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1
I 
Aufgabenstellung für eine Bachelorarbeit 
im Studiengang Bauingenieurwesen 
Bearbeiter: Olga Arkhipkina, Mat.-Nr. 3027213 
Betreuer: Prof. Dr.-Ing. Werner Lorenz, Prof. Dr.-Ing. Frank Jesse (Massivbau, BTU/Fak.2) 
UNTERSUCHUNG, BEMESSUNG UND BEWERTUNG HISTORISCHER BAUSUBSTANZ – 
BAUZUSTANDSUNTERSUCHUNG, SCHADENSANALYSE UND STATISCHE NACHWEISE ZUM 
STAHLBETONTRAGWERK AM „WEIßEN TURM“ (1929-31) IN JEKATERINENBURG (RUSSLAND) 
Zielstellung / Schwerpunkte: 
 Vorbereitung (Arbeitsaufwand und Anteil am Inhalt ca. 25%) 
- Durchsicht der vorhandenen Unterlagen 
- Planung und Vorbereitung der Untersuchungskampagne (z.B. zeichnerische 
Aufbereitung 
von Wandabwicklungen, Aufbereitung vorhandener Bewehrungspläne) 
 Bauzustandsuntersuchung vor Ort ( ... ca. 25% ) 
- Durchführung der Untersuchung im Team vor Ort (Konstruktive Bestandsaufnahme, 
Schadensaufnahme, Bewehrungsidentifizierung) 
- Dokumentation der Ergebnisse (zeichnerisch, textlich, fotografisch) in geeigneter Form 
 Statische Berechnung und Bemessung ( ... ca. 50% ) 
- Statische Berechnung der Haupttragglieder 
- Bemessung definierter Bauteile nach SNiP (Russische Norm) auf Grundlage der 
geplanten Bewehrung (entsprechend dem Planstand) 
- Bemessung definierter Bauteile nach SNiP (Russische Norm) auf Grundlage der 
ermittelten 
tatsächlichen Bewehrung 
- Vergleich der Ergebnisse mit planmäßiger und realer Bewehrung 
- Vergleich mit den Ergebnissen einer Berechnung nach EC2 (Bachelorarbeit G. 
Albrecht) 
 Schautafel 
- Anfertigung einer Schautafel zum Thema der Arbeit nach Abgabe der schriftlichen 
Fassung 
Grundlagen: 
- Vorliegendes Archivmaterial 
- Unterlagen, Präsentationen und Literaturempfehlungen aus der LV Vertiefung 
Tragwerkserhaltung 
- aktuelle Fassung der russischen Norm (SNiP ) für Lastannahmen, Stahlbeton und/oder 
Sanierung u.v.m. 
Cottbus, den bestätigt, Cottbus, den 
.............................. .............................. 
Betreuer Vorsitzender des Prüfungsausschusses
II 
Aufgabenstellung für eine Bachelorarbeit 
im Studiengang Bauingenieurwesen 
Bearbeiter: Georg Albrecht, Mat.-Nr. 3041670 
Betreuer: Prof. Dr.-Ing. Werner Lorenz, Prof. Dr.-Ing. Frank Jesse (Massivbau, BTU/Fak.2) 
UNTERSUCHUNG, BEMESSUNG UND BEWERTUNG HISTORISCHER BAUSUBSTANZ – 
BAUZUSTANDSUNTERSUCHUNG, SCHADENSANALYSE UND STATISCHE NACHWEISE ZUM 
STAHLBETONTRAGWERK AM „WEIßEN TURM“ (1929-31) IN JEKATERINENBURG (RUSSLAND) 
Zielstellung / Schwerpunkte: 
 Vorbereitung (Arbeitsaufwand und Anteil am Inhalt ca. 25%) 
- Durchsicht der vorhandenen Unterlagen 
- Planung und Vorbereitung der Untersuchungskampagne (z.B. zeichnerische 
Aufbereitung 
von Wandabwicklungen, Aufbereitung vorhandener Bewehrungspläne) 
 Bauzustandsuntersuchung vor Ort ( ... ca. 25% ) 
- Durchführung der Untersuchung im Team vor Ort (Konstruktive Bestandsaufnahme, 
Schadensaufnahme, Bewehrungsidentifizierung) 
- Dokumentation der Ergebnisse (zeichnerisch, textlich, fotografisch) in geeigneter Form 
 Statische Berechnung und Bemessung ( ... ca. 50% ) 
- Statische Berechnung der Haupttragglieder 
- Bemessung definierter Bauteile nach EC2 auf Grundlage der geplanten Bewehrung 
(entsprechend dem Planstand) 
- Bemessung definierter Bauteile nach EC2 auf Grundlage der ermittelten 
tatsächlichen 
Bewehrung 
- Vergleich der Ergebnisse mit planmäßiger und realer Bewehrung 
- Vergleich mit den Ergebnissen einer Berechnung nach SNiP (Bachelorarbeit O. 
Arkhipkina) 
 Schautafel 
- Anfertigung einer Schautafel zum Thema der Arbeit nach Abgabe der schriftlichen 
Fassung 
Grundlagen: 
- Vorliegendes Archivmaterial 
- Unterlagen, Präsentationen und Literaturempfehlungen aus der LV Vertiefung 
Tragwerkserhaltung 
- u.v.m. 
Cottbus, den bestätigt, Cottbus, den 
.............................. .............................. 
Betreuer Vorsitzender des Prüfungsausschusses
III 
Eidesstattliche Erklärung 
Die Verfasser erklären an Eides statt, dass sie die vorliegende Arbeit selbständig, 
ohne fremde Hilfe und ohne Benutzung anderer als die angegebenen Hilfsmittel 
angefertigt haben. Die aus fremden Quellen (einschließlich elektronischer Quellen) 
direkt oder indirekt übernommenen Gedanken sind ausnahmslos als solche kenntlich 
gemacht. Die Arbeit ist in gleicher oder ähnlicher Form oder auszugsweise im 
Rahmen einer anderen Prüfung noch nicht vorgelegt worden. 
Cottbus, 20.12.2013 Unterschrift der Verfasser 
Verwendungsrecht 
Die Verfasser übertragen das Recht zur Verbreitung und Vervielfältigung, sowie 
sämtliche sonstige Verwendungsrechte auf der vorliegenden Arbeit an den 
betreuenden Lehrstuhl. 
Cottbus, 20.12.2013 Unterschrift der Verfasser
IV 
DANKSAGUNG 
Für die Unterstützung während der Bearbeitung möchten wir uns besonders bei den 
Professoren Werner Lorenz und Frank Jesse bedanken. Ein großer Dank gilt auch 
Sabine Kuban, die immer ein offenes Ohr hatte und uns sehr hilfsbereit zur Seite 
stand. 
Außerordentlicher Dank gebührt der Architekturgruppe PODELNIKI, die die 
Bearbeitung und Informationsaufnahme in Cottbus und in Jekaterinburg 
ermöglichte. Die Betreuung und Herzlichkeit waren bemerkenswert. 
Weiterhin danken wir den beteiligten russischen Studenten der verschiedenen 
Studienrichtungen, die bei der Erarbeitung viel Positives beisteuern konnten und 
großes Engagement zeigten. 
Unser Dank gilt auch allen Beteiligten, die vor Ort für einen sehr angenehmen und 
reibungslosen Ablauf des Projektes gesorgt haben. 
Darüber hinaus danken wir allen Mitarbeiter des Lehrstuhls Bautechnikgeschichte 
und Tragwerkserhaltung und des Lehrstuhls Massivbau, die uns bei der Bewältigung 
von kleinen und großen Problemen tatkräftig unterstützten. 
Nicht zuletzt gilt auch dem deutschen Konsulat in Jekaterinburg unser Dank für die 
finanzielle Unterstützung, die das Projekt dringend benötigte, um überhaupt 
durchgeführt werden zu können.
INHALTSVERZEICHNIS 
Aufgabenstellung für eine Bachelorarbeit im Studiengang Bauingenieurwesen .......... I 
Aufgabenstellung für eine Bachelorarbeit im Studiengang Bauingenieurwesen ..........II 
ABBILDUNGSVERZEICHNIS ..................................................................................................... VII 
TABELLENVERZEICHNIS ............................................................................................................ IX 
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS ...................................................................................................... X 
1. Einführung in die Thematik .............................................................................................. 1 
1.1 Baugeschichtliche Hintergründe und Zusammenhänge .................................... 1 
1.2 Die Geschichte des Uralmasch ............................................................................... 5 
1.3 Die Geschichte des „Weißen Turmes“ ................................................................. 11 
1.4 Der Architekt: Moiseji Reischer (1902-1980) ......................................................... 16 
2. Konstruktive Vergleiche ................................................................................................. 20 
2.1 Historische Entwicklung der Hochwasserbehälter .............................................. 21 
2.2 Weißer Turm in Jekaterinburg ................................................................................ 24 
2.3 Wasserturm des Kupferkombinats in Krasnouralsk .............................................. 26 
2.4 Wasserturm auf dem Werksgelände des Uralmasch ......................................... 28 
2.5 Der Rote Nagel in St. Petersburg ........................................................................... 31 
3. Konstruktive Bestandsaufnahme .................................................................................. 33 
3.1 Methodik ....................................................................................................................... 33 
3.2 Vorbereitung ................................................................................................................. 34 
3.3 Untersuchungsablauf................................................................................................... 35 
3.3.1 Vorphase ................................................................................................................ 35 
3.3.2 Phase 1 – Aufnahme der Rohmaße .................................................................... 35 
3.3.3 Phase 2 - Schadenskartierung ............................................................................. 36 
3.3.4 Phase 3 – Gerätebasierende Untersuchung ..................................................... 37 
3.4 Fazit: Schadensbilder und Ursachen .................................................................... 39 
4. Statische Berechnung und Bemessung ....................................................................... 43 
V
4.1 Modellierung der Varianten .................................................................................. 44 
4.2 Modellierung des Gesamtmodells ........................................................................ 48 
4.3 Normen und Sicherheitskonzept nach Eurocode und SNiP .............................. 48 
4.3.1 Sicherheitskonzept nach SP 20.13330.2011 ........................................................ 49 
4.4 Lastannahmen nach EC 1 und SP 20.13330.2011 ............................................... 50 
4.5 Lastkombinationen ................................................................................................. 52 
5. Bemessung....................................................................................................................... 54 
6. Fazit ................................................................................................................................... 56 
6.1 Bewertung der Bauweise ....................................................................................... 56 
6.2 Bewertung der Tragfähigkeit ................................................................................. 57 
LITERATURQUELLENVERZEICHNIS ........................................................................................... 58 
BILDQUELLENVERZEICHNIS ..................................................................................................... 60 
VI
ABBILDUNGSVERZEICHNIS Seite 
VII 
Abb. 1: Propagandaplakat zur Aufholung der Industrialisierung 5 
Abb. 2: A. Bannikow 6 
Abb. 3: W. Fiedler 6 
Abb. 4: Generalplan zur Bebauung der Plansiedlung 7 
Abb. 5: Baracken, zeitgenössische Aufnahme 8 
Abb. 6: 3-stöckige Holzhäuser/Baracken, zeitgenössische Aufnahme 9 
Abb. 7: 4-stöckiges gemauertes Haus, zeitgenössische Aufnahme 9 
Abb. 8: Panzer verlassen die Werkshalle 10 
Abb. 9: Arbeiter der Uralmasch-Baustelle, zeitgenössische Aufnahmen 10 
Abb. 10: Arbeiter der Uralmasch-Baustelle, zeitgenössische Aufnahmen 10 
Abb. 11: der erste Entwurf von Moiseji Reischer 11 
Abb. 12: Modell des Turmes von Reischer 1929 11 
Abb. 13: Bau der Stützen 13 
Abb. 14: Schalung des Behälters 13 
Abb. 15: Projekt zur Umnutzung des Turmes von Moiseji Reischer, 1971 14 
Abb. 16: Projekt zur Umnutzung des Turmes von Moiseji Reischer, 1971 14 
Abb. 17: Umnutzungskonzept des Architekten Chramtsow, 1989 15 
Abb. 18: Diplomarbeit „Volkshaus für Aufklärung“ von Moiseji Reischer 16 
Abb. 19: Diplomarbeit „Volkshaus für Aufklärung“ von Moiseji Reischer 16 
Abb. 20: Moiseji Reischer bei der Arbeit 16 
Abb. 21: Gorsowet vor dem Umbau 17 
Abb. 22: Umbauskizze des Architekten Golubew für das Gorsowet 17 
Abb. 23: Gorsowet (Rathaus) heute 17 
Abb. 24: Umbau des Gebäudes des Gorsowet 17 
Abb. 25: Grabdenkmal von A.Bannikow und W.Fiedler, zeitgenössische Aufnahme 18 
Abb. 26: Entwurf eines Skipavillions 19 
Abb. 27: Übersicht der Entwicklungsstufen von Wasserhochbehältern 21 
Abb. 28: Weißer Turm in Jekaterinburg 24 
Abb. 29: Längsschnitt 24 
Abb. 30: Wasserturm des Kupferkombinates in Krasnouralsk 26 
Abb. 31: Längsschnitt 26 
Abb. 32: Bauphase mit ausgekoffertem Bereich für die Rohrleitungen 28 
Abb. 33: Wasserturm auf dem Werksgelände (gut sichtbar die große „Konsole“ über der 
vertikalen Fensterreihe 28 
Abb. 34: schematischer Querschnitt durch den Werksturm 29 
Abb. 35: Dachunterseite mit 2-Kammerbehälter 29 
Abb. 36: Der Wasserturm „Roter Nagel“ an der Ecke der ehemaligen Produktionshalle 31
VIII 
Abb. 37: Schnitt durch den Turmkopf 32 
Abb. 38: Arbeiten mit dem Hubsteiger 35 
Abb. 39: Phenolphtalein-Lösung an einer Stütze 37 
Abb. 40: Schmidthammermessung 38 
Abb. 41: Profometermessung 38 
Abb. 42: Öffnung über der Dachschale – Ablaufmöglichkeit für Niederschlag 39 
Abb. 43: Fehlende Betondeckung / sichtbare Entmischung (Kiesnester) an Stütze C 2b 40 
Abb. 44: Schaden an der Unterseite der Dachschale 41 
Abb. 45: Schaden an der Außenseite der Zylinderwand 41 
Abb. 46: offene Bewehrung und abgebröckelter Beton im Bereich des Fensterbandes 41 
Abb. 47: Statisches System eines Vierendeelträgers 44 
Abb. 48: Variante 1 und 2 (gleiches System) 45 
Abb. 49: Variante 3 mit drucksteifen Diagonalen 45 
Abb. 50: Balken ohne Querschnittsversprung 45 
Abb. 51: Balken mit Querschnittsversprung 45 
Abb. 52: räumliches, statisches Modell mit äußerem und innerem Ring 46 
Abb. 53:Variante mit der Ausbildung der Konsole als Kragarm 47 
Abb. 54: vgl. zwischen SP- und EC-basierender Kombinationsbildung bei der 
Grundkombination 50
TABELLENVERZEICHNIS Seite 
IX 
Tab. 1: Liste der verwendeten Materialien und Geräte 36 
Tab. 2: Schmidt-Hammer Ergebnisse in N/mm² 37 
Tab. 3: tabellarische Übersicht der Schäden 42 
Tab. 4: Teilsicherheitsbeiwerte für ermittelte Lastfälle nach SP 20.13330.2011 49 
Tab. 5: Kombinationsbeiwerte 49 
Tab. 6: gemittelte Schneelasten – Vergleich 51 
Tab. 7: Windlasten – Vergleich 51 
Tab. 8: Schnittkräfte in der Lastkombination 1 52 
Tab. 9: Schnittkräfte in der Lastkombination 2 53 
Tab. 10: Schnittkräfte in der Lastkombination 3 53 
Tab. 11: erforderliche Bewehrung 54 
Tab. 12: vorhandene Bewehrung (C 4a/ C 4d: bei Bauaufnahme ermittelt, C 1a aus 
Archivplan №300514, Anlage A3) 55
X 
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS 
Abb. Abbildung 
Abs. Absatz 
bzw. beziehungsweise 
ca. circa 
cm Zentimeter 
deut. deutsch 
d.h. das heißt 
EC Eurocode 
KBA konstruktive Bestandsaufnahme 
LK Lastkombination 
m Meter 
mm Millimeter 
russ. russisch 
SP Swod Prawil (zu Deutsch: Regelsammlung) 
Tab. Tabelle 
u.a. unter anderem 
u.ä. und ähnliche/s 
vgl. Vergleich 
z.B. zum Beispiel 
z.T. zum Teil
1 
1. EINFÜHRUNG IN DIE THEMATIK 
Der Lehrstuhl Bautechnikgeschichte und Tragwerkserhaltung und insbesondere Prof. 
Werner Lorenz haben langjährige Erfahrungen mit Projekten in Russland. Dazu zählt 
beispielsweise das von der DFG1 seit 10 Jahren geförderte Projekt an der Eremitage 
(Schwerpunkt: Dachkonstruktionen). Im Rahmen einer Exkursion zu den Eisenwerken 
im Ural wurden die ersten Kontakte zu der Architektengruppe PODELNIKI geknüpft. 
Diese beschäftigt sich u.a. mit dem Erhalt von einem Leitbauwerk des russischen 
Konstruktivismus – dem „Weißen Turm“. Anhand dieses Bauwerkes kann ein Teil 
russischer Architektur- und Zeitgeschichte nachvollzogen werden. Ein besonderer 
Stellenwert ist dem Bauwerk dabei sicher. Zu welcher Zeit hätten die Ingenieure sich 
so viel Kühnheit zugesprochen? Im Ural hatte man damals kaum bis keine 
Erfahrungen mit dem Stahlbetonbau. Viele Bauwerke wurden von Jungingenieuren 
und -architekten konzipiert. Der Weiße Turm ist da keine Ausnahme. Er ist ein 
beeindruckendes Zeugnis von Aufbruchsstimmung einer jungen Nation und ihrer 
Kühnheit im Umgang mit neuen Werkstoffen und Geometrien. So ist es nicht 
verwunderlich, dass der ursprünglich zur Wasserversorgung der naheliegenden 
Arbeitersiedlung dienende Turm, zu einem Denkmal für Industriearchitektur avanciert 
ist. Leider, wie in so vielen Fällen, ist er in den letzten 50 Jahren bei den Behörden in 
Vergessenheit geraten, was zu dem Verfall des Denkmals führte. 
Um sich einen Überblick über den aktuellen Zustand des Bauwerkes zu verschaffen, 
wurde Prof. Lorenz mit einem Team von der Architektengruppe PODELNIKI zur 
Durchführung einer konstruktiven Bestandsaufnahme nach Jekaterinburg 
eingeladen. Die Bauaufnahme ist nur einer von vielen Schritten bei der 
Wiedereingliederung des Weißen Turmes in das Stadtgeschehen, obwohl er auch in 
seinem jetzigen Zustand nicht aus dem Stadtbild wegzudenken ist. 
1 Deutsche Forschungsgemeinschaft
1.1 Baugeschichtliche Hintergründe und Zusammenhänge 
Die Bezeichnungen Vorhut oder auch Vortrab entstammen dem französischen Wort 
„avant-garde“. Die avant-garde bezeichnet in der Sprache des französischen Militärs 
diejenigen, die den Feind zuerst ausspionieren oder mit ihm in Kontakt kommen 
sollen. Diese wichtige Rolle in der taktischen Kriegsführung steht bezüglich der 
Semantik gleich einer künstlerischen Epoche des frühen 20. Jahrhunderts in Europa-der 
Avantgarde. Diese Epoche vereinte die Einflüsse der westlichen Welt, mit den 
Traditionen der östlichen und steht für einen Prozess der Erneuerung. Eine 
Vorreiterrolle, die diese Epoche übernimmt, liegt in der Kunst begründet. Sehr 
bekannte Vertreter wie beispielsweise Marc Chagall2, Wassily Kandinsky3 oder auch 
Kasimir S. Malewitsch4. Letzterer war der Begründer des „Suprematismus“, einer 
Stilrichtung in der modernen Kunst, die vor allem auf der Konstruktion mit Hilfe von 
geometrischen Formen begründet war. Die Kernaussage dieser fordert „den 
Abbruch aller Traditionen und den Aufbau einer neuen Wirklichkeit im 
traditionsleeren Raum“ [8]. Führende Architekten des Konstruktivismus der frühen 
1920er Jahre wurden durch diesen Stil in ihren Entwürfen beeinflusst. Der 
Konstruktivismus war eine Architekturperiode, die durch klare Formgebung und einer 
daraus resultierenden Zweckbestimmung des Objektes bestach. Pragmatische 
Formen, futuristisch anmutend, fanden oft in der frühen sowjetischen Architektur ihre 
Anwendung. 
Die erste Hälfte der 1920er Jahre war die Phase der „Papierarchitektur“. Viele 
Entwürfe, die in dieser Zeit auf dem Papier entstanden, wurden nie umgesetzt. 
Jedoch war diese Phase sehr intensiv hinsichtlich der kreativen Suche nach 
geeigneten Ausdrucksformen [3/S.15]. Die Architektur der russischen Avantgarde 
entstand durch eine Kombination von Funktion, Form und Konstruktion. Die 
Formgebung war durch die Erschließung neuer Baustoffe wie dem Stahlbeton auch 
gut in der Realität umsetzbar. Die Absicht ein Gebäude nach seiner Funktion und 
zukünftigen Nutzung zu gestalten war maßgeblich. 
„Nach der Gründung der „Vereinigung moderner Architekten“ (OSA) 1925 in Moskau 
wurden die Grenzen zwischen den Architekturströmungen5 stärker“ [4/S.54]. Unter der 
1 
2 Französicher Maler von russisch-jüdischer Herkunft (1887-1985) 
3 Russischer Maler, Grafiker und Kunsttheoretiker (1866-1944) 
4 Russischer Maler und Hauptvertreter der russischen Avantgarde (1879-1935) 
5 Architekturströmungen waren der Konstruktivismus und der Traditionalismus
Leitung von Moseij J. Ginzburg6, dessen Schaffen durch westliche Einflüsse wie das 
deutsche Bauhaus geprägt wurde, konzentrierte sich die Arbeit der OSA auf die 
Moderne. Es gab eine Entwicklung hin zu der „funktionellen Methode“ des 
Konstruktivismus als ein Ergebnis der Mischung zweier Strömungen – Einflüsse aus dem 
Konstruktivismus und dem Traditionalismus, welcher städtebaulich-sozial ausgerichtet 
war. Diese Methode bezog sich auf die Zweckbestimmung eines Gebäudes. Dem 
räumlichen Erscheinungsbild einerseits, steht gleichzeitig die Funktionalität des 
gesamten Bauwerks gegenüber. Die Konstruktivisten, und vor allem die junge, 
inspirierte Studentenschaft des Landes nahmen sich dieser Methode an. 
Eines der Schaffensprinzipien, welches die Vereinigung moderner Architekten 
definierte, lautete: ,,Die OSA schafft kollektiv neue Architekturformen, die sie auch 
praktisch probiert, die sich funktionell aus der Bestimmung des Gebäudes, seinen 
Material, der Konstruktion und anderen Produktionsbedingungen ergeben, sie 
entspricht damit den konkreten Aufgaben, die sich aus dem sozialistischen Aufbau 
des Landes ergeben. [6/S.194]. Es war die Zeit einer industriellen Aufholjagd und die 
Architekten mussten sich hinsichtlich der industriellen Fertigung bestimmter Bauteile 
und der damit zusammenhängenden Montage auf eine neue Herangehensweise 
einstellen. 
Besonders entscheidend für die Etablierung des Konstruktivismus im Ural war eine 
eindeutige Verbesserung der wirtschaftlichen Lage. In den späten 1920er Jahren war 
das Land wieder in der Lage an die Zeit vor dem Bürgerkrieg anzuknüpfen. Das 
Vorhandensein von Baumaterialien und die nötige Motivation in der Bevölkerung, 
einhergehend mit Wettbewerbsgeist, sorgten für einen Aufschwung. „Das 
traditionelle Bauwesen in Russland beschränkte sich über Jahrhunderte ganz 
überwiegend auf wenige Materialien: Holz, Stein und Lehm, später auch Metall.“ 
[1/S.34]. Die russische Avantgarde und das „neue“ Bauen erforderten ein Umdenken. 
Zum einen wurde von jetzt an zwischen der statisch und konstruktiv erforderlichen 
Tragstruktur und der raumgebenden Struktur eindeutig unterschieden. Zum anderen 
kamen viele neue (künstliche) Baustoffe zum Einsatz. Vorangetrieben durch die 
Industrialisierung waren vor allem Industriebauten die Vorreiter bei der Einführung 
neuer Baustoffe wie Stahl oder Stahlbeton. Weiterhin konnten, begünstigt durch die 
Trageigenschaften des Stahlbetons, größere Spannweiten realisiert werden. Zu 
diesem Zeitpunkt lag die Sowjetunion im internationalen Vergleich weit hinter 
anderen Nationen, wie den USA, Deutschland oder Frankreich. In den USA konnte 
2 
6 russisch: Моисей Яковлевич Гинзбург (1892 – 1946)
man bereits auf einen reichen Erfahrungsschatz im Industriebau zurückgreifen, 
Deutschland hingegen war führend im Wohnungs- und Siedlungsbau gewesen. 
Der frühe sowjetische Konstruktivismus und die Architekturströmungen aus dem 
westlichen Ausland nahmen in ihrer Entwicklung einen ähnlichen Weg. Beide hatten 
die Funktionalität als Maxime. Die Bauwerke des neuen sowjetischen Staates sollten 
jedoch auf die Art und Weise des Denkens des Sowjetbürgers einwirken. Folglich 
stellte sich die Wiederspiegelung der Ideologie in der Architektur selbst als eines der 
wichtigsten Merkmale heraus. Ohne jedoch zu dominieren sondern sich ihr 
unterzuordnen. Diese Architektur sollte keine klassenlose Massenarchitektur sein, 
sondern wurde für eine bestimmte Klasse geschaffen werden – das Proletariat [10]. 
Zu den drei wichtigsten Zentren der Avantgarde-Architektur zählten die USA, Europa 
und die Sowjetunion. In diesen Regionen waren architektonische und bautechnische 
Errungenschaften gleichberechtigt. Vor allem in Europa und der Sowjetunion war 
jedoch die Ästhetik eine sehr bedeutende Komponente. Der Entwurf von Bauwerken 
entsprach bis 1929 weitgehend nur den Errungenschaften des europäischen Know-how‘ 
s. Ab den 1930er Jahren erfolgte vermehrt ein Austausch mit ausländischen 
Spezialisten, wodurch neue Erkenntnisse zum Bau von großen Werksanlagen 
gewonnen werden konnten. So z.B. die Traktorfabriken in Stalingrad7 und 
Tscheljabinsk, das Autowerk in Gorki und eine Bahnwagenfabrik in Nischni Tagil. 
Eine frühe Mittlerrolle zwischen Ost und West spielte der bereits angesprochene 
Wassily Kandinsky [1/S.38], der als Lehrmeister 1921 an die Bauhausschule nach 
Deutschland ging. Diese wurde im Jahr 1919 als eine Vereinigung der örtlichen Kunst-und 
der Kunstgewerbeschule in Weimar durch Walter Gropius8 gegründet. 
Publikationen auf deutscher Seite unter der Leitung von Walter Gropius und Ernst 
May9 über sowjetische Architektur sowie auf russischer Seite, unterstützt durch die 
OSA, informierten über den ausländischen Kenntnisstand und trugen dazu bei eine 
zukünftige gemeinsame Arbeitsgrundlage zu schaffen. Speziell die Kenntnisse des 
Bauhaus‘ wurden vor allem durch den ehemaligen Bauhausdirektor Hannes Meyer10 
und sieben Bauhausstudenten [1/S.38] in die Sowjetunion gebracht, die wegen des 
erstarkenden Nationalsozialismus nach Moskau umsiedelten. 
Das Land holte immer schneller mit Hilfe der ausländischen Erfahrungen und 
Technologien die versäumte Industrialisierung nach. Oft übertrafen die Anlagen ihre 
3 
7 heute Wolgograd 
8 deutscher Architekt (1883 – 1969) 
9 deutscher Architekt und Stadtplaner (1886 – 1970) 
10 Schweizer Architekt (1889 – 1954) und Lehrer/Direktor an der Bauhausschule
ausländischen Vorbilder - so auch das Maschinenbauwerk Uralmasch in 
Swerdlowsk11. Es wurde sehr schnell errichtet, spielte eine Vorreiterrolle in der Region 
und war sowohl im In- als auch Ausland bekannt. Die dort gefertigten Maschinen 
wurden bei Ausstellungen im Ausland gezeigt, was für innovatives und qualitatives 
Arbeiten stand. Weiterhin belieferte das Maschinenwerk über 200 Firmen in 10 
verschiedenen Ländern. 
