Im Mittelpunkt dieser Arbeit steht die Frage, inwieweit sich die
Rechtslage in Bezug auf die Problematik der Kindstötung nach
Abschaffung des § 217 StGB a. F. durch das 6.
Strafrechtsreformgesetz geändert hat. Daher thematisiert die
folgende Arbeit kriminologische, rechtsgeschichtliche,
strafrechtsdogmatische und rechtsvergleichende Aspekte der
Tötung von Neugeborenen durch die Mutter. Im Ergebnis lässt
sich feststellen, dass die kriminologische Erfassung der Tötung
von Kindern einer präziseren Terminologie bedarf. Insofern sollte
die Tötung eines Neugeborenen seitens der Mutter durch den
Begriff Neonatizid bezeichnet werden. Eine sinnvolle
strafrechtliche und kriminologische Behandlung des Phänomens
Neonatizid erfordert zudem nicht nur einen aktiven
interdisziplinären Dialog, sondern auch dessen
rechtsgeschichtliches Verständnis. Ein weiteres Fazit der Arbeit
besagt, dass Neonatizid eine Übergansstellung zwischen dem
Tatbestand des Schwangerschaftsabbruchs und dem
allgemeinen Tötungsverbot des §212 darstellt. Demzufolge
könnte man darüber nachdenken, ob es nicht sachgerecht wäre,
eine Neuregelung für Neonatizid zu schaffen, deren Strafrahmen
vielmehr dem des Schwangerschaftsabbruchs als dem des
Totschlags angenähert würde. Zur Thematik der Menschwerdung
im Strafrecht lässt sich erklären, dass die ersatzlose Streichung
des § 217 a. F. an der traditionellen Zäsur Geburt nichts geändert
hat.
Dr. iur.Pedro Bejarano Alomia, LL.M. - Neonaticide - Doctoral Thesis
1. KINDSTÖTUNG
KRIMINOLOGISCHE, RECHTSGESCHICHTLICHE UND
RECHTSVERGLEICHENDE ÜBERLEGUNGEN NACH ABSCHAFFUNG DES § 217 STGB A.F.
INAUGURAL-DISSERTATION
ZUR
ERLANGUNG DES GRADES EINES DOKTORS DES RECHTS
AM FACHBEREICH RECHTSWISSENSCHAFT
DER
FREIEN UNIVERSITÄT BERLIN
VORGELEGT VON
PEDRO PAUL BEJARANO ALOMIA, LL.M.
BERLIN
2008
2. Erstgutachter: Univ.-Prof. Dr. Klaus Geppert
Zweitgutachter: Privatdozent Dr. Joachim Kretschmer
Tag der mündlichen Prüfung: 23.04.2009
2
3. Inhaltsverzeichnis
Seite
A. Einleitung 1
I. Ein einschlägiger Kasus: Der Fall Sabine H.
II. Rechtliche Ausgangslage
B. Kriminologischer Befund 16
I. Klassifikationssysteme der Tötung von Kindern aus der Sicht der
Kriminalpsychologie
1. Resnick (1970)
2. Scott (1973)
3. Radbill (1978)
4. D’Orban (1979)
5. Bourget & Bradford (1990)
6. Wilczynski (1997)
7. Guileyardo, Prahlow and Barnard (1995)
II. Zur Phänomenologie des Neonatizids: Entstehungsbedingungen und
Risikofaktoren
1. Die Studie Craig über Risikofaktoren
2. Denial of pregnancy and concealed pregnancy
3. Child Murder by Mothers: Die jüngste Studie Resnicks über Filizid und
Neonatizid (2005)
III. Neonatizid aus der Perspektive der Neurowissenschaften
3
4. IV. Bioethik und die Frage nach dem status personae
V. Der Phylogenetischer Ansatz vom Neonatizid
C. Rechtsgeschichtliche Kurzdarstellung 48
I. Die Antike
1. Griechenland
2. Rom
II. Der Übergang zwischen Spätantike und Anfang
des Frühmittelalters: Die leges barbarorum
III. Das mittelalterliche Recht
1. Die Kapitularien
2. Das geistliche Recht: die Konzilien im frühen Mittelalter und die erste
Erwähnung von Tötung eines nichtehelichen Neugeborenen seitens der
Mutter
3. Die libri poenitentiales
4. Die Rechtsbücher des Mittelalters
5. Die Kanonistik seit dem 12. Jahrhundert
IV. Die Constitutio Criminalis Carolina
V. Die Partikulargesetzgebung im 18. Jahrhundert
VI. Strafgesetzgebung im 19. Jahrhundert:
Vom Kindermord zur Kindstötung
VII. Parlamentarische Entstehungsgeschichte des
Aufhebungsvorganges von § 217 a.F.
D. Derzeitige Gesetzeslage 91
4
5. I. Rechtslage bezüglich des Menschseins i.S.v. Tötungs- und
Körperverletzungsdelikten nach Fortfall des § 217 a.F.
II. Strafbarkeit
E. Vorschläge de lege ferenda 107
I. Zielvorgaben künftiger Normativität
1. Optimales Verhältnis von Lebensschutz und Respektierung der
Menschenachtung der Täterin
2. Neonatizid als schuldgeminderte Tötung
3. Rechtfertigung der Strafe und Sanktionierungszwecke
a) Die absolute Straftheorie
b) Die relativen Straftheorien
c) Die Vereinigungstheorie
II. Gesetzgeberische Maßnahmen
III. Gründe für eine privilegierte Sondervorschrift
1. Berücksichtigung besonders herabgesetzter Schuldfähigkeit
2. Schwangerschaftsverleugnung als kriminologische Grundlage eines
Sondertatbestandes
a) Erklärungsansatz zum psychodynamischen Hintergrund des Neonatizids.
Die Thesen Gerchows über die reaktive Pathologisierung der Schwangerschaft
b) Die Kieler Verbundstudie von 1993
c) Die Reproversionstheorie
d) Die prospektive Untersuchung Wessels über den Zusammenhang
zwischen Schwangerschaftsverleugnung und Neonatizid
3. Neonatizid als strafrechtsdogmatische Zwischenstufe zwischen
Schwangerschaftsabbruch und allgemeinem Tötungsdelikt (§212)
a) Der differenzierte Lebensschutz im Strafrecht
b) Die Zäsur Geburt aus der Sicht der Mutter
5
6. 4. Optimale Sanktionierung für Neonatizid aus der Sicht der ökonomischen
Analyse des Rechts (EAL: Economic Analysis of Law)
F. Rechtsvergleichender Abriss 143
I. England
II. Frankreich
III. Schweiz
Schlussfolgerungen 154
6
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22
23. Vorbemerkung
Im Mittelpunkt dieser Arbeit steht die Frage, inwieweit sich die Rechtslage in Bezug
auf die Problematik der Kindstötung nach Abschaffung des § 217 StGB a. F. durch
das 6. Strafrechtsreformgesetz geändert hat. Daher thematisiert die folgende Arbeit
kriminologische, rechtsgeschichtliche, strafrechtsdogmatische und
rechtsvergleichende Aspekte der Tötung von Neugeborenen durch die Mutter. Im
Ergebnis lässt sich feststellen, dass die kriminologische Erfassung der Tötung von
Kindern einer präziseren Terminologie bedarf. Insofern sollte die Tötung eines
Neugeborenen seitens der Mutter durch den Begriff Neonatizid bezeichnet werden.
