Psychische Erkrankungen verursachen in Österreich derzeit einen volkswirtschaftlichenSchaden von jährlich sieben Milliarden Euro und dies mit stark steigender Tendenz. Laut einer neuen Studie des IWS sind psychische Belastungen schon jetzt die zweithäufigste Ursache für Frühpensionierungen.
Seit Jahren gibt es trotz des Wissens um diese Entwicklung kaum Reaktionen und vor allem, wenn etwas passiert, dann ist es nur ein Reagieren und kein Agieren im Sinne einer Prävention. Durch diese Untätigkeit entstehen nicht nur immense Kosten für das Gesamtsystem, sondern es passiert ja ebenso eine Schädigung durch die Einbrüche in den Lebensverläufen der Menschen, ein „In-Kauf-Nehmen“ der Minderung von Chancen der sozialen Teilhabe durch die Verantwortlichen.
Hier stellt sich nun die zentrale Frage:
„Warum ist Prävention kein Handlungsschema in Österreich?“
Im Rahmen der Jahrestagung der NeuZeit KG soll dies unter dem Tagungsthema „Prävention – eine gesellschaftspolitische Verantwortung“ beleuchtet werden. Politiker, Ärzte, Vertreter der Sozialpartner und Institutionen sowie Arbeitspsychologen sind die Referenten und Diskussionspartner.
3. Psychisch beeinträchtigte KundInnen
werden im AMS immer mehr.
Sept ´13 Männer Frauen n
absolut relativ absolut relativ absolut relativ
Personen
mit
Diagnose
257 52.0 % 237 48.0 % 494 100 %
Personen
ohne
Diagnose
4452 47.7 % 4885 52.3 % 9337 100 %
Gesamt 4709 47.9 % 5122 52.1 % 9831 100 %
08.05.2014Sengstbratl - Psychische Erkrankungen. Konsequenzen am Arbeitsmarkt.
3
4. Forschungsprojekt des AMS
Burgenland
Bei abif: analyse beratung und interdisziplinäre forschung
Optimale Betreuung und
Vorgangsweisen bei psychisch
belasteten KundInnen
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5. • Quantitativ und qualitativ
• Spezifika und Bedürfnisse der psychisch belasteten
KundInnen des AMS Burgenland
• Problemlagen und Zugangsbarrieren
• Kooperationsbeziehungen des AMS Burgenland mit
anderen Einrichtungen
• Verbesserungspotenziale und
Handlungsempfehlungen
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Projektziele:
Optimale Betreuung und Vorgangsweisen bei psychisch belasteten
KundInnen
6. Optimale Betreuung und Vorgangsweisen
bei psychisch belasteten KundInnen
1. Workshop mit MitarbeiterInnen des AMS Burgenland
Erfassung von Herausforderungen und potentiellen Lösungen in der Arbeit mit
psychisch belasteten KundInnen
2. Ist-Analyse des Bestandes psychisch belasteter
KundInnen und deren Erwerbsverläufe
(anonymisierte Daten des AMS Burgenland)
3. Persönliche, leitfadenorientierte Interviews mit sowie
schriftliche Befragung von Betroffenen
Erfassung ihrer Lebenssituation und ihrer Betreuungsbedürfnisse
4. Persönliche/telefonische leitfadenorientierte
ExpertInnen-Interviews
(z.B. Psychosozialer Dienst, PVA, BGKK …)
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Sengstbratl - Psychische Erkrankungen. Konsequenzen am Arbeitsmarkt.
7. Psychische Erkrankungen – eine
Minderheit?
OECD-weit beträgt die Lebenszeitprävalenz
von psychischen Leiden mit klinischer
Relevanz, gemäß Angaben aus dem Jahr
2012, rund 50 %. Mehrheitlich handelt es sich
hierbei um mildere Formen psychischer
Erkrankungen.
Wiki: Die Prävalenz oder Krankheitshäufigkeit ist eine Kennzahl der Gesundheits-
und Krankheitslehre (Epidemiologie) und sagt aus, wie viele Menschen einer
bestimmten Gruppe definierter Größe an einer bestimmten Krankheit erkrankt sind.
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Sengstbratl - Psychische Erkrankungen. Konsequenzen am Arbeitsmarkt.
8. Arbeit und psychische
Erkrankung?