4 
11 heute Jekaterinburg
5 
Abb. 1: Propagandaplakat 
zur Aufholung der 
Industrialisierung – „Einholen 
und Überholen“ 
1.2 Die Geschichte des Uralmasch 
„Uralmasch lebte wie das Land 
lebte, aber auf Grund seines 
Maßstabs fand alles, was im 
Land passierte, hier extremes 
Ausmaß.“12 
„Und ungewollt entsteht die Frage: 
Ist es das Los des russischen Mannes in Armut 
und Verzicht zu leben und dabei Stolz zu sein auf 
den Fortschritt? Stolz sein aus den letzten Kräften.“12 
Um die Leistung der Erbauer des Weißen Turmes besser 
einschätzen zu können, muss man den Kontext 
betrachten, in dessen Zuge er entstanden ist. 
Das Russland der 1920er Jahre ist ein rückständiges 
Land, zerrissen von dem Bürgerkrieg13, den internen 
Machtkämpfen in der Partei, die nach dem Tod Lenins 
1924 ausbrachen und den daraus resultierenden 
Säuberungen. Das Industrialisierungsniveau ist 
zwischen 50 bis 100 Jahren hinter den westlichen 
Staaten und so wird das Land einem rigorosen Plan 
unterworfen, einer einzigartigen Aufholjagd (Abb. 1). 
Mit Hilfe der sogenannten Fünfjahrespläne14 sollte der 
junge15 sowjetische Agrarstaat in ein modernes 
rüstungsstarkes Industrieland verwandelt werden. Das 
Alles sollte nach Stalins Plan in 10 bis 15 Jahren 
geschehen. 
Der erste dieser Fünfjahrespläne wurde 1928 abgesegnet und beinhaltete den Bau 
12 Beides nach [11] und [12] 
13 ca. 1917 – 1923 
14 Russ.: Pjatiletka 
15 die Sowjetunion wurde erst 1922 gegründet; bis 1917 Russisches Imperium, 1917 Russische 
Republik, 
1917-1922 Sowjetrussland
neuer metallurgischer Werke auf dem Südural und in Westsibirien. Um diese mit allen 
notwendigen Maschinen beliefern zu können und diese nicht im Ausland einkaufen 
zu müssen, wurde gleichzeitig beschlossen ein eigenes russisches Maschinenbauwerk 
zu errichten. Am 3.Juli 1927 begann die Geschichte des „Vaters aller Fabriken“ [11] 
und [12] in Russland mit der Billigung des Baus durch die Sowjetregierung. Die 
Grundsteinlegung erfolge am 15.Juli 1928 an der zukünftigen Werkstatt für 
Metallkonstruktionen. Die Wahl des Datums hatte einen symbolischen Stellenwert – 
am 15.Juli 1919 wurde die „Weißen“16 unter Admiral Koltschak17 durch die 
Bolschewiki18 aus der Stadt vertrieben. 
Die Lage des Betriebes wurde nicht um sonst gewählt. Ursprünglich waren 3 
Standorte in der engeren Auswahl – das Werch-Isetskij19 Werk in Jekaterinburg, 
Nischni Tagil und Tscheljabinsk. Am Ende wurde sich für den Standort im Norden der 
Stadt Swerdlowsk20 entschieden, da dieser logistisch günstig lag und notwendige 
Ressourcen vorhanden waren. So gab es zwei Wasserquellen in der Nähe – den 
Werch-Isetskij Teich und den See Schuwakisch, sowie reiche Torflagerungen und den 
wichtigen Bahnknotenpunkt Swerdlowsk-1. 
Zum Bauleiter wurde schon am 7.12.1926 Alexander Bannikow21 (Abb. 2), ein 
6 
Abb. 2: A. Bannikow Abb 3: W. Fiedler 
studierter Parteifunktionär und 
Veteran der roten 
Revolutionsbewegung, ernannt; zum 
leitenden Ingenieur – Wladimir 
Fiedler22 (Abb. 3). Eigens für den Bau 
der Fabrik Uralmasch – ural’sches 
Maschinenbauwerk – wird das Büro 
16 Die bedeutendsten Kontrahenten der Bolschewiki und der Roten Armee im Bürgerkrieg; 
Zusammenschluss mehrer politischen Lager, deren einzige Gemeinsamkeit die Ablehnung der 
sowjetischen Herrschaft war 
17 Alexander Wassiljewitsch Koltschak (1874-1920) – russischer Ozeanologe, Polarforscher, 
Admiral, führende Persönlichkeit der „Weißen“, Oberster Regent Russlands von 1918-1920 
18 Kommunistische Partei, die eine Revolution unter der Führung von Berufsrevolutionären 
anstrebte 
19 Eisen-Stahlwerk, das 1726 in 2 km Entfernung von Jekaterinburg gegründet wurde; liegt am 
Fluss Isset. 
20 Von 1924-1991 Name Jekaterinburgs. 
21 Alexander Petrowitsch Bannikow (1895-1932) – russischer Revolutionär und Offizier, 
Teilnehmer der Revolution und des Bürgerkrieges 
22 Wladimir Fedorowitsch Fiedler (1881-1933) – Hauptingenieur des Uralmaschstroj und 
leitender Ingenieur des Baus des Uralmasch
Uralmaschstroij23 gegründet, in dem der Letztgenannte eine hohe Position 
bekleidete, und, das einige der wichtigsten Bauwerke projektieren wird. 
Während der offizielle Beschluss zum Bau erst Juli 1927 gefällt wurde, sind die ersten 
Behausungen für Arbeiter schon 1926 in Form von Erdhütten entstanden, da es schon 
seit dem Anfang von 1927 gebaut werden sollte. Bis zum Jahr 1928 wurden auch 
einige Baracken (Abb. 5) als Behausung für Alleinstehende gebaut. Diese verfügten 
nur über die einfachste Ausstattung – Heizöfen und Pritschen. 
Abb. 4: Generalplan zur Bebauung der Plansiedlung; rot – die Lage des Wasserturmes, grün – 
Werkseingang 
Im selben Jahr wurde Piotr Oranskij24 zum leitenden Stadtplaner der neuen Siedlung 
ernannt [19]. Obwohl es in dem Jahr 1927 einen Wettbewerb zur Planung gab, reiste 
I.Robatschweskij 1928 nach Leningrad um einen fähigen Spezialisten einzustellen und 
brachte den jungen Architekten mit. Oranskij wählt die zu der Zeit äußerst populäre 
Idee [13] des Sozgorod25 für die Werksplansiedlung. Typisch für diese Art von 
23 wörtlich: Uralmaschbau 
24 Piotr Wassiljewitsch Oranskij (1899-1960) – Architekt und Stadtplaner, eine der Hauptakteure 
des Baus der Werksplansiedlung Uralmasch, in den 1950ern leitender Architekt Jekaterinburgs 
und Hochschullehrer 
25 Bezeichnung für einheitlich nach einem Generalplan gebaute Siedlungen/Viertel in 
sowjetischen Städten der 30er Jahre 
7
Stadtgestaltung sind Wohnblöcke, die durch Ein- und Ausfallsstraßen begrenzt 
werden. Charakteristisch ist auch die Aufteilung der Flächen: etwa 50% sollen mit 
Wohnhäusern bebaut werden, 35% werden Parkanlagen, Grünflächen und 
Ähnlichem zugewiesen, der Rest dient zum Infrastrukturausbau [13]. 
Ein Areal für die Werksplansiedlung wurde nördlich vom Werk gewählt, da dort durch 
die Windbewegungen ein abgasfreieres Quartier garantiert werden konnte. 
Außerdem war nur das Wasser aus dem See Schuwakisch trinkbar, der Werch-Isetskij 
Teich war für die Trinkwasserversorgung ungeeignet. 
Das erste Bebauungskonzept für 100 Tausend Einwohner stellt Oranskij 1929 vor. Als 
Hauptaugenmerk in dem Entwurf galt der Platz vor dem Eingang auf das 
Werksgelände Ploschad‘ Pervoji Pjatiletki26 mit 3 Hauptstraßenachsen (Abb. 4), um 
die Verbindung zwischen Werk und Siedlung zu betonen [13]. 
8 
Abb. 5: Baracken, zeitgenössische 
Aufnahme 
Im Gegensatz zu anderen Plansiedlungen, 
wird die des Uralmasch durch die Lage und 
Bedeutung des Werkes selbst definiert. Sie sollte 
in 3 Bebauungsgebiete unterteilt werden: das 
erste Gebiet für steinerne Bauwerke um die 
Hauptachsen des Platzes des ersten 
Fünfjahresplanes, zweites weiter drinnen für 
Holz-, Block- und „Gerüst-Aufschütt“-Häuser 
und das dritte für individuelle Heime am Ortsrand. 
Der Bau der Siedlung kam nur schleichend voran, da es an sämtlichen 
Baumaterialien und dem Knowhow fehlte. Das Hauptaugenmerk galt dem 
Maschinenbauwerk, so dass die meisten Ressourcen dorthin geleitet wurden. Es gab 
kaum moderne Hilfsmittel. Das Meiste wurde mit einfachsten Mitteln errichtet. Weil 
Mauern im Winter den Russen nicht möglich war, betrug die Bauzeit für die ersten 
massiven Häuser 2 Jahre (Abb. 7). Auch für Blockhäuser brauchte man zu viel Zeit 
und Ressourcen. Deshalb wurde eine Übergangslösung gefunden – „Gerüst- 
Aufschütt-Häuser“ (Abb. 6). Die Wände bestanden aus groben Holzbalken, die mit 
Holzplatten je Seite verkleidet wurden und mit einer Mischung aus Sägespänen und 
Kalk verfüllt wurden. Alles Notwendige dafür wurde vor Ort gefertigt, zum 
Bestimmungsort transportiert und zusammengebaut. Obwohl nur für 20 Jahre 
gedacht, wurde erst in den 1970ern mit dem Abriss der Häuser begonnen, vereinzelt 
sind sie noch heute in dem Viertel zu finden [14]. 
26 Ploschad‘ Pervoji Pjatiletki – Platz des ersten Fünfjahresplans
Im März 1928 wird beschlossen das Werk vor dem 1.Oktober 1933 in Betrieb zu 
nehmen. Die Arbeiter schufteten mindesten 16 Stunden am Tag um die Vorgabe zu 
erfüllen. Die Schichten gingen eigentlich 12 Stunden, aber Überstunden waren Pflicht 
und der Meister musste einen entlassen. Um Zeit zu sparen wurden außerdem die 
kostspieligen, im Ausland eingekauften Maschinen gleichzeitig mit den Werkshallen 
aufgebaut, was teilweise zu fatalen Defekten hochsensibler Mechanismen durch die 
Witterungsverhältnisse führte. 
Im Frühling 1930 misslangen die ersten Bohrung für Wasserversorgungsschächte, 
woraufhin deutsche Spezialisten in den Ural eingeladen wurden. Unter ihrer Aufsicht 
bohrte man 5 Schächte von 50 cm Durchmesser und 80-100 m Tiefe. Da diese nicht 
für die Belieferung ausreichten, wurden durch Russen 4 weitere selbstständig 
gebohrt. 
1931 gingen die ersten Werkstätten in den Betrieb – die Gusseisengießerei, die 
Modellwerkstatt und die Werkzeugwerkstatt. Außerdem wurde das komplette 
industrielle Wassernetz in Betrieb genommen. 
Am 15.Juli 1933 wurde das Werk feierlich eröffnet. In den folgenden Jahren wird es zu 
einem der größten sowjetischen Betriebe. Die Produktion wird nicht nur im Inland 
angewendet, sondern auch ins Ausland verkauft. 
Den stalinistischen Säuberungen entgingen die Arbeiter, Ingenieure und zahlreichen 
anderen Fachkräfte trotz oder vielleicht besonders wegen ihrer Verdienste jedoch 
nicht. Mit Eifer wurde immer und immer wieder nach Staatsfeinden gesucht. Auch 
der 1933 verstorbene leitende Ingenieur Fiedler wurde nicht verschont. Postum wurde 
er zum „Schädling“ wegen des Brandes in der Schmiede-Presse-Werkstatt, die zu den 
„Lieblingskindern“ [15] des Ingenieurs zählte, ernannt. Seine Asche wie die von 
Bannikow sollte aus dem Denkmal vom Platz des ersten Fünfjahresplanes entfernt 
werden. Nur durch den Einsatz eines Mitarbeiters wurden diese gerettet und nach 
Jahren im Versteck endlich in den 1950ern begraben. 
9 
Abb. 6: 3-stöckige 
Holzhäuser/Gerüst- 
Aufschütt-Häuser, 
zeitgenössische 
Aufnahme 
Abb. 7: 4-stöckiges 
gemauertes Haus, 
zeitgenössische 
Aufnahme
Während des Zweiten Weltkrieges wird die Produktion auf Kriegsgüter umgestellt. 
Allein in 4 Jahren werden 5551 Panzer (Abb. 8) und Selbstfahrlafetten hergestellt, 19 
Tausend Panzerungen für Fahrzeuge und tausende Geschoße für sämtliche Arten 
von Waffen. In der Werkssiedlung wurden 26 
Tausend Flüchtlinge aufgenommen. Schon 
damals wird deutlich, dass die Planer sich bei 
der Entwicklung der Bevölkerungszahlen 
verkalkuliert haben. Die erst in der 50ern zu 
erreichende Zahl von 24 Tausend Einwohnern 
in der Siedlung, wurde schon vor dem Zweiten 
Weltkrieg erreicht. Heute leben in dem Viertel, 
das seit 1935 den Namen von Sergo 
Ordschonikidse27 trägt, 240 Tausend Einwohner; es verfügt über zahlreiche Tramlinien 
und einen Anschluss an das U-Bahnnetz. Das Werk produziert noch immer 
verschiedenste Maschinen, die vor allem im Bergbau genutzt werden. 
An die Opfer und Entbehrungen der Ersterbauer (Abb. 9 und 10) erinnern heute nur 
noch wenige Stimmen. Die von ihnen errichteten Bauwerke erfühlen jedoch auch 
heute ihren Zweck und tragen ihre Geschichte leise weiter. 
10 
Abb. 8: Panzer verlassen die Werkshalle 
Abb. 9 und Abb. 10: Arbeiter der Uralmasch-Baustelle, zeitgenössische Aufnahmen 
27 Grigori Konstantinowitsch (Sergo) Ordschonikidse (1886-1937) – sowjetischer Funktionär, 
maßgebend beteiligt an dem Vorantreiben sowjetischer Industrialisierung
11 
1.3 Die Geschichte des „Weißen Turmes“ 
Der Bau des Werks Uralmasch war ein logistischer Kraftakt. Alle beteiligten an 
Arbeitern musste mit allen überlebensnotwendigen Sachen beliefert werden – Strom 
kam von WIZ28, das Heizöl aus der Umgebung zur zukünftigen Siedlung gebracht, nur 
die Wasserversorgung bereitete den Verantwortlichen Kopfzerbrechen. Bis dahin 
wurde das Wasser in Fässern zu Pferd transportiert. 
Abb. 11: der erste Entwurf von Moiseji Reischer und Abb. 12: Modell des Turmes von Reischer 1929 
1928 schlug Iosif Robatschewskij, Leiter der Projektierungsabteilung des 
Uralmaschstroij, vor einen Wasserturm nach einem individuellen Entwurf zu bauen. 
Trotz des Termindrucks unterstützte auch der leitende Ingenieur Wladimir F. Fiedler29 
das Vorhaben. Mit dem Bauwerk sollte ein neues Ideal des Bauens geschaffen 
werden, welches abgrenzend zur der zaristischen, bourgeoisen Kunst stünde. Der 
anschließende Wettbewerb ermöglichte nur 3 Tage Entwurfszeit – schlussendlich gab 
es 3 Teilnehmer – P. Oranskij30, W. Bezrukow und M. Reischer (siehe Kapitel 1.4). Die 
Entwürfe der beiden Ersterwähnten sind nicht mehr überliefert. Angeblich enthielt ein 
Entwurf die Kombination eines Wasserturmes mit einem Wohnblock, der Autor ist 
jedoch unbekannt [16/S. 6]. Reischers Entwurf jedoch, der nur in einer Nacht 
28 Werch-Issetskij Zawod – Stahl- und Eisenwerk am Fluss Isset, das seit 1726 existiert, etwa 8 km 
entfernt 
29 Wladimir Fedorowitsch Fiedler (1881-1933) – Hauptingenieur des Uralmaschstroj und 
leitender Ingenieur des Baus des Uralmasch, nach dem Tod repressiert 
30 Piotr Wassiljewitsch Oranskij (1899-1960) – Architekt und Stadtplaner, eine der Hauptakteure 
des Baus der Werksplansiedlung Uralmasch, in den 1950ern leitender Architekt Jekaterinburgs 
und Hochschullehrer
entstand [24], wurde zum Bau ausgewählt (Abb. 11 und 12). Die Idee des Ingenieurs 
war simpel und genial zu gleich – die Vereinigung von zwei geometrischen Körpern, 
eines Quaders und eines Zylinders. 
Schon im Generalplan (erstellt von Konkurrent Piotr Oranskij) desselben Jahres wird 
dem Bauwerk eine zentrale Rolle zugeschrieben. Er sollte den Mittelpunkt einer 
mehrstrahligen Straßensystems bilden, das mehrere kleinere Werkplansiedlungen 
anderer Betriebe verbinden sollte. Weder diese Siedlungen noch ein Teil der 
geplanten Straßen wurden je realisiert. 
Als Leiter einer der Projektierungsabteilungen durfte Reischer sich die Baustoffe selbst 
aussuchen. Wichtig war, dass diese effizient und kostengünstig waren. So wählte er 
Stahlbeton, da er in der Zeit auch an der Ausarbeitung einer weitspannenden 
Hallenkonstruktion aus diesem beteiligt war. Das Projekt des „Weißen Turmes“ galt 
anfangs als nicht technisch realisierbar. Im Ural gab es keine Erfahrung mit dem 
Baustoff und Hauptingenieur Fiedler, der um die Standsicherheit des Turmes 
fürchtete, bestimmte, dass aus zwei freistehenden Stützen unter dem Behälter vier 
werden. Außerdem wollte man die Chance nutzen eine neue Generation von 
fachlich hochqualifizierten Spezialisten auszubilden, die keine Angst vor 
Herausforderungen im Planungs- und Logisitikbereich des Projektes hatten. 
Mit der Ausarbeitung der technischen Ausführung im Stahlbeton wurde das 
Moskauer Büro „Techbeton“ unter Leitung von Sergei L. Prochorow betraut. Auch 
die Bauleitung wurde von ihnen durch den Mitarbeiter M. Strukow übernommen 
(Abb. 13 und 14). Dieser hatte im Gegensatz zu seinen Moskauer Planungskollegen 
ständig vor Ort zu sein. Die Planung des Tanks übernahmen die Ingenieure des 
Uralmaschstroij unter Ingenier S. Korotkow. Dafür wurde das System des deutschen 
Ingenieurs Otto Intze gewählt. Für die Herstellung des Behälters wurde erstmals das 
Elektroschweißverfahren verwendet. Die Schweißarbeiten dauerten 5 Monate lang 
und wurden am 5.Juli 1931 mit der Abnahme durch Moskauer Ingenieure beendet. 
Die Qualität der Naht wurde von den Moskauer Spezialisten als sehr hoch 
angesehen, trotzdem passierte beim ersten Befüllen ein schweres Unglück. 
12
Abb. 13: Bau der Stützen Abb. 14: Schalung des Behälters 
Nur wenige Minuten nach der Unterzeichnung der Freigabepapiere bog sich der 
stählerne Behälterboden zuerst durch und platzte anschließend, so dass die 
komplette Maße an Wasser an den Stützen und dem Treppenhaus herunter strömte. 
Prompt interessierte sich das NKWD31 für den Vorfall [17]. Der leitende Ingenieur des 
„Techbeton“ wurde sofort nach Jekaterinburg bestellt. Auf der Fährfahrt von Nischni 
Nowgorod nach Perm, die damals 4-5 Tage betrug, entwarf Sergei Prochorow einen 
komplett neuen Behälterboden aus Stahlbeton, machte die erforderlichen statischen 
Berechnungen und fertigte die notwendigen Zeichnungen zur Umsetzung an. Nach 
seiner Ankunft wurde der Entwurf rasch realisiert und festigte durch seine Stabilität 
das Vertrauen in den Stahlbetonbau. Laut der Projektierungsunterlagen zur 
Wasserversorgung [25, Bestand 3, №2] sollte der Turm anfangs mit 542,27 m3 Wasser 
befüllt werden, jedoch ließen die Projektierer Platz für den Ausbau des Behältnisses 
bis zu einem Volumen von 695 m3 zu. Somit war der Tank der größte seiner Art in der 
Zeit auf der Welt. In Chicago soll es einen Behälter vergleichbarer Größe gegeben 
haben [16/S. 4]. 
Das Wasser zur Belieferung der Siedlung wurde dem naheliegenden Schuwakisch- 
See entnommen. Die Wasserleitung dafür durchtrennte etwa 100 m verschiedenster 
Bodenschichten. Die intensive Nutzung durch das Werk und die Siedlung führte in 
den Folgejahren dazu, dass der See nahezu komplett austrocknete. Heute ist an 
seiner Stelle eher ein Sumpf vorzufinden, obwohl das Wasser seit den 1960ern nach 
der Außerbetriebnahme mehrerer Pumpen langsam zurückkehrte [15]. 
Nach der Fertigstellung des Bauwerkes wurde es mit weißem Kalk verputzt, was ihm 
13 
31 Narodnij kommissariat wnutrennich del – Volkskommisariat für Innere Angelegenheiten
seinen heutigen Namen „der Weiße Turm“ gab. Und obwohl diese Farbe in den 
Zeiten des Zweiten Weltkrieges als Objekt von strategischer Bedeutung in 
camouflage-grün umgestrichen wurde, setzte sich die Bezeichnung bis heute durch. 
Während in den 30ern noch die kleinere Version des Behälters für die vorhandene 
Bevölkerung vollkommen ausreichte, wurde der Turm in den 60ern überflüssig, da er 
die zur Versorgung notwendigen Mengen nicht halten konnte und so wurde der 
Betrieb nach nur ca. 30 Dienstjahren eingestellt. Der Turm geriet in die Vergessenheit 
trotz mehrerer Revitalisierungsversuche. 
Moisej Reischer, sein „Vater“, veranstalte mit seinen Studenten in den 1970ern eine 
Kreativwerkstatt, wo Möglichkeiten zur Umnutzung besprochen wurden. Außerdem 
arbeitete er mit einer Gruppe von Malern einen Umnutzungsplan zum Cafe aus 
(Abb. 15 und 16). Im Tank sollte ein Zwischenboden eingezogen werden und so ein 
doppelstöckiges Jugendcafe mit Aussichtsplattform ermöglichen. Die Direktion des 
Uralmasch gab grünes Licht, doch die Umsetzung scheiterte am Widerstand von 
Gennadi Beljankin, dem Hauptarchitekten der Stadt. 
Zusätzlich wurde in den 1970ern seine Bedeutung als Mittelpunkt dreier Achsen 
geschmälert. Bis dahin sichtbar vom Platz des ersten Fünfjahresplanes, wurde er 
durch den neuen Kulturpalast „Uralmasch“ und ein Stadion verdeckt. 
Auch weitere Versuche zur Umsetzung einer Umnutzung scheiterten. Es gab Ideen zur 
Einrichtung eines Clubs, von Büros oder ein Wiederaufgriff der Cafe-Idee. Das 
Problem bestand vor Allem bei der Treppe. Nach gültigen russischen Standards wäre 
eine Feuerwehrtreppe von größeren Abmessungen notwendig (Abb. 17). 
14 
Abb. 15 und Abb. 16: Projekt zur Umnutzung des Turmes von Moiseji Reischer, 1971
Diese würde jedoch das architektonische Konzept des Turmes mit dessen schlanker 
Diese würde jedoch das architektonische Konzept des Turmes mit dessen schlanker 
Silhouette zerstören und so verfiel der Turm langsam während die Pächter einer nach 
dem anderen wechselten. Darunter waren eine Versicherungsgesellschaft, die sich 
nach dem Turm benannte und das Rote Kreuz dabei. Im April 2013 [18] wurde der 
Turm dann entgeltlos an die ehrenamtliche Architekturgruppe PODELNIKI zur 
Nutzung übergeben. Die Jungarchitekten setzen sich schon davor für den Erhalt des 
Denkmals und dessen Wiedereingliederung ins Stadtleben ein. 
15 
Abb. 17: Umnutzungskonzept des Architekten Chramtsow mit einem neuen Treppenhaus, 1989
Hinter jedem Bauwerk steht ein Team von 
Ingenieuren, Architekten und Arbeitern. Der 
„Weiße Turm“ ist da keine Ausnahme, 
jedoch sticht in diesem Fall ein Name 
besonders hervor, der von Moiseji Reischer32 
(Abb. 18), geboren am 1.Januar 1902. Der 
Architekt hat das Bauwerk wie kein anderer 
geprägt und nach seinen Vorstellungen 
geformt. So soll der Entwurf innerhalb nur 
einer Nacht entstanden sein [24]. Im Jahr 1926 machte er den Abschluss Technischen 
Instituts Sibiriens33 mit der Diplomarbeit zur Planung eines „Volkshauses für Aufklärung“ 
(Abb. 19 und Abb. 20). 
16 
1.4 Der Architekt: Moiseji Reischer (1902-1980) 
Abb. 18: Moiseji Reischer bei der Arbeit 
Abb. 19 und Abb. 20: Diplomarbeit „Volkshaus für Aufklärung“ von Moiseji Reischer 
Mit nur 27 Jahren er die Konstruktion entworfen und den Bau intensiv begleitet. Dabei 
war er einer der älteren Ingenieure im Team und hatte deshalb auch 
anspruchsvollere Aufgaben zu erledigen. Der Bau des „Weißen Turms“ fand im 
Rahmen seiner Zuständigkeit für den Bau der Industriebauten des Werksgeländes des 
Uralmasch statt, welche innerhalb des ersten Fünfjahresplanes34 errichtet werden 
sollten. Aus der Feder von Reischer stammten alle wichtigen Werkshallen – die 
Gusseisen- und Stahlgießereien, das Schmiede-Presswerk, das thermische Werk. 
Auch nach dem Beenden der Arbeiten am Turm blieb er seiner Kreation verbunden. 
Ein Foto des Turmes soll immer in seiner Wohnung gehangen haben [20]. 
32 [16] Tokmininowa, S. 6 
33 Heute: Tomsk Polytecnic University 
34 Fünfjahresplan – ein planwirtschaftliches Instrument, das in der USSR hauptsächlich zur die 
Umsetzung der Industrialisierungsziele verwendet wurde
Obwohl in den 20er Jahren Mitglied der OSA 
und mehr durch Rekonstruktionsaufträge dem Neoklassizismus zu. Seine Bauten B 
aus 
den späteren Jahren sind eher von der Anwendung klassischer Elemente im 
Fassadenschmuck geprägt. Seit 1936 war Moiseji Reischer für das Exekutivkomitee für 
Architektur Jekaterinburgs tätig 
[22]. So beteiligte er sich bei dem Wiederaufbau des 
Konservatoriums, ervatoriums, der Rekonstruktion der Fassade des Hotels „Großer Ural“ und bei 
der Gestaltung der Fassade des Jekaterinburger Gorsowet 
heute als Rathaus dient [21]. 
21] 
Abb. 21(links oben): Gorsowet vor dem Umbau 
Golubew für das Gorsowet Abb. 
Umbau des Gebäudes des Gorsowet 
OSA35 wandte er sich ab den 1940ern mehr 
Gorsowet36 (Abb. 21 
Abb. 22 (links mittig): Umbauskizze des Architekten 
23 (links unten): Gorsowet (Rathaus) heute 
35 Obschestwo sowremenich architektorow 
von 1925-1930, wurde wegen der Abkehr von der architektonischen Par 
Architektur) aufgelöst. 
36 Gorsowet – Stadtrat (russ.), heute Rathaus 
– Organisation moderner Architekten; existierte 
Parteilinie (stalinistische 
17 
Abb. 24 (rechts): 
. 21-24), welches 
teilinie
Außerdem war er seit 1937 mit kurzer Unterbrechung während des Krieges als 
Hochschullehrer tätig, von 1937-1941 am Architekturfachschule Swerdlowsk37 und 
nach 1945 am Baufachschule Swerdlowsk. In dem Zuge hatte er auch eine 
Ideenwerkstatt mit seinen Studenten zur Umnutzung des Wasserturmes in den 1970ern 
veranstaltet. 
Im Jahr 1945 wurde er mit der Medaille für „Heldentum der Arbeit“ ausgezeichnet. 