Eine sinnvolle strafrechtliche und kriminologische Behandlung des Phänomens
Neonatizid erfordert zudem nicht nur einen aktiven interdisziplinären Dialog, sondern
auch dessen rechtsgeschichtliches Verständnis. Ein weiteres Fazit der Arbeit besagt,
dass Neonatizid eine Übergansstellung zwischen dem Tatbestand des
Schwangerschaftsabbruchs und dem allgemeinen Tötungsverbot des §212 darstellt.
Demzufolge könnte man darüber nachdenken, ob es nicht sachgerecht wäre, eine
Neuregelung für Neonatizid zu schaffen, deren Strafrahmen vielmehr dem des
Schwangerschaftsabbruchs als dem des Totschlags angenähert würde. Zur
Thematik der Menschwerdung im Strafrecht lässt sich erklären, dass die ersatzlose
Streichung des § 217 a. F. an der traditionellen Zäsur Geburt nichts geändert hat.
23
24. A. Einleitung
I. Ein einschlägiger Kasus: Der Fall Sabine H. 1
In einer Septembernacht 1988, während Ehemann und Kinder schlafen, wird Sabine
H. von dem plötzlich einsetzenden Geburtsvorgang überrascht. Sie geht schnell auf
die Toilette und beginnt dort leise zu entbinden. Sie ruft nicht um Hilfe: Niemand darf
erfahren, dass sie gerade gebärt. Nach einer Viertelstunde nach dem Wehenbeginn
fiel das Kind aus der Hockstellung ins Klosettbecken. Dabei reißt die Nabelschnur.
Das Kind ist blau im Gesicht und hat Schaum vor dem Mund. Sabine H. ist am Ende
ihrer Kräfte und fällt in Ohnmacht. Als sie wieder zu sich kommt, merkt sie, das Kind
äußert keine Lebenszeichen. Sie hebt es auf und wickelt es in ein Handtuch. Dann
setzt sie sich mit dem reglosen Bündel ins Wohnzimmer und betrinkt sich. Am
nächsten Morgen erwacht sie auf dem Balkon mit dem dumpfen Gefühl, das
Neugeborene während der Nacht in dem mit Sand gefüllten Aquarium auf dem
Balkon vergraben zu haben. Weder von ihrer Schwangerschaft noch von der Geburt
merkte jemand etwas. Zur Tatzeit ist Sabine H. gerade 22 Jahre alt, körperlich gut
entwickelt, überdurchschnittlich begabt, antriebsarm, in ihren Entscheidungen
unschlüssig und kaum zielstrebig. Instinktunsicher, unselbstständig,
abhängigkeitsbedürftig, initiativ- und standpunktlos, mit festen Bindungen an den
Ehemann und ans Elternhaus. Tendenz zu Trotzhaltungen, Abkapselung und
1
Der hier vorgelegte Fall von Sabine H. wurde aus folgenden Presseberichten abgefasst:
Friedrichsen: Die Überzeugungsrichter, Spiegel Online (01.06.2006); Mayer: Die Kinder für
die Kinder getötet, Frankfurter Allgemeine Zeitung (01.06.2006); Rückert: Ein ganz privater
Friedhof, Die Zeit (01.06.2006); Hauke-Steller: Tote Babys nicht im Blumenkasten, Focus
(12.05.06); Blankennagel: Neun Kinder, noch ohne Namen, Berliner Zeitung (19.05.2006);
Möller: Die neun toten Babys der Sabine H., Hamburger Abendblatt (28.04.2006); Fritzen:
Sie war eine Ruhige, Frankfurter Allgemeine Zeitung (03.08.2005); Hildebrandt: Tote Babys
sind kein Beweis, Tagesspiegel (22.11.2005); Bollwahn: Kinder, im Sand vergraben,
Tageszeitung Online (03.04.2008); Küpper: Sabine spricht über sich, FAZ (03.04.2008);
Dassler: Sabine beschuldigt Ehemann, Tagesspiegel (15.02.2008); Mielke: Neuer Prozess
um neue Babyleichen, Berliner Morgenpost (10.02.2008. Das Aktenzeichen dieses Falles im
Landgericht Frankfurt/Oder lautet: 23 Ks 1/07.
24
25. Introversion, affektiv gut beeinflussbar, sanguinische, lang anhaltende
Schamreaktionen.
Sabine H. ist ehelich geboren, der Vater ist Eisenbahnangestellter und Mitglied im
Kirchenrat. Beide Eltern leben und sind psychisch unauffällig. In der Schule fühlt sich
Sabine aufgehoben. Sie ist von ihren Mitschülern anerkannt und sie kann an den
Nachmittagen ihren Interessen nachgehen: Literatur, Mathematik, Handball. Sie ist
bei den Jungen Pionieren und später bei der FDJ2. Sie will ein Studium absolvieren
und hat bereits die Zusage für ein Gymnasium. Doch der Vater will, dass sie einen
Beruf lernt. Die 10. Klasse schließt Sabine H. mit lauter Einsen ab. Da sie sich nicht
traut, ihre Zukunft selbst in die Hand zu nehmen, macht sie widerstrebend eine Lehre
zur Zahnarzthelferin.
Als sie 17 ist, lernt sie beim Mai-Tanz Oliver H. kennen. Er ist 19, Soldat in der
Volksarmee und ihr erster Freund. Drei Monate später ist Sabine H. zum ersten Mal
schwanger; will den Kindesvater heiraten und freut sich auf das Kind. Die erste
Schwangerschaft läuft vollkommen regulär: geringe Schwangerschaftsbeschwerden,
Auftreten von Kindsbewegungen zur normalen Zeit, der Leibesumfang entspricht
dem jeweiligen Schwangerschaftsmonat. In einer komplikationslosen, normalen
Geburt entbindet sie 1984 ihr erstes Kind, ein Mädchen. Sie möchte gern viele Kinder
haben, doch Oliver H. lässt schon damals durchblicken, dass er keine Kinder mehr
haben will. Alle bei der Stasi haben eins, höchstens zwei, und Oliver H. will nicht
auffallen. 1985 heiraten Sabine und Oliver H. Der evangelischen Familie ist jedoch
nicht recht, dass Sabine eine Ehe mit einem Unteroffizier der Volksarmee und Stasi-
Mitarbeiter eingeht. Kurze Zeit später entbindet Sabine H. ihr zweites Kind und ein
Jahr später das dritte Kind. Oliver H. war schon über die Niederkunft des zweiten
Kindes verärgert, zumal Sabine ihm wahrheitswidrig sagte, dass sie die
Verhütungspille nehme. Bei der Schwangerschaft und Geburt des dritten Kindes
1987 machte ihr Ehemann Sabine H. heftige Vorwürfe. Sie ist jedoch nicht in der
Lage, ihre Wünsche anzusprechen, ihre eigene Position durchzusetzen. In ihrer
eigenen Familie hat sie keine Stimme, weil sie praktisch unter der Bevormundung
des Ehemannes steht. Er hat das Konto, er bestimmt alleine, was die Familie tut oder
2
Freie Deutsche Jugend. Die Organisation hatte die Aufgabe, die Jugend der DDR in den
Marxismus-Leninismus einzuführen. Sie verstand sich offiziell als Kampfreserve der
Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands - SED.
