Information about the film-project "Kinshasa Symphony". A documentary about the only symphonyorchestra in central africa: L'Orchestre Symphonique Kimbanguiste. More information: www.kinshasa-symphony.com
1. KINSHASA SYMPHONY
Ein Dokumentarfilm von Claus Wischmann und Martin Baer
LÄNGE: 90 MINUTEN
F O R M AT: H D / FA Z - T R A N S F E R AU F 3 5 M M
TO N : D O L B Y S U R R O U N D
2. Es ist stockfinster auf dieser Marktstraße in einer der größten Städte der
Welt, und dass so früh am Abend noch reger Betrieb herrscht, kann man nur
sehen, wenn sich ein überladener Minibus im Schritttempo durch Schlamm
und Schlaglöcher quält und der eine funktionierende Scheinwerfer die Stän-
de und Imbissbuden kurz beleuchtet. Stromausfall in Ngiri-Ngiri, Alltag in
Kinshasa.
Wer sich vorsichtig einen Weg zwischen den aufgetürmten Bananen, Seifen-
stücken, Plastiksandalen, Nägeln, Mangos bis zu dem grün gestrichenen
Gebäude an der Straßenecke bahnt, hört zwischen den Rufen der Verkäufer
plötzlich ebenso bekannte wie unerwartete Klänge. In der vollkommenen
Dunkelheit dieses kongolesischen Abends spielt ein Orchester den letzten
Satz der „Carmina Burana“. Auch im „Salle des Fêtes“, einer Art offener Garage,
die als Orchesterproberaum dient, sind wieder mal die Lichter ausgegangen.
Für die fast zweihundert Musiker noch lange kein Grund, die Probe abzubre-
chen. Die meisten können ihren Part auswendig. Und über kleine Gedächt-
nislücken hilft Improvisationstalent und die Macht Gottes hinweg.
Stromausfälle sind noch die kleinste Sorge des einzigen Symphonie-
orchesters im Umkreis von Tausenden von Kilometern, dem einzigen
klassischen Ensemble dieser Größe im subsaharischen Afrika. Die Unruhen
im Osten des Kongo sind gerade wieder beendet. Wie lange halten die
Rebellen diesmal still? Kaum jemand glaubt, dass die schwache Regierung
von Joseph Kabila oder die unbeliebten UN-Truppen das Land wirklich
befrieden können. Auch in den Straßen der Hauptstadt Kinshasa ist diese
Spannung immer spürbar. In den
fünfzehn Jahren seines Bestehens hat
das „Orchestre Symphonique
Kimbanguiste“ zwei gewaltsame
Regierungswechsel und den Kongo-
krieg überstanden, der mehreren
Millionen Menschen das Leben
kostete. Alle im Orchester erinnern
sich an die Zeit des Mordens. Ständig
ist die Gefahr neuer Unruhen präsent.
Doch da ist die Konzentration auf die
Musik, der Wille, gemeinsam etwas
aufzubauen, die Hoffnung auf eine
bessere Zukunft.
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3. DER FILM
Wir wollen Kinshasa mit all seiner Fülle, Geschwindigkeit, Farbenpracht,
Vitalität, Energie in hochauflösender Kinooptik filmen. Und wir wollen den
Klang dieser Stadt und ihres Orchesters vermitteln durch ein Soundkonzept,
das Musik und die Atmosphäre von Kinshasa vereint. Viele Jahre lang war das
alles nicht nur sehr schwierig, sondern offiziell verboten; Diktator Mobutu
wollte verhindern, dass die Welt Bilder vom Verfall seines Landes zu sehen
bekommt. Deswegen gibt es aus dem Kongo, wenn überhaupt, nur Nach-
richtenbilder im Reportagestil.
Das gemeinsame Musizieren, die Probenarbeit und schließlich die Konzerte
des Orchesters, die unsere Protagonisten und mehr als zweihundertfünfzig
weitere ‚Kinois’ zusammenführen, sind großartige Bilder für die Kraft und
Entschlossenheit, mit der sich die kongolesische Zivilgesellschaft aus einem
jahrzehntelangen Teufelskreis von kolonialer Unterdrückung, Tyrannei, Ar-
mut und Krieg befreien will.
„Kinshasa Symphony“– ein Dreiklang:
Die Stadt: Kinshasa.
Eine der jüngsten, größten, chaotischsten Städte der Welt. Eine der am
schnellsten wachsenden ‚Mega-Cities’, ein Moloch. Beyond Chaos, als schon
„jenseits von Chaos“ beschreibt der Dichter Thierry Mayamba Nlandu seine
Stadt. Er muss es wissen, er ist ein echter „Kinois“, ein Bewohner von
Kinshasa.
Die Menschen: mehrere „Kinois“.
In und durch ihre Stadt führen uns unter anderem die Brotverkäuferin Chan-
tal Ikina, der Friseur Moïse Nandu, der Handwerker Albert Matubenza und
der Prediger Armand Diangienda. Sie verbindet die Musik: Chantal ist Violi-
nistin, Moïse ein ehrgeiziger Tenor, Albert spielt Cello und Armand ist Diri-
gent.
Die Musik: „L’Orchestre Symphonique“.
Die verschlungenen Wege dieser „Kinois“ durch die unterschiedlichen Welten
ihrer Stadt treffen zusammen im Probenraum des einzigen Symphonieor-
chesters nicht nur Kinshasas oder des Kongo, sondern des ganzen subsahari-
schen Afrika.
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4. Chantal, Moïse, Albert und Armand und das Orchester erlauben uns, sie in
ihrem gesamten Umfeld zu begleiten und zu filmen. Die Zeit, die wir uns für
das gegenseitige Kennenlernen nehmen werden, die Intensität dieser Be-
gegnungen und der verbindende Faktor der Liebe zur klassischen Musik wird
uns einen faszinierenden Blick auf die Gegenwart der Menschen im Kongo
erlauben.