Moiseji Reischer starb am 5.September 1980 in Jekaterinburg. Noch heute sind seine 
Nachkommen dem Weißen Turm und der Stadt Jekaterinburg verbunden. 
18 
Liste der Bauwerke [23]: 
(wenn nicht anders benannt in Jekaterinburg) 
Arbeiten am UZTM38: 
1929 – „Der Weiße Turm“ 
1932 – Werkhallen für die Gusseisenfertigung und 
die Stahlgießerei 
1932 – Grabdenkmal aus schwarzem Marmor für 
Alexander Bannikow39 und Wladimir Fiedler auf 
dem Vorplatz des Haupteinganges zum 
Uralmasch-Gelände (1955 abgerissen und mit 
einem Denkmal von Sergo Ordschonikidse40 ersetzt, 
Abb. 25) 
Abb.25: Grabdenkmal von A.Bannikow 
und W.Fiedler, zeitgenössische 
Aufnahme 
1933 – Schmiede-Presswerkhalle und thermische Werkhalle 
Außerdem eine Reihe von öffentlichen Gebäuden der Plansiedlung Uralmasch u.a. 
einen Supermarkt, einen Sportpavillon und ein Einkaufszentrum. 
Rekonstruktionen: 
1936 – Wohnhaus des Werkes „Metallist“ 
1938 – Fassade des Hotels „Großer Ural“ 
1943 – Fassade und Vestibül des Kinos „Temp“ 
1954 – Gesamter Komplex vom Gorsowet (Abb. 21-24) 
nicht datiert – Dendroparkanlage ul. Perwomaiskaja 67, Wohnhaus in ul. Swerdlowa 
37 Swerdlowsk – 1924-1991 Name Jekaterinburgs, nach dem Revolutionär Jakow M. Swerdlow 
(1885-1919) benannt 
38 Uralskij Zawod Tjaschologo Maschinostrojenija, anderer Name für Uralmasch 
39 Alexander Petrowitsch Bannikow (1895-1932) – Hauptverantwortlicher für den Bau des 
Uralmasch 
40 Grigori Konstantinowitsch (Sergo) Ordschonikidse (1886-1937) – sowjetischer Funktionär, 
maßgebend beteiligt an dem Vorantreiben sowjetischer Industrialisierung
Sonstige: 
1931 – Haus der Kultur in Asbest, Swerdlow Gebiet (in Zusammenarbeit mit P. Oranskij 
und I. Robatschewskij) 
1938-39 – Studentwohnheim des 
Straßentechnikums 
1939 – Wohnheim des Berginstituts 
1939 – Skipavillion (Abb. 26) 
1945 – Villen für die Angestellten des 
Jekaterinburger Konservatoriums 
19 
1945 – Bebauung des 1 Quartiers der Pionerskij 
Abb. 26: Entwurf eines Skipavillions 
Siedlung mit individuellen 2/3-Zimmer- 
Wohnhäusern 
1946 – Gebäudekomplex des Krankenhauses №23 (zusammen mit I. Jugowoj) 
1947 – Denkmal den Gefallenen im II.WK auf dem Schirokoretschenskiji Friedhof 
1947 – Denkmal auf dem Gelände des UZTM
20 
2. KONSTRUKTIVE VERGLEICHE 
Im Rahmen des internationalen Workshops in Jekaterinburg vom 23. August – 01. 
September 2013 konnten insgesamt drei verschiedene Wassertürme besichtigt 
werden. Dazu zählten der weiße Turm, der Werkswasserturm des Uralmasch und ein 
Turm auf dem Werksgelände des Kupferkombinats in Krasnouralsk41. Diese 
Wassertürme wurden alle Ende der 1920er bis Anfang der 1930er Jahre errichtet und 
weisen somit Gemeinsamkeiten auf. Hinsichtlich der Konstruktion, den verwendeten 
Materialien und der Bedeutung können allerdings auch Unterschiede festgemacht 
werden. Zusätzlich wird auf einen weiteren Turm eingegangen, der sich perfekt in die 
Zeit der Avantgarde einordnen lässt. Von dem russischen Architekten und Designer 
Jakow G. Tschernikow42 entworfen und zwischen 1929 und 1931 erbaut, steht der 
Turm43 bis heute in St. Petersburg und zeugt von einer ausdrucksstarken 
Industriearchitektur. Ein Vergleich der vier Wassertürme soll im Folgenden 
Besonderheiten bei der Konstruktion mit Stahlbeton aufzeigen sowie eine allgemeine 
Übersicht dieser darstellen. Als sinnvolles Unterscheidungskriterium wird dabei die 
Behälterausbildung gewählt, und zwar nach [der Art des] Baustoff[es] und nach der 
Form der Behälter [5/S.65]. Der Wasserbehälter ist das Herzstück des Wasserturms, 
dessen Tragwerk sich nach ihm ausrichtet. Dabei wird kurz auf die historische 
Entwicklung einiger Behälterformen bis hin zu den in den untersuchten Wassertürmen 
eingegangen, wobei das Hauptaugenmerk auf die Formen der Behälter in den zu 
untersuchenden Bauwerken gelegt wird. Weitere Entwicklungsstufen werden 
aufgrund der fehlenden Relevanz für diese Arbeit nicht betrachtet. 
41 Krasnouralskij mediplawitel'nij kombinat/ красноуральский медеплавительный комбинат 
ist eine Fabrik in dem Gebiet von Sverdlovsk die immer noch Kupfer verarbeitet (250km 
nördlich von Jekaterinburg). 
42 russisch: Яков Георгиевич Чернихов (1889-1951) 
43 Die Konturen des Wasserturmes erinnern an die Form eines Nagels. Er war Bestandteil der 
Drahtseilfabrik Roter Nagel (oft auch als Rote Nagel – Fabrik bezeichnet).
2.1 Historische Entwicklung der Hochwasserbehälter 
Bereits um 1830 wurden die ersten Wasserhochbehälter gebaut (Abb. 27, [5]). Ihr 
Anwendungsgebiet beschränkte sich damals auf die Wasserversorgung der 
Eisenbahn. Mit der Erfindung der Dampfmaschine und deren Einbindung in die 
Schieneninfrastruktur war eine permanente Wasserversorgung für die 
Schienenfahrzeuge unumgänglich. Ein rechteckförmiger Flachbodenbehälter aus 
Gusseisen stellt den ersten Meilenstein in der Konstruktion und Entwicklung der 
Wasserhochbehälter dar. Dieser entstand „aus der Forderung, eine gegebene 
rechteckige Grundfläche möglichst zweckmäßig auszunutzen“ [5/S.66]. Bisher 
bekannte Konstruktionen aus Holz waren dabei ein Vorbild und man ahmte diese mit 
dem Baustoff Gusseisen nach. Die Nachteile des Werkstoffes machten sich in der 
Konstruktion bemerkbar. Materialbedingte Schwächen in der Aufnahme von 
Zugkräften machten solch eine Konstruktion sehr unwirtschaftlich. Die Wände des 
Flachbodenbehälters mussten mit Ankern versehen werden und der 
biegebeanspruchte Boden lagerte auf einem starken Trägerrost. Als 
Weiterentwicklung kann der zylindrische Flachbodenbehälter gesehen werden, 
dessen Wände aus Schmiedeeisen hergestellt wurden. Dieser Werkstoff war zwar 
teurer als das nur bedingt geeignete Gusseisen, jedoch hatte man erkannt, dass eine 
bestimmte Formgebung der nur auf Zug beanspruchten Wände für die Tragfähigkeit 
von großer Bedeutung war. Die Überlegung, sowohl die Behälterwände als auch den 
21 
Abb. 27: Übersicht der Entwicklungsstufen von Wasserhochbehältern
Behälterboden ausschließlich auf Zugkräfte zu beanspruchen, um die 
Materialeigenschaften noch effizienter ausnutzen zu können, führte zu einer weiteren 
Entwicklung. Diese ist auf den Franzosen Jules Dupuit44 zurückzuführen, der in den 
Jahren 1854/55 einen „Behälter mit hängendem Kugelboden“ [5/S.73] entwickelte. 
Die neue Formgebung führte in den Wand- und doppelt gekrümmten Bodenblechen 
zu einem Lastabtrag, der sich in den Hauptrichtungen auf Zug ausbildete. Im 
Behälterboden entstanden durch die neue Formgebung hohe Zugkräfte. Diese 
horizontal verlaufenden Kräfte aus dem Behälterboden mussten über einen 
geschlossenen Auflagerring auf das darunter liegende Mauerwerk übertragen 
werden. Daher musste der Auflagerring gleichzeitig als Druckring fungieren. Die 
Anschlussstelle dieses Details konstruktiv angemessen auszubilden war eine 
Herausforderung. Einige Nachteile dieser Konstruktion, wie z.B. eine Ausdehnung oder 
Verengung des Auflagerringes bei unterschiedlicher Füllhöhe sowie relativ große 
Horizontalkraftanteile auf das Auflagermauerwerk veranlassten den deutschen 
Ingenieur Otto Intze45 1883 einen fortschrittlicheren Entwurf eines Behälterbodens zu 
entwickeln. Der Fortschritt beim Intze-I Behälter lag in der Spannungsfreiheit des 
Auflagerringes. Intze dachte sich einen nach oben geöffneten Kegel, dessen 
Auflagerring nun nach unten versetzt wurde. Der noch überbleibende Teil des 
hängenden Innenkegels wurde nach seinem Entwurf durch einen stützenden 
Kugelboden ersetzt [5/S.81]. Spannungsfrei wird der Auflagerring, weil sich die 
horizontalen Zugkomponenten, links und rechts von diesem, entgegenwirken und 
aufheben. Intze konnte durch diese Konstruktion eine Bewegung des Ringes auf dem 
darunter liegenden Mauerwerk fast gänzlich verhindern. 
Diese Erkenntnis war richtungsweisend für die Verwendung eines neuen Baustoffes, 
der relativ schnell für den Behälterbau verwendet wurde – der Eisenbeton. Durch die 
neue Formgebung mussten im Wasserhochbehälter nur noch Normalkräfte 
übertragen werden, da eine Biegebelastung praktisch ausgeschlossen werden 
konnte. Im Bereich des gesprengten Bodens treten nur noch Meridian- und 
Ringkräfte auf und die Mantelflächen erfahren ebenfalls keine Biegebeanspruchung 
mehr. Das hat zur Folge, dass die lastabtragenden Bauteile unter dem Behälter selbst 
nur noch Vertikallasten aus eben diesem abzutragen hatten. Diese Tatsache erlaubt, 
das Tragwerk filigraner zu gestalten und Material einzusparen. 
44 Jules Dupuit (1804-1866) war ein französcher Bauingenieur, der sich dem Wasserbau 
verschrieben hatte. 
45 Otto Intze (1843-1904) war ein deutscher Bauingenieur, Statiker und Professor an der TH 
Aachen, der führend auf dem Gebiet des Wasserbaus war. 
22
Der Intze-I Behälter brachte durch seine Konstruktion in mancher Hinsicht ästhetische 
Nachteile mit sich. Durch den notwendigen äußeren Stützkegel musste der Turmkopf 
ausgelagert werden. Dieser Problemstellung trat man mit einer neuen Behälterform 
entgegen – dem kuppelförmigen Stützbodenbehälter. Bei dieser Behälterkonstruktion 
wurde auf den angesprochenen Stützkegel verzichtet. Schließlich war ein 
freitragender Kuppelboden das Ergebnis, der bis zu Füllmengen von ca. 750m³ ein 
wirtschaftliches Arbeiten ermöglichte. Die entstehenden Horizontalkräfte mussten 
über einen Auflager-Zugring kurzgeschlossen werden. Einer Auslagerung des 
Turmkopfes wurde somit vorgebeugt. 
23
2.2 Weißer Turm in Jekaterinburg 
Der Weiße Turm (Abb. 28) wurde in den Jahren 1929-1931 im damaligen Sverdlowsk 
(Ural) erbaut. Der leitende Ingenieur bei Bau des Turmes war Moiseji Reischer, der für 
die Baugesellschaft Techbeton arbeitete. Der Turm 
diente der Versorgung der Arbeiter mit Wasser, die 
mit dem Bau der Werkssiedlung beschäftigt waren. 
Grundsätzlich besteht er aus zwei geometrischen 
Körpern. Der Treppenturm gleicht einem 
rechteckigen Prisma und das Behältergehäuse 
einem Zylinder. Der Zylinder ist verhältnismäßig groß, 
da er ca. die Hälfte der gesamten Turmhöhe von 
über 35m ausmacht. Der darin befindliche 
Wasserbehälter wurde nach dem Intze-I Prinzip 
gefertigt. Der Boden besteht aus Stahlbeton. Die 
Behälterwand wurde aus Stahl hergestellt und 
musste wasserdicht an den Stützkegel des Bodens 
angeschlossen werden. Bis zu einer Füllmenge von 
500m³ war ein wirtschaftliches Konstruieren mit dieser Behälterform möglich. Man 
behielt sich beim Weißen Turm vor, den Behälter auf bis zu 700m³ auszubauen. Der 
gesamte Wasserbehälter lagert auf einem polygonal 
verlaufenden Ring, der unmittelbar mit dem Auflagerring des 
Behälterbodens verbunden ist. Unterhalb dieses Ringes 
schließen sich insgesamt sechs Stützen an, die verglichen zum 
Volumen des gesamten Bauwerks ausgesprochen filigran 
erscheinen. Umlaufend befindet sich innerhalb des Zylinders, 
zwischen Behälterwand und der Wand des Gehäuses ein Spalt 
von ca. 70cm (s. Längsschnitt Abb. 29). Die Planung dieses 
Freiraumes beabsichtigte eine Isolierung des Wasserbehälters 
gegen z.T. extreme Temperaturen im Winter. Weiterhin wurde 
im gesamten Bauwerk mit einer verlorenen Holzschalung 
gearbeitet. Das unter einer Putzschicht verdeckte Holz isolierte 
den Turm zusätzlich. In Bereichen der Ausfachung, 
insbesondere in der Gehäusewand, wurde statt des Holzes 
auf Holzwolle-Leichtbauplatten zurückgegriffen, um eine 
24 
Abb.28: Weißer Turm in Jekaterinburg 
Abb. 29: Längsschnitt
Dämmung zu gewährleisten. 
Aufgrund des angesprochenen Freiraumes verbreiterte sich der Zylinder auf der 
Ebene des polygonalen Ringes. Es besteht aus einem Stahlbetonsockel, an welchen 
insgesamt 10 vertikale Stützen monolithisch angeschlossen sind. In regelmäßigen 
Abständen verlaufen über die gesamte Höhe des Zylinders verteilt drei horizontal 
angeordnete Stahlbetonringe. Die Verbreiterung des Zylinders, im Bild als Auskragung 
ersichtlich, wird durch sechs massive Konsolen, die jeweils an die Haupttragstützen 
anschließen, abgefangen. Genau mittig zwischen den Konsolen sind weiterhin 
starke, vertikale Riegel angeordnet, die einen Teil der Zylinderlast in die 
abschließende „Bodenplatte“ einleiten, die wiederum die Lasten zu den Stützen 
bringt. In dieser massiven Bodenplatte von ca. 60cm Dicke (25cm Stahlbeton und 
35cm Aufschüttung), verlaufen Stahlbetonbalken, die die einzelnen Stützenköpfe 
untereinander verbinden. Das trägt zur Aussteifung in horizontaler Richtung bei, da 
die Bodenplatte die Funktion einer Scheibe übernimmt. Weiterhin wirkt der 
Treppenturm durch eine Kopplung zum Zylinder in der Aussteifung mit. 
Im oberen Drittel des Turmes ist ein für die Architekturperiode typisches Fensterband 
vorhanden, welches sich von einer Seite des Treppenhauses bis hin zur anderen Seite 
zieht. Des Weiteren befinden sich insgesamt 10 bullaugenähnliche Fenster in der 
Zylinderwand. Diese stehen in Kontrast zu den rechteckigen Öffnungen ober- und 
unterhalb dieser und spiegeln die Suche nach expressiven Ausdrucksformen 
während der Avantgarde wieder. 
Das Dach des Turmes ist eine schalenartige Konstruktion aus Stahlbeton, welche mit 
einer Attika und einem Aussteifungsring direkt oberhalb des Fensterbandes versehen 
ist. Auf der Schale enden vier kleinere Stützen, die einen Teil der Lasten aus der 
darüber liegenden Aussichtsplattform einleiten. Der Weiße Turm als städtebauliche 
Dominante entworfen, sollte von Beginn an für die Öffentlichkeit zugänglich sein und 
neben seiner Funktion als Wasserturm auch als Aussichtspunkt über die 
Werksplansiedlung dienen. 
25
2.3 Wasserturm des Kupferkombinats in Krasnouralsk 
Bei der Besichtigung dieses Wasserturmes wurden Planungsunterlagen zur Verfügung 
gestellt, die auf den 7.März 1929 datiert sind. Genauere Angaben bezüglich des Baus 
sind nicht bekannt – 
eine Errichtung des 
Turmes in den 
darauffolgenden zwei 
Jahren ist jedoch sehr 
wahrscheinlich. Er 
diente bis in die 1960er 
Jahre der Fabrik auf 
dessen Gelände er bis 
heute steht. Danach 
konnte er den erhöhten 
Anforderungen hinsicht-lich 
des erforderlichen 
Abb.30: Wasserturm des 
Kupferkombinates in Krasnouralsk 
Abb. 31: Längsschnitt 
Wasserdrucks nicht mehr gerecht werden und wurde außer Betrieb genommen.46 
Äußerlich erinnert dieser Turm stark an den Weißen Turm aus Jekaterinburg. Die 
konstruktivistische Bauweise lässt sich auch hier sehr gut erkennen. Bandähnliche 
Fensteröffnungen auf verschiedenen Ebenen des Turmes sind als charakteristisches 
Gestaltungsmerkmal wiederzufinden. Zusammengesetzt aus einfachen 
geometrischen Formen, wie dem rechteckigen Prisma (Treppenhaus) und dem 
Zylinder (Behältergehäuse) ragt der Turm bis in knapp 25m Höhe (Abb. 30). Die 
Vereinigung dieser Elemente unterscheidet sich von der im Weißen Turm. Verlief bei 
diesem noch das Treppenhaus außerhalb des Zylinders bis nach oben auf die 
Plattform, so befindet es sich bei dem Turm in Krasnouralsk unterhalb des 
Wasserbehälters und endet dort (Zugang zum Wasserbehälter selbst und darüber 
hinaus nur über eine schmale Leiter möglich). Insofern ist es möglich, dass der 
Zylinder, den darunter liegenden „Treppenblock“ ganz umschließt und nicht wie 
beim Weißen Turm nur teilweise „hineingesetzt“ wurde. 
Auch hier wird die Art der Konstruktion und des daraus resultierenden Lastabtrages 
durch die Wasserbehälterform bestimmt. In diesem Turm wurde ein 
Stützbodenbehälter des Typs 1 verwendet (s. Abb. 31 - vgl. Abb. 27 Kap. 2.1). Der 
freitragende Kuppelboden ist komplett zugänglich und genau wie die 
26 
46 mdl. Information während der Werksführung am 31.08.2013
Behälterwandung aus Stahlbeton hergestellt. Der Boden endet entsprechend der 
Konstruktion in einem monolithisch angeschlossenen Zugring, in welchem die 
Horizontalkräfte, die durch den Wasserbehälter entstehen, kurzgeschlossen werden. 
Der vertikale Lastfluss wird durch acht Stützen gewährleistet. Diese sind durchgehend 
vom Fundament bis unterhalb der Dachkonstruktion betoniert. Im Bereich des 
Behälterbodens, mussten sie nach außen versetzt werden, um einen Freiraum 
zwischen der Behälter- und der zylindrischen Gehäusewand zu schaffen. Der 
Freiraum isoliert den Wasserbehälter vor Kälte und ermöglicht gleichzeitig den 
direkten Zugang zu diesem. Dieser Versatz nach außen wird oberhalb des 
Behälterbodens durch eine Konsole (angevoutete Verstärkung an jeder Stütze) sicher 
gestellt. Die Bereiche im Zylinder zwischen den Stützen wurden schließlich mit Beton 
ausgefacht. 
Der Boden des polygonalen Teils unterhalb der zweiten Fensterreihe schließt direkt an 
den Treppenblock an. Auf der einen Seite gehen von diesem zwei massive, 
horizontal verlaufende Balken ab, die monolithisch mit jeweils einer Stütze verbunden 
sind. Des Weiteren unterstützen zwei Unterzüge darüber die „Bodenplatte“. Auf der 
anderen Seite begrenzt an jeweils einer Ecke eine Stütze den Treppenblock. Sowohl 
die Verbindung zu dem Treppenblock, als auch die symmetrische, polygonale 
Anordnung der Stahlbetonstützen tragen so zur Aussteifung des Bauwerks in jede 
Richtung bei. 
Seit den 60ern hat der Turm keine direkt Nutzfunktion mehr. Allerdings ist das Interesse 
des Werkes in Krasnouralsk an ihm sehr groß. Die Angestellten wurden an der 
Erhaltung maßgeblich beteiligt. Die Stützen innerhalb des Zylinders wurden 
nachträglich mit einer Stahleinfassung verstärkt und die Fenster sowie alle der 
Witterung ausgesetzten Flächen entsprechend saniert, um die vorhandene Substanz 
zu bewahren. Anschließend wurde der Turm in den Werksfarben gestrichen. 
27
28 
2.4 Wasserturm auf dem Werksgelände des Uralmasch 
Unweit des Weißen Turmes befindet sich auf 
dem Werksgelände des Uralmasch ein eigener 
Wasserturm. Dieser wurde im Jahr 1931 
vermutlich bei der gleichen Baugesellschaft 
wie der Weiße Turm in Auftrag gegeben - 
Techbeton47 (Abb. 32). Der Turm diente der 
Versorgung des Thermo-elektrischen Werkes auf 
demselben Betriebsgelände. 
Er unterscheidet sich grundlegend von allen 
hier aufgeführten Türmen durch seine 
Bauweise. Ausschließlich zylindrische Formen 
bestimmen die äußere Erscheinung. Die 
Tragstruktur bildet ein zentraler 
Stahlbetonschaft, der sich vom Fundament bis 
zum Wasserbehälterboden erstreckt. Dieser 
Schaft, durch Lisenen48 unterstützt, leitet die 
Lasten aus dem Wasserbehälter ab. Der 
Behälter entspricht dem gleichen Typ wie im 
Weißen Turm. Jedoch wurde die Nutzung des 
Intze-I Behälters abgeändert. Direkt über dem 
Turmschaft liegt der horizontale Auflagerring, 
welcher gleichzeitig die Trennstelle eines Zwei- 
Kammerbehälters darstellt. Der komplett aus 
Stahlbeton hergestellte Behälter bot somit die 
Möglichkeit Flüssigkeiten für verschiedenartige 
Nutzungszwecke zur Verfügung zu stellen. An 
der Tragweise ändert sich für das Intze-Prinzip, 
abgesehen von der erhöhten vertikalen 
Normalkraft nichts. Diese Vertikalkraft setzt sich 
aus zwei Teilen zusammen. Zum einen aus dem 
Abb. 32: Bauphase mit ausgekoffertem 
Bereich für die Rohrleitungen 
Abb. 33: Wasserturm auf dem 
Werksgelände (gut sichtbar die große 
„Konsole“ über der vertikalen Fensterreihe) 
47 mdl. Quelle – Museumsleiter während einer Führung über das Werksgelände 
48 Lastabtragendes Element. Leicht hervortretende, vertikale Verstärkung im Schaftbereich
Eigengewicht der zusätzlichen Behälterwand und zum 
anderen aus dem Lastanteil des Turmdaches. Diese relativ 
leichte Holzdachkonstruktion in ca. 32m Höhe wird über zwei 
Stahlbetonringe mittels mehrerer quadratischer Stützen auf 
die Behälterwände übertragen und belastet somit den 
Auflagerring zusätzlich. Daher ist die Anordnung des 
charakteristischen Fensterbandes am oberen Ende des 
Turmkopfes problemlos möglich. Die Fenster erfahren keine 
Belastung und werden so auch nicht durch lastabtragende 
Bauteile unterbrochen. Anders als bei dem Weißen Turm, 
dessen Lasten von oben über den zylindrischen Teil nach 
außen geleitet werden, findet hier im Inneren ein zentraler 
Lastabtrag auf den Stahlbetonschaft statt. Über 
Stahlbetonkonsolen im Bereich der unteren Fensterreihe ist 
der außenliegende Zylinder unmittelbar mit der äußeren 
Behälterwand verbunden. Die Konsolen leiten die Lasten des Zylinders in den 
äußeren Stützkegel des Intze-I Behälters und weiter in den Auflagerring. Dieser 
konstruktive Vorteil verhindert eine zusätzliche Lastexzentrizität außerhalb der 
Turmschaftachse. 
Die auf der Abb. 33 überdimensional groß wirkende Konsole, die eine Verbindung 
zwischen Schaft und Kopf realisiert, hat keine statische Relevanz. Dieses Bauteil ist 
eine Ankofferung für eine innenliegende Treppe, von der aus man den Turmkopf 
29 
Abb. 34: schematischer 
Querschnitt durch den 
Werksturm 
Abb. 35: Dachunterseite mit 2-Kammerbehälter 
betreten kann. 
Der Wasserbehälter unterstützt des 
Weiteren die Aussteifung des 
gesamten Turmes. Dem relativ 
steifen Turmschaft folgt der, durch 
die Wasserbehälterform beeinflusste, 
ausgelagerte Turmkopf. Die 
Verbindungsstellen des Behälters mit 
der Dachkonstruktion am oberen 
Ende und mit den Konsolen am unteren Ende des Zylinders sorgen für die 
notwendige Steifigkeit des gesamten Tragwerks oberhalb des Turmschaftes.
Um das Wasser vor extremer Kälte zu schützen wurde neben einer verlorenen 
Schalung eine Heizungsanlage mit einer großen Anzahl an walzenförmigen 
Heizflächen installiert. 
30
2.5 Der Rote Nagel in St. Petersburg 
Der Wasserturm der „Roten Nagel-Fabrik“ (Abb. 36) wurde nach Entwürfen von 
Jakow G. Tschernikow zwischen1930 – 1931 erbaut. Dieser ist Bestandteil des 
ehemaligen Stahlwalzwerkes „Krasnyi Gvozdilščik“49, das im Südwesten der Vasilievskij 
Insel in St. Petersburg liegt [3/S.116]. An der Ecke einer langen, relativ flachen 
Produktionshalle errichtet, überragt er mit einer Gesamthöhe von exakt 34m50 
sämtliche Bauwerke der Umgebung. Ein schmaler Schaft mit einem verhältnismäßig 
wuchtig wirkenden Turmkopf erinnert an einen Nagel [8/S.373]. Die industrielle 
Ausrichtung der Produktionsstätte wird durch dieses Bauwerk eindeutig symbolisch 
dargestellt. 
Die Ausführung ähnelt dem ursprünglichen Entwurf des Weißen Turmes (vgl. Kap. 1.3). 
Sie wirkt durch die Kombination von einer klaren vertikalen Struktur und der 
zylindrischen Kopfform sehr dynamisch. Die strikt, einfach gehaltenen Formen bieten 
die besten Voraussetzungen für die Anwendung von Stahlbeton. 
49 Красный гвоздильщик – „Roter Nagel – Fabrik“ 
50 Den Plänen von Maximilian Wetzig entnommen. Wetzig ist der Bearbeiter einer 
Diplomarbeit aus dem Jahr 2008 an der TU Berlin, die ein Umnutzungskonzept der direkt 
angrenzenden Produktionshalle thematisiert. 
31 
Abb. 36: Der Wasserturm „Roter Nagel“ an der Ecke der ehemaligen Produktionshalle
32 
Abb. 37: Schnitt durch den Turmkopf 
Der Turmkopf beinhaltet als einziger der hier 
aufgeführten Türme einen zylindrischen 
Flachbodenbehälter aus Stahl (Abb. 37). 
Die Wandungen überlappen und sind 
miteinander vernietet, wobei der 
Lastabtrag entsprechend des auf Biegung 
beanspruchten Bodens über einen 
Trägerrost gewährleistet ist. Der Behälter 
selbst liegt auf rechtwinklig angeordneten 
Profileisen, die wiederum auf einem Sockel 
befestigt sind. Dieser leitet die Lasten des 
Behälters in die Stahlbetonbalken, die 
unterhalb des Turmkopfes konstruktiv 
auffällig angeordnet sind. Durch die relativ 
große statische Höhe besitzen diese unterzugartigen Balken ein 
Flächenträgheitsmoment, das die Behälterlast mühelos aufnehmen kann. In dem 
Querschnitt ist deutlich zu sehen, dass die Balken unterhalb des Turmkopfes nicht 
vollständig massiv ausgebildet wurden, sondern in der Mitte hohl blieben. Da die 
einzuleitenden Lasten dies zuließen, konnte dadurch Material und weiterhin 
Eigengewicht eingespart werden. Die abzutragende Last ist bei dem 
Fassungsvermögen des Behälters von ca. 50m³ relativ gering und wird auf vier 
Stützen verteilt. Diese Stützen sind im Bereich des Erdbodens Teil des Treppenhauses. 