25
26. nicht. Als er fremdgeht und eine venerische Krankheit nach Hause bringt, nimmt
Sabine das hin. Ein gemeinsames Leben führen die Eheleute nicht. Oliver H. ist ein
pragmatischer Mensch, der nicht spricht, kaum grüßt und jeden Gesprächsbedarf
seiner Frau einfach ignoriert. Die Ehe von Sabine H. ist mehr Wohngemeinschaft als
Liebesbeziehung. Früh morgens geht Oliver H. raus und kommt zwischen 18 Uhr und
18:30 zum Abendessen zurück. Geredet wird nur über Alltägliches, meistens wird
wortlos ferngesehen. Deswegen ist Sabine trotz ihrer enormen Verwandtschaft, mit
dem Ehemann und drei Kindern in einem Hochhaus unter hundert anderen Familien
total einsam, isoliert. Sie würde gerne tanzen oder essen gehen, aber sie sagt nichts.
Freunde hat sie auch nicht.
Sabine H. führte somit das Leben einer Erwachsenen, ohne dass sie Möglichkeit
hatte, erwachsen zu werden. Einige Jahre später befindet sich Sabine H. gerade auf
einer Fortbildung zur Pharmareferentin in Goslar. Es ist Dienstag der 5. Mai 1992
und sie fühlt sich nicht, daher bleibt sie dem Unterricht fern. Sie ist zum fünften Mal
schwanger und entbindet das Kind heimlich im Zimmer ihrer Pension. Sie lässt es
unversorgt sterben, wickelt das leblose Neugeborene anderntags in einen grünen
Mantel, packt es in ihre Reisetasche, fährt damit zurück nach Hause, vergräbt es in
einer mit Erde gefüllten roten Kinderbadewanne auf dem Balkon und betrinkt sich bis
zur Ohnmacht. Sabine H. wird noch sieben weitere Male schwanger und entbindet
heimlich noch sieben Kinder, immer unbemerkt vom Rest der Familie. Die
Pflanzengefäße auf dem Balkon wurden zu Gräbern der neun verstorbenen
Neugeborenen. Sie zieht darauf Tomaten, Kräuter und Erdbeeren. Und in einem
pflanzt sie rosafarbige Tränende Herzen. Gleichgültig ob es Sommer oder Winter ist,
Tag oder Nacht, Sabine H. gebärt im Klosett, im Kinderzimmer, im Schlafzimmer,
immer wieder unbemerkt von ihrer Umgebung. Wird sie wegen ihres Leibesumfanges
auf eine eventuelle Gravidität angesprochen, leugnet sie dies nachdrücklich und
begründet ihre physische Veränderung mit unterschiedlichen Erkrankungen. Zum
Frauenarzt zu gehen und sich Empfängnisverhütungsmittel geben zu lassen, traut sie
sich nicht. Sie hat Angst, er könne die vorangegangenen Schwangerschaften
erkennen und nach dem Verbleib der Kinder fragen.
Sie hat Angst, ihren Mann und ihre Kinder zu verlieren. Und da sie ihre ziemlich
gebrechliche familiäre Existenz nicht aufs Spiel setzen will, entscheidet sie, den
26
27. Schein zu wahren und sich bei jeder weiteren Geburt des Kindes zu entledigen:
Sabine H. tötet ihre Neugeborenen, damit sie die anderen, die lebenden Kinder,
erhalten kann. Eines Tages im Sommer 2005 wird ein Neffe wütend auf Sabine H.,
weil sie wieder betrunken ist. Er kippt ihre Pflanzgefäße aus und zum Vorschein
kommen plötzlich Knöchelchen. Es herrscht Ungewissheit und Entsetzen. Die Polizei
wird geholt. Sabine wird festgenommen und anschließend gerichtlich verfolgt. Am 1.
Juni 2006 wird Sabine H. vom Landgericht Frankfurt/Oder zu 15 Jahren Gefängnis
wegen Totschlags durch Unterlassen in acht Fällen verurteilt3. Die Verteidigung
kündigt Revision an. Der Bundesgerichtshof in Leipzig hebt am 4. April 2007 das
Strafmaß auf.
Sabine H. sitzt jetzt in der Justizvollzugsanstalt Duben-Luckau4, der modernsten
Haftanstalt Brandenburgs, sie ist schwer an Krebs erkrankt und wartet auf ein neues
Strafurteil.
Der hier vorgelegte Fall wirft sofort mannigfache Fragen auf: Was bringt eine Mutter
dazu, ihr neugeborenes Kind zu töten? Ist etwa diese rätselhafte Problematik
überhaupt zu entschlüsseln? Können die Gebärenden in solch einer Situation anders
handeln? Welche so unlösbare Notlage steckt hinter diesen Taten? Welche
Strafvorschriften erfassen in der Gegenwart die Neugeborenentötung? Hinsichtlich
dieser Fragen und ebenso anlässlich der Aufhebung des § 217 a. F. durch das 6.
Strafrechtsreformgesetz werden wir uns mit dem Thema der Neugeborenentötung
durch die Mutter näher beschäftigen. Mittelpunkt dieser Arbeit liegt in der Analyse der
Rechtslage nach Aufhebung des § 217 a. F.5
II. Rechtliche Ausgangslage
Der Sondertatbestand der Kindstötung des § 217 a. F. bezeichnete die Tötung eines
nichtehelichen Kindes durch die Mutter in oder gleich nach der Geburt und war im
Verhältnis zu anderen Tötungsdelikten privilegiert.
§ 217 a. F. lautete:
3
Der erste Fall von 1988, der sich noch zu DDR-Zeiten ereignet haben soll, ist verjährt.
4
Dahme-Spreewald.
5
§§ ohne Angabe eines Gesetzes sind nachfolgend solche des StGB.
27
28. „(1) Eine Mutter, welche ihr nichteheliches Kind in oder gleich nach der Geburt tötet,
wird mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren bestraft.
(2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu
fünf Jahren.“
Die eigentümlichen Tatbestandsmerkmale des § 217 a. F. hinsichtlich des Täters,
des Opfers, der Tatzeit und der Tathandlung bildeten einen Sonderfall des
Totschlags im Sinne des § 2126.
Zwischen Täter und Opfer bestand eine spezielle persönliche Beziehung. Täter
konnte hier nur die Mutter sein. Opfer war ihr nichteheliches Neugeborenes7. Ein
Kind wird als nichtehelich bezeichnet, wenn seine Eltern weder zur Zeit der Zeugung
noch zur Zeit der Niederkunft in rechtmäßiger Ehe miteinander verheiratet sind.