Ein Film über eine Stadt in Afrika, ihre Bewohner - und über ihre Musik: Beet-
hoven, Mozart, Mendelssohn...
DIE STADT
„Was heißt es, in einer Stadt mit schätzungsweise sechs Millionen Einwoh-
nern zu leben, in der es kaum öffentliche Verkehrsmittel gibt, und zwar aus
dem schlichten Grund, weil in regelmäßigen Abständen über Wochen oder
gar Monate kein Tropfen Benzin zu haben ist. Warum soll man an dem Brauch
festhalten, eine Banknote als ‚Geld’ zu bezeichnen, wenn man täglich erfährt,
dass sie nur ein wertloser Papierfetzen ist?“
Das schrieb Filip De Boeck im Jahre 2006 über Kinshasa. Inzwischen leben
hier schon über acht Millionen Menschen. Die drittgrößte Stadt Afrikas ist
Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo, eines der rohstoffreichs-
ten Länder der Erde. Aber auf der UN-Liste des „Human Development Index“
steht der Kongo auf dem drittletzten Platz: 177 von 179. Wer hier Arbeit hat
und mehr als einen Dollar am Tag verdient, kann sich glücklich schätzen.
„Nach heutigen Schätzungen haben weniger als fünf Prozent der Einwohner
Kinshasas ein regelmäßiges Einkommen“, schreibt der Anthropologe René
Devisch. Die Leute leben von „den überall angelegten Gemüsebeeten und ih-
rem Geschick zu kaufen und zu verkaufen, zu schmuggeln und zu feilschen“.
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5. Da die Preise in Kinshasa hoch sind und das Benzin – falls welches zu bekom-
men ist - etwa so viel kostet wie in Europa, wird das Leben in diesem Moloch
zum Kampf ums Überleben. An den Tankstellen kann man zusehen, wie die
Fahrer von Minibussen oder Sammeltaxis für fünf oder zehn Dollar tanken.
Mehr ist nicht drin. Und schon der Fahrpreis von dreißig Cent ist für viele
unerschwinglich. So sieht man an den Hauptstraßen der Stadt jeden Morgen
und jeden Abend Tausende, die stundenlang und viele Kilometer zu Fuß ge-
hen, um zur Schule, zum Markt, aufs Feld zu kommen. In der Regenzeit kann
dieser Weg ein echtes Abenteuer werden, denn dann verwandeln sich die
unbefestigten Straßen der Stadt in reißende Bäche. Eine Kanalisation gibt es
nicht, Versorgung mit Wasser und Strom nur in einigen Stadtteilen, und auch
dort bricht sie immer wieder zusammen.
„Wie überleben diese Millionen das disparate und elende Leben in Kinsha-
sa?“ Die Antwort des kongolesischen Dichters Thierry Mayamba Nlandu
lautet: „Kinshasa ist eine tote Stadt.“ Aber: „Es ist keine Stadt der Toten.“ Die
Menschen überleben hier durch „eine Ökonomie des Widerstands“, die den
Armen eine Würde verleiht, „wo ansonsten die Logik des Marktes in die abso-
lute Verzweiflung führt“.
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6. DIE MENSCHEN
Eigentlich studiert Chantal Ikina Kriminologie, vorläufig verdient sie aber
ihren Lebensunterhalt mit dem Verkauf von Brot an einem kleinen Straßen-
stand. Die Fünfundzwanzigjährige steht jeden Morgen sehr früh auf. Spätes-
tens um fünf Uhr muss sie in der Brotfabrik sein, um ihre Ware zu kaufen. Eine
kulinarische Spezialität ist ein ausgehöhltes Baguettebrötchen, in dessen
Ende ein Loch gebohrt und das dann mit Cola aufgefüllt wird. Manche
Stammkunden holen sich diese billige und sättigende Schnellmahlzeit jeden
Morgen auf dem Weg zur Arbeit.
Die Brotverkäuferin und angehende
Kriminalistin Chantal Ikina ist aber vor
allem Musikerin, genauer gesagt Vio-
linistin. Wann immer sie neben Arbeit
und Studium Zeit findet, spielt sie
auf der Geige. Von ihrem langen Weg
zur abendlichen Probe lässt sie sich
höchstens durch einen der sintflutar-
tigen Regenfälle abhalten, die regel-
mäßig die Strassen Kinshasas unpas-
sierbar machen. Erst vor einem Jahr
hat sie vom Orchester ein eigenes
Instrument bekommen. Eine einfache
Secondhand-Geige aus China zwar,
doch für Chantal ist sie ein Kleinod. Die ersten Wochen hat sie kaum gewagt,
das Instrument aus dem Probensaal mit nach Hause zu nehmen. Was, wenn
es auf dem Wege zerstört würde?
Eigentlich war Chantal kurz davor, ihr Kriminalistik-Studium aufzugeben. Das
Diplom schien ihr unerreichbar, und warum sollte gerade sie einen solchen
Job bekommen? „Die Arbeitslosigkeit in Kinshasa ist sehr hoch, wie viele
habe ich nicht daran geglaubt, dass mir jemals eine vernünftige Arbeit an-
geboten wird. Das Verkaufen der Brote ernährt mich, ich habe keinen Mann
und keine Kinder und dachte, damit muss ich mich zufrieden geben.“ Einige
im Orchester haben ihr lange zugeredet. Nun will sie es doch versuchen. Die
letzten Prüfungen stehen ihr bevor. Sie übt abwechselnd Geige und lernt für
die Examen. Dann folgt die letzte und größte Hürde. Wo gibt es freie Stellen
in Kinshasa?