Ab einer Höhe von ca. 10m verspringt der Treppenturm nach hinten und lässt so 
einen Blick auf zwei der filigranen Stützen zu, die bis in die Höhe unterhalb des 
Turmkopfes reichen. Die anderen beiden Stützen grenzen den Treppenturm ab und 
sind von außen nur ansatzweise zu erkennen. Der Treppenturm selbst besteht aus 
einer Stützen-Riegel Konstruktion und stellt den aussteifenden Kern des gesamten 
Bauwerkes dar. 
Entsprechend des Baustils ist auch hier wieder das großzügige Fensterband zu 
erkennen. Drei Längsöffnungen im Treppenturm sind weiterhin ähnlich angeordnet 
wie bei dem Weißen Turm in Jekaterinburg. Bei fast gleicher Bauhöhe wirkt der 
Wasserturm der „Roten Nagel – Fabrik“ jedoch viel filigraner, was nicht zuletzt durch 
die Wasserbehältergröße bestimmt wird.
33 
3. KONSTRUKTIVE BESTANDSAUFNAHME 
3.1 Methodik 
„Bauaufnahme ist die Bestands- und Zustandserfassung eines dreidimensionalen 
Objektes und dessen Wiedergabe in zweidimensionalen maßstabsgerechten Plänen 
und/oder dreidimensionalen Modellen. Die Bauaufnahme kann eine Vorstufe zu 
einer Bestandsaufnahme bilden. Sie dient zur Bauvorbereitung, der Dokumentation 
für die Denkmalpflege und der wissenschaftlichen Erforschung von Bauwerken.“51 
Die konstruktive Bestandsaufnahme fällt dabei in den Ingenieurbereich. Sie 
unterscheidet sich von der klassischen Bauaufnahme, in dem sie sich auf 
Rohbaumaße und die Klärung des Lastflusses konzentriert. Verkleidungen, 
gestalterische Architekturdetails und Ausbauten spielen hier keine Rolle. Ziel ist es am 
Ende ein statisches Modell aus den aufgenommenen Daten zu ermitteln. Hierbei ist 
auch die maßtechnische Aufnahme von Materialeigenschaften von Bedeutung. Aus 
ihnen können Aussagen über Steifigkeit und Zusammensetzung gewonnen werden, 
die entscheidend für die Bemessung sind. 
Zur Dokumentation gehören die Anfertigung von Bestandszeichnungen (Grundriss, 
Schnitte und Details falls notwendig), Beschreibung der baulichen Besonderheiten 
und Problemstellen sowie eine der vorhandenen Systeme und Materialien. Weiterhin 
muss eine genaue Auswertung von Messergebnissen erfolgen, falls eine 
Untersuchung mit Messgeräten durchgeführt wurde. 
Als erstes wird das Objekt in Augenschein genommen, um erste Eindrücke über das 
vorhandene Bauwerk und dessen System zu gewinnen. Zur Erkenntnis dienen 
Öffnungen, Fehlstellen, markante Bauteile und Schäden. Um sich dabei Gewissheit 
über bestimmte Materialien oder Aufbaustrukturen zu verschaffen, kann die 
„Abklopfmethode“ (z.B. mit einem Hammer) verwendet werden. Wichtig ist hierbei, 
dass hauptsächlich zerstörungsfrei gearbeitet wird, um nicht neue Schäden am 
Bestandsbauwerk zu erzeugen. 
51Skript „Konstruktive Bestandsaufnahme. VL – Einführung“ des LS Bautechnikgeschichte und 
Tragwerkserhaltung der BTU Cottbus-Senftenberg, Stand 29.11.2013
Im nächsten Schritt werden die Rohbaumaße aufgenommen. Gängige Hilfsmittel 
sind dabei Messutensilien wie Distanzmessgeräte, Zollstöcke oder Schiebelehren. 
Weitere Hilfsmittel können Lote oder Schlauchwagen sein. Für eine Dokumentation 
der Ergebnisse ist es wichtig Bezugsachsen und –höhen zu definieren. 
Im letzten Schritt kann dann Messtechnik zum Einsatz kommen. Welche Geräte 
verwendet werden, hängt mit der Zielstellung der Bauaufnahme zusammen. Der 
Profometer dient z.B. zur Bewehrungssuche und Feststellung der Betondeckung. Mit 
einem Schmidt-Hammer kann man die Festigkeit von Beton ermitteln. 
Im Endeffekt verfährt der Bauingenieur hier als eine Art Bauwerksdoktor. Wie ein Arzt 
muss er seinen Patienten untersuchen – zuerst werden die Art der Beschwerden und 
die Symptome besprochen (optische Betrachtung), im Anschluss daran allgemeine 
Daten und Untersuchungen durchgeführt (vgl. Rohbaumaße und 
z.B. „Abklopfmethode“). Zuletzt folgen genauere Untersuchungen wie Röntgen, EKG 
u.ä. (vgl. Profometer, Schmidt-Hammer etc.), um ein vollständiges Bild über die Lage 
des Patienten zur erhalten. Schließlich kann der Arzt eine Diagnose stellen – „In 
welchem Zustand ist der Patient?“, „Was fehlt ihm?“, „Was kann man tun?“. Genau 
diese Schlussfolgerungen gehören zu der erfolgreichen Arbeit eines Bauingenieurs 
beim Umgang mit bestehenden Gebäuden. 
34 
3.2 Vorbereitung 
Vor der örtlichen Begehung des Weißen Turmes war eine gezielte Vorbereitung 
notwendig. 
Vorhandene bauzeitliche Archivunterlagen und existierende Bauzeichnungen 
wurden untersucht. Es waren jedoch auch Zeichnungen von einem nicht realisierten 
Umbauvorhaben aus den 1970ern vorhanden ([25] № 1-6 und 11-13). Ein Ziel war 
diese in einer einzigen Zeichnung zusammenzufassen, um grundlegende Geometrien 
des Weißen Turmes zu erfassen. In den Archivunterlagen fehlten jedoch Zeichnungen 
zu den vier Stützen unter dem Zylinder, sowie eine Zeichnung zu den wahren Maßen 
des Zylinders selbst. Diese konnten näherungsweise aus einer Zeichnung zum Behälter 
entnommen werden ([25] № 16 und 17). Außerdem fehlten Informationen zu dem 
oberen Verlauf des Treppenhauses und den Anschlüssen zwischen Treppenturm und 
dem Zylinder sowie zwischen Zylinderaußenwand, Stütze und Behälter. Der zuletzt 
genannte Knotenpunkt war besonders wichtig für die Bauaufnahme, da er Aussagen
über das Tragverhalten erlaubte. 
Um reibungsloses Arbeiten vor Ort zu ermöglichen, wurden nach den Archivmaßen 
Vorlagen für ausgewählte Bauteile angefertigt. Sie wurden in drei Typen unterteilt, je 
nach Phase der Bauaufnahme – 1. Rohbaumaße, 2. Schadenskartierung, 
3. Gerätebasierende Untersuchung. In die Vorlagen mussten dann die jeweiligen 
Informationen passend zur Phase eingetragen werden. 
3.3.1 Vorphase 
In der Vorphase wurde die erste Begehung des Bauwerks unternommen. Dabei 
verschaffte man sich einen ersten Eindruck über die Schäden, die Werkstoffe und die 
Anschlüsse. 
Außerdem wurde das Hauptquartier für die Bauaufnahme eingerichtet und der 
Ablauf der Arbeiten für die nächsten Tage festgelegt. 
Zu dem Team gehörten zusätzlich vier russische Studenten, die die Bauaufnahme im 
Rahmen eines freiwilligen Praktikums absolvierten, sowie die Organisatoren von der 
Architekturgruppe PODELNIKI, die sämtliche logistische Schwierigkeiten lösten. 
35 
3.3 Untersuchungsablauf 
3.3.2 Phase 1 – Aufnahme der Rohmaße 
Abb. 38: Arbeiten mit dem Hubsteiger 
Am ersten Tag der Bauaufnahme wurden die 
Rohbaumaße aufgenommen. Das 
Hauptaugenmerk lag auf den vier Stützen unter 
dem Behälter, dem Anschluss zwischen diesen 
und dem Behälter, sowie auf dem Aussichtsturm 
über dem Zylinder. Passend zu den Abschnitten 
gab es Teams zu je zwei Personen, welche die 
Bauteile genauer untersuchten. 
Das Fazit des Tages war, dass der Turm nicht 
ganz symmetrisch gebaut wurde, sondern eine 
Abweichung von 10 cm zur Achse A3 
(vgl. Positionsplan, Anlage A1) aufweist. Diese 
Feststellung beruht nur auf Innenabmessungen.
Außenabmessungen konnten nicht genau ermittelt werden, da der eingeplante 
Geodät nicht zu Verfügung stand. Lediglich die Auskragung der Zylinderwand 
konnte bei der Arbeit mit dem Hubsteiger (Abb. 38) vermessen werden. 
3.3.3 Phase 2 - Schadenskartierung 
Schon bei dem Begehungstermin konnte festgestellt werden, dass der Turm an 
einigen Stellen massive Schäden aufweist. Dazu zählen besonders Flächen, die der 
Witterung direkt ausgesetzt sind. Zu den Hauptschadensbildern gehören die 
vermehrte Rissbildung, zahlreiche Abplatzungen und die Karbonatisierung, der 
offenliegenden Bewehrung. Auf eine Aufnahme der Wasserschäden wurde 
verzichtet, da diese zu großflächig auftraten. Gleiches gilt für feine Risse, da diese zu 
zahlreich waren. Betrachtet wurden nur Risse ab 8 mm Breite. 
Bei der Untersuchung lag das Hauptaugenmerk wieder bei den bedeutendsten 
Haupttragelementen. Das Treppenhaus wurde nur in der Erdgeschossebene 
betrachtet. 
Zu den verwendeten Werkzeugen zählten Maßbänder, Zollstöcke, Schiebelehren und 
Rissbreitenmesser (Tab. 1). Mit Letzterem konnte der aktuelle Durchmesser von 
freigelegter Bewehrung ermittelt werden, der anschließend mit den vorhandenen 
Archivdaten verglichen wurde. 
Die in den Archivplänen festgestellten Umbiegungen von Stabenden in den Stützen 
konnten anhand von freiliegenden Stellen bestätigt werden. Im Voraus wurde diese 
Ausführung angezweifelt, da dies bei Druckstößen unzulässig ist. 
36 
Messgeräte Hilfsmittel 
Distanzmessgerät 
Stahlmaßband (30m) 
Zollstöcke 
Schiebelehre 
Rissbreitenmesser 
Schmidthammer 
Profometer 
Diodenstrahler, Taschenlampen 
Kamera (auch mit Stativ) 
Hammer 
Phenolphtalein-Lösung mit Zerstäuber 
Zeichenunterlagen und -utensilien 
Tab. 1 – Liste der verwendeten Materialen und Hilfsmittel
Ein Teil der Schäden konnte auf die gar nicht vorhandene oder geringe 
Betondeckung von maximal 2 cm, sowie auf den fehlenden Witterungsschutz des 
kompletten Gebäudes zurückgeführt werden. Sämtliche Verglasungen sind nicht 
mehr erhalten. Das Bauwerk wurde in den letzten Jahren zum beliebten Ziel für 
Vandalen – einige Bauteile sind mit Graffiti überdeckt. Für die Durchführung der 
Bauaufnahme wurde der Turm im Voraus von den Organisatoren und Freiwilligen von 
Müll und Schutt beräumt. 
So ist es erstaunlich anzumerken, dass der Innenraum des Zylinders nahezu 
unbeschädigt ist. Schäden an der Wand des Wasserbehälters konnten nicht ermittelt 
werden, da dieser bereits vor Jahrzehnten entfernt wurde. 
3.3.4 Phase 3 – Gerätebasierende Untersuchung 
Die gerätebasierenden Untersuchungen wurden in 3 separate, parallellaufende 
Einheiten eingeteilt. Jeweils ein Team untersuchte die Bauteile auf 
Bewehrungsführung und Betonfestigkeiten. Eine Karbonatisierungsuntersuchung 
wurde mit Hilfe der Phenolphtalein-Lösung separat durchgeführt (Abb. 39). Dabei 
37 
Abb. 39: Phenolphtalein-Lösung an einer Stütze 
konnten keine flächendeckenden 
Ergebnisse erzielt werden. Jedoch ist 
Anzumerken, dass bei den 
Außenstützen im Fußbereich kritische 
Stellen vorhanden sind. 
Die Bewehrungssuche wurde mit 
einem Profometer durchgeführt 
(Abb. 41). Dieser bietet ein 
impulsgestütztes Verfahren zur 
Ermittlung der Betondeckung und zur zerstörungsfreien Ortung vorhandener 
Bewehrung. So konnten in den vier Hauptstützen, zu denen jegliche Angaben über 
Tab. 2: Schmidt-Hammer Ergebnisse in N/mm² 
Armierung fehlen, auf der Erdgeschossebene und in Stützenmitte (zugänglich über 
den Hubsteiger) die Verläufe und Lage der Bewehrung dokumentiert werden. Für die
Feststellung der Betondruckfestigkeit wurde der Schmidt-Hammer verwendet. 
Prinzipiell funktioniert er über Umwandlung von kinetischer Energie in 
Verformungsenergie. Je härter ein Werkstoff ist, desto geringer ist die Verformung 
durch die beschleunigte Kugel innerhalb der Hammerspitze und desto größer 
wiederum der Rückschlag. Dadurch lässt sich die Festigkeit bestimmen. Um ein 
Ergebnis zu erhalten wird die Spitze an einen vorher geschliffenen Betonabschnitt 
platziert und gegen diesen gedrückt bis ein Aufprall hörbar wird. Dann kann ein 
Ergebnis auf einer Skala abgelesen werden und mit Hilfe einer beigelegten Tabelle in 
eine moderne EC-konforme Druckfestigkeit umgerechnet werden. Die Messung muss 
in einem Untersuchungsbereich an 8 bis 10 verschiedenen Stellen wiederholt werden 
(Abb. 40). 
Das Verfahren wurde an allen Stützen im Erdgeschoss und zur Kontrolle am 
Stützenkopf der Stützen C 4b sowie auf derselben Höhe bei Stütze C 2b durchgeführt 
(vgl. Positionsplan, Anlage 1). Außerdem wurden sowohl der Behälterboden und der 
darunterliegende polygonförmige Balken, als auch die Ringbalken im Zylinder 
untersucht. Die ermittelten Festigkeiten können der Tab. 2 entnommen werden. 
Es ist zu erwähnen, dass auch hier relevante Bauteile nur teilweise untersucht werden 
konnten, da es an personellen Kapazitäten mangelte. 
38 
Abb. 40: Schmidthammermessung Abb. 41: Profometermessung 
Durch die Benutzung von Hilfsmitteln beim Aufmaß können sich auch bei größter 
Sorgfalt immer kleine Ungenauigkeiten ergeben. Bei der Benutzung des 
Distanzmessgerätes wurden einfache, leicht verformbare Reflexionsflächen wie z.B. 
Blöcke verwendet, um bestimmte Randmaße aufnehmen zu können. Außerdem 
weisen die Oberflächen des Bauwerks lokale Imperfektionen und Schäden auf, so 
dass es keine einheitlichen Abmessungen für gleiche Bauteiltypen gibt. Für die 
weitere Bearbeitung wurden anhand der Messergebnisse plausible Mittelwerte für 
die Abmessungen gebildet und falls vorhanden mit den Archivunterlagen
verglichen. 
Fehler bei der gerätebasierenden Untersuchung (Profometer, Schmidt-Hammer) 
können nicht ausgeschlossen werden, jedoch wurden die Geräte im Voraus 
sorgfältig geprüft. 
39 
3.4 Fazit: Schadensbilder und Ursachen 
Der Weiße Turm wird seit mehreren Jahrzehnten nicht mehr in seiner ursprünglichen 
Funktion genutzt. Nennenswerte Sanierungsmaßnahmen seit der Errichtung sind nicht 
bekannt, es ist jedoch davon auszugehen, dass kosmetische Reparaturen über die 
Jahre vorgenommen wurden. Dafür sprechen die äußere Erscheinung und 
vereinzelte Teile im Inneren. Der Turm wurde vor einigen Jahren weiß gestrichen und 
Teile der Unterseite der Dachschale wurden notdürftig saniert. 
Da sämtliche Verglasungen fehlen, sind die dadurch exponierten Bauteile im Inneren 
der Witterung ausgesetzt. Das hat den Verfall des Bauwerkes beschleunigt. 
Außerdem ist kein effizientes Niederschlagsableitungssystem vorzufinden. Es existieren 
Längsöffnungen (Achse A 8, Anlage 1) im Traufbereich der Zylinderschale für den 
Abfluss des Regenwassers (Abb. 42), jedoch fließt dieses einfach an der Fassade 
herunter. Dasselbe gilt auch für das leicht geneigte Flachdach des Aussichtsturmes. 
Ein weiteres großes Problem ist die geringe bis nicht vorhandene Betondeckung. 
Nach Archivunterlagen für den Treppenturm (№300513, Anlage A3) waren dort 2 cm 
Betondeckung vorgesehen. Das erweist sich nach dem heutigen Wissensstand als 
deutlich zu gering. Bei den Witterungsverhältnissen und dem Betonstahl sind 
mindestens 4 cm notwendig, um einigen der Schäden vorzubeugen (Annahme: XC4 
für abwechselnd nasse und trockene Bauteile wie Außenwände). Außerdem wird 
nach dem EC 2 für die Expositionsklasse XC4 ein 
Beton von der Mindestfestigkeitsklasse C25/30 
verlangt. Diese scheint zwar teilweise durch die 
Schmidt-Hammer-Versuche (Tab. 2), Positionen 
C1a/b-C5a/b) bestätigt, jedoch kann davon 
ausgegangen werden, dass bei der Planung 
diese Sachverhalte mangels ausreichendem 
Kenntnis- und Forschungsstand nicht 
Abb. 42: Öffnung über der Dachschale – 
Ablaufmöglichkeit für Niederschlag 
berücksichtigt wurden. Zu geringe Betondeckung und die Witterungsverhältnisse
führten zur Abplatzung des Betons, einhergehend mit freiliegender Bewehrung 
(Abb. 42-44, 46). Das begünstigte die Korrosion des Stahls sowie die Karbonatisierung 
des Betons, da die Oberfläche CO2 ausgesetzt wird und somit auch tief in das 
Betongefüge eindringen kann. Inwieweit verborgene Stellen betroffen sind, war nicht 
ermittelbar. 
Ein weiteres Problem stellen sogenannte Kiesnester dar (Abb. 43). Diese können 
aufgrund von Undichtigkeitsstellen in der Schalung entstanden sein. Sollte diese 
Lücken aufweisen, so können feine Betonpartikel entweichen und nur die gröberen 
verbleiben unbemerkt. Weiterhin kann ein zu 
hoher Bewehrungsgrad dazu geführt haben. 
Jedoch kann zu dicht liegende Bewehrung 
als Grund für Kiesnester weitgehend 
ausgeschlossen werden. 
So wird das homogene Betongefüge zerstört 
(Betonentmischung) und ein durchgehender 
Verbund von Stahl und Beton ist nicht mehr 
gewährleistet. An einigen Teilen des 
Tragwerks sind grobe Fehler während der 
Betonage auszumachen. Es ist erkennbar, 
dass die Bewehrung teilweise direkt an der 
Schalung anliegt. Eine Ursache kann die 
nicht sachgerechte Nutzung von 
Abstandhaltern sein (insofern diese 
überhaupt zum Einsatz kamen). Das 
begünstigt zusätzlich Abplatzungen am Beton und korrosive Schäden der 
Bewehrung. Weiterhin verfügte diese nicht über die heute gängige Rippenstruktur, 
die erst ab den späten 1930er Jahren zum Einsatz kam. Der verwendete Stahl weist 
ausschließlich eine glatte Oberfläche auf. Die daraus resultierenden schlechteren 
Verbundbedingungen wurden über Aufbiegungen von Stabenden kompensiert. 
Dieses Vorgehen wurde sehr wahrscheinlich im gesamten Turm angewandt. Selbst 
bei Druckstößen in Bauteilen, die hauptsächlich Drucknormalkräfte übertragen sind 
Haken und Schlaufen zu finden, was bei entsprechend großen Druckkräften auch zu 
Abplatzungen führen kann. 
Der verwendete Betonstahl hat eine geringere Zugfestigkeit als der heutige Baustahl. 
Somit liegt die Grenze der Zugfestigkeit tiefer und die Bewehrung gerät eher ins 
40 
Abb. 43: Fehlende Betondeckung und 
sichtbare Entmischung (Kiesnester) an Stütze 
C 2b
Fließen. Dadurch wird der Beton eher einer Zugkraft ausgesetzt, welche schließlich zu 
Rissen führt. Weitere Gründe für die starke Rissbildung am Bauwerk können starke 
Temperatureinwirkungen (Frost), Veränderungen in der Belastungssituation durch die 
Entfernung des Wasserbehälters, Fundamentsetzungen (Schnittgrößenumlagerung) 
und die Korrosion der Bewehrung sein. Die Entstehung von Rissen schon während der 
Bauphase kann nicht ausgeschlossen werden. Der Turm gilt als eines der ersten in 
Stahlbeton ausgeführten Bauwerke. Man hatte kaum Erfahrung mit diesem Baustoff. 
Daher ist es sehr wahrscheinlich, dass der Beton u.a. nicht richtig nachbehandelt 
wurde. 
Abb. 44: Schaden an der Unterseite der Dachschale Abb. 45: Schaden an der Außenseite der 
41 
Zylinderwand 
Abb. 46: offenliegende Bewehrung und abgebröckelter Beton im Bereich des Fensterbandes
Tab. 3: tabellarische Übersicht der Schäden 
Diese Tabelle 3 soll schließlich einen Überblick über ausgewählte Schadensbilder und 
deren Häufigkeit geben. Sie wurde im Nachhinein angefertigt und basiert auf einer 
sehr groben Schätzung, die anhand von Bildern und den Handaufzeichnungen 
während der Bauaufnahme gemacht wurde. Sie gibt den Flächenanteil der 
jeweiligen betroffenen Fläche an und kann als Grundlage für ein Sanierungskonzept 
herangezogen werden. Die beschädigten Stellen und ihr quantitatives Vorkommen 
sind vor Ort noch einmal zu überprüfen. Schäden, wie z.B. Risse und Stellen, die durch 
permanente Durchfeuchtung schadhaft in Erscheinung treten, wurden nicht in die 
Tabelle mit aufgenommen. Sie kommen zahllos an sehr vielen Stellen des Bauwerkes 
vor, sodass eine grobe Schätzung nicht ausreicht, um eine konkrete Angabe über ihr 
Auftreten machen zu können. Abbildungen 44 – 46 zeigen noch nicht einmal im 
Detail, wie der allgemeine Zustand des Turmes ist und lassen dennoch erahnen, wie 
vielfältig sich die Schadensbilder im gesamten Bauwerk wiederfinden lassen. 
42
43 
4. STATISCHE BERECHNUNG UND BEMESSUNG 
Das Ziel der Bearbeitung war für den Weißen Turm ein plausibles Tragfähigkeitsmodell 
zu entwickeln. Mit Hilfe des Programms Dlubal RSTAB 8 für räumliche Stabwerke 
wurden zwei voneinander unabhängige statische Modelle für die Haupttragsysteme 
erstellt. Es sollte geprüft werden, ob beide Teilsysteme allein unter entsprechender 
Belastung in sich stabil und tragfähig sind. Die vorhandenen Archivunterlagen sowie 
die Beurteilung vor Ort ließen diesbezüglich keine 100%-ig sichere Aussage zu. 
Ein Modell stellt den Treppenturm und ein zweites den zylindrischen Behälter mit dem 
Wassertank dar. Für diese beiden Haupttragsysteme des Weißen Turmes wurden 
getrennte statische Modelle entwickelt, die mit verschiedenen Lastfällen belastet 
wurden. Zu diesen gehörten neben dem Eigengewicht, die Verkehrslast und die 
Einwirkungen Schnee und Wind. Entscheidend war über das statische System eine 
möglichst reale Abbildung des vorhandenen Tragwerks bzw. des 
Tragmechanismusses zu erreichen, um spätere Ergebnisse auch richtig interpretieren 
zu können. Dabei musste beachtet werden, dass die Ingenieure damals nur über 
einfache Handrechenverfahren verfügten und das System somit auch mit wenigen 
Mitteln berechenbar sein musste. Es wurden mehrere Varianten erstellt und 
hinsichtlich der auftretenden Schnittkräfte und Verformungen auf ihre Plausibilität 
untersucht. Dieses Vorgehen wird in den folgenden Texten ausführlich erläutert. 
Nach der Plausibilitätsprüfung der einzelnen Modelle konnten diese 
zusammengesetzt werden, um schlussendlich den Wasserturm als Ganzes abzubilden 
und anhand der Schnittgrößen eine Bemessung vorzunehmen.
Abb. 47: Statisches System eines 
Vierendeelträgers 
44 
4.1 Modellierung der Varianten 
Modell 1: Der Treppenturm 
Der Treppenturm war durch die vergleichsweise gute Dokumentation in den 
Archivunterlagen nicht im Fokus der konstruktiven Bestandsaufnahme, so dass die 
Annahmen bei der Modellierung weitestgehend auf Archivalien basieren [25]. Als 
Betongüte wurde C16/20 gewählt, um auf der sicheren Seite zu liegen und mögliche 
Querschnittsschwächungen zu berücksichtigen. 
Im ersten Schritt wurde der Treppenturm abseits des Behälterbaus als eigenständiges 
Bauwerk betrachtet. Es wurden insgesamt drei Modellvarianten untersucht, auf die 
im folgenden Text näher eingegangen wird. Alle Abmessungen wurden aus den 
Plänen №300514 (Anlage A3) und №300395 [25] genommen. 
Im Grundriss erkennt man, dass die Stützen über verschiedene Abmessungen 
verfügen, so dass die Knotenpunkte 
teilweise exzentrisch platziert werden 
mussten, um die tatsächliche 
Belastungssituation zu simulieren. 
Es wurde angenommen, dass der Turm die 
Lasten über ein System von 
Vierandeelträgern52 (Abb. 47) abträgt, d.h. dass alle Anschlüsse zwischen Bauteilen 
als biegesteif modelliert wurden. 
Es wurden gelenkige Auflager am unteren Stützenende angenommen, weil die 
Schlankheit der Stützen sowie die Ausführung des Fundamentes in Mauerwerk samt 
Lastsockel (vgl. Anlage A3) eine Einspannung weitestgehend ausschließen. An den 
Auflagerpunkten dieser Stützen (C 1a/b, C 3a/b, Anlage A1) mussten Starrstäbe 
eingefügt werden, da an Stützenfußpunkten keine Momente sein dürften, die durch 
die exzentrische Platzierung des Knotens entstanden. 
Die ersten zwei Varianten unterscheiden sich nicht gravierend in ihrer Geometrie 
(Abb. 48 und 49). Die einzige Differenz ist der Versprung des Balkenquerschnittes 
(Abb. 50 und 51) zwischen den Stützen C 1a und C 1b (Anlage A1). In der ersten 
Variante wurde ein Balken mit einen konstanten Querschnitt von 20x20 cm 
angenommen, um die Notwendigkeit eines Querschnittsversprunges zu prüfen. In der 
52 ein Träger, der durch biegesteifangeschlossene vertikale und horizontale Stäbe, die einen 
steifen Rahmen bilden, seine Lasten abträgt
zweiten Variante ist der Querschnitt jeweils an den Stützen von 20x40 
Länge von 1,1 m angesetzt worden, während dazwischen ein Querschnitt von 
20x20 cm vorhanden ist. Es ist anzunehmen, dass diese Querschnittänderung für die 
bessere Aufnahme von Biegemomenten gewählt wurde, da dies 
Abb. 48: Variante 1 und 2 
(gleiches System) 
Abb. 49: 
drucksteifen Diagonalen 
cm über eine 
diese an den Rändern 
höher sind als in der 
Abb. 50: Balken ohne Querschnittsversprung 
Abb. 51: Balken mit Querschnittsv 
Querschnittsversprung 
In der dritten Variante wurde 
geprüft, ob die Ausfachung zur 
Aussteifung beiträgt. Dafür wurden 
auskreuzende Diagonalen mit einem 
Querschnitt von 20x20 
ausgefachten Stellen eingefügt. 