Insofern ist ein Kind nichtehelich, entweder wenn die Mutter ledig ist oder wenn die
Mutter zum Zeitpunkt der Zeugung und Niederkunft mit einem anderen Mann als dem
leiblichem Vater des Kindes verheiratet ist8. Darüber hinaus ist ein Kind, dessen
Eltern nach der Zeugung aber vor der Niederkunft geheiratet haben, ebenfalls
ehelich wie das Kind, dessen Eltern sich nach der Zeugung, aber vor der Niederkunft
haben scheiden lassen9. Die nichteheliche Mutterschaft war ein personelles
täterbezogenes Merkmal gemäß § 28 II10.
§ 217 a. F. war nach seiner Formulierung lediglich für eine bestimmte Zeitspanne
anwendbar, und zwar in oder gleich nach der Geburt. Der Ausdruck in der Geburt
setzte voraus, dass der Geburtsvorgang durch das Einsetzen der Eröffnungswehen
begonnen hat11. Unter Geburt versteht man den Prozess am Ende der Gravidität,
wobei die Leibesfrucht die Gebärmutter verlässt. Die Spontangeburt (auch normale
Geburt genannt) beginnt mit der Eröffnungsphase, dem ersten Stadium der Geburt.
Sie beginnt meist mit einer Frequenz von 2 – 3 Wehen in 30 Minuten und bewirkt die
Öffnung des Muttermundes. In der Übergangsphase wird die Wehenfrequenz
schneller. Wenn der Muttermund annähernd vollkommen geöffnet ist, beginnt das
6
Lackner, Rdn. 24 vor § 211.
7
BGHSt 32, 140 (140 f.).
8
Frick, 59.
9
Sch/Schr/Eser, § 217 Rn. 3.
10
Lackner, Rdn. 2 zu § 217.
11
BGHSt 32, 194 (196).
28
29. dritte Stadium der Geburt, die sog. Austreibungsphase, in der die Leibesfrucht die
Gebärmutter verlässt. Mit der Ausstoßung der Plazenta (Nachgeburt oder
Plazentaphase) endet die Geburt12. Die Geburt beim sectio cesarea13 beginnt, nach
einhelliger Literatur, mit der Eröffnung des Uterus14.
Die Wendung gleich nach der Geburt bezeichnete hingegen den Zeitraum, in dem
die durch die Niederkunft bewirkte Gemütsbewegung noch anhielt15. Die
Strafvorschrift hat von einer festen zeitlichen Begrenzung Abstand genommen, die
Beschränkung ergibt sich jedoch aus dem der Privilegierung zugrunde liegenden
Motiv. Lackner behauptet, diese Gemütsbewegung konnte sich über einen Zeitraum
von mehr als eine Stunde erstrecken16. Nach Eser konnte die durch die Geburt
hervorgerufene Gemütsbewegung noch 1 ½ Stunden nach der Geburt anhalten17. Im
Einzelfall musste jedoch nicht nachgewiesen werden, dass diese Gemütserregung
tatsächlich bestanden hatte. Gingen im Einzelfall die Auswirkungen der Geburt
faktisch über die normale Dauer hinaus, so war es im Anwendungsbereich des § 21
zu berücksichtigen18. § 217 a. F. privilegierte die nichtehelich Gebärende lediglich
bezüglich ihrer Konfliktslage und labile Gemütsbewegung während der
geburtsbedingten Erregungsphase19.
Da § 217 a. F. die Neugeborenentötung und damit – aus der Sicht der herrschenden
Strafrechtslehre – die Tötung eines Menschen im Gegensatz zur Tötung eines
Embryos im Sinne des § 218 erfasste, diente die Bestimmung zugleich zur
Abgrenzung beider Rechtsgüter20.
Begehbar war die Neugeborenentötung durch eine beliebige Handlung sowie durch
Unterlassen, wobei die Garantenstellung der Mutter dem § 217 a. F. innewohnen
12
http://www.frauenaerzte-im-netz.de/de_geburt_88.html.
13
Kaiserschnitt.
14
Heinemann, 349; Roxin, Lebensschutz im Strafrecht – Einführung und Überblick. In:
www.kcla.net/download.red?fid=79. Vgl. ebenso dazu mit weiteren Nachweisen
Schönke/Schröder/Eser, Rdn. 13 vor §§ 211 ff.
15
BGHSt 1, 235; RGSt 77, 246; OGHSt 3, 115; Jescheck, AT § 42 II 1.
16
Lackner, Rdn.3 zu §217.
17
Sch/Schr/Eser, Rdn.5 zu §217.
18
Streb, 70; Sch/Schr/Eser, Rdn. 5 zu § 217.
19
Verfassungsrechtlich war das nicht zu beanstanden. Vgl. Wessels, 39.
20
Sch/Schr/Eser, vor §§ 211 ff. Rdn. 1.
29
30. war21. Die Tathandlung musste also in oder gleich nach der Geburt erfolgen.
Handlungen, die vor der Geburt einwirkten, fielen in den Anwendungsbereich der §§
218 ff. Daher war belanglos, ob der Tod des Neugeborenen, bewirkt durch pränatale
Einwirkungen, erst nach der Niederkunft eintritt22. Strittig war jedoch die Antwort auf
die Frage, wie die Mutter bestraft werden sollte, wenn sie sich vor der Niederkunft in
einen Zustand begab, in dem eine Versorgung des neugeborenen Kindes tatsächlich
nicht denkbar war. Diesbezüglich behauptete Eser, solche Konstellation sollte nach
den Regeln der actio libera in causa unter §§ 211, 212 fallen23. Jähnke war dagegen
der Auffassung, dass durch die actio libera in causa lediglich Verschulden und
Tatvorsatz, nicht aber die Handlung selbst vor der Niederkunft gezogen werden
konnten, weil erst die Niederkunft das Unrecht des Sondertatbestandes begründete:
Die Handlung richtete sich gegen einen Menschen und nicht mehr gegen die
Leibesfrucht24. Die Strafbarkeit durch Unterlassungshandlungen wurde ebenso erst
mit dem Beginn der Geburt begründet. Erforderlich war deswegen im Grunde eine
Gesamtwürdigung des Sachverhaltes25.
Ausschlaggebend bei der Kindstötung war, dass das Neugeborene tatsächlich gelebt
hat. Ob es lebensfähig war oder nicht, war strafrechtlich belanglos, weil auch einem
nicht lebensfähigen neonatus Menschqualität zukommt, selbst wenn er kurz nach
dem partus stirbt26. Lässt der neonatus nach der Scheidung vom Mutterleib
bestimmte Lebenszeichen erkennen, beispielsweise Herzschlag, Lungenatmung,
Muskelbewegung oder Nabelschnur-pulsationen, dann spricht man von einer
Lebendgeburt. Von einer Stillgeburt27 spricht man wiederum, wenn der neonatus
während der Entbindung verstorben ist. Während Frühgeburt als die Entbindung vor
28
Vollendung der 37. Schwangerschaftswoche definiert wird, ist vom Abort29 die
Rede, wenn eine vorzeitige Beendigung des Schwangerschaftsverlaufes eintritt.
21
Lackner, Rdn. 3 zu § 217.
22
Tröndle/Fischer, Rdn. 6 zu § 218.
23
Sch/Schr/Eser, Rdn. 6 zu § 217.
24
LK-Jähnke, Rdn. 5 zu § 217.