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7. Ein beschädigter Kontrabass, dessen
Innenleben er studiert hat, war die
Vorlage für seine ersten selbstge-
bauten Celli: Albert Matubenza
ist Orchestermanager und Instru-
mentenbauer in Personalunion. Die
Geigendämpfer fertigt er aus alten
Autoreifen. Für die Bespannung der
Bögen verwendet er in Ermangelung
anderer Materialien Angelschnüre.
Als das Orchester vor fünfzehn Jahren
gegründet wurde, unterrichtete er
dort alle Streicher. Auch seine Frau
Josephine, mit der er zwei Kinder hat,
gehörte zu seinen Schülern. Josephine spielt mittlerweile weit besser als er
selbst, darum hat er sich nun auf die Gitarre verlegt. Im Hof eines Freundes
hat Albert seine Werkstatt: zwei einfache Holzböcke. Dort sägt und verleimt
er die neuen Celli. „Anfangs war der Klang nicht ideal, aber mit jedem neuen
Instrument wird er besser.“
Albert hat seinen Vater im letzten Krieg verloren. Wie alle anderen spricht
er nur ungern darüber. „Viele im Orchester haben so etwas erlebt. Doch das,
was wir tun, vermittelt den Musikern ein anderes Bild von sich selbst. Es zeigt
ihnen, dass sie ernsthafte Persönlichkeiten sind. Manche haben hier ange-
fangen ohne Vertrauen in sich selbst und in das Leben. Das Orchester, das
Musizieren gibt ihnen Selbstbewusstsein, auch wenn es vielen anfangs sehr
schwer fällt.“
Neben der Planung für das Konzert arbeitet Albert an einer anderen Sa-
che: Seit langem schon will das Orchester eine Musikschule eröffnen. Es ist
schwer, ein geeignetes Gebäude zu finden. Die Immobilienpreise in Kinshasa
sind stark gestiegen, seitdem sich viele chinesische Firmen in der Hauptstadt
niedergelassen haben. Nun will Albert die Klassenräume von Schulen in der
Nähe nutzen, um dort den Kindern Geigenunterricht anzubieten. Er trifft sich
mit den Schuldirektoren und versucht sie von den Vorzügen des Musikunter-
richts zu überzeugen. In der Regel stößt er dabei auf wenig Begeisterung. Es
gibt auch so schon genug Probleme in Kinshasa, was soll da noch Musikun-
terricht? Doch nun, im Sommer, soll es losgehen. Einige Musiker aus dem Or-
chester werden den Unterricht geben. Und an Schülern besteht kein Mangel.
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8. Armand Diangienda ist eigentlich ausgebildeter Pilot, arbeitet aber nicht
als solcher. Mit Frau und Kindern betreibt er eine Farm außerhalb von Kinsha-
sa und leitet das Gemeindezentrum der „Kimbanguisten“ im Stadtteil Ngiri
Ngiri. Diese protestantische Kirche trägt den Namen ihres Gründers Simon
Kimbangu. Armand Diangienda ist der Urenkel jenes Kimbangu und das
sechste von sieben Kindern eines
Kirchenorganisten. Er spielt selbst
Cello und komponiert. Dem Auftrag
seines Vaters, sich gesellschaftlich
zu engagieren, kam Armand nach,
indem er das erste klassische
Orchester im Kongo gründete.
„Die Musik hilft mir zu denken und
mein Leben besser zu planen. Und
auch wenn die Proben oft mühselig
und Fortschritte nicht sofort
erkennbar sind, das gemeinsame
Musizieren hilft über viele Dinge
hinweg.“
Armands Traum ist ein Konzert im benachbarten Brazzaville, der Hauptstadt
der Republik Kongo, dem kleineren, nördlichen Nachbarstaat. Im Herbst
diesen Jahres ist das Konzert geplant – jedenfalls wenn die politische Situa-
tion es zulässt. Mit der Fähre wird sein Orchester dann auf die andere Seite
des Kongo-Flusses fahren, vorbei an den rostigen Schiffswracks, die zwischen
den beiden Hauptstädten im Fluss liegen. Dort, so hofft Armand, wird sein
Orchester neue Anhänger und vielleicht auch weitere Nachahmer finden.
Und auch bei einem ganz praktischen Projekt packt Armand tatkräftig mit an.
Einige arbeitslose Näherinnen aus dem Orchester, die sich um die aufwändi-
ge Konzertkleidung kümmern, seitdem es Auftritte vor grösserem Publikum
gibt, wollen nun zusammen eine Nähwerkstatt gründen.
Moïse Nandu hat seinen eigenen kleinen Herren-Friseurstand unter freiem
Himmel. Ein Stuhl, ein Spiegel, eine Ablage und das Friseurbesteck. Damit
finanziert er sein Wirtschaftsstudium und die Musik. „Die Arbeit brauche ich,
um zu überleben“, sagt er, „aber ohne die Musik kann ich nicht existieren.“
Moïse träumt davon, sein Geld als Sänger zu verdienen. Bald will er, der
Kinshasa noch nie verlassen hat, an seinem ersten Gesangswettbewerb in Eu-
ropa teilnehmen. Nach Paris soll es gehen. Die Einladung hat er schon, diesen
Sommer könnte es Realität werden.
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9. DAS ORCHESTER
Die Klänge sind wie eine Fata Morgana aus Tönen. Leise sickern sie durch die
schwere, staubige Luft, vermischen sich mit den Geräuschen der Großstadt,
mit dem Geschrei der Verkäufer, die ihre Waren auf dem großen Markt gleich
nebenan feilbieten, mit den Motoren der klapprigen Autos, die sich durch
die maroden Straßen kämpfen. Eine ausrangierte Industriehalle, das große
Metalltor ist geöffnet, auf der Wand steht „Salle des Fêtes“. Dichtgedrängt
sitzen beinahe hundert Musiker auf Plastikstühlen. Sie werden verstärkt von
achtzig Sängern, die sich im Hintergrund aufgebaut haben. Das Orchester
probt Beethovens Neunte: „Freude schöner Götterfunken“.