Diese wurden als Druckstäbe 
definiert und sind somit zugschlaff. 
Das Einfügen der Aussteifung macht 
besonders bei der Verformun 
Variante 3 mit 
deutlichen Unterschied aus, da das System 
an Steifigkeit zunimmt. 
Für die das zusammengesetzte Modell wurde die Variante 2 gewählt, da 
plausibelsten war. . Die statischen Berechnungen 
eines solchen System 
den Mitteln der 1920er/1930 
war damals schon bekannt. Außerdem sind die Schnittkräfte ein wenig gr 
Variante 3, was zu einer zusätzlichen Sicherheitsquelle bei der Bemessung führt. 
1930er möglich gewesen. Das System des Vierendeelträgers 
45 
e Mitte. 
ung cm an allen 
Verformung einen 
es am 
Systems wären mit 
er größer als bei
Der Behälterteil steht auf insgesamt sechs Stützen deren Stützenköpfe unmittelbar 
unterhalb des ehemaligen Wasserbehälters anschließen (vgl. Achse A 7, AnlageA1). 
Dort bilden sie zusammen mit der Konsole (vgl. Positionsplan Detail A, Anlage A1) 
eine monolithische Einheit. Die Stützen stehen auf einem Stahlbetonsockel dessen 
Querschnitt nach unten hin zunimmt. Nach Durchsicht der Archivalien scheinen sie 
unterhalb des Sockels auf einem gemauerten Fundament zu stehen. Diese Erkenntnis 
und die sehr große Schlankheit der Stützen lassen einen Rückschluss auf eine 
gelenkige Lagerung zu. Aus diesem Grund wurde allen Stützen ein zweiwertiges 
Lager zugeordnet. Im Programm wurden die Stützen als Balkenstab definiert. Da sie 
am Stützenkopf unmittelbar an den polygonalen Auflagerring des Behälters 
anschließen, wurden dort biegesteife Anschlüsse modelliert. 
Die Ebene unterhalb des Behälterbodens ist in der Realität eine kreisrunde 
Stahlbetonscheibe (Achse 6, Anlage A1). Diese Scheibe beinhaltet 
Stahlbetonbalken, die die einzelnen Stützen untereinander verbinden und als eine 
Art Überzüge fungieren. Diese Scheibenwirkung wird in das Modell übertragen, 
46 
Modell 2: Der Behälter 
Abb. 52: räumliches, statisches Modell mit äußerem und innerem Ring 
indem eben diese Stahlbetonbalken auch als Balkenstäbe darin aufgenommen 
werden. Insgesamt acht Balken liegen in der Scheibenebene (Achse A6, Anlage A1), 
welche im Modell allerdings nicht als kreisrund erscheint. 
Das statische System des Behälterteils wurde konkret bis zu der Achse A 6konstruiert. 
Dabei war die Ausbildung der Konsole entscheidend. Diese ist maßgeblich am 
Lastabtrag auf die Hauptstützen unterhalb des Wasserbehälters beteiligt. Die 
Zylinderwand, auf der im Modell als äußeren Ring erkennbaren Auskragung
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  • 1. 1
  • 2. I Aufgabenstellung für eine Bachelorarbeit im Studiengang Bauingenieurwesen Bearbeiter: Olga Arkhipkina, Mat.-Nr. 3027213 Betreuer: Prof. Dr.-Ing. Werner Lorenz, Prof. Dr.-Ing. Frank Jesse (Massivbau, BTU/Fak.2) UNTERSUCHUNG, BEMESSUNG UND BEWERTUNG HISTORISCHER BAUSUBSTANZ – BAUZUSTANDSUNTERSUCHUNG, SCHADENSANALYSE UND STATISCHE NACHWEISE ZUM STAHLBETONTRAGWERK AM „WEIßEN TURM“ (1929-31) IN JEKATERINENBURG (RUSSLAND) Zielstellung / Schwerpunkte: Vorbereitung (Arbeitsaufwand und Anteil am Inhalt ca. 25%) - Durchsicht der vorhandenen Unterlagen - Planung und Vorbereitung der Untersuchungskampagne (z.B. zeichnerische Aufbereitung von Wandabwicklungen, Aufbereitung vorhandener Bewehrungspläne) Bauzustandsuntersuchung vor Ort ( ... ca. 25% ) - Durchführung der Untersuchung im Team vor Ort (Konstruktive Bestandsaufnahme, Schadensaufnahme, Bewehrungsidentifizierung) - Dokumentation der Ergebnisse (zeichnerisch, textlich, fotografisch) in geeigneter Form Statische Berechnung und Bemessung ( ... ca. 50% ) - Statische Berechnung der Haupttragglieder - Bemessung definierter Bauteile nach SNiP (Russische Norm) auf Grundlage der geplanten Bewehrung (entsprechend dem Planstand) - Bemessung definierter Bauteile nach SNiP (Russische Norm) auf Grundlage der ermittelten tatsächlichen Bewehrung - Vergleich der Ergebnisse mit planmäßiger und realer Bewehrung - Vergleich mit den Ergebnissen einer Berechnung nach EC2 (Bachelorarbeit G. Albrecht) Schautafel - Anfertigung einer Schautafel zum Thema der Arbeit nach Abgabe der schriftlichen Fassung Grundlagen: - Vorliegendes Archivmaterial - Unterlagen, Präsentationen und Literaturempfehlungen aus der LV Vertiefung Tragwerkserhaltung - aktuelle Fassung der russischen Norm (SNiP ) für Lastannahmen, Stahlbeton und/oder Sanierung u.v.m. Cottbus, den bestätigt, Cottbus, den .............................. .............................. Betreuer Vorsitzender des Prüfungsausschusses
  • 3. II Aufgabenstellung für eine Bachelorarbeit im Studiengang Bauingenieurwesen Bearbeiter: Georg Albrecht, Mat.-Nr. 3041670 Betreuer: Prof. Dr.-Ing. Werner Lorenz, Prof. Dr.-Ing. Frank Jesse (Massivbau, BTU/Fak.2) UNTERSUCHUNG, BEMESSUNG UND BEWERTUNG HISTORISCHER BAUSUBSTANZ – BAUZUSTANDSUNTERSUCHUNG, SCHADENSANALYSE UND STATISCHE NACHWEISE ZUM STAHLBETONTRAGWERK AM „WEIßEN TURM“ (1929-31) IN JEKATERINENBURG (RUSSLAND) Zielstellung / Schwerpunkte: Vorbereitung (Arbeitsaufwand und Anteil am Inhalt ca. 25%) - Durchsicht der vorhandenen Unterlagen - Planung und Vorbereitung der Untersuchungskampagne (z.B. zeichnerische Aufbereitung von Wandabwicklungen, Aufbereitung vorhandener Bewehrungspläne) Bauzustandsuntersuchung vor Ort ( ... ca. 25% ) - Durchführung der Untersuchung im Team vor Ort (Konstruktive Bestandsaufnahme, Schadensaufnahme, Bewehrungsidentifizierung) - Dokumentation der Ergebnisse (zeichnerisch, textlich, fotografisch) in geeigneter Form Statische Berechnung und Bemessung ( ... ca. 50% ) - Statische Berechnung der Haupttragglieder - Bemessung definierter Bauteile nach EC2 auf Grundlage der geplanten Bewehrung (entsprechend dem Planstand) - Bemessung definierter Bauteile nach EC2 auf Grundlage der ermittelten tatsächlichen Bewehrung - Vergleich der Ergebnisse mit planmäßiger und realer Bewehrung - Vergleich mit den Ergebnissen einer Berechnung nach SNiP (Bachelorarbeit O. Arkhipkina) Schautafel - Anfertigung einer Schautafel zum Thema der Arbeit nach Abgabe der schriftlichen Fassung Grundlagen: - Vorliegendes Archivmaterial - Unterlagen, Präsentationen und Literaturempfehlungen aus der LV Vertiefung Tragwerkserhaltung - u.v.m. Cottbus, den bestätigt, Cottbus, den .............................. .............................. Betreuer Vorsitzender des Prüfungsausschusses
  • 4. III Eidesstattliche Erklärung Die Verfasser erklären an Eides statt, dass sie die vorliegende Arbeit selbständig, ohne fremde Hilfe und ohne Benutzung anderer als die angegebenen Hilfsmittel angefertigt haben. Die aus fremden Quellen (einschließlich elektronischer Quellen) direkt oder indirekt übernommenen Gedanken sind ausnahmslos als solche kenntlich gemacht. Die Arbeit ist in gleicher oder ähnlicher Form oder auszugsweise im Rahmen einer anderen Prüfung noch nicht vorgelegt worden. Cottbus, 20.12.2013 Unterschrift der Verfasser Verwendungsrecht Die Verfasser übertragen das Recht zur Verbreitung und Vervielfältigung, sowie sämtliche sonstige Verwendungsrechte auf der vorliegenden Arbeit an den betreuenden Lehrstuhl. Cottbus, 20.12.2013 Unterschrift der Verfasser
  • 5. IV DANKSAGUNG Für die Unterstützung während der Bearbeitung möchten wir uns besonders bei den Professoren Werner Lorenz und Frank Jesse bedanken. Ein großer Dank gilt auch Sabine Kuban, die immer ein offenes Ohr hatte und uns sehr hilfsbereit zur Seite stand. Außerordentlicher Dank gebührt der Architekturgruppe PODELNIKI, die die Bearbeitung und Informationsaufnahme in Cottbus und in Jekaterinburg ermöglichte. Die Betreuung und Herzlichkeit waren bemerkenswert. Weiterhin danken wir den beteiligten russischen Studenten der verschiedenen Studienrichtungen, die bei der Erarbeitung viel Positives beisteuern konnten und großes Engagement zeigten. Unser Dank gilt auch allen Beteiligten, die vor Ort für einen sehr angenehmen und reibungslosen Ablauf des Projektes gesorgt haben. Darüber hinaus danken wir allen Mitarbeiter des Lehrstuhls Bautechnikgeschichte und Tragwerkserhaltung und des Lehrstuhls Massivbau, die uns bei der Bewältigung von kleinen und großen Problemen tatkräftig unterstützten. Nicht zuletzt gilt auch dem deutschen Konsulat in Jekaterinburg unser Dank für die finanzielle Unterstützung, die das Projekt dringend benötigte, um überhaupt durchgeführt werden zu können.
  • 6. INHALTSVERZEICHNIS Aufgabenstellung für eine Bachelorarbeit im Studiengang Bauingenieurwesen .......... I Aufgabenstellung für eine Bachelorarbeit im Studiengang Bauingenieurwesen ..........II ABBILDUNGSVERZEICHNIS ..................................................................................................... VII TABELLENVERZEICHNIS ............................................................................................................ IX ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS ...................................................................................................... X 1. Einführung in die Thematik .............................................................................................. 1 1.1 Baugeschichtliche Hintergründe und Zusammenhänge .................................... 1 1.2 Die Geschichte des Uralmasch ............................................................................... 5 1.3 Die Geschichte des „Weißen Turmes“ ................................................................. 11 1.4 Der Architekt: Moiseji Reischer (1902-1980) ......................................................... 16 2. Konstruktive Vergleiche ................................................................................................. 20 2.1 Historische Entwicklung der Hochwasserbehälter .............................................. 21 2.2 Weißer Turm in Jekaterinburg ................................................................................ 24 2.3 Wasserturm des Kupferkombinats in Krasnouralsk .............................................. 26 2.4 Wasserturm auf dem Werksgelände des Uralmasch ......................................... 28 2.5 Der Rote Nagel in St. Petersburg ........................................................................... 31 3. Konstruktive Bestandsaufnahme .................................................................................. 33 3.1 Methodik ....................................................................................................................... 33 3.2 Vorbereitung ................................................................................................................. 34 3.3 Untersuchungsablauf................................................................................................... 35 3.3.1 Vorphase ................................................................................................................ 35 3.3.2 Phase 1 – Aufnahme der Rohmaße .................................................................... 35 3.3.3 Phase 2 - Schadenskartierung ............................................................................. 36 3.3.4 Phase 3 – Gerätebasierende Untersuchung ..................................................... 37 3.4 Fazit: Schadensbilder und Ursachen .................................................................... 39 4. Statische Berechnung und Bemessung ....................................................................... 43 V
  • 7. 4.1 Modellierung der Varianten .................................................................................. 44 4.2 Modellierung des Gesamtmodells ........................................................................ 48 4.3 Normen und Sicherheitskonzept nach Eurocode und SNiP .............................. 48 4.3.1 Sicherheitskonzept nach SP 20.13330.2011 ........................................................ 49 4.4 Lastannahmen nach EC 1 und SP 20.13330.2011 ............................................... 50 4.5 Lastkombinationen ................................................................................................. 52 5. Bemessung....................................................................................................................... 54 6. Fazit ................................................................................................................................... 56 6.1 Bewertung der Bauweise ....................................................................................... 56 6.2 Bewertung der Tragfähigkeit ................................................................................. 57 LITERATURQUELLENVERZEICHNIS ........................................................................................... 58 BILDQUELLENVERZEICHNIS ..................................................................................................... 60 VI
  • 8. ABBILDUNGSVERZEICHNIS Seite VII Abb. 1: Propagandaplakat zur Aufholung der Industrialisierung 5 Abb. 2: A. Bannikow 6 Abb. 3: W. Fiedler 6 Abb. 4: Generalplan zur Bebauung der Plansiedlung 7 Abb. 5: Baracken, zeitgenössische Aufnahme 8 Abb. 6: 3-stöckige Holzhäuser/Baracken, zeitgenössische Aufnahme 9 Abb. 7: 4-stöckiges gemauertes Haus, zeitgenössische Aufnahme 9 Abb. 8: Panzer verlassen die Werkshalle 10 Abb. 9: Arbeiter der Uralmasch-Baustelle, zeitgenössische Aufnahmen 10 Abb. 10: Arbeiter der Uralmasch-Baustelle, zeitgenössische Aufnahmen 10 Abb. 11: der erste Entwurf von Moiseji Reischer 11 Abb. 12: Modell des Turmes von Reischer 1929 11 Abb. 13: Bau der Stützen 13 Abb. 14: Schalung des Behälters 13 Abb. 15: Projekt zur Umnutzung des Turmes von Moiseji Reischer, 1971 14 Abb. 16: Projekt zur Umnutzung des Turmes von Moiseji Reischer, 1971 14 Abb. 17: Umnutzungskonzept des Architekten Chramtsow, 1989 15 Abb. 18: Diplomarbeit „Volkshaus für Aufklärung“ von Moiseji Reischer 16 Abb. 19: Diplomarbeit „Volkshaus für Aufklärung“ von Moiseji Reischer 16 Abb. 20: Moiseji Reischer bei der Arbeit 16 Abb. 21: Gorsowet vor dem Umbau 17 Abb. 22: Umbauskizze des Architekten Golubew für das Gorsowet 17 Abb. 23: Gorsowet (Rathaus) heute 17 Abb. 24: Umbau des Gebäudes des Gorsowet 17 Abb. 25: Grabdenkmal von A.Bannikow und W.Fiedler, zeitgenössische Aufnahme 18 Abb. 26: Entwurf eines Skipavillions 19 Abb. 27: Übersicht der Entwicklungsstufen von Wasserhochbehältern 21 Abb. 28: Weißer Turm in Jekaterinburg 24 Abb. 29: Längsschnitt 24 Abb. 30: Wasserturm des Kupferkombinates in Krasnouralsk 26 Abb. 31: Längsschnitt 26 Abb. 32: Bauphase mit ausgekoffertem Bereich für die Rohrleitungen 28 Abb. 33: Wasserturm auf dem Werksgelände (gut sichtbar die große „Konsole“ über der vertikalen Fensterreihe 28 Abb. 34: schematischer Querschnitt durch den Werksturm 29 Abb. 35: Dachunterseite mit 2-Kammerbehälter 29 Abb. 36: Der Wasserturm „Roter Nagel“ an der Ecke der ehemaligen Produktionshalle 31
  • 9. VIII Abb. 37: Schnitt durch den Turmkopf 32 Abb. 38: Arbeiten mit dem Hubsteiger 35 Abb. 39: Phenolphtalein-Lösung an einer Stütze 37 Abb. 40: Schmidthammermessung 38 Abb. 41: Profometermessung 38 Abb. 42: Öffnung über der Dachschale – Ablaufmöglichkeit für Niederschlag 39 Abb. 43: Fehlende Betondeckung / sichtbare Entmischung (Kiesnester) an Stütze C 2b 40 Abb. 44: Schaden an der Unterseite der Dachschale 41 Abb. 45: Schaden an der Außenseite der Zylinderwand 41 Abb. 46: offene Bewehrung und abgebröckelter Beton im Bereich des Fensterbandes 41 Abb. 47: Statisches System eines Vierendeelträgers 44 Abb. 48: Variante 1 und 2 (gleiches System) 45 Abb. 49: Variante 3 mit drucksteifen Diagonalen 45 Abb. 50: Balken ohne Querschnittsversprung 45 Abb. 51: Balken mit Querschnittsversprung 45 Abb. 52: räumliches, statisches Modell mit äußerem und innerem Ring 46 Abb. 53:Variante mit der Ausbildung der Konsole als Kragarm 47 Abb. 54: vgl. zwischen SP- und EC-basierender Kombinationsbildung bei der Grundkombination 50
  • 10. TABELLENVERZEICHNIS Seite IX Tab. 1: Liste der verwendeten Materialien und Geräte 36 Tab. 2: Schmidt-Hammer Ergebnisse in N/mm² 37 Tab. 3: tabellarische Übersicht der Schäden 42 Tab. 4: Teilsicherheitsbeiwerte für ermittelte Lastfälle nach SP 20.13330.2011 49 Tab. 5: Kombinationsbeiwerte 49 Tab. 6: gemittelte Schneelasten – Vergleich 51 Tab. 7: Windlasten – Vergleich 51 Tab. 8: Schnittkräfte in der Lastkombination 1 52 Tab. 9: Schnittkräfte in der Lastkombination 2 53 Tab. 10: Schnittkräfte in der Lastkombination 3 53 Tab. 11: erforderliche Bewehrung 54 Tab. 12: vorhandene Bewehrung (C 4a/ C 4d: bei Bauaufnahme ermittelt, C 1a aus Archivplan №300514, Anlage A3) 55
  • 11. X ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS Abb. Abbildung Abs. Absatz bzw. beziehungsweise ca. circa cm Zentimeter deut. deutsch d.h. das heißt EC Eurocode KBA konstruktive Bestandsaufnahme LK Lastkombination m Meter mm Millimeter russ. russisch SP Swod Prawil (zu Deutsch: Regelsammlung) Tab. Tabelle u.a. unter anderem u.ä. und ähnliche/s vgl. Vergleich z.B. zum Beispiel z.T. zum Teil
  • 12. 1 1. EINFÜHRUNG IN DIE THEMATIK Der Lehrstuhl Bautechnikgeschichte und Tragwerkserhaltung und insbesondere Prof. Werner Lorenz haben langjährige Erfahrungen mit Projekten in Russland. Dazu zählt beispielsweise das von der DFG1 seit 10 Jahren geförderte Projekt an der Eremitage (Schwerpunkt: Dachkonstruktionen). Im Rahmen einer Exkursion zu den Eisenwerken im Ural wurden die ersten Kontakte zu der Architektengruppe PODELNIKI geknüpft. Diese beschäftigt sich u.a. mit dem Erhalt von einem Leitbauwerk des russischen Konstruktivismus – dem „Weißen Turm“. Anhand dieses Bauwerkes kann ein Teil russischer Architektur- und Zeitgeschichte nachvollzogen werden. Ein besonderer Stellenwert ist dem Bauwerk dabei sicher. Zu welcher Zeit hätten die Ingenieure sich so viel Kühnheit zugesprochen? Im Ural hatte man damals kaum bis keine Erfahrungen mit dem Stahlbetonbau. Viele Bauwerke wurden von Jungingenieuren und -architekten konzipiert. Der Weiße Turm ist da keine Ausnahme. Er ist ein beeindruckendes Zeugnis von Aufbruchsstimmung einer jungen Nation und ihrer Kühnheit im Umgang mit neuen Werkstoffen und Geometrien. So ist es nicht verwunderlich, dass der ursprünglich zur Wasserversorgung der naheliegenden Arbeitersiedlung dienende Turm, zu einem Denkmal für Industriearchitektur avanciert ist. Leider, wie in so vielen Fällen, ist er in den letzten 50 Jahren bei den Behörden in Vergessenheit geraten, was zu dem Verfall des Denkmals führte. Um sich einen Überblick über den aktuellen Zustand des Bauwerkes zu verschaffen, wurde Prof. Lorenz mit einem Team von der Architektengruppe PODELNIKI zur Durchführung einer konstruktiven Bestandsaufnahme nach Jekaterinburg eingeladen. Die Bauaufnahme ist nur einer von vielen Schritten bei der Wiedereingliederung des Weißen Turmes in das Stadtgeschehen, obwohl er auch in seinem jetzigen Zustand nicht aus dem Stadtbild wegzudenken ist. 1 Deutsche Forschungsgemeinschaft
  • 13. 1.1 Baugeschichtliche Hintergründe und Zusammenhänge Die Bezeichnungen Vorhut oder auch Vortrab entstammen dem französischen Wort „avant-garde“. Die avant-garde bezeichnet in der Sprache des französischen Militärs diejenigen, die den Feind zuerst ausspionieren oder mit ihm in Kontakt kommen sollen. Diese wichtige Rolle in der taktischen Kriegsführung steht bezüglich der Semantik gleich einer künstlerischen Epoche des frühen 20. Jahrhunderts in Europa-der Avantgarde. Diese Epoche vereinte die Einflüsse der westlichen Welt, mit den Traditionen der östlichen und steht für einen Prozess der Erneuerung. Eine Vorreiterrolle, die diese Epoche übernimmt, liegt in der Kunst begründet. Sehr bekannte Vertreter wie beispielsweise Marc Chagall2, Wassily Kandinsky3 oder auch Kasimir S. Malewitsch4. Letzterer war der Begründer des „Suprematismus“, einer Stilrichtung in der modernen Kunst, die vor allem auf der Konstruktion mit Hilfe von geometrischen Formen begründet war. Die Kernaussage dieser fordert „den Abbruch aller Traditionen und den Aufbau einer neuen Wirklichkeit im traditionsleeren Raum“ [8]. Führende Architekten des Konstruktivismus der frühen 1920er Jahre wurden durch diesen Stil in ihren Entwürfen beeinflusst. Der Konstruktivismus war eine Architekturperiode, die durch klare Formgebung und einer daraus resultierenden Zweckbestimmung des Objektes bestach. Pragmatische Formen, futuristisch anmutend, fanden oft in der frühen sowjetischen Architektur ihre Anwendung. Die erste Hälfte der 1920er Jahre war die Phase der „Papierarchitektur“. Viele Entwürfe, die in dieser Zeit auf dem Papier entstanden, wurden nie umgesetzt. Jedoch war diese Phase sehr intensiv hinsichtlich der kreativen Suche nach geeigneten Ausdrucksformen [3/S.15]. Die Architektur der russischen Avantgarde entstand durch eine Kombination von Funktion, Form und Konstruktion. Die Formgebung war durch die Erschließung neuer Baustoffe wie dem Stahlbeton auch gut in der Realität umsetzbar. Die Absicht ein Gebäude nach seiner Funktion und zukünftigen Nutzung zu gestalten war maßgeblich. „Nach der Gründung der „Vereinigung moderner Architekten“ (OSA) 1925 in Moskau wurden die Grenzen zwischen den Architekturströmungen5 stärker“ [4/S.54]. Unter der 1 2 Französicher Maler von russisch-jüdischer Herkunft (1887-1985) 3 Russischer Maler, Grafiker und Kunsttheoretiker (1866-1944) 4 Russischer Maler und Hauptvertreter der russischen Avantgarde (1879-1935) 5 Architekturströmungen waren der Konstruktivismus und der Traditionalismus
  • 14. Leitung von Moseij J. Ginzburg6, dessen Schaffen durch westliche Einflüsse wie das deutsche Bauhaus geprägt wurde, konzentrierte sich die Arbeit der OSA auf die Moderne. Es gab eine Entwicklung hin zu der „funktionellen Methode“ des Konstruktivismus als ein Ergebnis der Mischung zweier Strömungen – Einflüsse aus dem Konstruktivismus und dem Traditionalismus, welcher städtebaulich-sozial ausgerichtet war. Diese Methode bezog sich auf die Zweckbestimmung eines Gebäudes. Dem räumlichen Erscheinungsbild einerseits, steht gleichzeitig die Funktionalität des gesamten Bauwerks gegenüber. Die Konstruktivisten, und vor allem die junge, inspirierte Studentenschaft des Landes nahmen sich dieser Methode an. Eines der Schaffensprinzipien, welches die Vereinigung moderner Architekten definierte, lautete: ,,Die OSA schafft kollektiv neue Architekturformen, die sie auch praktisch probiert, die sich funktionell aus der Bestimmung des Gebäudes, seinen Material, der Konstruktion und anderen Produktionsbedingungen ergeben, sie entspricht damit den konkreten Aufgaben, die sich aus dem sozialistischen Aufbau des Landes ergeben. [6/S.194]. Es war die Zeit einer industriellen Aufholjagd und die Architekten mussten sich hinsichtlich der industriellen Fertigung bestimmter Bauteile und der damit zusammenhängenden Montage auf eine neue Herangehensweise einstellen. Besonders entscheidend für die Etablierung des Konstruktivismus im Ural war eine eindeutige Verbesserung der wirtschaftlichen Lage. In den späten 1920er Jahren war das Land wieder in der Lage an die Zeit vor dem Bürgerkrieg anzuknüpfen. Das Vorhandensein von Baumaterialien und die nötige Motivation in der Bevölkerung, einhergehend mit Wettbewerbsgeist, sorgten für einen Aufschwung. „Das traditionelle Bauwesen in Russland beschränkte sich über Jahrhunderte ganz überwiegend auf wenige Materialien: Holz, Stein und Lehm, später auch Metall.“ [1/S.34]. Die russische Avantgarde und das „neue“ Bauen erforderten ein Umdenken. Zum einen wurde von jetzt an zwischen der statisch und konstruktiv erforderlichen Tragstruktur und der raumgebenden Struktur eindeutig unterschieden. Zum anderen kamen viele neue (künstliche) Baustoffe zum Einsatz. Vorangetrieben durch die Industrialisierung waren vor allem Industriebauten die Vorreiter bei der Einführung neuer Baustoffe wie Stahl oder Stahlbeton. Weiterhin konnten, begünstigt durch die Trageigenschaften des Stahlbetons, größere Spannweiten realisiert werden. Zu diesem Zeitpunkt lag die Sowjetunion im internationalen Vergleich weit hinter anderen Nationen, wie den USA, Deutschland oder Frankreich. In den USA konnte 2 6 russisch: Моисей Яковлевич Гинзбург (1892 – 1946)
  • 15. man bereits auf einen reichen Erfahrungsschatz im Industriebau zurückgreifen, Deutschland hingegen war führend im Wohnungs- und Siedlungsbau gewesen. Der frühe sowjetische Konstruktivismus und die Architekturströmungen aus dem westlichen Ausland nahmen in ihrer Entwicklung einen ähnlichen Weg. Beide hatten die Funktionalität als Maxime. Die Bauwerke des neuen sowjetischen Staates sollten jedoch auf die Art und Weise des Denkens des Sowjetbürgers einwirken. Folglich stellte sich die Wiederspiegelung der Ideologie in der Architektur selbst als eines der wichtigsten Merkmale heraus. Ohne jedoch zu dominieren sondern sich ihr unterzuordnen. Diese Architektur sollte keine klassenlose Massenarchitektur sein, sondern wurde für eine bestimmte Klasse geschaffen werden – das Proletariat [10]. Zu den drei wichtigsten Zentren der Avantgarde-Architektur zählten die USA, Europa und die Sowjetunion. In diesen Regionen waren architektonische und bautechnische Errungenschaften gleichberechtigt. Vor allem in Europa und der Sowjetunion war jedoch die Ästhetik eine sehr bedeutende Komponente. Der Entwurf von Bauwerken entsprach bis 1929 weitgehend nur den Errungenschaften des europäischen Know-how‘ s. Ab den 1930er Jahren erfolgte vermehrt ein Austausch mit ausländischen Spezialisten, wodurch neue Erkenntnisse zum Bau von großen Werksanlagen gewonnen werden konnten. So z.B. die Traktorfabriken in Stalingrad7 und Tscheljabinsk, das Autowerk in Gorki und eine Bahnwagenfabrik in Nischni Tagil. Eine frühe Mittlerrolle zwischen Ost und West spielte der bereits angesprochene Wassily Kandinsky [1/S.38], der als Lehrmeister 1921 an die Bauhausschule nach Deutschland ging. Diese wurde im Jahr 1919 als eine Vereinigung der örtlichen Kunst-und der Kunstgewerbeschule in Weimar durch Walter Gropius8 gegründet. Publikationen auf deutscher Seite unter der Leitung von Walter Gropius und Ernst May9 über sowjetische Architektur sowie auf russischer Seite, unterstützt durch die OSA, informierten über den ausländischen Kenntnisstand und trugen dazu bei eine zukünftige gemeinsame Arbeitsgrundlage zu schaffen. Speziell die Kenntnisse des Bauhaus‘ wurden vor allem durch den ehemaligen Bauhausdirektor Hannes Meyer10 und sieben Bauhausstudenten [1/S.38] in die Sowjetunion gebracht, die wegen des erstarkenden Nationalsozialismus nach Moskau umsiedelten. Das Land holte immer schneller mit Hilfe der ausländischen Erfahrungen und Technologien die versäumte Industrialisierung nach. Oft übertrafen die Anlagen ihre 3 7 heute Wolgograd 8 deutscher Architekt (1883 – 1969) 9 deutscher Architekt und Stadtplaner (1886 – 1970) 10 Schweizer Architekt (1889 – 1954) und Lehrer/Direktor an der Bauhausschule
  • 16. ausländischen Vorbilder - so auch das Maschinenbauwerk Uralmasch in Swerdlowsk11. Es wurde sehr schnell errichtet, spielte eine Vorreiterrolle in der Region und war sowohl im In- als auch Ausland bekannt. Die dort gefertigten Maschinen wurden bei Ausstellungen im Ausland gezeigt, was für innovatives und qualitatives Arbeiten stand. Weiterhin belieferte das Maschinenwerk über 200 Firmen in 10 verschiedenen Ländern. 4 11 heute Jekaterinburg