OECD-Daten zeigen die Erwerbsquoten von
Personen mit psychischen Erkrankungen:
Einfache psychische Leiden: 60-70%
Erwerbsquote
Schwere psychische Erkrankung: 45-55 %
Erwerbsquote
Keine Leiden: 70-85 % Erwerbsquote
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Sengstbratl - Psychische Erkrankungen. Konsequenzen am Arbeitsmarkt.
9. Anzahl von Abgängen in Arbeit von Personen mit
gesundheitlichen Einschränkungen in den letzten 24
Monaten im Burgenland
(nach AL-Episodendauer)
0 200 400 600 800 1,000
0 bis 90 Tage
91 bis 180 Tage
181 bis 365 Tage
mehr als 365 Tage
138
35
2
9
353
184
83
10
317
246
86
12
808
465
171
31
Ältere >=45 Jahre
Erwachsene 25 bis 44
Jahre
Jugendliche <25
Jahre
Abgang in Arbeit von Personen mit
gesundheitlichen Einschränkungen im B im
letzten Jahr
0 bis 90 Tage 91 bis 180 Tage 181 bis 365 Tage mehr als 365 Tage Summe
Jugendliche <25 Jahre 138 35 2 9 184
Erwachsene 25 bis 44 Jahre 353 184 83 10 630
Ältere >=45 Jahre 317 246 86 12 661
Alter 808 465 171 31 1.475
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Sengstbratl - Psychische Erkrankungen. Konsequenzen am Arbeitsmarkt.
10. Erhebungsdaten
“Optimale Betreuung und Vorgangsweisen bei psychisch belasteten
KundInnen“
Für 5% lag dem AMS eine psychiatrische Diagnose vor
(beim AMS gemeldete Personen im September 2013, n=494)
Durchschnittlich etwas älter
(Median: 49 vs. 44)
Häufiger Männer
(mit Diagnose: m 52%, ohne Diagnose: m 48%)
Häufiger niedriges Bildungsniveau
(max. Pflichtschulabschluss 50% mit vs. 38% ohne Diagnose)
Häufiger Notstandshilfe und BMS (längere
Bezugsdauern)
(66% vs. 42%), BMS (12% vs. 6%)
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Sengstbratl - Psychische Erkrankungen. Konsequenzen am Arbeitsmarkt.
12. Diagnosen der 494 AMS-KundInnen
mit Diagnose
Affektive
Störungen
(z.B.
Depression
en)
47%
Neurotische, B
elastungs- und
somatoforme
Störungen (z.B.
Schmerzen, Er
schöpfung, Her
z-Kreislauf,…)
22%
Psych. und
Verhaltensstörun
gen durch
psychotrope
Substanzen
(oft Alkohol)
9%
Burnout
6%
Schizophrenie, sc
hizotype und
wahnhafte
Störungen
6%
Persönlichkeits-
und
Verhaltensstörun
gen
5%
08.05.2014 12Sengstbratl - Psychische Erkrankungen. Konsequenzen am Arbeitsmarkt.
13. 13
Ist-Analyse: Bestand (3)
Code Bezeichnung
Anteil
in %
Gesam
t
Anteil
in %
Frauen
Anteil
in %
Männe
r
F00-F09
Organische, einschließlich
symptomatischer psychischer
Störungen
0.4% 0.2% 0.2%
F10-F19
Psychische und
Verhaltensstörungen durch
psychotrope Substanzen
10.9% 1.8% 9.1%
F20-F29
Schizophrenie, schizotype und
wahnhafte Störungen
7.1% 2.0% 5.1%
F30-F39 Affektive Störungen 55.1% 28.2% 26.9%
F40-F48
Neurotische, Belastungs- und
somatoforme Störungen
26.5% 14.4% 12.1%
F50-F59
Verhaltensauffälligkeiten mit
körperlichen Störungen und
Faktoren
1.2% 0.6% 0.6%
F60-F69
Persönlichkeits- und
Verhaltensstörungen
5.5% 2.4% 3.1%
F70-F79 Intelligenzstörung 1.0% 0.2% 0.8%
F90-F98
Verhaltens- und emotionale
Störungen mit Beginn in der
Kindheit und Jugend
0.8% 0.2% 0.6%
F99
Nicht näher bezeichnete
psychische Störungen
2.6% 1.4% 1.2%
Z73 Burnout 7.3% 5.1% 2.2%
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14. Spezifika der Zielgruppe
“Optimale Betreuung und Vorgangsweisen bei psychisch belasteten
KundInnen“
• Heterogene Gruppe
• Schwankungen in der persönlichen Stabilität und im
Leistungsvermögen, Angst vor Rückfall
• „Unsichtbare“, „Unberechenbare“ Krankheit. Unsicherheit in der
Selbsteinschätzung und tlw. Bagatellisierung in der
Fremdeinschätzung
• Akzeptanz oder Verleugnung (Schuld, Scham, Stigma)
• Unterschiedlicher Krankheits- und Behandlungsstatus
• Orientierungslosigkeit, Passivität; Handlungs- und
Entscheidungsspielraum stark eingeschränkt, hoch sensibel
gegenüber Druck und geringe Frustrationstoleranz
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Sengstbratl - Psychische Erkrankungen. Konsequenzen am Arbeitsmarkt.