Die meisten Orchestermitglieder sind Autodidakten und Amateure. Sie kom-
men aus den unterschiedlichsten sozialen Schichten. Ärzte und Handwerker
sind dabei, Beamte, Studenten, Arbeitslose. Viele Orchestermitglieder haben
kaum genug Geld, sich und ihre Familien zu ernähren, an Musikunterricht ist
da nicht zu denken. Das Orchester muss sich also seinen Nachwuchs selbst
heranziehen. Jeder, der auf seinem Instrument ein gewisses Niveau erreicht
hat, gibt seinerseits den Neuen Unterricht.
Mit ruhigen und bestimmten Gesten versucht der Dirigent Armand Diangi-
enda Klarheit in die Interpretation zu bringen. In wenigen Wochen soll das
Werk zusammen mit dem „Bolero“ und den „Carmina Burana“ zum kongole-
sischen Nationalfeiertag aufgeführt werden. Bis dahin ist es noch ein weiter
Weg. Einige Musiker haben mit der Partitur zu kämpfen. Bei anderen gibt es
Probleme mit dem Instrument. Armand bricht die Probe ab. Ihm reicht es für
heute. Ungeduldig ruft er der Posau-
nistin Josephine zu, dass sie ihren Part
noch mehr üben müsse. Josephine,
die eigentlich Köchin ist, kann nur
mühsam ihre Tränen zurückhalten.
Seit fünf Uhr morgens ist sie auf den
Beinen, jetzt noch eine Einzelprobe,
das ist zu viel für sie.
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10. Die Mitglieder des Orchesters müssen weit mehr einbringen als musikali-
sche Kenntnisse und Fertigkeiten. Nebenbei schneidern sie ihre Anzüge und
Kleider für die Auftritte, organisieren die Beschaffung von Noten und sorgen
während der langen Probenabende für die Verpflegung und die Beaufsich-
tigung der Kinder. Einige der Handwerker haben inzwischen eine ganze
Kollektion von oft selbst erfundenen und gebauten Werkzeugen, um mit
sehr ungewöhnlichen Mitteln jede erdenkliche Reparatur eines Instruments
durchzuführen. Überhaupt sind die Instrumente ein Problem. Viele Celli und
Kontrabässe sind selbstgebaut. Noch schlechter sieht es mit den Holzblasin-
strumenten aus. Im gesamten Kongo gibt es nur zwei Fagotte - und die sind
im Besitz des Orchesters.
Um das anspruchsvolle Programm zu meistern, proben die Musiker die letzte
Woche vor den Aufführungen jeden Tag von morgens bis in die Nacht. Wer
Zeit hat, kommt. Manche schaffen es nur eine Stunde pro Tag, andere sind
ständig dabei. Orchesterleiter Albert ermahnt diejenigen, die zu häufig feh-
len. Keiner möchte das Konzert verpassen oder gar des Orchesters verwiesen
werden. Der Hornist, der vor und nach den Proben noch in einer Werkstatt ar-
beitet, nutzt jede Pause, um ein kurzes Nickerchen auf dem Pult zu machen.
Und noch immer funktioniert die schwierige Stelle im dritten Satz nicht. Der
Dirigent macht sich nun doch langsam Sorgen, ob das Programm zu meis-
tern ist. Hat er seinem Orchester zu viel zugemutet?
Hungrig reihen sich die Musiker vor dem gewaltigen Topf mit Reis und Ge-
müseeintopf auf. Für einige ist das Mittagessen die einzige richtige Mahlzeit
des Tages. Während der Probenzeit wird es vom Orchester finanziert. Nach
dem Essen geht es weiter mit Beethoven. Es ist jetzt weit über dreißig Grad
im Schatten. Chantal, die Violinistin, rutscht mit ihren verschwitzten Fingern
über die Saiten. Beinahe reflexhaft spielt sie ihre Noten. Nach fünf Stunden
Probe ist von Spaß keine Rede mehr. Trotzdem ist die Disziplin der Musiker
verblüffend. Einige Sänger und Instrumentalisten nutzen sogar die kurzen
Pausen zwischen den Tutti-Proben, um in kleinen Gruppen weiter zu üben.
Musik ist in Kinshasa überall präsent. Tanzmusik aus dem Kongo ist weltweit
erfolgreich, viele überregional bekannte Künstler wie Papa Wemba kommen
aus Kinshasa und Umgebung. Klassische Musik ist den meisten Kongolesen
eher fremd. Trotzdem herrscht an Nachwuchs für das Orchester kein Mangel.
Schon jetzt gehören zweihundertfünfzig Musiker und Sänger dazu. Bei den
Konzerten verstärken weitere Chöre die Besetzung, manchmal stehen so
dreihundert Musiker auf der Bühne.
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11. Noch zwei Tage bis zur Aufführung. Orchestermanager Albert hat jetzt alle
Hände voll zu tun. Der Posaunist ist erkrankt. Er war der Einzige weit und
breit, der die schwierige Partie spielen konnte. Schlimmer sind aber die
noch immer fehlenden Genehmigungen für das Konzert im Stadion. Die
örtliche Polizei verlangt Schmiergeld, zu viel für das Orchester. Nun muss
Dirigent Armand seine Kontakte spielen lassen, um den Auftritt noch zu
retten.
Vor den Probeneinheiten ziehen sich die Musiker zum Gebet zurück. Ganz
intim, jeder für sich, sprechen sie zu Gott. Neben der Liebe zur klassischen
Musik eint die Orchestermusiker die Religion. Mozarts Requiem gehört eben-
so zum Repertoire wie der alte kimbanguistische Choral „Klage des Schwar-
zen Mannes gegen Gott“. Im Jahre 1921 begründete Simon Kimbangu seine
Kirche und bekehrte viele Kongolesen zum Christentum. Als er in seinen Pre-
digten von der Ankunft eines schwarzen Messias sprach, der kommen und
die belgischen Kolonialherren vertreiben werde, steckte ihn die Obrigkeit ins
Gefängnis. Dort starb Kimbangu und erst kurz vor der Unabhängigkeit des
Kongo 1960 wurde die kimbanguistische Kirche wieder zugelassen. Heute ist
sie nach der katholischen und protestantischen die drittgrößte Religionsge-
meinschaft im Land.