  • 17. 5 Abb. 1: Propagandaplakat zur Aufholung der Industrialisierung – „Einholen und Überholen“ 1.2 Die Geschichte des Uralmasch „Uralmasch lebte wie das Land lebte, aber auf Grund seines Maßstabs fand alles, was im Land passierte, hier extremes Ausmaß.“12 „Und ungewollt entsteht die Frage: Ist es das Los des russischen Mannes in Armut und Verzicht zu leben und dabei Stolz zu sein auf den Fortschritt? Stolz sein aus den letzten Kräften.“12 Um die Leistung der Erbauer des Weißen Turmes besser einschätzen zu können, muss man den Kontext betrachten, in dessen Zuge er entstanden ist. Das Russland der 1920er Jahre ist ein rückständiges Land, zerrissen von dem Bürgerkrieg13, den internen Machtkämpfen in der Partei, die nach dem Tod Lenins 1924 ausbrachen und den daraus resultierenden Säuberungen. Das Industrialisierungsniveau ist zwischen 50 bis 100 Jahren hinter den westlichen Staaten und so wird das Land einem rigorosen Plan unterworfen, einer einzigartigen Aufholjagd (Abb. 1). Mit Hilfe der sogenannten Fünfjahrespläne14 sollte der junge15 sowjetische Agrarstaat in ein modernes rüstungsstarkes Industrieland verwandelt werden. Das Alles sollte nach Stalins Plan in 10 bis 15 Jahren geschehen. Der erste dieser Fünfjahrespläne wurde 1928 abgesegnet und beinhaltete den Bau 12 Beides nach [11] und [12] 13 ca. 1917 – 1923 14 Russ.: Pjatiletka 15 die Sowjetunion wurde erst 1922 gegründet; bis 1917 Russisches Imperium, 1917 Russische Republik, 1917-1922 Sowjetrussland
  • 18. neuer metallurgischer Werke auf dem Südural und in Westsibirien. Um diese mit allen notwendigen Maschinen beliefern zu können und diese nicht im Ausland einkaufen zu müssen, wurde gleichzeitig beschlossen ein eigenes russisches Maschinenbauwerk zu errichten. Am 3.Juli 1927 begann die Geschichte des „Vaters aller Fabriken“ [11] und [12] in Russland mit der Billigung des Baus durch die Sowjetregierung. Die Grundsteinlegung erfolge am 15.Juli 1928 an der zukünftigen Werkstatt für Metallkonstruktionen. Die Wahl des Datums hatte einen symbolischen Stellenwert – am 15.Juli 1919 wurde die „Weißen“16 unter Admiral Koltschak17 durch die Bolschewiki18 aus der Stadt vertrieben. Die Lage des Betriebes wurde nicht um sonst gewählt. Ursprünglich waren 3 Standorte in der engeren Auswahl – das Werch-Isetskij19 Werk in Jekaterinburg, Nischni Tagil und Tscheljabinsk. Am Ende wurde sich für den Standort im Norden der Stadt Swerdlowsk20 entschieden, da dieser logistisch günstig lag und notwendige Ressourcen vorhanden waren. So gab es zwei Wasserquellen in der Nähe – den Werch-Isetskij Teich und den See Schuwakisch, sowie reiche Torflagerungen und den wichtigen Bahnknotenpunkt Swerdlowsk-1. Zum Bauleiter wurde schon am 7.12.1926 Alexander Bannikow21 (Abb. 2), ein 6 Abb. 2: A. Bannikow Abb 3: W. Fiedler studierter Parteifunktionär und Veteran der roten Revolutionsbewegung, ernannt; zum leitenden Ingenieur – Wladimir Fiedler22 (Abb. 3). Eigens für den Bau der Fabrik Uralmasch – ural’sches Maschinenbauwerk – wird das Büro 16 Die bedeutendsten Kontrahenten der Bolschewiki und der Roten Armee im Bürgerkrieg; Zusammenschluss mehrer politischen Lager, deren einzige Gemeinsamkeit die Ablehnung der sowjetischen Herrschaft war 17 Alexander Wassiljewitsch Koltschak (1874-1920) – russischer Ozeanologe, Polarforscher, Admiral, führende Persönlichkeit der „Weißen“, Oberster Regent Russlands von 1918-1920 18 Kommunistische Partei, die eine Revolution unter der Führung von Berufsrevolutionären anstrebte 19 Eisen-Stahlwerk, das 1726 in 2 km Entfernung von Jekaterinburg gegründet wurde; liegt am Fluss Isset. 20 Von 1924-1991 Name Jekaterinburgs. 21 Alexander Petrowitsch Bannikow (1895-1932) – russischer Revolutionär und Offizier, Teilnehmer der Revolution und des Bürgerkrieges 22 Wladimir Fedorowitsch Fiedler (1881-1933) – Hauptingenieur des Uralmaschstroj und leitender Ingenieur des Baus des Uralmasch
  • 19. Uralmaschstroij23 gegründet, in dem der Letztgenannte eine hohe Position bekleidete, und, das einige der wichtigsten Bauwerke projektieren wird. Während der offizielle Beschluss zum Bau erst Juli 1927 gefällt wurde, sind die ersten Behausungen für Arbeiter schon 1926 in Form von Erdhütten entstanden, da es schon seit dem Anfang von 1927 gebaut werden sollte. Bis zum Jahr 1928 wurden auch einige Baracken (Abb. 5) als Behausung für Alleinstehende gebaut. Diese verfügten nur über die einfachste Ausstattung – Heizöfen und Pritschen. Abb. 4: Generalplan zur Bebauung der Plansiedlung; rot – die Lage des Wasserturmes, grün – Werkseingang Im selben Jahr wurde Piotr Oranskij24 zum leitenden Stadtplaner der neuen Siedlung ernannt [19]. Obwohl es in dem Jahr 1927 einen Wettbewerb zur Planung gab, reiste I.Robatschweskij 1928 nach Leningrad um einen fähigen Spezialisten einzustellen und brachte den jungen Architekten mit. Oranskij wählt die zu der Zeit äußerst populäre Idee [13] des Sozgorod25 für die Werksplansiedlung. Typisch für diese Art von 23 wörtlich: Uralmaschbau 24 Piotr Wassiljewitsch Oranskij (1899-1960) – Architekt und Stadtplaner, eine der Hauptakteure des Baus der Werksplansiedlung Uralmasch, in den 1950ern leitender Architekt Jekaterinburgs und Hochschullehrer 25 Bezeichnung für einheitlich nach einem Generalplan gebaute Siedlungen/Viertel in sowjetischen Städten der 30er Jahre 7
  • 20. Stadtgestaltung sind Wohnblöcke, die durch Ein- und Ausfallsstraßen begrenzt werden. Charakteristisch ist auch die Aufteilung der Flächen: etwa 50% sollen mit Wohnhäusern bebaut werden, 35% werden Parkanlagen, Grünflächen und Ähnlichem zugewiesen, der Rest dient zum Infrastrukturausbau [13]. Ein Areal für die Werksplansiedlung wurde nördlich vom Werk gewählt, da dort durch die Windbewegungen ein abgasfreieres Quartier garantiert werden konnte. Außerdem war nur das Wasser aus dem See Schuwakisch trinkbar, der Werch-Isetskij Teich war für die Trinkwasserversorgung ungeeignet. Das erste Bebauungskonzept für 100 Tausend Einwohner stellt Oranskij 1929 vor. Als Hauptaugenmerk in dem Entwurf galt der Platz vor dem Eingang auf das Werksgelände Ploschad‘ Pervoji Pjatiletki26 mit 3 Hauptstraßenachsen (Abb. 4), um die Verbindung zwischen Werk und Siedlung zu betonen [13]. 8 Abb. 5: Baracken, zeitgenössische Aufnahme Im Gegensatz zu anderen Plansiedlungen, wird die des Uralmasch durch die Lage und Bedeutung des Werkes selbst definiert. Sie sollte in 3 Bebauungsgebiete unterteilt werden: das erste Gebiet für steinerne Bauwerke um die Hauptachsen des Platzes des ersten Fünfjahresplanes, zweites weiter drinnen für Holz-, Block- und „Gerüst-Aufschütt“-Häuser und das dritte für individuelle Heime am Ortsrand. Der Bau der Siedlung kam nur schleichend voran, da es an sämtlichen Baumaterialien und dem Knowhow fehlte. Das Hauptaugenmerk galt dem Maschinenbauwerk, so dass die meisten Ressourcen dorthin geleitet wurden. Es gab kaum moderne Hilfsmittel. Das Meiste wurde mit einfachsten Mitteln errichtet. Weil Mauern im Winter den Russen nicht möglich war, betrug die Bauzeit für die ersten massiven Häuser 2 Jahre (Abb. 7). Auch für Blockhäuser brauchte man zu viel Zeit und Ressourcen. Deshalb wurde eine Übergangslösung gefunden – „Gerüst- Aufschütt-Häuser“ (Abb. 6). Die Wände bestanden aus groben Holzbalken, die mit Holzplatten je Seite verkleidet wurden und mit einer Mischung aus Sägespänen und Kalk verfüllt wurden. Alles Notwendige dafür wurde vor Ort gefertigt, zum Bestimmungsort transportiert und zusammengebaut. Obwohl nur für 20 Jahre gedacht, wurde erst in den 1970ern mit dem Abriss der Häuser begonnen, vereinzelt sind sie noch heute in dem Viertel zu finden [14]. 26 Ploschad‘ Pervoji Pjatiletki – Platz des ersten Fünfjahresplans
  • 21. Im März 1928 wird beschlossen das Werk vor dem 1.Oktober 1933 in Betrieb zu nehmen. Die Arbeiter schufteten mindesten 16 Stunden am Tag um die Vorgabe zu erfüllen. Die Schichten gingen eigentlich 12 Stunden, aber Überstunden waren Pflicht und der Meister musste einen entlassen. Um Zeit zu sparen wurden außerdem die kostspieligen, im Ausland eingekauften Maschinen gleichzeitig mit den Werkshallen aufgebaut, was teilweise zu fatalen Defekten hochsensibler Mechanismen durch die Witterungsverhältnisse führte. Im Frühling 1930 misslangen die ersten Bohrung für Wasserversorgungsschächte, woraufhin deutsche Spezialisten in den Ural eingeladen wurden. Unter ihrer Aufsicht bohrte man 5 Schächte von 50 cm Durchmesser und 80-100 m Tiefe. Da diese nicht für die Belieferung ausreichten, wurden durch Russen 4 weitere selbstständig gebohrt. 1931 gingen die ersten Werkstätten in den Betrieb – die Gusseisengießerei, die Modellwerkstatt und die Werkzeugwerkstatt. Außerdem wurde das komplette industrielle Wassernetz in Betrieb genommen. Am 15.Juli 1933 wurde das Werk feierlich eröffnet. In den folgenden Jahren wird es zu einem der größten sowjetischen Betriebe. Die Produktion wird nicht nur im Inland angewendet, sondern auch ins Ausland verkauft. Den stalinistischen Säuberungen entgingen die Arbeiter, Ingenieure und zahlreichen anderen Fachkräfte trotz oder vielleicht besonders wegen ihrer Verdienste jedoch nicht. Mit Eifer wurde immer und immer wieder nach Staatsfeinden gesucht. Auch der 1933 verstorbene leitende Ingenieur Fiedler wurde nicht verschont. Postum wurde er zum „Schädling“ wegen des Brandes in der Schmiede-Presse-Werkstatt, die zu den „Lieblingskindern“ [15] des Ingenieurs zählte, ernannt. Seine Asche wie die von Bannikow sollte aus dem Denkmal vom Platz des ersten Fünfjahresplanes entfernt werden. Nur durch den Einsatz eines Mitarbeiters wurden diese gerettet und nach Jahren im Versteck endlich in den 1950ern begraben. 9 Abb. 6: 3-stöckige Holzhäuser/Gerüst- Aufschütt-Häuser, zeitgenössische Aufnahme Abb. 7: 4-stöckiges gemauertes Haus, zeitgenössische Aufnahme
  • 22. Während des Zweiten Weltkrieges wird die Produktion auf Kriegsgüter umgestellt. Allein in 4 Jahren werden 5551 Panzer (Abb. 8) und Selbstfahrlafetten hergestellt, 19 Tausend Panzerungen für Fahrzeuge und tausende Geschoße für sämtliche Arten von Waffen. In der Werkssiedlung wurden 26 Tausend Flüchtlinge aufgenommen. Schon damals wird deutlich, dass die Planer sich bei der Entwicklung der Bevölkerungszahlen verkalkuliert haben. Die erst in der 50ern zu erreichende Zahl von 24 Tausend Einwohnern in der Siedlung, wurde schon vor dem Zweiten Weltkrieg erreicht. Heute leben in dem Viertel, das seit 1935 den Namen von Sergo Ordschonikidse27 trägt, 240 Tausend Einwohner; es verfügt über zahlreiche Tramlinien und einen Anschluss an das U-Bahnnetz. Das Werk produziert noch immer verschiedenste Maschinen, die vor allem im Bergbau genutzt werden. An die Opfer und Entbehrungen der Ersterbauer (Abb. 9 und 10) erinnern heute nur noch wenige Stimmen. Die von ihnen errichteten Bauwerke erfühlen jedoch auch heute ihren Zweck und tragen ihre Geschichte leise weiter. 10 Abb. 8: Panzer verlassen die Werkshalle Abb. 9 und Abb. 10: Arbeiter der Uralmasch-Baustelle, zeitgenössische Aufnahmen 27 Grigori Konstantinowitsch (Sergo) Ordschonikidse (1886-1937) – sowjetischer Funktionär, maßgebend beteiligt an dem Vorantreiben sowjetischer Industrialisierung
  • 23. 11 1.3 Die Geschichte des „Weißen Turmes“ Der Bau des Werks Uralmasch war ein logistischer Kraftakt. Alle beteiligten an Arbeitern musste mit allen überlebensnotwendigen Sachen beliefert werden – Strom kam von WIZ28, das Heizöl aus der Umgebung zur zukünftigen Siedlung gebracht, nur die Wasserversorgung bereitete den Verantwortlichen Kopfzerbrechen. Bis dahin wurde das Wasser in Fässern zu Pferd transportiert. Abb. 11: der erste Entwurf von Moiseji Reischer und Abb. 12: Modell des Turmes von Reischer 1929 1928 schlug Iosif Robatschewskij, Leiter der Projektierungsabteilung des Uralmaschstroij, vor einen Wasserturm nach einem individuellen Entwurf zu bauen. Trotz des Termindrucks unterstützte auch der leitende Ingenieur Wladimir F. Fiedler29 das Vorhaben. Mit dem Bauwerk sollte ein neues Ideal des Bauens geschaffen werden, welches abgrenzend zur der zaristischen, bourgeoisen Kunst stünde. Der anschließende Wettbewerb ermöglichte nur 3 Tage Entwurfszeit – schlussendlich gab es 3 Teilnehmer – P. Oranskij30, W. Bezrukow und M. Reischer (siehe Kapitel 1.4). Die Entwürfe der beiden Ersterwähnten sind nicht mehr überliefert. Angeblich enthielt ein Entwurf die Kombination eines Wasserturmes mit einem Wohnblock, der Autor ist jedoch unbekannt [16/S. 6]. Reischers Entwurf jedoch, der nur in einer Nacht 28 Werch-Issetskij Zawod – Stahl- und Eisenwerk am Fluss Isset, das seit 1726 existiert, etwa 8 km entfernt 29 Wladimir Fedorowitsch Fiedler (1881-1933) – Hauptingenieur des Uralmaschstroj und leitender Ingenieur des Baus des Uralmasch, nach dem Tod repressiert 30 Piotr Wassiljewitsch Oranskij (1899-1960) – Architekt und Stadtplaner, eine der Hauptakteure des Baus der Werksplansiedlung Uralmasch, in den 1950ern leitender Architekt Jekaterinburgs und Hochschullehrer
  • 24. entstand [24], wurde zum Bau ausgewählt (Abb. 11 und 12). Die Idee des Ingenieurs war simpel und genial zu gleich – die Vereinigung von zwei geometrischen Körpern, eines Quaders und eines Zylinders. Schon im Generalplan (erstellt von Konkurrent Piotr Oranskij) desselben Jahres wird dem Bauwerk eine zentrale Rolle zugeschrieben. Er sollte den Mittelpunkt einer mehrstrahligen Straßensystems bilden, das mehrere kleinere Werkplansiedlungen anderer Betriebe verbinden sollte. Weder diese Siedlungen noch ein Teil der geplanten Straßen wurden je realisiert. Als Leiter einer der Projektierungsabteilungen durfte Reischer sich die Baustoffe selbst aussuchen. Wichtig war, dass diese effizient und kostengünstig waren. So wählte er Stahlbeton, da er in der Zeit auch an der Ausarbeitung einer weitspannenden Hallenkonstruktion aus diesem beteiligt war. Das Projekt des „Weißen Turmes“ galt anfangs als nicht technisch realisierbar. Im Ural gab es keine Erfahrung mit dem Baustoff und Hauptingenieur Fiedler, der um die Standsicherheit des Turmes fürchtete, bestimmte, dass aus zwei freistehenden Stützen unter dem Behälter vier werden. Außerdem wollte man die Chance nutzen eine neue Generation von fachlich hochqualifizierten Spezialisten auszubilden, die keine Angst vor Herausforderungen im Planungs- und Logisitikbereich des Projektes hatten. Mit der Ausarbeitung der technischen Ausführung im Stahlbeton wurde das Moskauer Büro „Techbeton“ unter Leitung von Sergei L. Prochorow betraut. Auch die Bauleitung wurde von ihnen durch den Mitarbeiter M. Strukow übernommen (Abb. 13 und 14). Dieser hatte im Gegensatz zu seinen Moskauer Planungskollegen ständig vor Ort zu sein. Die Planung des Tanks übernahmen die Ingenieure des Uralmaschstroij unter Ingenier S. Korotkow. Dafür wurde das System des deutschen Ingenieurs Otto Intze gewählt. Für die Herstellung des Behälters wurde erstmals das Elektroschweißverfahren verwendet. Die Schweißarbeiten dauerten 5 Monate lang und wurden am 5.Juli 1931 mit der Abnahme durch Moskauer Ingenieure beendet. Die Qualität der Naht wurde von den Moskauer Spezialisten als sehr hoch angesehen, trotzdem passierte beim ersten Befüllen ein schweres Unglück. 12
  • 25. Abb. 13: Bau der Stützen Abb. 14: Schalung des Behälters Nur wenige Minuten nach der Unterzeichnung der Freigabepapiere bog sich der stählerne Behälterboden zuerst durch und platzte anschließend, so dass die komplette Maße an Wasser an den Stützen und dem Treppenhaus herunter strömte. Prompt interessierte sich das NKWD31 für den Vorfall [17]. Der leitende Ingenieur des „Techbeton“ wurde sofort nach Jekaterinburg bestellt. Auf der Fährfahrt von Nischni Nowgorod nach Perm, die damals 4-5 Tage betrug, entwarf Sergei Prochorow einen komplett neuen Behälterboden aus Stahlbeton, machte die erforderlichen statischen Berechnungen und fertigte die notwendigen Zeichnungen zur Umsetzung an. Nach seiner Ankunft wurde der Entwurf rasch realisiert und festigte durch seine Stabilität das Vertrauen in den Stahlbetonbau. Laut der Projektierungsunterlagen zur Wasserversorgung [25, Bestand 3, №2] sollte der Turm anfangs mit 542,27 m3 Wasser befüllt werden, jedoch ließen die Projektierer Platz für den Ausbau des Behältnisses bis zu einem Volumen von 695 m3 zu. Somit war der Tank der größte seiner Art in der Zeit auf der Welt. In Chicago soll es einen Behälter vergleichbarer Größe gegeben haben [16/S. 4]. Das Wasser zur Belieferung der Siedlung wurde dem naheliegenden Schuwakisch- See entnommen. Die Wasserleitung dafür durchtrennte etwa 100 m verschiedenster Bodenschichten. Die intensive Nutzung durch das Werk und die Siedlung führte in den Folgejahren dazu, dass der See nahezu komplett austrocknete. Heute ist an seiner Stelle eher ein Sumpf vorzufinden, obwohl das Wasser seit den 1960ern nach der Außerbetriebnahme mehrerer Pumpen langsam zurückkehrte [15]. Nach der Fertigstellung des Bauwerkes wurde es mit weißem Kalk verputzt, was ihm 13 31 Narodnij kommissariat wnutrennich del – Volkskommisariat für Innere Angelegenheiten
  • 26. seinen heutigen Namen „der Weiße Turm“ gab. Und obwohl diese Farbe in den Zeiten des Zweiten Weltkrieges als Objekt von strategischer Bedeutung in camouflage-grün umgestrichen wurde, setzte sich die Bezeichnung bis heute durch. Während in den 30ern noch die kleinere Version des Behälters für die vorhandene Bevölkerung vollkommen ausreichte, wurde der Turm in den 60ern überflüssig, da er die zur Versorgung notwendigen Mengen nicht halten konnte und so wurde der Betrieb nach nur ca. 30 Dienstjahren eingestellt. Der Turm geriet in die Vergessenheit trotz mehrerer Revitalisierungsversuche. Moisej Reischer, sein „Vater“, veranstalte mit seinen Studenten in den 1970ern eine Kreativwerkstatt, wo Möglichkeiten zur Umnutzung besprochen wurden. Außerdem arbeitete er mit einer Gruppe von Malern einen Umnutzungsplan zum Cafe aus (Abb. 15 und 16). Im Tank sollte ein Zwischenboden eingezogen werden und so ein doppelstöckiges Jugendcafe mit Aussichtsplattform ermöglichen. Die Direktion des Uralmasch gab grünes Licht, doch die Umsetzung scheiterte am Widerstand von Gennadi Beljankin, dem Hauptarchitekten der Stadt. Zusätzlich wurde in den 1970ern seine Bedeutung als Mittelpunkt dreier Achsen geschmälert. Bis dahin sichtbar vom Platz des ersten Fünfjahresplanes, wurde er durch den neuen Kulturpalast „Uralmasch“ und ein Stadion verdeckt. Auch weitere Versuche zur Umsetzung einer Umnutzung scheiterten. Es gab Ideen zur Einrichtung eines Clubs, von Büros oder ein Wiederaufgriff der Cafe-Idee. Das Problem bestand vor Allem bei der Treppe. Nach gültigen russischen Standards wäre eine Feuerwehrtreppe von größeren Abmessungen notwendig (Abb. 17). 14 Abb. 15 und Abb. 16: Projekt zur Umnutzung des Turmes von Moiseji Reischer, 1971
  • 27. Diese würde jedoch das architektonische Konzept des Turmes mit dessen schlanker Diese würde jedoch das architektonische Konzept des Turmes mit dessen schlanker Silhouette zerstören und so verfiel der Turm langsam während die Pächter einer nach dem anderen wechselten. Darunter waren eine Versicherungsgesellschaft, die sich nach dem Turm benannte und das Rote Kreuz dabei. Im April 2013 [18] wurde der Turm dann entgeltlos an die ehrenamtliche Architekturgruppe PODELNIKI zur Nutzung übergeben. Die Jungarchitekten setzen sich schon davor für den Erhalt des Denkmals und dessen Wiedereingliederung ins Stadtleben ein. 15 Abb. 17: Umnutzungskonzept des Architekten Chramtsow mit einem neuen Treppenhaus, 1989
  • 28. Hinter jedem Bauwerk steht ein Team von Ingenieuren, Architekten und Arbeitern. Der „Weiße Turm“ ist da keine Ausnahme, jedoch sticht in diesem Fall ein Name besonders hervor, der von Moiseji Reischer32 (Abb. 18), geboren am 1.Januar 1902. Der Architekt hat das Bauwerk wie kein anderer geprägt und nach seinen Vorstellungen geformt. So soll der Entwurf innerhalb nur einer Nacht entstanden sein [24]. Im Jahr 1926 machte er den Abschluss Technischen Instituts Sibiriens33 mit der Diplomarbeit zur Planung eines „Volkshauses für Aufklärung“ (Abb. 19 und Abb. 20). 16 1.4 Der Architekt: Moiseji Reischer (1902-1980) Abb. 18: Moiseji Reischer bei der Arbeit Abb. 19 und Abb. 20: Diplomarbeit „Volkshaus für Aufklärung“ von Moiseji Reischer Mit nur 27 Jahren er die Konstruktion entworfen und den Bau intensiv begleitet. Dabei war er einer der älteren Ingenieure im Team und hatte deshalb auch anspruchsvollere Aufgaben zu erledigen. Der Bau des „Weißen Turms“ fand im Rahmen seiner Zuständigkeit für den Bau der Industriebauten des Werksgeländes des Uralmasch statt, welche innerhalb des ersten Fünfjahresplanes34 errichtet werden sollten. Aus der Feder von Reischer stammten alle wichtigen Werkshallen – die Gusseisen- und Stahlgießereien, das Schmiede-Presswerk, das thermische Werk. Auch nach dem Beenden der Arbeiten am Turm blieb er seiner Kreation verbunden. Ein Foto des Turmes soll immer in seiner Wohnung gehangen haben [20]. 32 [16] Tokmininowa, S. 6 33 Heute: Tomsk Polytecnic University 34 Fünfjahresplan – ein planwirtschaftliches Instrument, das in der USSR hauptsächlich zur die Umsetzung der Industrialisierungsziele verwendet wurde
  • 29. Obwohl in den 20er Jahren Mitglied der OSA und mehr durch Rekonstruktionsaufträge dem Neoklassizismus zu. Seine Bauten B aus den späteren Jahren sind eher von der Anwendung klassischer Elemente im Fassadenschmuck geprägt. Seit 1936 war Moiseji Reischer für das Exekutivkomitee für Architektur Jekaterinburgs tätig [22]. So beteiligte er sich bei dem Wiederaufbau des Konservatoriums, ervatoriums, der Rekonstruktion der Fassade des Hotels „Großer Ural“ und bei der Gestaltung der Fassade des Jekaterinburger Gorsowet heute als Rathaus dient [21]. 21] Abb. 21(links oben): Gorsowet vor dem Umbau Golubew für das Gorsowet Abb. Umbau des Gebäudes des Gorsowet OSA35 wandte er sich ab den 1940ern mehr Gorsowet36 (Abb. 21 Abb. 22 (links mittig): Umbauskizze des Architekten 23 (links unten): Gorsowet (Rathaus) heute 35 Obschestwo sowremenich architektorow von 1925-1930, wurde wegen der Abkehr von der architektonischen Par Architektur) aufgelöst. 36 Gorsowet – Stadtrat (russ.), heute Rathaus – Organisation moderner Architekten; existierte Parteilinie (stalinistische 17 Abb. 24 (rechts): . 21-24), welches teilinie
  • 30. Außerdem war er seit 1937 mit kurzer Unterbrechung während des Krieges als Hochschullehrer tätig, von 1937-1941 am Architekturfachschule Swerdlowsk37 und nach 1945 am Baufachschule Swerdlowsk. In dem Zuge hatte er auch eine Ideenwerkstatt mit seinen Studenten zur Umnutzung des Wasserturmes in den 1970ern veranstaltet. Im Jahr 1945 wurde er mit der Medaille für „Heldentum der Arbeit“ ausgezeichnet. Moiseji Reischer starb am 5.September 1980 in Jekaterinburg. Noch heute sind seine Nachkommen dem Weißen Turm und der Stadt Jekaterinburg verbunden. 18 Liste der Bauwerke [23]: (wenn nicht anders benannt in Jekaterinburg) Arbeiten am UZTM38: 1929 – „Der Weiße Turm“ 1932 – Werkhallen für die Gusseisenfertigung und die Stahlgießerei 1932 – Grabdenkmal aus schwarzem Marmor für Alexander Bannikow39 und Wladimir Fiedler auf dem Vorplatz des Haupteinganges zum Uralmasch-Gelände (1955 abgerissen und mit einem Denkmal von Sergo Ordschonikidse40 ersetzt, Abb. 25) Abb.25: Grabdenkmal von A.Bannikow und W.Fiedler, zeitgenössische Aufnahme 1933 – Schmiede-Presswerkhalle und thermische Werkhalle Außerdem eine Reihe von öffentlichen Gebäuden der Plansiedlung Uralmasch u.a. einen Supermarkt, einen Sportpavillon und ein Einkaufszentrum. Rekonstruktionen: 1936 – Wohnhaus des Werkes „Metallist“ 1938 – Fassade des Hotels „Großer Ural“ 1943 – Fassade und Vestibül des Kinos „Temp“ 1954 – Gesamter Komplex vom Gorsowet (Abb. 21-24) nicht datiert – Dendroparkanlage ul. Perwomaiskaja 67, Wohnhaus in ul. Swerdlowa 37 Swerdlowsk – 1924-1991 Name Jekaterinburgs, nach dem Revolutionär Jakow M. Swerdlow (1885-1919) benannt 38 Uralskij Zawod Tjaschologo Maschinostrojenija, anderer Name für Uralmasch 39 Alexander Petrowitsch Bannikow (1895-1932) – Hauptverantwortlicher für den Bau des Uralmasch 40 Grigori Konstantinowitsch (Sergo) Ordschonikidse (1886-1937) – sowjetischer Funktionär, maßgebend beteiligt an dem Vorantreiben sowjetischer Industrialisierung
  • 31. Sonstige: 1931 – Haus der Kultur in Asbest, Swerdlow Gebiet (in Zusammenarbeit mit P. Oranskij und I. Robatschewskij) 1938-39 – Studentwohnheim des Straßentechnikums 1939 – Wohnheim des Berginstituts 1939 – Skipavillion (Abb. 26) 1945 – Villen für die Angestellten des Jekaterinburger Konservatoriums 19 1945 – Bebauung des 1 Quartiers der Pionerskij Abb. 26: Entwurf eines Skipavillions Siedlung mit individuellen 2/3-Zimmer- Wohnhäusern 1946 – Gebäudekomplex des Krankenhauses №23 (zusammen mit I. Jugowoj) 1947 – Denkmal den Gefallenen im II.WK auf dem Schirokoretschenskiji Friedhof 1947 – Denkmal auf dem Gelände des UZTM
  • 32. 20 2. KONSTRUKTIVE VERGLEICHE Im Rahmen des internationalen Workshops in Jekaterinburg vom 23. August – 01. September 2013 konnten insgesamt drei verschiedene Wassertürme besichtigt werden. Dazu zählten der weiße Turm, der Werkswasserturm des Uralmasch und ein Turm auf dem Werksgelände des Kupferkombinats in Krasnouralsk41. Diese Wassertürme wurden alle Ende der 1920er bis Anfang der 1930er Jahre errichtet und weisen somit Gemeinsamkeiten auf. Hinsichtlich der Konstruktion, den verwendeten Materialien und der Bedeutung können allerdings auch Unterschiede festgemacht werden. Zusätzlich wird auf einen weiteren Turm eingegangen, der sich perfekt in die Zeit der Avantgarde einordnen lässt. Von dem russischen Architekten und Designer Jakow G. Tschernikow42 entworfen und zwischen 1929 und 1931 erbaut, steht der Turm43 bis heute in St. Petersburg und zeugt von einer ausdrucksstarken Industriearchitektur. Ein Vergleich der vier Wassertürme soll im Folgenden Besonderheiten bei der Konstruktion mit Stahlbeton aufzeigen sowie eine allgemeine Übersicht dieser darstellen. Als sinnvolles Unterscheidungskriterium wird dabei die Behälterausbildung gewählt, und zwar nach [der Art des] Baustoff[es] und nach der Form der Behälter [5/S.65]. Der Wasserbehälter ist das Herzstück des Wasserturms, dessen Tragwerk sich nach ihm ausrichtet. Dabei wird kurz auf die historische Entwicklung einiger Behälterformen bis hin zu den in den untersuchten Wassertürmen eingegangen, wobei das Hauptaugenmerk auf die Formen der Behälter in den zu untersuchenden Bauwerken gelegt wird. Weitere Entwicklungsstufen werden aufgrund der fehlenden Relevanz für diese Arbeit nicht betrachtet. 41 Krasnouralskij mediplawitel'nij kombinat/ красноуральский медеплавительный комбинат ist eine Fabrik in dem Gebiet von Sverdlovsk die immer noch Kupfer verarbeitet (250km nördlich von Jekaterinburg). 42 russisch: Яков Георгиевич Чернихов (1889-1951) 43 Die Konturen des Wasserturmes erinnern an die Form eines Nagels. Er war Bestandteil der Drahtseilfabrik Roter Nagel (oft auch als Rote Nagel – Fabrik bezeichnet).