25
BGHSt GA 1970, 86.
26
Sch/Schr/Eser, Rdn. 3 zu § 217.
27
Oder Todgeburt.
28
Eine reguläre Schwangerschaft dauert 40 Wochen, 280 Tage nach der letzten
Regelblutung.
29
Auch Schwangerschaftsabbruch, Fehlgeburt oder Abtreibung genannt.
30
31. § 217 a. F. setzte Vorsatz voraus, wobei bedingter Vorsatz genügte. War die
Neugeborenentötung das Ergebnis einer bloßen Fahrlässigkeit, war also § 222
anzuwenden30, z. B. bei Fallkonstellationen, in denen die Mutter das Neugeborene
irrig für tot hielt und deswegen unversorgt ließ31. Darüber hinaus musste die Tat
rechtswidrig sein. Rechtfertigungsgründe waren im Bereich der Privilegierung
anwendbar. Rechtlich relevant war insbesondere die Frage nach der Perforation,
wonach das Kind während der Geburt getötet wurde, um das Leben der Mutter zu
retten32. Auch wenn § 34 bei Fallkonstellationen Leben gegen Leben ausscheidet,
war er trotzdem im Fall der Perforation angewandt worden33.
Fasste die Mutter die Tötungshandlung bereits vor der Geburt mit der Folge, dass die
Tat nicht der Gemütserregung entsprach, war trotzdem § 217 a. F. anzuwenden34.
Tötete die Mutter jedoch ihr eheliches Neugeborene, war sie nach den Vorschriften
der allgemeinen Tötungsdelikte zu bestrafen. Tötete die Mutter ihr Neugeborenes,
weil sie es irrtümlicherweise als nichtehelich hielt, war die Tat dennoch nach § 16
Abs. 2 nur gemäß § 217 a. F. zu ahnden35. Dies ließ sich damals daraus begründen,
dass die Mutter sich psychisch in der gleichen privilegierenden Zwangslage befand,
die die Anwendung des § 217 a. F. rechtfertigte36. Ging die Mutter irrtümlicherweise
von der Ehelichkeit des Kindes aus und tötete das Neugeborene, so war die Mutter
nicht aus § 217 a. F. sondern aus §§ 211, 212 zu verurteilen37.
Die Strafrechtslehre ging bei § 217 a. F. von einer unselbständigen Privilegierung
des § 212 aus. Die Rechtsprechung38 hielt diese Vorschrift wiederum für ein
unechtes Sonderdelikt39. Nach beiden Auffassungen waren Teilnehmer40 aus dem
30
RGSt. 59 83, BGH LM Nr. 2 zu § 217; Sch/Schr/Eser, Rdn. 10 zu § 217.
31
BGH NStZ 87, 21. Zur Abgrenzung zwischen Kindstötung und bloßer Fahrlässigkeit vgl.
BGH GA 79, 106.
32
Zum Thema Perforation siehe D. I.
33
Sch/Sch/Eser, Rdn. 34 zu § 218; Dreher/Tröndle, Rdn. 21 zu § 34; LK-Hirsch, Rdn. 74 zu
§ 34.
34
Gegebenenfalls strafschärfend zu beachten. Vgl. BGH MDR 1972, 750.
35
Frick, 64.
36
Blei, § 8 III; Sch/Schr/Eser, Rdn. 11 zu § 217; Frick, 65.
37
Sch/Schr/Eser, Rdn. 11 zu § 217.
38
BGHSt 1, 235 (237, 240).
39
Dieses Ergebnis wäre jedoch begründet gewesen, nur wenn die Tatbestandsmerkmale
des § 217 a.F. der Straftat einen spezifischen Gehalt verliehen hätten. Das war aber nicht
der Fall. Der Tatbestand des § 217 a.F. war zwar gegenüber § 212 bezüglich des Subjekts,
des Objekts und der Handlungszeit umgewandelt worden. Die Grundhandlung (Tötung eines
Menschen) und das geschützte Rechtsgut (das Menschenleben) blieben aber unverändert.
31
32. Bereich des § 217 a. F. ausgeschlossen und insofern nach den allgemeinen
Vorschriften der Tötungsdelikte zu bestrafen41. Da die Kindstötung des § 217 a. F.
kein eigenhändiges Delikt darstellte, war eine mittelbare Täterschaft der Mutter
möglich, welche nach § 25 I der eigenhändigen Tatbegehung gleichgestellt und
damit nach § 217 a. F. geahndet werden konnte42. War die Mutter nur als
Teilnehmerin an der Neugeborenentötung beteiligt, so wurde sie über § 28 II nach §
217 a. F. bestraft43. Zwischen §§ 217 a. F. und § 222 bestand keine Konkurrenz,
sondern Exklusivität44. Da beide Strafvorschriften unterschiedliche Schuldformen45
erfordern, konnten sie nicht synchron vorliegen46. Eine scheinbare
Gesetzeskonkurrenz, und zwar in Form von Spezialität, bestand zwischen den
Strafvorschriften der Kindstötung und des Totschlags. § 217 a. F. war eine
Privilegierung des § 212, dessen Tatbestand in ihm enthalten war47.
Die ratio legis des § 217 a. F. ergab sich einerseits aus dem besonderen
psychischen Zustand der Mutter eines nichtehelichen Kindes während des
Geburtsvorganges und andererseits aus der Rücksicht auf die schuldmindernde
Furcht vor Schande48. Durch die sog. Sperrwirkung der Privilegierung kam der Mutter
bei auftretenden Mordmerkmalen § 217 a. F. auch zugute. Die benannte
Sperrwirkung entsteht, wenn eine privilegierende Straftat mit qualifizierten
Merkmalen zusammentrifft, sodass die privilegierende Vorschrift die Rechtsfolge des
49
qualifizierenden Tatbestandes ausschließt . Nach Welzel50 ist jeweils durch
Berücksichtigung der einzelnen Tatbestandselemente zu untersuchen, ob der
Privilegierung oder der Qualifizierung der Vorrang gebührt. Im Zweifelsfall geht die
Somit war der Wesenskern des Grundtatbestandes nicht modifiziert worden. Demzufolge -
und in Anlehnung an die Strafrechtslehre - war in § 217 a.F. eine privilegierende Abwandlung
des Grunddelikts zu sehen.
40
Oberbegriff für Anstifter und Gehilfen.
41
BGHSt 1, 237 (240).
42
Sch/Schr/Eser, Rdn. 12 zu § 217.
43
Ebenda.
44
Sch/Schr/Eser, Rdn. 10 zu § 217.
45
Vorsatz und Fahrlässigkeit.
46
Frick, 72.
47
Sch/Schr/Eser, Rdn. 3 vor § 211.
48
Siehe dazu Simson/Geerds, 35 ff.; Sch/Schr/Eser, Rdn. 1 zu § 217; Lackner, Rdn.1 zu §
217; Dreher/Tröndle, Rdn. 1 zu §217; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 1, 54; Wessels, BT,
38 ff.; Arzt/Weber, BT 1, Rdn. 171 zu § 217.