Gerade aus den Kreisen einer Glaubensgemeinschaft, die im Widerstand
gegen die Kolonialmacht heranwuchs, ist ein Symphonieorchester in
westlicher Tradition entstanden. Für den Dirigenten Armand Diangienda kein
Widerspruch. Diese erstaunliche Geschichte, erklärt Armand, versinnbildlicht
vielmehr die dramatische Entwicklung des Landes von der Privatkolonie des
belgischen Königs über das Zaire des Tyrannen Mobutu zum heutigen Kon-
go. Für ihn ist die Verwirklichung seines Traumes von einem kongolesischen
Symphonieorchester Teil der Hoffnung auf eine friedliche Demokratische
Republik Kongo.
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12. DAS ERZÄHLKONZEPT
„Kinshasa Symphony“– ein Dreiklang aus Stadt, Menschen und Musik. Drei
Ebenen, auf denen wir eine Geschichte aus dem und über den Kongo erzäh-
len wollen. Da ist der Zustand Kinshasa, die chaotische Wirklichkeit dieser
„Mega-City“. Dann der Blickwinkel von Chantal, Albert, Armand und Moïse.
Wir wollen zeigen, wie die „Kinois“ in diesem Chaos zurecht kommen müs-
sen und zugleich alles tun, um ihre Situation und damit letztlich auch den
Zustand ihrer Stadt zu verbessern. Drittens die Gegenbilder zum Chaos: Das
Zusammenspiel einer großen Anzahl unterschiedlichster Menschen in einem
Orchester.
„Kinshasa Symphony“ begleitet die Musiker von den ersten Proben ihres neu-
en Programms bis zum Konzertauftritt unter freiem Himmel. Ein Konzert zum
kongolesischen Unabhängigkeitstag, zu dem mehrere tausend Zuschauer
erwartet werden. Noch steht der Aufführungsort nicht fest. Es kann ein Fuß-
ballstadion sein, eine große, offene Kirche, eine zentrale Straßenkreuzung.
Die Musikauswahl ist programmatisch: Beethovens Neunte Symphonie, eine
uns mehr als bekannte musikalische Metapher für Freiheit und Gleichheit. Ein
politisches Statement zum kongolesischen Unabhängigkeitstag. Eine Musik
aber auch, die im Kontext ihrer Aufführung in Kinshasa, im Kontext der Pro-
ben auf selbstgebauten Instrumenten eine ganze eigene Energie entfaltet.
Ein eigentümlicher Kontrast zwischen den Bildern, die wir sehen und den uns
so bekannten Klängen, die wir hören.
Die extrem unterschiedlichen Welten des Wahnsinns der afrikanischen
Weltstadt auf der einen Seite und die der Proben und Konzerte eines
Symphonieorchesters auf der anderen werden verbunden, indem wir
unsere Protagonisten für eine Weile auf ihren Wegen zwischen Alltag und
Musik begleiten. Auf der einen Seite eine Millionenstadt ohne jede Infra-
struktur, auf der anderen das gemeinsame Musizieren. Dazwischen bilden
die Hoffnungen, Anstrengungen, Entwicklungen, die Erfolge und Misserfolge
unserer Protagonisten die eigentliche Handlung des Films. Die Violinistin
Chantal auf der Suche nach einem Job. Orchestermanager Albert, der für die
Durchführung des Konzertes verantwortlich sein wird und an der Eröffnung
einer Musikschule arbeitet. Moïse, der von seinem Auftritt in Frankreich
träumt und vielleicht tatsächlich die Möglichkeit erhält, seinen Traum zu ver-
wirklichen. Armand, der die Reise nach Brazzaville plant und eine
Näherei eröffnet.
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13. Das Tempo und die Entwicklung der filmischen Handlung ergeben sich aus
den Entwicklungen dieser Personen. Die Bilder vom Zustand der Stadt sind
dagegen die Fermaten im drängenden Fortlauf der Erzählung. Diese Einstel-
lungen sind offen gefilmt und bleiben stehen. Sie geben dem Betrachter Zeit,
eigene Wege zu gehen, die Bilder zu erkunden. Sie lenken den Blick auch auf
die Wunden der Vergangenheit, die diese Stadt zum dem gemacht hat, was
sie ist. Die Stadtansichten sind Tableaus, die im Kontrast zu den hektischen,
erzählenden Passagen stehen. Aber erst in dieser scheinbaren Ruhe eröffnet
sich dem Betrachter ein Blick auf das rasante Durcheinander der Welt, in der
die Menschen leben, die er im Laufe des Films immer besser kennen lernt.
Zusammengeführt werden die schnellen, energiegeladenen Geschichten
der Protagonisten und die beinahe statischen Aufnahmen der Stadt auf der
Konzertbühne. So wie die Stadtbilder für den Zustand Kinshasas stehen und
die Personenporträts für die Entwicklung der Kinois, so ist der gemeinsame
Auftritt als Symphonieorchester ein Bild der Hoffnung und auch Blick in eine
mögliche Zukunft. So wie die Musiker dem großen Auftritt entgegen fiebern,
so wird das Konzert dramatischer und musikalischer Höhepunkt des Films.