  • 33. 2.1 Historische Entwicklung der Hochwasserbehälter Bereits um 1830 wurden die ersten Wasserhochbehälter gebaut (Abb. 27, [5]). Ihr Anwendungsgebiet beschränkte sich damals auf die Wasserversorgung der Eisenbahn. Mit der Erfindung der Dampfmaschine und deren Einbindung in die Schieneninfrastruktur war eine permanente Wasserversorgung für die Schienenfahrzeuge unumgänglich. Ein rechteckförmiger Flachbodenbehälter aus Gusseisen stellt den ersten Meilenstein in der Konstruktion und Entwicklung der Wasserhochbehälter dar. Dieser entstand „aus der Forderung, eine gegebene rechteckige Grundfläche möglichst zweckmäßig auszunutzen“ [5/S.66]. Bisher bekannte Konstruktionen aus Holz waren dabei ein Vorbild und man ahmte diese mit dem Baustoff Gusseisen nach. Die Nachteile des Werkstoffes machten sich in der Konstruktion bemerkbar. Materialbedingte Schwächen in der Aufnahme von Zugkräften machten solch eine Konstruktion sehr unwirtschaftlich. Die Wände des Flachbodenbehälters mussten mit Ankern versehen werden und der biegebeanspruchte Boden lagerte auf einem starken Trägerrost. Als Weiterentwicklung kann der zylindrische Flachbodenbehälter gesehen werden, dessen Wände aus Schmiedeeisen hergestellt wurden. Dieser Werkstoff war zwar teurer als das nur bedingt geeignete Gusseisen, jedoch hatte man erkannt, dass eine bestimmte Formgebung der nur auf Zug beanspruchten Wände für die Tragfähigkeit von großer Bedeutung war. Die Überlegung, sowohl die Behälterwände als auch den 21 Abb. 27: Übersicht der Entwicklungsstufen von Wasserhochbehältern
  • 34. Behälterboden ausschließlich auf Zugkräfte zu beanspruchen, um die Materialeigenschaften noch effizienter ausnutzen zu können, führte zu einer weiteren Entwicklung. Diese ist auf den Franzosen Jules Dupuit44 zurückzuführen, der in den Jahren 1854/55 einen „Behälter mit hängendem Kugelboden“ [5/S.73] entwickelte. Die neue Formgebung führte in den Wand- und doppelt gekrümmten Bodenblechen zu einem Lastabtrag, der sich in den Hauptrichtungen auf Zug ausbildete. Im Behälterboden entstanden durch die neue Formgebung hohe Zugkräfte. Diese horizontal verlaufenden Kräfte aus dem Behälterboden mussten über einen geschlossenen Auflagerring auf das darunter liegende Mauerwerk übertragen werden. Daher musste der Auflagerring gleichzeitig als Druckring fungieren. Die Anschlussstelle dieses Details konstruktiv angemessen auszubilden war eine Herausforderung. Einige Nachteile dieser Konstruktion, wie z.B. eine Ausdehnung oder Verengung des Auflagerringes bei unterschiedlicher Füllhöhe sowie relativ große Horizontalkraftanteile auf das Auflagermauerwerk veranlassten den deutschen Ingenieur Otto Intze45 1883 einen fortschrittlicheren Entwurf eines Behälterbodens zu entwickeln. Der Fortschritt beim Intze-I Behälter lag in der Spannungsfreiheit des Auflagerringes. Intze dachte sich einen nach oben geöffneten Kegel, dessen Auflagerring nun nach unten versetzt wurde. Der noch überbleibende Teil des hängenden Innenkegels wurde nach seinem Entwurf durch einen stützenden Kugelboden ersetzt [5/S.81]. Spannungsfrei wird der Auflagerring, weil sich die horizontalen Zugkomponenten, links und rechts von diesem, entgegenwirken und aufheben. Intze konnte durch diese Konstruktion eine Bewegung des Ringes auf dem darunter liegenden Mauerwerk fast gänzlich verhindern. Diese Erkenntnis war richtungsweisend für die Verwendung eines neuen Baustoffes, der relativ schnell für den Behälterbau verwendet wurde – der Eisenbeton. Durch die neue Formgebung mussten im Wasserhochbehälter nur noch Normalkräfte übertragen werden, da eine Biegebelastung praktisch ausgeschlossen werden konnte. Im Bereich des gesprengten Bodens treten nur noch Meridian- und Ringkräfte auf und die Mantelflächen erfahren ebenfalls keine Biegebeanspruchung mehr. Das hat zur Folge, dass die lastabtragenden Bauteile unter dem Behälter selbst nur noch Vertikallasten aus eben diesem abzutragen hatten. Diese Tatsache erlaubt, das Tragwerk filigraner zu gestalten und Material einzusparen. 44 Jules Dupuit (1804-1866) war ein französcher Bauingenieur, der sich dem Wasserbau verschrieben hatte. 45 Otto Intze (1843-1904) war ein deutscher Bauingenieur, Statiker und Professor an der TH Aachen, der führend auf dem Gebiet des Wasserbaus war. 22
  • 35. Der Intze-I Behälter brachte durch seine Konstruktion in mancher Hinsicht ästhetische Nachteile mit sich. Durch den notwendigen äußeren Stützkegel musste der Turmkopf ausgelagert werden. Dieser Problemstellung trat man mit einer neuen Behälterform entgegen – dem kuppelförmigen Stützbodenbehälter. Bei dieser Behälterkonstruktion wurde auf den angesprochenen Stützkegel verzichtet. Schließlich war ein freitragender Kuppelboden das Ergebnis, der bis zu Füllmengen von ca. 750m³ ein wirtschaftliches Arbeiten ermöglichte. Die entstehenden Horizontalkräfte mussten über einen Auflager-Zugring kurzgeschlossen werden. Einer Auslagerung des Turmkopfes wurde somit vorgebeugt. 23
  • 36. 2.2 Weißer Turm in Jekaterinburg Der Weiße Turm (Abb. 28) wurde in den Jahren 1929-1931 im damaligen Sverdlowsk (Ural) erbaut. Der leitende Ingenieur bei Bau des Turmes war Moiseji Reischer, der für die Baugesellschaft Techbeton arbeitete. Der Turm diente der Versorgung der Arbeiter mit Wasser, die mit dem Bau der Werkssiedlung beschäftigt waren. Grundsätzlich besteht er aus zwei geometrischen Körpern. Der Treppenturm gleicht einem rechteckigen Prisma und das Behältergehäuse einem Zylinder. Der Zylinder ist verhältnismäßig groß, da er ca. die Hälfte der gesamten Turmhöhe von über 35m ausmacht. Der darin befindliche Wasserbehälter wurde nach dem Intze-I Prinzip gefertigt. Der Boden besteht aus Stahlbeton. Die Behälterwand wurde aus Stahl hergestellt und musste wasserdicht an den Stützkegel des Bodens angeschlossen werden. Bis zu einer Füllmenge von 500m³ war ein wirtschaftliches Konstruieren mit dieser Behälterform möglich. Man behielt sich beim Weißen Turm vor, den Behälter auf bis zu 700m³ auszubauen. Der gesamte Wasserbehälter lagert auf einem polygonal verlaufenden Ring, der unmittelbar mit dem Auflagerring des Behälterbodens verbunden ist. Unterhalb dieses Ringes schließen sich insgesamt sechs Stützen an, die verglichen zum Volumen des gesamten Bauwerks ausgesprochen filigran erscheinen. Umlaufend befindet sich innerhalb des Zylinders, zwischen Behälterwand und der Wand des Gehäuses ein Spalt von ca. 70cm (s. Längsschnitt Abb. 29). Die Planung dieses Freiraumes beabsichtigte eine Isolierung des Wasserbehälters gegen z.T. extreme Temperaturen im Winter. Weiterhin wurde im gesamten Bauwerk mit einer verlorenen Holzschalung gearbeitet. Das unter einer Putzschicht verdeckte Holz isolierte den Turm zusätzlich. In Bereichen der Ausfachung, insbesondere in der Gehäusewand, wurde statt des Holzes auf Holzwolle-Leichtbauplatten zurückgegriffen, um eine 24 Abb.28: Weißer Turm in Jekaterinburg Abb. 29: Längsschnitt
  • 37. Dämmung zu gewährleisten. Aufgrund des angesprochenen Freiraumes verbreiterte sich der Zylinder auf der Ebene des polygonalen Ringes. Es besteht aus einem Stahlbetonsockel, an welchen insgesamt 10 vertikale Stützen monolithisch angeschlossen sind. In regelmäßigen Abständen verlaufen über die gesamte Höhe des Zylinders verteilt drei horizontal angeordnete Stahlbetonringe. Die Verbreiterung des Zylinders, im Bild als Auskragung ersichtlich, wird durch sechs massive Konsolen, die jeweils an die Haupttragstützen anschließen, abgefangen. Genau mittig zwischen den Konsolen sind weiterhin starke, vertikale Riegel angeordnet, die einen Teil der Zylinderlast in die abschließende „Bodenplatte“ einleiten, die wiederum die Lasten zu den Stützen bringt. In dieser massiven Bodenplatte von ca. 60cm Dicke (25cm Stahlbeton und 35cm Aufschüttung), verlaufen Stahlbetonbalken, die die einzelnen Stützenköpfe untereinander verbinden. Das trägt zur Aussteifung in horizontaler Richtung bei, da die Bodenplatte die Funktion einer Scheibe übernimmt. Weiterhin wirkt der Treppenturm durch eine Kopplung zum Zylinder in der Aussteifung mit. Im oberen Drittel des Turmes ist ein für die Architekturperiode typisches Fensterband vorhanden, welches sich von einer Seite des Treppenhauses bis hin zur anderen Seite zieht. Des Weiteren befinden sich insgesamt 10 bullaugenähnliche Fenster in der Zylinderwand. Diese stehen in Kontrast zu den rechteckigen Öffnungen ober- und unterhalb dieser und spiegeln die Suche nach expressiven Ausdrucksformen während der Avantgarde wieder. Das Dach des Turmes ist eine schalenartige Konstruktion aus Stahlbeton, welche mit einer Attika und einem Aussteifungsring direkt oberhalb des Fensterbandes versehen ist. Auf der Schale enden vier kleinere Stützen, die einen Teil der Lasten aus der darüber liegenden Aussichtsplattform einleiten. Der Weiße Turm als städtebauliche Dominante entworfen, sollte von Beginn an für die Öffentlichkeit zugänglich sein und neben seiner Funktion als Wasserturm auch als Aussichtspunkt über die Werksplansiedlung dienen. 25
  • 38. 2.3 Wasserturm des Kupferkombinats in Krasnouralsk Bei der Besichtigung dieses Wasserturmes wurden Planungsunterlagen zur Verfügung gestellt, die auf den 7.März 1929 datiert sind. Genauere Angaben bezüglich des Baus sind nicht bekannt – eine Errichtung des Turmes in den darauffolgenden zwei Jahren ist jedoch sehr wahrscheinlich. Er diente bis in die 1960er Jahre der Fabrik auf dessen Gelände er bis heute steht. Danach konnte er den erhöhten Anforderungen hinsicht-lich des erforderlichen Abb.30: Wasserturm des Kupferkombinates in Krasnouralsk Abb. 31: Längsschnitt Wasserdrucks nicht mehr gerecht werden und wurde außer Betrieb genommen.46 Äußerlich erinnert dieser Turm stark an den Weißen Turm aus Jekaterinburg. Die konstruktivistische Bauweise lässt sich auch hier sehr gut erkennen. Bandähnliche Fensteröffnungen auf verschiedenen Ebenen des Turmes sind als charakteristisches Gestaltungsmerkmal wiederzufinden. Zusammengesetzt aus einfachen geometrischen Formen, wie dem rechteckigen Prisma (Treppenhaus) und dem Zylinder (Behältergehäuse) ragt der Turm bis in knapp 25m Höhe (Abb. 30). Die Vereinigung dieser Elemente unterscheidet sich von der im Weißen Turm. Verlief bei diesem noch das Treppenhaus außerhalb des Zylinders bis nach oben auf die Plattform, so befindet es sich bei dem Turm in Krasnouralsk unterhalb des Wasserbehälters und endet dort (Zugang zum Wasserbehälter selbst und darüber hinaus nur über eine schmale Leiter möglich). Insofern ist es möglich, dass der Zylinder, den darunter liegenden „Treppenblock“ ganz umschließt und nicht wie beim Weißen Turm nur teilweise „hineingesetzt“ wurde. Auch hier wird die Art der Konstruktion und des daraus resultierenden Lastabtrages durch die Wasserbehälterform bestimmt. In diesem Turm wurde ein Stützbodenbehälter des Typs 1 verwendet (s. Abb. 31 - vgl. Abb. 27 Kap. 2.1). Der freitragende Kuppelboden ist komplett zugänglich und genau wie die 26 46 mdl. Information während der Werksführung am 31.08.2013
  • 39. Behälterwandung aus Stahlbeton hergestellt. Der Boden endet entsprechend der Konstruktion in einem monolithisch angeschlossenen Zugring, in welchem die Horizontalkräfte, die durch den Wasserbehälter entstehen, kurzgeschlossen werden. Der vertikale Lastfluss wird durch acht Stützen gewährleistet. Diese sind durchgehend vom Fundament bis unterhalb der Dachkonstruktion betoniert. Im Bereich des Behälterbodens, mussten sie nach außen versetzt werden, um einen Freiraum zwischen der Behälter- und der zylindrischen Gehäusewand zu schaffen. Der Freiraum isoliert den Wasserbehälter vor Kälte und ermöglicht gleichzeitig den direkten Zugang zu diesem. Dieser Versatz nach außen wird oberhalb des Behälterbodens durch eine Konsole (angevoutete Verstärkung an jeder Stütze) sicher gestellt. Die Bereiche im Zylinder zwischen den Stützen wurden schließlich mit Beton ausgefacht. Der Boden des polygonalen Teils unterhalb der zweiten Fensterreihe schließt direkt an den Treppenblock an. Auf der einen Seite gehen von diesem zwei massive, horizontal verlaufende Balken ab, die monolithisch mit jeweils einer Stütze verbunden sind. Des Weiteren unterstützen zwei Unterzüge darüber die „Bodenplatte“. Auf der anderen Seite begrenzt an jeweils einer Ecke eine Stütze den Treppenblock. Sowohl die Verbindung zu dem Treppenblock, als auch die symmetrische, polygonale Anordnung der Stahlbetonstützen tragen so zur Aussteifung des Bauwerks in jede Richtung bei. Seit den 60ern hat der Turm keine direkt Nutzfunktion mehr. Allerdings ist das Interesse des Werkes in Krasnouralsk an ihm sehr groß. Die Angestellten wurden an der Erhaltung maßgeblich beteiligt. Die Stützen innerhalb des Zylinders wurden nachträglich mit einer Stahleinfassung verstärkt und die Fenster sowie alle der Witterung ausgesetzten Flächen entsprechend saniert, um die vorhandene Substanz zu bewahren. Anschließend wurde der Turm in den Werksfarben gestrichen. 27
  • 40. 28 2.4 Wasserturm auf dem Werksgelände des Uralmasch Unweit des Weißen Turmes befindet sich auf dem Werksgelände des Uralmasch ein eigener Wasserturm. Dieser wurde im Jahr 1931 vermutlich bei der gleichen Baugesellschaft wie der Weiße Turm in Auftrag gegeben - Techbeton47 (Abb. 32). Der Turm diente der Versorgung des Thermo-elektrischen Werkes auf demselben Betriebsgelände. Er unterscheidet sich grundlegend von allen hier aufgeführten Türmen durch seine Bauweise. Ausschließlich zylindrische Formen bestimmen die äußere Erscheinung. Die Tragstruktur bildet ein zentraler Stahlbetonschaft, der sich vom Fundament bis zum Wasserbehälterboden erstreckt. Dieser Schaft, durch Lisenen48 unterstützt, leitet die Lasten aus dem Wasserbehälter ab. Der Behälter entspricht dem gleichen Typ wie im Weißen Turm. Jedoch wurde die Nutzung des Intze-I Behälters abgeändert. Direkt über dem Turmschaft liegt der horizontale Auflagerring, welcher gleichzeitig die Trennstelle eines Zwei- Kammerbehälters darstellt. Der komplett aus Stahlbeton hergestellte Behälter bot somit die Möglichkeit Flüssigkeiten für verschiedenartige Nutzungszwecke zur Verfügung zu stellen. An der Tragweise ändert sich für das Intze-Prinzip, abgesehen von der erhöhten vertikalen Normalkraft nichts. Diese Vertikalkraft setzt sich aus zwei Teilen zusammen. Zum einen aus dem Abb. 32: Bauphase mit ausgekoffertem Bereich für die Rohrleitungen Abb. 33: Wasserturm auf dem Werksgelände (gut sichtbar die große „Konsole“ über der vertikalen Fensterreihe) 47 mdl. Quelle – Museumsleiter während einer Führung über das Werksgelände 48 Lastabtragendes Element. Leicht hervortretende, vertikale Verstärkung im Schaftbereich
  • 41. Eigengewicht der zusätzlichen Behälterwand und zum anderen aus dem Lastanteil des Turmdaches. Diese relativ leichte Holzdachkonstruktion in ca. 32m Höhe wird über zwei Stahlbetonringe mittels mehrerer quadratischer Stützen auf die Behälterwände übertragen und belastet somit den Auflagerring zusätzlich. Daher ist die Anordnung des charakteristischen Fensterbandes am oberen Ende des Turmkopfes problemlos möglich. Die Fenster erfahren keine Belastung und werden so auch nicht durch lastabtragende Bauteile unterbrochen. Anders als bei dem Weißen Turm, dessen Lasten von oben über den zylindrischen Teil nach außen geleitet werden, findet hier im Inneren ein zentraler Lastabtrag auf den Stahlbetonschaft statt. Über Stahlbetonkonsolen im Bereich der unteren Fensterreihe ist der außenliegende Zylinder unmittelbar mit der äußeren Behälterwand verbunden. Die Konsolen leiten die Lasten des Zylinders in den äußeren Stützkegel des Intze-I Behälters und weiter in den Auflagerring. Dieser konstruktive Vorteil verhindert eine zusätzliche Lastexzentrizität außerhalb der Turmschaftachse. Die auf der Abb. 33 überdimensional groß wirkende Konsole, die eine Verbindung zwischen Schaft und Kopf realisiert, hat keine statische Relevanz. Dieses Bauteil ist eine Ankofferung für eine innenliegende Treppe, von der aus man den Turmkopf 29 Abb. 34: schematischer Querschnitt durch den Werksturm Abb. 35: Dachunterseite mit 2-Kammerbehälter betreten kann. Der Wasserbehälter unterstützt des Weiteren die Aussteifung des gesamten Turmes. Dem relativ steifen Turmschaft folgt der, durch die Wasserbehälterform beeinflusste, ausgelagerte Turmkopf. Die Verbindungsstellen des Behälters mit der Dachkonstruktion am oberen Ende und mit den Konsolen am unteren Ende des Zylinders sorgen für die notwendige Steifigkeit des gesamten Tragwerks oberhalb des Turmschaftes.
  • 42. Um das Wasser vor extremer Kälte zu schützen wurde neben einer verlorenen Schalung eine Heizungsanlage mit einer großen Anzahl an walzenförmigen Heizflächen installiert. 30
  • 43. 2.5 Der Rote Nagel in St. Petersburg Der Wasserturm der „Roten Nagel-Fabrik“ (Abb. 36) wurde nach Entwürfen von Jakow G. Tschernikow zwischen1930 – 1931 erbaut. Dieser ist Bestandteil des ehemaligen Stahlwalzwerkes „Krasnyi Gvozdilščik“49, das im Südwesten der Vasilievskij Insel in St. Petersburg liegt [3/S.116]. An der Ecke einer langen, relativ flachen Produktionshalle errichtet, überragt er mit einer Gesamthöhe von exakt 34m50 sämtliche Bauwerke der Umgebung. Ein schmaler Schaft mit einem verhältnismäßig wuchtig wirkenden Turmkopf erinnert an einen Nagel [8/S.373]. Die industrielle Ausrichtung der Produktionsstätte wird durch dieses Bauwerk eindeutig symbolisch dargestellt. Die Ausführung ähnelt dem ursprünglichen Entwurf des Weißen Turmes (vgl. Kap. 1.3). Sie wirkt durch die Kombination von einer klaren vertikalen Struktur und der zylindrischen Kopfform sehr dynamisch. Die strikt, einfach gehaltenen Formen bieten die besten Voraussetzungen für die Anwendung von Stahlbeton. 49 Красный гвоздильщик – „Roter Nagel – Fabrik“ 50 Den Plänen von Maximilian Wetzig entnommen. Wetzig ist der Bearbeiter einer Diplomarbeit aus dem Jahr 2008 an der TU Berlin, die ein Umnutzungskonzept der direkt angrenzenden Produktionshalle thematisiert. 31 Abb. 36: Der Wasserturm „Roter Nagel“ an der Ecke der ehemaligen Produktionshalle
  • 44. 32 Abb. 37: Schnitt durch den Turmkopf Der Turmkopf beinhaltet als einziger der hier aufgeführten Türme einen zylindrischen Flachbodenbehälter aus Stahl (Abb. 37). Die Wandungen überlappen und sind miteinander vernietet, wobei der Lastabtrag entsprechend des auf Biegung beanspruchten Bodens über einen Trägerrost gewährleistet ist. Der Behälter selbst liegt auf rechtwinklig angeordneten Profileisen, die wiederum auf einem Sockel befestigt sind. Dieser leitet die Lasten des Behälters in die Stahlbetonbalken, die unterhalb des Turmkopfes konstruktiv auffällig angeordnet sind. Durch die relativ große statische Höhe besitzen diese unterzugartigen Balken ein Flächenträgheitsmoment, das die Behälterlast mühelos aufnehmen kann. In dem Querschnitt ist deutlich zu sehen, dass die Balken unterhalb des Turmkopfes nicht vollständig massiv ausgebildet wurden, sondern in der Mitte hohl blieben. Da die einzuleitenden Lasten dies zuließen, konnte dadurch Material und weiterhin Eigengewicht eingespart werden. Die abzutragende Last ist bei dem Fassungsvermögen des Behälters von ca. 50m³ relativ gering und wird auf vier Stützen verteilt. Diese Stützen sind im Bereich des Erdbodens Teil des Treppenhauses. Ab einer Höhe von ca. 10m verspringt der Treppenturm nach hinten und lässt so einen Blick auf zwei der filigranen Stützen zu, die bis in die Höhe unterhalb des Turmkopfes reichen. Die anderen beiden Stützen grenzen den Treppenturm ab und sind von außen nur ansatzweise zu erkennen. Der Treppenturm selbst besteht aus einer Stützen-Riegel Konstruktion und stellt den aussteifenden Kern des gesamten Bauwerkes dar. Entsprechend des Baustils ist auch hier wieder das großzügige Fensterband zu erkennen. Drei Längsöffnungen im Treppenturm sind weiterhin ähnlich angeordnet wie bei dem Weißen Turm in Jekaterinburg. Bei fast gleicher Bauhöhe wirkt der Wasserturm der „Roten Nagel – Fabrik“ jedoch viel filigraner, was nicht zuletzt durch die Wasserbehältergröße bestimmt wird.