49
Zustimmend: Jescheck, AT § 26 III; Wessels/Beulke, AT Rdn. 113; Maurach/Zipf, AT I,
Rdn. 45 zu § 20; Küpper, Meurer-FS, 123 ff.; Dreher/Tröndle, Rdn. 1 zu § 217.
50
Welzel, Strafrecht, § 30 III.
32
33. Privilegierung vor. Im Kontrast dazu verneint Puppe, dass immer die Privilegierung
vor der Qualifizierung Vorrang habe51. Obwohl die dogmatische Natur des Begriffes
wenig geklärt erscheint, betrachtete die h. L. die §§ 211, 217 a. F. als unselbständige
Abwandlungen des Totschlags; der § 217 a. F. sollte dann als abschließende
Sonderregelung dem § 211 vorgehen52, und zwar unter Berufung auf die
Sperrwirkung des privilegierenden Tatbestandes. Die Judikatur erblickte allerdings in
§ 217 a. F. ein unechtes Sonderdelikt53, sodass bei Vorliegen dieses Tatbestandes
eine Strafbarkeit nach § 211 ausgeschlossen ist54. Trotzdem bleibt fraglich, ob die
Sperrwirkung der Privilegierung aus dem Grundsatz lex specialis derogat legi
generali herzuleiten war, sofern eine Spezialität des Gesetzes im eigentlichen Sinne
nicht vorlag. Die Spezialität des Gesetzes liegt nur vor, wenn der Grundtatbestand
über alle Merkmale der Sondernorm verfügt und diese demgegenüber noch
mindestens ein weiteres Merkmal enthält. Das jedoch war im Verhältnis der §§ 217 a.
F. und 211 nicht gegeben. Mancherseits wird behauptet55, dass die Sperrwirkung
der Privilegierung nicht mehr als eine Art petitio principii oder circulus in probando
darstellt56. Die Sperrwirkung des § 217 a. F. lässt sich trotz alledem klar erfassen,
wenn der Grund der Privilegierung beachtet wird57. Aufgrund der Verzweiflungslage
der Gebärenden, in Verbindung mit ihrem besonderen psychischen Zustand bei der
Geburt, ließe die besondere Verwerflichkeit entfallen, sodass die Tat von § 211 nicht
erfasst wurde58. Die notstandsähnliche Situation der Mutter war insofern nach dem
gleichen subjektiven Maßstab der §§ 213, 216 zu beurteilen59.
Der Vorrang des § 217 a. F. basierte also auf einer kongruenten Würdigung: Mit der
Schaffung des privilegierenden Tatbestandes sollte der Sachverhalt der
Neugeborenentötung abschließend geregelt werden, sodass der geringere
51
Puppe ZIS 2007, 256.
52
Haft, BT, 82; Czelk, Privilegierung, 55; Lackner, Rdn. 24 vor § 211; Sch/ Schr/ Eser, Rdn.
2 zu § 217; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 1, Rdn. 65 zu § 2.
53
BGH, St 1, 235; übereinstimmend: Dreher/Tröndle, Rdn. 1 zu § 217; Sch/Schr/Eser, Rdn.1
zu § 217; Jescheck, AT § 26 III; Krey, BT1, Rdn. 110 zu § 1.
54
Wessels, BT 1 § 2, VI, 2; Lackner, Rdn. 24 vor § 217.
55
Dazu: Wolf, Erläuterungen.
56
Die petitio principii wird als Fehlschluss oder Paralogismus definiert, wonach eine These
für eine andere als Begründung angeführt wird, die aber selber eines Beweises bedarf.
Circulus in probando ist hingegen eine durch Deduktion geschlussfolgerte These, indem die
These selbst als Prämisse verwendet wird.
57
Seiler, 72.
58
Zustimmend: Krey, BT1, Rdn. 114 zu § 1; Sch/Schr/Eser, Rdn. 2 zu § 217; Wessels, BT1,
§ 2 VI 2; Lackner, Rdn. 5 zu § 217; Arzt/Weber, BT1, Rdn. 169 zu § 217.
59
Maurach/Schroeder/Maiwald, BT1, Rdn. 66 zu § 2.
33
34. Schuldgehalt60 ein vermindertes Strafbedürfnis hervorrief und eine entsprechende
Herabsetzung der Strafdrohung rechtfertigte61.
Im Verhältnis zu Körperverletzungen schließt der Tötungsvorsatz den
62
Körperverletzungsvorsatz immer ein . Wird die Tötung vollendet, so treten die
Körperverletzungsdelikte hinter der vollendeten Tötung als dem intensiveren Delikt
zurück63. Die Qualifizierungen der §§ 224, 225, 229 II waren durch die Sperrwirkung
der Privilegierung ausgeschlossen64.
Der Sondertatbestand hatte trotz Privilegierung Verbrechenscharakter65 und die
Mindestfreiheitsstrafe betrug 3 Jahre. Der Versuch war daher nach § 23 I strafbar.
Der Strafrahmen für minder schwere Fälle reichte von 6 Monaten bis zu fünf Jahren.
Zur Privilegierung des § 217 a. F. kam noch der Geburtsaffekt. Diese an § 21
heranreichende Verfassung (Erschöpfung, Erschütterung, Verzweiflung,
Gleichgültigkeit) erklärt vorwiegend die häufige Tötung durch Unterlassen66. Die
Privilegierung bildete jedoch lediglich den Hintergrund des Regelfalls. Lagen die
Tatbestandmerkmale des § 217 a. F. vor, durfte die Milderung nicht versagt werden.
Lag darüber hinaus ein Geburtsaffekt oder die Furcht tatsächlich vor, so entstand
zusätzlich ein minder schwerer Fall im Sinne des § 217 II a. F. Da § 50 die
Doppelverwertung besonderer subjektiver Umstände untersagt, ging es jedoch nicht,
den Strafrahmen wegen besonderer seelischer Umstände nach § 217 a. F. Abs. 2
zu bemessen und gleichzeitig über § 21 zu einer zusätzlichen Strafmilderung zu
gelangen67.
Diese Normativität unterschied sich grundlegend vom Strafrecht der DDR, als dort
die Privilegierung auch für die eheliche Mutter galt, was Gerchow68 ab 1954 für das
Strafrecht der BRD gefordert hatte. Bezüglich des kriminalpolitischen Hintergrundes
wird behauptet, dass die erfassten Fälle von Kindstötung in der Gesamtkriminalität
60
§ 217 a.F. basierte nicht auf dem Gedanken eines geringeren Unrechtsgehalts, weil das
Leben des nichtehelichen Kindes genauso viel wert wie das Leben des ehelichen Kindes ist.
61
Sch/Schr/Eser, Rdn. 2 zu § 217.
62
Nach der sog. „Gegensatztheorie“. Arzt/Weber, § 2 Rdn. 86. Vgl. BGHSt. 16, 122.
63
Sch/Schr/ Eser Rdn. 26 zu § 212.
64
Sch/Schr/Eser, Rdn. 25 zu § 212.
65
§ 12 I StGB.
66
Simson/Geerds, 38 ff.; Eser, Gutachten D, 147 ff.; Arzt/ Weber, BT1, Rdn. 171 zu § 217.
67
Eser, Gutachten D, 147 ff.
68
Vgl. Gerchow, Abnormisierung (1954), 9.