Die gegensätzlichen Energiezustände dieser drei Ebenen treiben den Film
voran. Es geht um die Spannung zwischen populärer abendländischer Musik
und ihrer Rezeption und Interpretation im Kongo, zwischen dem Chaos
des Alltagslebens und der Ordnung eines Symphoniekonzerts, zwischen
den manchmal utopischen Hoffnungen der Musiker und dem oft mühseli-
gen Fortgang der Proben, und vor allem geht es um die äußere und innere
Entwicklung der Musiker, in der sich auch die politische Realität des Kongo
spiegelt.
Während wir unsere Protagonisten begleiten, erfahren wir fast beiläufig
immer mehr über die Situation in Kinshasa und im Kongo. Jemand erinnert
sich, wie die Familie nach den Wahlen vor zwei Jahren tagelang in einem
Kellerraum Schutz suchte, weil sich in der Nähe des Hauses die Miliz des
Wahlverlierers mit den Regierungstruppen Gefechte lieferte. Wir begegnen
Menschen, die auf dem Mittelstreifen eines ehemaligen Prachtboulevards
Gemüse anbauen, um es an Vorbeifahrende zu verkaufen. Wir hören, dass
es in Gesprächen häufig um die Verwandten geht, die im Osten des Landes
leben, wo der Krieg immer wieder aufflackert. Wir sind auf einem Markt un-
terwegs, weil es dort an einem bestimmten Tag neben Reis auch einen Stand
geben soll, an dem man Notenpapier kaufen kann.
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14. DAS VISUELLE KONZEPT
Martin Baer („Weiße Geister“, „Befreien Sie Afrika!“, „Eine Kopfjagd“)
Der Film beginnt mit dem Blick auf Kinshasa, der Acht-Millionen-Metropole
am Kongo-Fluss. Wir sehen die Stadt in halbtotalen und totalen Einstellungen
von Orten, Straßen, Plätzen, an denen sich viel abspielt: Straßenkreuzungen,
Marktstände, Bushaltestellen, Schulhöfe, Tankstellen. Hier gehen die „Kinois“
ihren täglichen Geschäften und Verrichtungen nach. Um als Betrachter zu
erfassen, was hier alles gleichzeitig geschieht, bleiben die Einstellungen
stehen. Die Kamera schwenkt nicht, es gibt hier keine Fahrten und schon gar
keine Zooms; selbstverständlich verwenden wir ein Stativ. So nehmen wir zu-
nächst den Standpunkt eines in die Stadt Kinshasa versetzten Zuschauers ein
und gerade nicht die des teilnehmenden, mitlaufenden, sich auskennenden
Bewohners. Die Verwendung von kurzen Festbrennweiten in Verbindung mit
dem Aufnahmeformat HD ergibt hochauflösende, scharfe und detailreiche
Bilder, in denen sich dem Zuschauer immer neue Einzelheiten eröffnen. Diese
Einstellungen bleiben stehen und entwickeln eine ganz eigene Spannung.
Der Betrachter hat die Wahl: Beobachtet er den Tankwart am Zapfhahn, die
junge Frau, die von den Autofahrern das Geld abkassiert, den Jungen, der
den Wartenden Wasser verkauft oder doch den Autofahrer, der direkt in die
Kamera schaut?
Dass Passanten die Präsenz der Kamera wahrnehmen, sich nähern, in die
Kamera schauen, gestikulieren, das Filmteam ansprechen, ist vollkommen
in Ordnung. Wir können sowieso nicht unsichtbar sein. Ein Filmteam ist in
Kinshasa eine Sehenswürdigkeit. Deswegen wäre es mehr als naiv, „unauf-
fällig“ und „beobachtend“ drehen zu wollen. Situationen, in denen Leute auf
der Straße uns und die Musiker, die wir begleiten, ansprechen und Fragen
stellen, sollen Teil der filmischen Erzählung werden.
Die Musikerinnen und Musiker des Orchesters lernen wir in ihren „normalen”
Rollen, jenen Tätigkeiten und Berufen kennen, die ihren Alltag bestimmen. In
diesem Alltag nehmen wir mit der Kamera die Perspektive der Protagonisten
ein. Wir begleiten sie auf ihren Wegen zur Arbeit, zur Schule, nach Hause,
durch die Stadt und natürlich auch zum Musikunterricht, zum Üben, zur Pro-
be. Wie schwierig, fordernd, hart, anstrengend, schnell, hektisch diese Stadt
ist, drückt sich in der Nähe und der Geschwindigkeit aus, mit der wir unseren
Protagonisten folgen. In diesen Sequenzen ist die Kamera immer sehr dicht
bei Ihnen; gedreht wird ausschließlich von der Schulter beziehungsweise aus
der Hand.
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15. So ruhig die Kamera die Stadt filmt, so schnell sie den Menschen folgt, so
musikalisch zeigt sie die Musik: Bei den Konzert- und Probenausschnitten
des Orchesters folgen die Kamerabewegungen und der Schnitt den musi-
kalischen Vorgaben und Abläufen. Es gibt ruhige Bewegungen, Zoom- und
echte Fahrten sowie Kranfahrten über Orchester und Publikum an den mu-
sikalischen Höhepunkten. Die Schnittfrequenz folgt dem Rhythmus und der
dramatischen Textur der Musik.
Proben und Konzerte des Symphonieorchesters von Kinshasa werden gemäß
den Erfordernissen von Übertragungen und DVD-Produktionen klassischer
Musik gefilmt. Dabei werden wir uns die Erfahrungen zunutze machen, die
wir in den letzten Jahren bei derartigen Aufzeichnungen mit zahlreichen
Orchestern in aller Welt machen konnten.
Wir werden uns von unseren Protagonisten leiten lassen, sie auf Augenhöhe
begleiten, sie dabei möglichst oft selbst zu Wort kommen lassen.
Wir werden das Orchester und seine Auftritte möglichst genau so filmen, wie
wir ein Orchester in Berlin oder Paris oder New York filmen würden.