  • 45. 33 3. KONSTRUKTIVE BESTANDSAUFNAHME 3.1 Methodik „Bauaufnahme ist die Bestands- und Zustandserfassung eines dreidimensionalen Objektes und dessen Wiedergabe in zweidimensionalen maßstabsgerechten Plänen und/oder dreidimensionalen Modellen. Die Bauaufnahme kann eine Vorstufe zu einer Bestandsaufnahme bilden. Sie dient zur Bauvorbereitung, der Dokumentation für die Denkmalpflege und der wissenschaftlichen Erforschung von Bauwerken.“51 Die konstruktive Bestandsaufnahme fällt dabei in den Ingenieurbereich. Sie unterscheidet sich von der klassischen Bauaufnahme, in dem sie sich auf Rohbaumaße und die Klärung des Lastflusses konzentriert. Verkleidungen, gestalterische Architekturdetails und Ausbauten spielen hier keine Rolle. Ziel ist es am Ende ein statisches Modell aus den aufgenommenen Daten zu ermitteln. Hierbei ist auch die maßtechnische Aufnahme von Materialeigenschaften von Bedeutung. Aus ihnen können Aussagen über Steifigkeit und Zusammensetzung gewonnen werden, die entscheidend für die Bemessung sind. Zur Dokumentation gehören die Anfertigung von Bestandszeichnungen (Grundriss, Schnitte und Details falls notwendig), Beschreibung der baulichen Besonderheiten und Problemstellen sowie eine der vorhandenen Systeme und Materialien. Weiterhin muss eine genaue Auswertung von Messergebnissen erfolgen, falls eine Untersuchung mit Messgeräten durchgeführt wurde. Als erstes wird das Objekt in Augenschein genommen, um erste Eindrücke über das vorhandene Bauwerk und dessen System zu gewinnen. Zur Erkenntnis dienen Öffnungen, Fehlstellen, markante Bauteile und Schäden. Um sich dabei Gewissheit über bestimmte Materialien oder Aufbaustrukturen zu verschaffen, kann die „Abklopfmethode“ (z.B. mit einem Hammer) verwendet werden. Wichtig ist hierbei, dass hauptsächlich zerstörungsfrei gearbeitet wird, um nicht neue Schäden am Bestandsbauwerk zu erzeugen. 51Skript „Konstruktive Bestandsaufnahme. VL – Einführung“ des LS Bautechnikgeschichte und Tragwerkserhaltung der BTU Cottbus-Senftenberg, Stand 29.11.2013
  • 46. Im nächsten Schritt werden die Rohbaumaße aufgenommen. Gängige Hilfsmittel sind dabei Messutensilien wie Distanzmessgeräte, Zollstöcke oder Schiebelehren. Weitere Hilfsmittel können Lote oder Schlauchwagen sein. Für eine Dokumentation der Ergebnisse ist es wichtig Bezugsachsen und –höhen zu definieren. Im letzten Schritt kann dann Messtechnik zum Einsatz kommen. Welche Geräte verwendet werden, hängt mit der Zielstellung der Bauaufnahme zusammen. Der Profometer dient z.B. zur Bewehrungssuche und Feststellung der Betondeckung. Mit einem Schmidt-Hammer kann man die Festigkeit von Beton ermitteln. Im Endeffekt verfährt der Bauingenieur hier als eine Art Bauwerksdoktor. Wie ein Arzt muss er seinen Patienten untersuchen – zuerst werden die Art der Beschwerden und die Symptome besprochen (optische Betrachtung), im Anschluss daran allgemeine Daten und Untersuchungen durchgeführt (vgl. Rohbaumaße und z.B. „Abklopfmethode“). Zuletzt folgen genauere Untersuchungen wie Röntgen, EKG u.ä. (vgl. Profometer, Schmidt-Hammer etc.), um ein vollständiges Bild über die Lage des Patienten zur erhalten. Schließlich kann der Arzt eine Diagnose stellen – „In welchem Zustand ist der Patient?“, „Was fehlt ihm?“, „Was kann man tun?“. Genau diese Schlussfolgerungen gehören zu der erfolgreichen Arbeit eines Bauingenieurs beim Umgang mit bestehenden Gebäuden. 34 3.2 Vorbereitung Vor der örtlichen Begehung des Weißen Turmes war eine gezielte Vorbereitung notwendig. Vorhandene bauzeitliche Archivunterlagen und existierende Bauzeichnungen wurden untersucht. Es waren jedoch auch Zeichnungen von einem nicht realisierten Umbauvorhaben aus den 1970ern vorhanden ([25] № 1-6 und 11-13). Ein Ziel war diese in einer einzigen Zeichnung zusammenzufassen, um grundlegende Geometrien des Weißen Turmes zu erfassen. In den Archivunterlagen fehlten jedoch Zeichnungen zu den vier Stützen unter dem Zylinder, sowie eine Zeichnung zu den wahren Maßen des Zylinders selbst. Diese konnten näherungsweise aus einer Zeichnung zum Behälter entnommen werden ([25] № 16 und 17). Außerdem fehlten Informationen zu dem oberen Verlauf des Treppenhauses und den Anschlüssen zwischen Treppenturm und dem Zylinder sowie zwischen Zylinderaußenwand, Stütze und Behälter. Der zuletzt genannte Knotenpunkt war besonders wichtig für die Bauaufnahme, da er Aussagen
  • 47. über das Tragverhalten erlaubte. Um reibungsloses Arbeiten vor Ort zu ermöglichen, wurden nach den Archivmaßen Vorlagen für ausgewählte Bauteile angefertigt. Sie wurden in drei Typen unterteilt, je nach Phase der Bauaufnahme – 1. Rohbaumaße, 2. Schadenskartierung, 3. Gerätebasierende Untersuchung. In die Vorlagen mussten dann die jeweiligen Informationen passend zur Phase eingetragen werden. 3.3.1 Vorphase In der Vorphase wurde die erste Begehung des Bauwerks unternommen. Dabei verschaffte man sich einen ersten Eindruck über die Schäden, die Werkstoffe und die Anschlüsse. Außerdem wurde das Hauptquartier für die Bauaufnahme eingerichtet und der Ablauf der Arbeiten für die nächsten Tage festgelegt. Zu dem Team gehörten zusätzlich vier russische Studenten, die die Bauaufnahme im Rahmen eines freiwilligen Praktikums absolvierten, sowie die Organisatoren von der Architekturgruppe PODELNIKI, die sämtliche logistische Schwierigkeiten lösten. 35 3.3 Untersuchungsablauf 3.3.2 Phase 1 – Aufnahme der Rohmaße Abb. 38: Arbeiten mit dem Hubsteiger Am ersten Tag der Bauaufnahme wurden die Rohbaumaße aufgenommen. Das Hauptaugenmerk lag auf den vier Stützen unter dem Behälter, dem Anschluss zwischen diesen und dem Behälter, sowie auf dem Aussichtsturm über dem Zylinder. Passend zu den Abschnitten gab es Teams zu je zwei Personen, welche die Bauteile genauer untersuchten. Das Fazit des Tages war, dass der Turm nicht ganz symmetrisch gebaut wurde, sondern eine Abweichung von 10 cm zur Achse A3 (vgl. Positionsplan, Anlage A1) aufweist. Diese Feststellung beruht nur auf Innenabmessungen.
  • 48. Außenabmessungen konnten nicht genau ermittelt werden, da der eingeplante Geodät nicht zu Verfügung stand. Lediglich die Auskragung der Zylinderwand konnte bei der Arbeit mit dem Hubsteiger (Abb. 38) vermessen werden. 3.3.3 Phase 2 - Schadenskartierung Schon bei dem Begehungstermin konnte festgestellt werden, dass der Turm an einigen Stellen massive Schäden aufweist. Dazu zählen besonders Flächen, die der Witterung direkt ausgesetzt sind. Zu den Hauptschadensbildern gehören die vermehrte Rissbildung, zahlreiche Abplatzungen und die Karbonatisierung, der offenliegenden Bewehrung. Auf eine Aufnahme der Wasserschäden wurde verzichtet, da diese zu großflächig auftraten. Gleiches gilt für feine Risse, da diese zu zahlreich waren. Betrachtet wurden nur Risse ab 8 mm Breite. Bei der Untersuchung lag das Hauptaugenmerk wieder bei den bedeutendsten Haupttragelementen. Das Treppenhaus wurde nur in der Erdgeschossebene betrachtet. Zu den verwendeten Werkzeugen zählten Maßbänder, Zollstöcke, Schiebelehren und Rissbreitenmesser (Tab. 1). Mit Letzterem konnte der aktuelle Durchmesser von freigelegter Bewehrung ermittelt werden, der anschließend mit den vorhandenen Archivdaten verglichen wurde. Die in den Archivplänen festgestellten Umbiegungen von Stabenden in den Stützen konnten anhand von freiliegenden Stellen bestätigt werden. Im Voraus wurde diese Ausführung angezweifelt, da dies bei Druckstößen unzulässig ist. 36 Messgeräte Hilfsmittel Distanzmessgerät Stahlmaßband (30m) Zollstöcke Schiebelehre Rissbreitenmesser Schmidthammer Profometer Diodenstrahler, Taschenlampen Kamera (auch mit Stativ) Hammer Phenolphtalein-Lösung mit Zerstäuber Zeichenunterlagen und -utensilien Tab. 1 – Liste der verwendeten Materialen und Hilfsmittel
  • 49. Ein Teil der Schäden konnte auf die gar nicht vorhandene oder geringe Betondeckung von maximal 2 cm, sowie auf den fehlenden Witterungsschutz des kompletten Gebäudes zurückgeführt werden. Sämtliche Verglasungen sind nicht mehr erhalten. Das Bauwerk wurde in den letzten Jahren zum beliebten Ziel für Vandalen – einige Bauteile sind mit Graffiti überdeckt. Für die Durchführung der Bauaufnahme wurde der Turm im Voraus von den Organisatoren und Freiwilligen von Müll und Schutt beräumt. So ist es erstaunlich anzumerken, dass der Innenraum des Zylinders nahezu unbeschädigt ist. Schäden an der Wand des Wasserbehälters konnten nicht ermittelt werden, da dieser bereits vor Jahrzehnten entfernt wurde. 3.3.4 Phase 3 – Gerätebasierende Untersuchung Die gerätebasierenden Untersuchungen wurden in 3 separate, parallellaufende Einheiten eingeteilt. Jeweils ein Team untersuchte die Bauteile auf Bewehrungsführung und Betonfestigkeiten. Eine Karbonatisierungsuntersuchung wurde mit Hilfe der Phenolphtalein-Lösung separat durchgeführt (Abb. 39). Dabei 37 Abb. 39: Phenolphtalein-Lösung an einer Stütze konnten keine flächendeckenden Ergebnisse erzielt werden. Jedoch ist Anzumerken, dass bei den Außenstützen im Fußbereich kritische Stellen vorhanden sind. Die Bewehrungssuche wurde mit einem Profometer durchgeführt (Abb. 41). Dieser bietet ein impulsgestütztes Verfahren zur Ermittlung der Betondeckung und zur zerstörungsfreien Ortung vorhandener Bewehrung. So konnten in den vier Hauptstützen, zu denen jegliche Angaben über Tab. 2: Schmidt-Hammer Ergebnisse in N/mm² Armierung fehlen, auf der Erdgeschossebene und in Stützenmitte (zugänglich über den Hubsteiger) die Verläufe und Lage der Bewehrung dokumentiert werden. Für die
  • 50. Feststellung der Betondruckfestigkeit wurde der Schmidt-Hammer verwendet. Prinzipiell funktioniert er über Umwandlung von kinetischer Energie in Verformungsenergie. Je härter ein Werkstoff ist, desto geringer ist die Verformung durch die beschleunigte Kugel innerhalb der Hammerspitze und desto größer wiederum der Rückschlag. Dadurch lässt sich die Festigkeit bestimmen. Um ein Ergebnis zu erhalten wird die Spitze an einen vorher geschliffenen Betonabschnitt platziert und gegen diesen gedrückt bis ein Aufprall hörbar wird. Dann kann ein Ergebnis auf einer Skala abgelesen werden und mit Hilfe einer beigelegten Tabelle in eine moderne EC-konforme Druckfestigkeit umgerechnet werden. Die Messung muss in einem Untersuchungsbereich an 8 bis 10 verschiedenen Stellen wiederholt werden (Abb. 40). Das Verfahren wurde an allen Stützen im Erdgeschoss und zur Kontrolle am Stützenkopf der Stützen C 4b sowie auf derselben Höhe bei Stütze C 2b durchgeführt (vgl. Positionsplan, Anlage 1). Außerdem wurden sowohl der Behälterboden und der darunterliegende polygonförmige Balken, als auch die Ringbalken im Zylinder untersucht. Die ermittelten Festigkeiten können der Tab. 2 entnommen werden. Es ist zu erwähnen, dass auch hier relevante Bauteile nur teilweise untersucht werden konnten, da es an personellen Kapazitäten mangelte. 38 Abb. 40: Schmidthammermessung Abb. 41: Profometermessung Durch die Benutzung von Hilfsmitteln beim Aufmaß können sich auch bei größter Sorgfalt immer kleine Ungenauigkeiten ergeben. Bei der Benutzung des Distanzmessgerätes wurden einfache, leicht verformbare Reflexionsflächen wie z.B. Blöcke verwendet, um bestimmte Randmaße aufnehmen zu können. Außerdem weisen die Oberflächen des Bauwerks lokale Imperfektionen und Schäden auf, so dass es keine einheitlichen Abmessungen für gleiche Bauteiltypen gibt. Für die weitere Bearbeitung wurden anhand der Messergebnisse plausible Mittelwerte für die Abmessungen gebildet und falls vorhanden mit den Archivunterlagen
  • 51. verglichen. Fehler bei der gerätebasierenden Untersuchung (Profometer, Schmidt-Hammer) können nicht ausgeschlossen werden, jedoch wurden die Geräte im Voraus sorgfältig geprüft. 39 3.4 Fazit: Schadensbilder und Ursachen Der Weiße Turm wird seit mehreren Jahrzehnten nicht mehr in seiner ursprünglichen Funktion genutzt. Nennenswerte Sanierungsmaßnahmen seit der Errichtung sind nicht bekannt, es ist jedoch davon auszugehen, dass kosmetische Reparaturen über die Jahre vorgenommen wurden. Dafür sprechen die äußere Erscheinung und vereinzelte Teile im Inneren. Der Turm wurde vor einigen Jahren weiß gestrichen und Teile der Unterseite der Dachschale wurden notdürftig saniert. Da sämtliche Verglasungen fehlen, sind die dadurch exponierten Bauteile im Inneren der Witterung ausgesetzt. Das hat den Verfall des Bauwerkes beschleunigt. Außerdem ist kein effizientes Niederschlagsableitungssystem vorzufinden. Es existieren Längsöffnungen (Achse A 8, Anlage 1) im Traufbereich der Zylinderschale für den Abfluss des Regenwassers (Abb. 42), jedoch fließt dieses einfach an der Fassade herunter. Dasselbe gilt auch für das leicht geneigte Flachdach des Aussichtsturmes. Ein weiteres großes Problem ist die geringe bis nicht vorhandene Betondeckung. Nach Archivunterlagen für den Treppenturm (№300513, Anlage A3) waren dort 2 cm Betondeckung vorgesehen. Das erweist sich nach dem heutigen Wissensstand als deutlich zu gering. Bei den Witterungsverhältnissen und dem Betonstahl sind mindestens 4 cm notwendig, um einigen der Schäden vorzubeugen (Annahme: XC4 für abwechselnd nasse und trockene Bauteile wie Außenwände). Außerdem wird nach dem EC 2 für die Expositionsklasse XC4 ein Beton von der Mindestfestigkeitsklasse C25/30 verlangt. Diese scheint zwar teilweise durch die Schmidt-Hammer-Versuche (Tab. 2), Positionen C1a/b-C5a/b) bestätigt, jedoch kann davon ausgegangen werden, dass bei der Planung diese Sachverhalte mangels ausreichendem Kenntnis- und Forschungsstand nicht Abb. 42: Öffnung über der Dachschale – Ablaufmöglichkeit für Niederschlag berücksichtigt wurden. Zu geringe Betondeckung und die Witterungsverhältnisse
  • 52. führten zur Abplatzung des Betons, einhergehend mit freiliegender Bewehrung (Abb. 42-44, 46). Das begünstigte die Korrosion des Stahls sowie die Karbonatisierung des Betons, da die Oberfläche CO2 ausgesetzt wird und somit auch tief in das Betongefüge eindringen kann. Inwieweit verborgene Stellen betroffen sind, war nicht ermittelbar. Ein weiteres Problem stellen sogenannte Kiesnester dar (Abb. 43). Diese können aufgrund von Undichtigkeitsstellen in der Schalung entstanden sein. Sollte diese Lücken aufweisen, so können feine Betonpartikel entweichen und nur die gröberen verbleiben unbemerkt. Weiterhin kann ein zu hoher Bewehrungsgrad dazu geführt haben. Jedoch kann zu dicht liegende Bewehrung als Grund für Kiesnester weitgehend ausgeschlossen werden. So wird das homogene Betongefüge zerstört (Betonentmischung) und ein durchgehender Verbund von Stahl und Beton ist nicht mehr gewährleistet. An einigen Teilen des Tragwerks sind grobe Fehler während der Betonage auszumachen. Es ist erkennbar, dass die Bewehrung teilweise direkt an der Schalung anliegt. Eine Ursache kann die nicht sachgerechte Nutzung von Abstandhaltern sein (insofern diese überhaupt zum Einsatz kamen). Das begünstigt zusätzlich Abplatzungen am Beton und korrosive Schäden der Bewehrung. Weiterhin verfügte diese nicht über die heute gängige Rippenstruktur, die erst ab den späten 1930er Jahren zum Einsatz kam. Der verwendete Stahl weist ausschließlich eine glatte Oberfläche auf. Die daraus resultierenden schlechteren Verbundbedingungen wurden über Aufbiegungen von Stabenden kompensiert. Dieses Vorgehen wurde sehr wahrscheinlich im gesamten Turm angewandt. Selbst bei Druckstößen in Bauteilen, die hauptsächlich Drucknormalkräfte übertragen sind Haken und Schlaufen zu finden, was bei entsprechend großen Druckkräften auch zu Abplatzungen führen kann. Der verwendete Betonstahl hat eine geringere Zugfestigkeit als der heutige Baustahl. Somit liegt die Grenze der Zugfestigkeit tiefer und die Bewehrung gerät eher ins 40 Abb. 43: Fehlende Betondeckung und sichtbare Entmischung (Kiesnester) an Stütze C 2b
  • 53. Fließen. Dadurch wird der Beton eher einer Zugkraft ausgesetzt, welche schließlich zu Rissen führt. Weitere Gründe für die starke Rissbildung am Bauwerk können starke Temperatureinwirkungen (Frost), Veränderungen in der Belastungssituation durch die Entfernung des Wasserbehälters, Fundamentsetzungen (Schnittgrößenumlagerung) und die Korrosion der Bewehrung sein. Die Entstehung von Rissen schon während der Bauphase kann nicht ausgeschlossen werden. Der Turm gilt als eines der ersten in Stahlbeton ausgeführten Bauwerke. Man hatte kaum Erfahrung mit diesem Baustoff. Daher ist es sehr wahrscheinlich, dass der Beton u.a. nicht richtig nachbehandelt wurde. Abb. 44: Schaden an der Unterseite der Dachschale Abb. 45: Schaden an der Außenseite der 41 Zylinderwand Abb. 46: offenliegende Bewehrung und abgebröckelter Beton im Bereich des Fensterbandes
  • 54. Tab. 3: tabellarische Übersicht der Schäden Diese Tabelle 3 soll schließlich einen Überblick über ausgewählte Schadensbilder und deren Häufigkeit geben. Sie wurde im Nachhinein angefertigt und basiert auf einer sehr groben Schätzung, die anhand von Bildern und den Handaufzeichnungen während der Bauaufnahme gemacht wurde. Sie gibt den Flächenanteil der jeweiligen betroffenen Fläche an und kann als Grundlage für ein Sanierungskonzept herangezogen werden. Die beschädigten Stellen und ihr quantitatives Vorkommen sind vor Ort noch einmal zu überprüfen. Schäden, wie z.B. Risse und Stellen, die durch permanente Durchfeuchtung schadhaft in Erscheinung treten, wurden nicht in die Tabelle mit aufgenommen. Sie kommen zahllos an sehr vielen Stellen des Bauwerkes vor, sodass eine grobe Schätzung nicht ausreicht, um eine konkrete Angabe über ihr Auftreten machen zu können. Abbildungen 44 – 46 zeigen noch nicht einmal im Detail, wie der allgemeine Zustand des Turmes ist und lassen dennoch erahnen, wie vielfältig sich die Schadensbilder im gesamten Bauwerk wiederfinden lassen. 42
  • 55. 43 4. STATISCHE BERECHNUNG UND BEMESSUNG Das Ziel der Bearbeitung war für den Weißen Turm ein plausibles Tragfähigkeitsmodell zu entwickeln. Mit Hilfe des Programms Dlubal RSTAB 8 für räumliche Stabwerke wurden zwei voneinander unabhängige statische Modelle für die Haupttragsysteme erstellt. Es sollte geprüft werden, ob beide Teilsysteme allein unter entsprechender Belastung in sich stabil und tragfähig sind. Die vorhandenen Archivunterlagen sowie die Beurteilung vor Ort ließen diesbezüglich keine 100%-ig sichere Aussage zu. Ein Modell stellt den Treppenturm und ein zweites den zylindrischen Behälter mit dem Wassertank dar. Für diese beiden Haupttragsysteme des Weißen Turmes wurden getrennte statische Modelle entwickelt, die mit verschiedenen Lastfällen belastet wurden. Zu diesen gehörten neben dem Eigengewicht, die Verkehrslast und die Einwirkungen Schnee und Wind. Entscheidend war über das statische System eine möglichst reale Abbildung des vorhandenen Tragwerks bzw. des Tragmechanismusses zu erreichen, um spätere Ergebnisse auch richtig interpretieren zu können. Dabei musste beachtet werden, dass die Ingenieure damals nur über einfache Handrechenverfahren verfügten und das System somit auch mit wenigen Mitteln berechenbar sein musste. Es wurden mehrere Varianten erstellt und hinsichtlich der auftretenden Schnittkräfte und Verformungen auf ihre Plausibilität untersucht. Dieses Vorgehen wird in den folgenden Texten ausführlich erläutert. Nach der Plausibilitätsprüfung der einzelnen Modelle konnten diese zusammengesetzt werden, um schlussendlich den Wasserturm als Ganzes abzubilden und anhand der Schnittgrößen eine Bemessung vorzunehmen.
  • 56. Abb. 47: Statisches System eines Vierendeelträgers 44 4.1 Modellierung der Varianten Modell 1: Der Treppenturm Der Treppenturm war durch die vergleichsweise gute Dokumentation in den Archivunterlagen nicht im Fokus der konstruktiven Bestandsaufnahme, so dass die Annahmen bei der Modellierung weitestgehend auf Archivalien basieren [25]. Als Betongüte wurde C16/20 gewählt, um auf der sicheren Seite zu liegen und mögliche Querschnittsschwächungen zu berücksichtigen. Im ersten Schritt wurde der Treppenturm abseits des Behälterbaus als eigenständiges Bauwerk betrachtet. Es wurden insgesamt drei Modellvarianten untersucht, auf die im folgenden Text näher eingegangen wird. Alle Abmessungen wurden aus den Plänen №300514 (Anlage A3) und №300395 [25] genommen. Im Grundriss erkennt man, dass die Stützen über verschiedene Abmessungen verfügen, so dass die Knotenpunkte teilweise exzentrisch platziert werden mussten, um die tatsächliche Belastungssituation zu simulieren. Es wurde angenommen, dass der Turm die Lasten über ein System von Vierandeelträgern52 (Abb. 47) abträgt, d.h. dass alle Anschlüsse zwischen Bauteilen als biegesteif modelliert wurden. Es wurden gelenkige Auflager am unteren Stützenende angenommen, weil die Schlankheit der Stützen sowie die Ausführung des Fundamentes in Mauerwerk samt Lastsockel (vgl. Anlage A3) eine Einspannung weitestgehend ausschließen. An den Auflagerpunkten dieser Stützen (C 1a/b, C 3a/b, Anlage A1) mussten Starrstäbe eingefügt werden, da an Stützenfußpunkten keine Momente sein dürften, die durch die exzentrische Platzierung des Knotens entstanden. Die ersten zwei Varianten unterscheiden sich nicht gravierend in ihrer Geometrie (Abb. 48 und 49). Die einzige Differenz ist der Versprung des Balkenquerschnittes (Abb. 50 und 51) zwischen den Stützen C 1a und C 1b (Anlage A1). In der ersten Variante wurde ein Balken mit einen konstanten Querschnitt von 20x20 cm angenommen, um die Notwendigkeit eines Querschnittsversprunges zu prüfen. In der 52 ein Träger, der durch biegesteifangeschlossene vertikale und horizontale Stäbe, die einen steifen Rahmen bilden, seine Lasten abträgt
  • 57. zweiten Variante ist der Querschnitt jeweils an den Stützen von 20x40 Länge von 1,1 m angesetzt worden, während dazwischen ein Querschnitt von 20x20 cm vorhanden ist. Es ist anzunehmen, dass diese Querschnittänderung für die bessere Aufnahme von Biegemomenten gewählt wurde, da dies Abb. 48: Variante 1 und 2 (gleiches System) Abb. 49: drucksteifen Diagonalen cm über eine diese an den Rändern höher sind als in der Abb. 50: Balken ohne Querschnittsversprung Abb. 51: Balken mit Querschnittsv Querschnittsversprung In der dritten Variante wurde geprüft, ob die Ausfachung zur Aussteifung beiträgt. Dafür wurden auskreuzende Diagonalen mit einem Querschnitt von 20x20 ausgefachten Stellen eingefügt. Diese wurden als Druckstäbe definiert und sind somit zugschlaff. Das Einfügen der Aussteifung macht besonders bei der Verformun Variante 3 mit deutlichen Unterschied aus, da das System an Steifigkeit zunimmt. Für die das zusammengesetzte Modell wurde die Variante 2 gewählt, da plausibelsten war. . Die statischen Berechnungen eines solchen System den Mitteln der 1920er/1930 war damals schon bekannt. Außerdem sind die Schnittkräfte ein wenig gr Variante 3, was zu einer zusätzlichen Sicherheitsquelle bei der Bemessung führt. 1930er möglich gewesen. Das System des Vierendeelträgers 45 e Mitte. ung cm an allen Verformung einen es am Systems wären mit er größer als bei
  • 58. Der Behälterteil steht auf insgesamt sechs Stützen deren Stützenköpfe unmittelbar unterhalb des ehemaligen Wasserbehälters anschließen (vgl. Achse A 7, AnlageA1). Dort bilden sie zusammen mit der Konsole (vgl. Positionsplan Detail A, Anlage A1) eine monolithische Einheit. Die Stützen stehen auf einem Stahlbetonsockel dessen Querschnitt nach unten hin zunimmt. Nach Durchsicht der Archivalien scheinen sie unterhalb des Sockels auf einem gemauerten Fundament zu stehen. Diese Erkenntnis und die sehr große Schlankheit der Stützen lassen einen Rückschluss auf eine gelenkige Lagerung zu. Aus diesem Grund wurde allen Stützen ein zweiwertiges Lager zugeordnet. Im Programm wurden die Stützen als Balkenstab definiert. Da sie am Stützenkopf unmittelbar an den polygonalen Auflagerring des Behälters anschließen, wurden dort biegesteife Anschlüsse modelliert. Die Ebene unterhalb des Behälterbodens ist in der Realität eine kreisrunde Stahlbetonscheibe (Achse 6, Anlage A1). Diese Scheibe beinhaltet Stahlbetonbalken, die die einzelnen Stützen untereinander verbinden und als eine Art Überzüge fungieren. Diese Scheibenwirkung wird in das Modell übertragen, 46 Modell 2: Der Behälter Abb. 52: räumliches, statisches Modell mit äußerem und innerem Ring indem eben diese Stahlbetonbalken auch als Balkenstäbe darin aufgenommen werden. Insgesamt acht Balken liegen in der Scheibenebene (Achse A6, Anlage A1), welche im Modell allerdings nicht als kreisrund erscheint. Das statische System des Behälterteils wurde konkret bis zu der Achse A 6konstruiert. Dabei war die Ausbildung der Konsole entscheidend. Diese ist maßgeblich am Lastabtrag auf die Hauptstützen unterhalb des Wasserbehälters beteiligt. Die Zylinderwand, auf der im Modell als äußeren Ring erkennbaren Auskragung