15. Mulitproblemlagen der Zielgruppe
“Optimale Betreuung und Vorgangsweisen bei psychisch belasteten
KundInnen“
Schulden oder
Vorstrafen
Eingeschränkte Mobilität
Gering- oder hochqualifiziert
„Ältere“
„Chronische
Erkrankungen
(psycho-)somatische
Beschwerden
psychosomatische
oder somatische
Beschwerden
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16. • Medizin: Adäquate medizinische Behandlung (Mittel, Umfang, Dauer)
• Strategie: Umgang mit der Erkrankung: Rückfallprophylaxe, Notfallkoffer
• Transparenz: Partizipation am Rehaprozess, Information
• Akzeptanz und Verständnis
• Arbeit: „Geschütztes“ Erproben und Begleitung – ohne Druck, Struktur und
Sicherheit
• Tempo: Erreichbare Ziele, Erfolgserlebnisse: angemessenes Tempo,
schrittweises, offenes flexibles Vorgehen, angemessene Schonung, kein
Druck
• Ziele: Orientierung, Hoffnung und Perspektiven
• Sinn: „sinnvolle“ Arbeit, Beschäftigung (Besonderheit: Helfer!)
• Netzwerk: Austausch mit anderen Betroffenen
Bedürfnisse der Zielgruppe
“Optimale Betreuung und Vorgangsweisen bei psychisch belasteten
KundInnen“
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17. • Psychische Erkrankungen sind oft langwierig und
durchlaufen verschiedene Phasen
• Betroffene brauchen Arbeitsplätze, die auf die individuellen
Bedürfnisse ausgerichtet werden und Zeit für die
Integration in den Arbeitsplatz.
• Nach einer Reha und der Wiedereingliederung in den
Arbeitsalltag ist weiterhin medizinisch-therapeutisch
Versorgung notwendig.
• Personen WOLLEN meistens arbeiten. Bei vielen ist die
Motivation sehr hoch.
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ExpertInnen
Sengstbratl - Psychische Erkrankungen. Konsequenzen am Arbeitsmarkt.
18. • Krankheitseinsicht, Akzeptanz, Offenheit
• Positive berufliche Erfahrungen, berufliche Erfolge in der
Vergangenheit
• Solide Qualifikation
• Familiärer/Sozialer Rückhalt
• Vernetzung/Kontakte
• Hohe Motivation
• Eigeninitiative und Kampfgeist
Ressourcen der Zielgruppe
“Optimale Betreuung und Vorgangsweisen bei psychisch belasteten
KundInnen“
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19. • Arbeitsmarkt: Angebot
• Späte Intervention, Versorgungslücken
• „Behördendschungel“: zersplitterte , intransparente
Versorgungsstruktur
• Wartezeiten
• Pensionsanträge („altes System“): kontraproduktiv,
enorme Frustrationsquelle
Systemische Hürden für die Zielgruppe
“Optimale Betreuung und Vorgangsweisen bei psychisch belasteten
KundInnen“
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20. • Systematische und verstärkte Vernetzung/Koordination
insbesondere mit dem medizinischen Bereich (GKK, Ärzte) und
dem PSD
• „place-and-train“-Ansatz forcieren: Job Coaches
/Arbeitsassistenz
• Information strukturierter und detaillierter anbieten (Transparenz)
• Förderungen für psychisch Kranke länger designen
• Beratung durch ausgebildete Reha-BeraterInnen ausbauen
(+Weiterbildung anbieten / Spezialisierung best. Erkrankungen)
• fit2work nützen/ausbauen
• Angebote für höherqualifizierte Betroffene mitbedenken und
ausbauen
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Handlungsempfehlungen
08.05.2014 Sengstbratl - Psychische Erkrankungen. Konsequenzen am Arbeitsmarkt.