34
35. numerisch eine bescheidene Rangstufe einnehmen würden69. Nach einem Bericht
70
von „terre des hommes“ bewegen sich die gemeldeten Kindstötungsfälle seit 1999
zwischen 28 und 43 jährlich (1999 = 34, 2000 = 28, 2001 = 31, 2002 = 35, 2003 = 43,
71
2004 = 34, 2005 = 31, 2006 = 34, 2007 = 29). Von einem darüber
72
hinausgehenden Dunkelfeld ist auszugehen, weil möglicherweise nicht alle
Neugeborenenleichen tatsächlich aufgefunden werden. Seit 1979 bis 1997 waren ca.
5 Verurteilungen pro Jahr wegen § 217 a. F. registriert73. Obwohl der Begriff der
Kindstötung im juristischen Sinne die Tötung eines Kindes durch die Mutter in oder
gleich nach der Geburt bezeichnet74, ist seine Verwendung im allgemeinen
Sprachgebrauch unklar, denn oft wird darunter auch die Tötung von älteren bzw.
nicht eigenen Kindern verstanden. Um Missverständnisse zu vermeiden, bezeichnen
wir die Neugeborenentötung durch die Mutter – anhand der Klassifizierung Resnicks
75
- als Neonatizid , die wir im folgenden neben den Begriffen „Kindstötung“ oder
„Neugeborenentötung“ verwenden werden. Nach der Klassifizierung Resnicks
verwerten wir ebenso den Terminus Filizid, welcher die Tötung eines älteren Kindes
durch die Eltern bezeichnet. Gleichfalls benutzen wir den Begriff Infantizid, um die
Tötung von Kindern im Allgemeinen zu benennen, gleichgültig wer der Täter und wie
alt das Opfer ist.
B. Kriminologischer Befund
I. Klassifikationssysteme der Tötung von Kindern aus der
Sicht der Kriminalpsychologie
Die gegenwärtigen Klassifizierungssysteme beabsichtigen, ein besseres
ätiologisches Verständnis der Tötung von Kindern zu liefern, um effizientere
Verhinderungsstrategien zu führen. Sie bieten jedenfalls einen entscheidenden
69
Arzt/Weber, BT1 Rdn. 167/168.
70
http://www.tdh.de/content/themen/weitere/babyklappe/studie_toetung.htm.
71
http://www.zeugungsstreik.de/babyleichen2007.
72
Das Dunkelfeld ist die Differenz zwischen den amtlich gemeldeten Straftaten und den
tatsächlichen begangenen Straftaten. Vgl. Dörmann, Zahlen sprechen nicht für sich:
Aufsätze zu Kriminalistik, Dunkelfeld und Sicherheitsgefühl aus drei Jahrzehnten (2004).
73
Vgl. Blanke, 104 ff.; Streb, 102 ff.; Schmidt, 193/194; Weinschenk, 35 ff.; Arzt/Weber, BT1
Rdn. 167/168.
74
Dazu: Wächterhäuser Kindestötung. In: Lück (Hg.), Handwörterbuch zur deutschen
Rechtsgeschichte, 736 – 741, 1978.
75
Vgl. , 10 ff.
35
36. Ausgangspunkt an, um das komplexe Phänomen der Neugeborenentötung durch die
Mutter besser zu verstehen76.
1. Resnick77 (1970)
Eine der einflussreichsten Klassifizierung von Kindstötung veröffentlichte 1970 der
amerikanische Mediziner Phillip Resnick78. Er untersuchte 131 Fälle, in denen sowohl
Mütter als auch Väter ihre Kinder getötet haben. Resnick differenziert dabei
hinsichtlich der Täter, des Alters vom Opfer und des Tatmotivs:
(1) Die Tötung eines unerwünschten Neugeborenen durch die Mutter innerhalb von
24 Stunden nach der Geburt wird als Neonatizid79 bezeichnet. Die Tathandlung
erfolgt meistens durch Unterlassung80.
(2) Die Tötung des eigenen Kindes, welches älter als 24 Stunden ist, wird hingegen
als Filizid definiert. Sowohl Neonatizid als auch Filizid werden also ausschließlich
durch die eigenen Eltern begangen.
„Filicide refers to cases in which the killer is a parent of the victim. Two distinct types
of filicide are evident. Filicide is operationally defined as the killing of a son or
76
Blanke, 104 ff.
77
Phillip Resnick MD ist eine führende internationale Autorität in Gerichtspsychiatrie. Derzeit
ist er Direktor der Abteilung für forensische Psychiatrie an der Case Western Reserve School
of Medicine in Cleveland, Adjunct Professor an der Case Western University School of Law
und Präsident der American Academy of Psychiatry and the Law. Er ist zudem Direktor der
Fellowship in forensischer Psychiatrie und Psychotherapie der Case Western Reserve
University und Direktor der Psychiatrischen Klinik vom Gerichtshof in Cleveland. Dr. Resnick
ist darüber hinaus Mitherausgeber der International Journal of Offender Therapy and
Comparative Criminology. Er wurde als Life Distinguished Fellow der American Psychiatric
Association im Jahr 2003 geehrt.
78
Resnick, Murder of the newborn: a psychiatric review of neonaticide, Am. J. of Psychiatry,
126 (1970); 1414 – 1420.
79
Bonnet verfeinerte diese Definition, indem er zwei Arten Neonatizid beschreibt: aktiver
Neonatizid ist einerseits das Resultat jeder Gewalteinwirkung und passiver Neonatizid ist
andererseits das Ergebnis einer Nichtversorgung des Neugeborenen. Vgl. Bonnet, Child
Abuse and Neglect; 17 (4) (1993), 501 – 513; 506.
80
Resnick, Am. J. of Psychiatry, 126 (1970); 1414 – 1420; 1416.
36
37. daughter older than 24 hours. Neonaticide is the killing of a newborn before this age.
Neonaticide is a separate entity, differing from filicide in the diagnose, motives, and
disposition of the murderer.”81
Für Resnick umfasst zudem der Gesamtbegriff Infantizid nicht nur die
Bezeichnungen Neonatizid und Filizid, sondern sämtliche Kindstötungen, gleichgültig
wie alt das Opfer und wer der Täter ist.82 Der Täter beim Filizid und Infantizid ist
meistens ein Elternteil, selten begehen beide Eltern die Tat zusammen. Und wenn
der Täter kein Verwandter des Opfers ist, handelt er häufig in loco parentis.83
Laut Resnick sind die häufigsten Motive für Neonatizid eine unerwünschte
Schwangerschaft und die Schwangerschaftsverleugnung (denial of pregnancy)84.
Das Neugeborene wird häufig getötet in der Bemühung der Mutter, eine
unerwünschte Schwangerschaft zu verheimlichen85.
Mütter, die ihr neugeborenes Kind töten, sind häufig sexuell und emotional unreif,
leiden selten unter psychiatrischer Krankheit und weil sie ihre Schwangerschaft
verbergen, suchen sie normalerweise keine ärztliche Betreuung bzw. treffen keine
Geburtsvorsorge. Da heutzutage die außereheliche Schwangerschaft nicht mehr so
ausgeprägt stigmatisiert wird, wie es noch in den 70-er Jahren war, würde die
Schande (shame), so Resnick, als Tatmotiv inzwischen eine untergeordnete Rolle
spielen86. Wichtiger in dieser Hinsicht ist hingegen die sog.
