Was der Bundespräsident leider nicht gesagt hat...
Vertragsfreiheit (2)
1. KOMMENTAR AUS BERLIN
2/2011
Was von der Vertragsfreiheit übrig blieb ...
Das Wesen einer freien Gesellschaft besteht darin, dass jeder sein Leben gemäß dem Prinzip
der Vertragsfreiheit entsprechend seinen Interessen und Meinungen gestalten kann. Er wird so
zum schöpferischen Architekten seines Lebens, zum Schmied seines Glücks oder Unglücks.
Dagegen steht das Zwangs- oder Gewaltprinzip, das Jedermann „von oben“ einen bestimmten
Status zuweist. Unser fortschreitender sozialer Bevormundungsstaat ersetzt die Vertragsfrei-
heit des selbstbestimmten Individuums durch autoritäre Zwangsregelungen.
Einige Beispiele: Im Kernbereich der persönlichen Lebensvorsorge (gegen die normalen Ein-
kommensrisiken durch Krankheit, Unfall, Arbeitslosigkeit, Alter etc.) ist die Vertragsfreiheit für
über 90 Prozent der Bürger ausgeschaltet. Reste davon genießen noch die „Selbständigen“
(dies ist, nebenbei, ein Verstoß gegen die Rechtsgleichheit!). Fast jeder Deutsche muss sich
heute solcher staatlicher Zwangsvorsorgeschemata bedienen. Ferner: Der freie Arbeitsvertrag
ist für die meisten seit langem perdu: das deutsche Sonder-Arbeitsrecht gehört zu den ausge-
feiltesten der Welt (Tarifzwänge, Mindestlöhne, Zwangsbestimmungen bei Beginn und Auflö-
sung eines Arbeitsverhältnisses, gruppenbezogene Sonderrechte, „Antidiskriminierungsge-
setze“ u. a.). Ähnlich ist es im regulierten Mietrecht. Dann das expandierende Verbraucher-
schutzrecht. Der angeblich souveräne Konsument wird hier umfassend gegen sich selber ge-
schützt (z. B. unabdingbare einseitige Rücktrittsrechte auch nach freiem Vertragsabschluss ...).
Hinzu kommen die gewerberechtlichen Zwänge, von der Handwerksordnung bis zu den La-
denschlussgesetzen. Der zunehmende Staatsfeminismus arbeitet mit gesetzlichen Zwangs-
quoten bei der Einstellung von Frauen (Abschaffung auch des Grundsatzes der Rechtsgleich-
heit). Dann der Schulzwang: eine weitgehende Einschränkung der Elterninitiative, im Unter-
schied zum Ausland ein Verbot des alternativen privaten Hausunterrichts. Selbst der freie Ehe-
vertrag ist weitgehend durch Richterrecht fremdbestimmt.
Bemerkenswert ist der geringe Widerstand gegen diese reaktionäre Entwicklung – geht es hier
doch von der freien Vertragsgesellschaft zurück zur zuweisenden Statusgesellschaft des Abso-
lutismus! Kann man wohl, fragt der Passauer Rechtsprofessor Johann Braun zu Recht, eigent-
lich noch von einem politisch mündigen Bürger ausgehen, wenn er sich als Träger der Ver-
tragsfreiheit dermaßen entmündigen lässt? Es könnte dahin kommen, dass die Demokratie die
mündigen Akteure, die sie voraussetzt, nicht mehr vorfindet. Was ist von einem Bürger zu er-
warten, der in den großen politischen Angelegenheiten (noch) mitbestimmen kann, aber seine
eigenen, ihn unmittelbar betreffenden Angelegenheiten nicht mehr autonom regeln darf? Der
berühmte Rechtswissenschaftler Rudolf von Jhering bemerkte um 1900, als diese Entwicklung
begann: „Privatrecht, nicht das Staatsrecht ist die wahre Schule der politischen Erziehung der
Völker. Und will man wissen, wie ein Volk erforderlichenfalls seine politischen Rechte und seine
völkerrechtliche Stellung verteidigen wird, so sehe man, wie das einzelne Mitglied im Privatle-
ben sein eigenes Recht behauptet“. Es lohnt sich, über dieses Zitat nachzudenken – oder erst
einmal überhaupt diese demokratie- und freiheitsfeindliche Entwicklung und ihre langfristigen
Konsequenzen für den Geist der Initiative, den Bürgersinn und das bürgerliche Selbstbewusst-
sein zu bemerken.
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