Und wir werden es zulassen, dass die Menschen sich etwa auf der Straße
nicht einfach filmen lassen, sondern zurückschauen und zurückfragen.
Bildtechnik
Aufgezeichnet wird im HD-Format XDCAM, voraussichtlich mit einem HD-
Camcorder PDW-700.
Für die Aufzeichnungen der Konzerte sind zwei bis drei Kameras und ein
Kamerakran vorgesehen.
Ein kompakter HD-Camcorder wie die PMW-EX3 ermöglicht Aufnahmen
auch in beengten Drehsituationen (wie beispielsweise in einem überfüllten
Minibus) oder bei schlechten Lichtverhältnissen auch ohne aufwändiges
Zusatzlicht.
In extremen Situationen greifen wir auf eine digitale Spiegelreflexkamera –
die EOS 5D Mark II – zurück, mit der sich ebenfalls Full-HD-Sequenzen auf-
zeichnen lassen.
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16. DAS TONKONZEPT
Pascal Capitolin („Rhythm is it”, „Trip To Asia”, „Hotel Sahara”)
Den Klang einer Stadt einzufangen, ist immer eine besondere Herausforde-
rung. Bei „Kinshasa Symphony“ werden wir diesen Klang mit musikalischer
Komposition verweben. Wir wollen einen Kino-Score entwickeln, der die klas-
sischen Kompositionen und die Klänge der Stadt und der Menschen vereint.
Auf welche typischen Klänge und Rhythmen werden wir in einer afrikani-
schen Stadt wie Kinshasa stoßen?
Wie klingt ein Lied von Schubert hinter einer Wellblechtür?
Ist es das Hämmern eines afrikanischen Trommlers oder der finale Schlag
einer Pauke aus den „Carmina Burana“, der auf den Lehmstraßen vibriert?
Kommt Mozart aus Afrika?
Die Stadteinstellungen werden mit einer Doppel MS-Einrichtung aufge-
nommen, so dass die Straßen, der Verkehr und die Stadt-Vibrationen auf
der Leinwand fühlbar werden. Einzelne und differenzierte Klänge werden
sorgsam von einem Sennheiser MKH 70 aufgenommen, um dem Zuschauer
verschiedene auditive und rhythmische Orientierungen innerhalb der weit
angelegten Bildkomposition anzubieten. Viele dieser Klangspuren werden
sich überlagern, eine Tonspur drängt sich in den Vordergrund, tritt dann
wieder zurück, eine andere Klangebene wird deutlicher und verschwindet
schließlich ganz. Der statischen visuellen Ausrichtung steht eine flirrende,
ineinander verwobene Tonebene gegenüber. Das unbewegte Bild vibriert.
Auf der zweiten Ebene des Films wollen wir die Protagonisten und ihren
Alltag in der Mega-City Kinshasa verfolgen. Der Ton wird dicht an unseren
Protagonisten bleiben. Um die jeweiligen Klangfarben, Stimmen und Ge-
räusche wiederzugeben, wird eine Doppel MS-Einrichtung verwendet. Ob
im Friseursalon, auf dem Markt oder im Proberaum - wichtig bleibt, dass der
Ton sowohl Dichte als auch Weite ermöglicht und die Musik, Geräusche und
Stimmen auf kompositorische Weise wiedergibt. Auch in diesen dokumenta-
rischen Passagen sollte sich Mozart im Kinosessel wie zu Hause fühlen.
Die Konzertaufnahmen werden standardgemäß einer klassischen Musik-
aufnahme entsprechen und mit 2 – 3 HD Kameras aufgezeichnet. Der Ton
wird adäquat auf 16 Kanälen und mit 24 Bit auf Hard Disk aufgezeichnet und
unterstützt so die schnellen Umschnitte und Close-Ups der einzelnen
16 Kinshasa Symphony
17. Musizierenden. Bei manchen Proben und natürlich beim Konzert werden bis
zu dreihundert Musiker auf der Bühne sein. Um die einzelnen Instrumenten-
Gruppen differenziert aufzufangen, sollen deswegen bei den Konzerten 8 bis
12 Mikrofone Schoeps/ CCM4-2 f verwendet werden.
Die „Concert Hall-Atmosphäre“ wird mit Surround-Technik erfasst und er-
möglicht so das dreidimensionale Gefühl des „Dabeiseins“.
ZUR GEFAHR DES KOLONIALEN BLICKS
Selbstverständlich ist ein Dokumentarfilm niemals objektiv. Heute wird kaum
mehr jemand ernsthaft die Ansicht vertreten, dass Bilder oder gar zu Filmen
montierte Bilder „wahr“ sind. Gerade deshalb ist es für uns Filmemacher
wichtig, sich diese Subjektivität immer wieder bewusst zu machen.
Wenn „wir“ sehr viel reicher, mächtiger, stärker sind als „sie“, ist das Filme-
machen ein besonders sensibler Prozess. Deswegen sollte sich jeder, der in
Afrika Filme machen will, mit der Geschichte des Kolonialismus und mit dem
Phänomen des Rassismus beschäftigt haben. Auch wenn Wissen allein nicht
schützt, hilft doch die Erkenntnis, dass unser Denken, dass unsere Sprache
von einer rassistischen Kultur geprägt sind. Dies bedeutet, dass wir unsere
filmische Herangehensweise, unser Vorgehen in den Drehsituationen, die
Bildgestaltung und Montage immer wieder hinterfragen und überprüfen, ob
unser Blick respektvoll und auf Augenhöhe ist.
Viele der immer wieder verwendeten Bilder aus Afrika wiederholen nur Ste-
reotypen von „arm“, „primitiv“, „grausam“ und bedienen unsere Erwartungen
von „exotisch“ und „anders“; es ist leicht, sie zu drehen, gerade in Ländern wie
dem Kongo. Viel interessanter als diese Oberfläche der „Andersartigkeit“ sind
aber die tiefer liegenden Gemeinsamkeiten, die das Leben eines Bewohners
von Kinshasa mit dem eines Berliners hat: in weiten Bereichen ähneln sich
Wünsche, Hoffnungen, Alltagssorgen.
