat leitet ein Beweisverwer-tungsverbot 
vielmehr aus einer Verletzung 
des Rechts des A auf ein faires Strafver-fahren 
ab. Das Recht auf ein faires Verfah-ren 
umfasst insbesondere das Recht jedes 
Angeklagten auf Wahrung seiner Aussa-gefreiheit. 
Speziell die Untersuchungshaft 
darf nicht dazu missbraucht werden, das 
Aussageverhalten eines Beschuldigten zu 
beeinflussen. Besonderes Gewicht misst 
das Gericht insoweit dem Vorgehen der 
Ermittlungsbehörden zu, das darauf an-gelegt 
war, bei A die Fehlvorstellung her-vorzurufen, 
er könne mit seiner Ehefrau 
unüberwacht sprechen. Im Einzelnen führt 
das Gericht zwei besondere Umstände 
an: die Zuweisung eines separaten Raums 
und den Verzicht auf die übliche offenen 
Überwachung durch einen Vollzugsbeam-ten. 
Die Ermittlungsbehörden hätten un-ter 
gezielter Ausnutzung der besonderen 
Situation des Untersuchungshaftvollzuges 
das Verbot eines Zwangs zur Selbstbelas-tung 
umgangen. Die Entscheidung läuft 
im Ergebnis nicht auf ein grundsätzliches 
Verbot akustischer Überwachungsmaß-nahmen 
in der Untersuchungshaft hinaus. 
Gegen die Zulässigkeit einer solchen Maß-nahme 
bestehen deshalb keine Bedenken, 
wenn der Gefangene weiß oder jedenfalls 
– durch entsprechende Hinweise – wissen 
kann, dass Besuchskontakte generell oder 
im konkreten Fall überwacht und aufge-zeichnet 
werden. 
BGH, Urt. v. 29. 4. 2009 – 1 StR 701/08 
jv 
Anmerkung: 
Das LG hat A wegen eines Mordes an 
einer Frau verurteilt. Das Gericht hat 
unter anderem als ein deutliches Indiz 
für die Täterschaft des A angesehen, 
dass er in einem heimlich abgehörten 
und elektronisch aufgezeichneten Ge-spräch 
mit seiner Ehefrau, das in einem 
separaten Besuchsraum der Haftanstalt 
stattfand, noch vor dem Auffinden der 
Leiche des Opfers geäußert hatte, dass 
die vermisste Frau tot sei. Auch bat A 
seine Ehefrau in dem Gespräch, die 
Schuld für den Tod der Frau auf sich zu 
nehmen. Entsprechend der ermittlungs-richterlichen 
Anordnung wurde seitens 
der Ermittlungsbehörden bewusst auf 
die sonst übliche Anwesenheit einer 
Aufsichtsperson verzichtet, so dass A 
der Eindruck einer unüberwachten Ge-sprächssituation 
vermittelt wurde. 
Die gegen das Urteil gerichtete Revi-sion 
war erfolgreich. Der BGH hat das 
heimlich abgehörte Gespräch als nicht 
verwertbar eingestuft. Das Beweisver-wertungsverbot 
folge allerdings nicht

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Heimliche akustische Überwachung eines Gesprächs im Besuchsraum einer Haftanstalt

  • 1. 474 Kasuistik Kriminalistik 8-9/2009 RECHT AKTUELL Heimliche akustische Überwachung eines Gesprächs im Besuchsraum einer Haftanstalt 1. Die heimliche akustische Überwachung eines Ehegattengesprächs im Be-sucherraum einer Haftanstalt kann je nach den Umständen des Einzelfalls eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren (Art. 20 Abs. 3 i. V. mit Art. 2 Abs. 1 GG sowie Art. 6 Abs. 1 MRK) darstellen. 2. Hieraus ergibt sich ggf. ein Beweisverwertungsverbot. unmittelbar aus den §§ 100a, c und f StPO. Die richterliche Anordnung der akustischen Überwachung entspreche den Tatbestandsvoraussetzungen des § 100f StPO, weil sie der Aufklärung einer schwe-ren (Katalog-) Straftat gedient und Grund zu der Annahme bestanden habe, dass die Erforschung des Sachverhalts ohne die Maßnahme aussichtslos oder erheb-lich erschwert gewesen wäre. Die akusti-sche Maßnahme dürfe auch ohne Wissen des Betroffenen angeordnet werden. Die in den §§ 100a und c StPO enthaltenen Regelungen zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung seien hier nicht entsprechend anwendbar. Der Besuchs-raum einer Haftanstalt sei kein unantast-barer Kernbereich privater Lebensgestal-tung. Dies gelte auch für Gespräche mit nahen Angehörigen, wenn diese – wie hier – die Prognose begründet erscheinen ließen, dass solche Gespräche auch Ver-dunkelungshandlungen zum Gegenstand haben. Der Senat leitet ein Beweisverwer-tungsverbot vielmehr aus einer Verletzung des Rechts des A auf ein faires Strafver-fahren ab. Das Recht auf ein faires Verfah-ren umfasst insbesondere das Recht jedes Angeklagten auf Wahrung seiner Aussa-gefreiheit. Speziell die Untersuchungshaft darf nicht dazu missbraucht werden, das Aussageverhalten eines Beschuldigten zu beeinflussen. Besonderes Gewicht misst das Gericht insoweit dem Vorgehen der Ermittlungsbehörden zu, das darauf an-gelegt war, bei A die Fehlvorstellung her-vorzurufen, er könne mit seiner Ehefrau unüberwacht sprechen. Im Einzelnen führt das Gericht zwei besondere Umstände an: die Zuweisung eines separaten Raums und den Verzicht auf die übliche offenen Überwachung durch einen Vollzugsbeam-ten. Die Ermittlungsbehörden hätten un-ter gezielter Ausnutzung der besonderen Situation des Untersuchungshaftvollzuges das Verbot eines Zwangs zur Selbstbelas-tung umgangen. Die Entscheidung läuft im Ergebnis nicht auf ein grundsätzliches Verbot akustischer Überwachungsmaß-nahmen in der Untersuchungshaft hinaus. Gegen die Zulässigkeit einer solchen Maß-nahme bestehen deshalb keine Bedenken, wenn der Gefangene weiß oder jedenfalls – durch entsprechende Hinweise – wissen kann, dass Besuchskontakte generell oder im konkreten Fall überwacht und aufge-zeichnet werden. BGH, Urt. v. 29. 4. 2009 – 1 StR 701/08 jv Anmerkung: Das LG hat A wegen eines Mordes an einer Frau verurteilt. Das Gericht hat unter anderem als ein deutliches Indiz für die Täterschaft des A angesehen, dass er in einem heimlich abgehörten und elektronisch aufgezeichneten Ge-spräch mit seiner Ehefrau, das in einem separaten Besuchsraum der Haftanstalt stattfand, noch vor dem Auffinden der Leiche des Opfers geäußert hatte, dass die vermisste Frau tot sei. Auch bat A seine Ehefrau in dem Gespräch, die Schuld für den Tod der Frau auf sich zu nehmen. Entsprechend der ermittlungs-richterlichen Anordnung wurde seitens der Ermittlungsbehörden bewusst auf die sonst übliche Anwesenheit einer Aufsichtsperson verzichtet, so dass A der Eindruck einer unüberwachten Ge-sprächssituation vermittelt wurde. Die gegen das Urteil gerichtete Revi-sion war erfolgreich. Der BGH hat das heimlich abgehörte Gespräch als nicht verwertbar eingestuft. Das Beweisver-wertungsverbot folge allerdings nicht