Wir hoffen, dass sich solche Parallelen gerade in den Geschichten der Musiker
des Orchesters aus Kinshasa erkennen lassen. Zwar denken Europäer beim
Wort „Kongo“ zuerst an „Krieg“ - in unserem Film aber werden sie Kongolesen
sehen, für die das wichtigste Ereignis das bevorstehende Konzert ist und ihre
Partie in Mozarts „Zauberflöte“. Es ist nicht das exotische, das armselige, das
hilfsbedürftige Afrika, welches wir abbilden wollen - es ist das Afrika, das ein
gleichberechtigter Teil der Welt sein kann und will.
Kinshasa Symphony 17
18. DIRECTOR’S STATEMENT
Claus Wischmann
Als ich vor drei Jahren zum ersten Mal von diesem unglaublichen Orchester
gehört habe, konnte ich zunächst kaum glauben, dass es existiert. Musiker,
die sich ihre Instrumente teilweise selbst bauen und dann auf öffentlichen
Plätzen mitten in Kinshasa vor Tausenden Zuschauern Mozart und Verdi
interpretieren. Musiker, die Carmina Burana spielen, als ginge es um nicht
weniger als ihr Leben. Jeder Ton hinausgeschleudert als Ausrufezeichen des
unbedingten Überlebenswillens. Kaum etwas könnte weiter von der Realität
subventionierter klassischer Musik im Westen entfernt sein.
Dieser Film handelt von einem Orchester, von Musik. Doch es ist keine
Musikdokumentation. Es ist vielmehr ein Film über ganz universelle Fragen
des menschlichen Zusammenlebens. Ein Film über Selbstbehauptung und
Durchhaltewillen, über Kraft und Entschlossenheit. Die Musik ist unsere
Eintrittskarte, um in diese Welt einzutreten. Je mehr ich von diesen faszinie-
renden Musikern, ihrer Geschichte, ihrer Stadt und ihrem Land gelernt habe,
desto mehr wurde mir klar, dass dieses Thema nicht als handelsübliche Fern-
sehdokumentation abgehandelt werden darf.
Wir haben die Chance, einen Film zu machen, der Afrika und den Kongo
nicht mit Bildern von Waffen und hungernden Menschen gleich setzt. Wir
wollen unsere Protagonisten ganz nah begleiten, ihre Ernsthaftigkeit, ihre
Energie und Leidenschaft zeigen. Chantal, die junge Violinistin, Brotverkäu-
ferin und angehende Kriminalistin sagte uns: “Das Symphonieorchester hat
mich gelehrt, auf eine andere Weise zu hören und die Welt auf andere Weise
zu erleben. Diese neue Sicht und das ganze Orchester geben mir Selbstbe-
wusstsein.“ Wir wollen diesem Selbstbewusstsein eine Stimme geben.
18 Kinshasa Symphony
19. DAS TEAM
Claus Wischmann ist Autor, Regisseur und Geschäftsführer von sounding
images. Nach seinem Klavierstudium hat er als Autor und Regisseur über
vierzig Dokumentarfilme, Reportagen, Konzertaufzeichnungen und Portraits
realisiert. Seine Filme, die oft die Musik zum Thema haben, liefen im Wett-
bewerb mehrerer internationaler Festivals wie Fipa, Rose d’Or und Golden
Prague und gewannen u.a. den Audience Award beim Golden Prague Festi-
val und den amerikanischen Golden Eagle Award.
Martin Baer ist Kameramann, Autor und Regisseur. Er hat zahlreiche Repor-
tagen, Dokumentarfilme, Opern-, Konzert- und Theateraufzeichnungen
gedreht. Als Autor, Regisseur und Kameramann hat er Dokumentarfilme vor
allem zu historischen Themen und über Afrika (“Befreien Sie Afrika!”, “Weisse
Geister – der Kolonialkrieg gegen die Herero”) realisiert. Seine Filme liefen
auf vielen internationalen Festivals und wurden mehrfach ausgezeichnet.
Martin Baer hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt „Sehr geehrte Damen
und Herren, liebe Neger.” – Deutsche Bilder von AfrikanerInnen in Presse und
Kino der 1960er-Jahre“.
Pascal Capitolin ist freiberuflicher Tontechniker und Soundrecordist. In Paris
geboren lebt er seit 1984 in Deutschland. Neben Spielfilmen und Fern-
sehserien arbeitete er im Dokumentarfilmbereich an Filmen wie “ Rhythm
is it!”, “Die Kinder sind tot”, “Das Reichsorchester”, “Trip to Asia”. Im Sound-
Designbereich hat er Filme wie “Hotel Sahara”, “Lebensretter” und “Christoph
und Eliane” betreut. Pascal Capitolin spricht fließend Englisch, Französisch,
Deutsch und Italienisch.
Kinshasa Symphony 19
20. DIE PROJEKTDATEN
TITEL: Kinshasa Symphony –
Ein klassisches Orchester im Kongo
FORMAT: HD, FAZ-Transfer auf 35 mm
PRODUKTION: Sommer 2009
POSTPRODUKTION: Herbst / Winter 2009
FERTIGSTELLUNG: Frühling 2010
BUCH: Claus Wischmann
REGIE: Claus Wischmann / Martin Baer
KAMERA: Martin Baer, Michael Dreyer
TON: Pascal Capitolin
SCHNITT: Peter Klum
PRODUCER: Stefan Pannen, Holger Preuße
sounding images GmbH
Prenzlauer Allee 36
10405 Berlin
Germany
Phone +49 (0)30 44 35 95 60
claus.wischmann@sounding-images.de
www.sounding-images.de