87
Schwangerschaftsverleugnung (denial of pregnancy), auch Kryptocyesis genannt88
. Sie umfasst sowohl die Verheimlichung als auch die Verdrängung der
Schwangerschaft. Bei der verheimlichten Schwangerschaft weiß die Schwangere von
ihrer Gravidität, kann dies vor ihrer nächsten Umgebung jedoch geheim halten. Bei
der verdrängten Schwangerschaft wiederum wird die Gravidität von der betroffenen
81
Resnick, Child-Murder by Parents, 1.
82
Resnick, Am J Psychiatry; 162 (2005), 1578 – 1587; 1580.
83
An Stelle der Eltern.
84
Dazu: , 12 ff.; Conlon, 36 ff.; Höynck/Görgen, soFid 2006/2, 24.
85
Vgl. Rodegra, 27 ff. ; Wessel, 4 ff.
86
Schwartz/Iser, 42.
87
Laut Bezeichnung des Verfassers: Zusammensetzung aus „krypto“: heimlich, verborgen
und „cyesis“: Schwangerschaft, Gravidität. Gegenbegriff dazu ist die Pseudocyesis, auch
eingebildete Schwangerschaft oder grossesse nerveuse genannt.
88
Wille schlägt vor, die Schwangerschaftsverleugnung als grossesse occulteé zu
bezeichnen. Vgl. Wille/Beier, Sexuologie 1994, 87.
37
38. Frau nicht wahrgenommen. Die Verdrängung kann so ausgeprägt sein, dass selbst
die morphologischen und physiologischen Anzeichen der Gravidität unterdrückt
werden und kaum wahrnehmbar sind. Frauen, die ihre Schwangerschaft verleugnen,
werden von der einsetzenden Geburt überrascht und sind mit ihrer Lage so
überfordert, dass dabei die Tötung des Neugeborenen aus Angst bzw. Hilflosigkeit
erfolgt89:
„If a woman conceals her pregnancy, delivers her baby alone, and disposes of the
baby secretly, it creates a strong inference that she knew the nature, quality, and
wrongfulness of her act. On other hand, if a woman is found with her baby in a toilet
and she made no effort to conceal the birth, it lends credence to her having had an
altered mental state. The altered mental state may be due to dissociation, schock, or
acute blood loss.”90
Hinsichtlich des Filizids unterscheidet Resnick fünf Kategorien:
(1) Der altruistische Filizid: Die meisten Fälle bezogen ein altruistisches Motiv als den
wichtigsten Faktor für Filizid ein. In dieser Kategorie sind zugleich zwei Untergruppen
zu bemerken:
a) Der mit Selbstmord verbunden altruistische Filizid, in dem die Mutter keinen
anderen Ausweg ihrer hoffnungslosen Situation sehen kann:
„These mothers see their children as an extension of themselves. They do not want
to leave a child motherless in a “cruel” world as seen through their depressed
eyes.”91
b) Filizid, um das Kind vor realem oder vorgestelltem Leid zu bewahren:
„The suffering may be real or imagined. These mothers may project their own
unacceptable symptoms on to the child.”92
89
Dazu: Drescher-Burke, 4/5; Marneros, 178.
90
Resnick, Child-Murder by Parents, 10.
91
Ebenda.
92
Ebenda.
38
39. (2) Der Akut psychotische Filizid, der meist unter dem Einfluss von Epilepsie,
Delirium oder Halluzinationen begangen ist. Meist passen in diese Kategorie jene
Fälle, in denen kein verständliches Motiv herausgefunden werden könnte:
„This designation includes parents who killed under the influence of hallucinations,
epilepsy, or delirium. It does not include all of the psychotic child murders. This is a
weakest category because it contains those cases in which no comprehensible
motive could be ascertained.”93
(3) Tötung eines unerwünschten Kindes:
„These homicides were committed because the victim was not desired or was no
longer wanted by parent (…) Most neonaticides fit into the unwanted child
category.“94
(4) Versehentlicher Filizid95: Diese Kategorie schließt tödlich misshandelte Kinder
ein. Diese Fälle gelten als unbeabsichtigte, weil der Tötungsvorsatz fehlt.
Zornausbrüche, besonders die, die einer übereifrigen Anwendung der familiären
Disziplin entsprechen, sind häufig mit väterlichem Filizid verbunden:
„A. These homicides are usually the result of a fatal “battered child syndrome.”
Homicidal intent is lacking (…) B. Munchausen Syndrome by Proxy: Munchausen’s
diesease by proxy, a syndrome where a caretaker causes illness in their child to gain
attention, is a rare explanation for filicide (…)”96
(5) Filizid als Rache am Ehegefährten97: Tötung des gemeinsamen Kindes als
Rache, normalerweise weil die Mutter ihren Ehegefährten für untreu hält98:
93
Ebenda, 11.
94
Ebenda, 12.
95
“Fatal Maltreatment” Filicide.
96
Resnick, Child-Murder by Parents, 9.
97
Spouse Revenge.
98
Vgl. Mugavin, Journal of Forensic Nursing vom 22/06/2005; Bourget/Grace/Whitehurst, J
Am Acad Psychiatry Law 2007/35, 74 – 82.
39
40. „This final category consists of parents who killed their offspring in a deliberate
attempt to make their spouses suffer. Proof or suspicion of infidelity is a common
precipitant for spouse revenge filicidal.”99
2. Scott (1973)100
Scott101 glaubte, dass eine klinische Einschätzung des Tatmotivs in manchen Fällen
problematisch sein kann. Einerseits, weil der Täter nicht immer das wahre Motiv der
Straftat offenbart, und andererseits, weil sich manche Motive nach dem
Klassifikationssystem Resnicks nicht einordnen lassen, z. B. eine impulsive Tötung
kann nicht immer als psychotisch oder altruistisch kategorisiert werden. Nach dieser
Betrachtung schlägt Scott ein Klassifikationssystem vor, das objektiver als das
Modell Resnicks sein sollte und das nicht auf das Tatmotiv, sondern vielmehr auf der
Entstehung des Tötungsantriebs beruht. Sein Klassifikationssystem besteht aus fünf
Kategorien:
(1) Beseitigung eines ungewollten Kindes durch Aggression oder Vernachlässigung.
(2) Gnädige Tötung des Kindes, um es von einem tatsächlichen Leid zu erlösen.
(3) Tötung als Resultat der Aggression psychisch kranker Mütter.
(4) Tötung resultierend aus einem impulsiven Akt in Verbindung mit dem Verlust der
Geduld. Das Opfer schaltet den Tötungsantrieb indirekt an.
(5) Tötung resultierend aus einem impulsiven Akt in Verbindung mit dem Verlust der
Geduld. In dieser Kategorie schaltet das Opfer den Tötungsantrieb direkt an.
3. Radbill (1978)102
Radbill103 spürt unterschiedliche Motive für Kindstötung auf, die im Laufe der
Geschichte zu finden sind:
99
Resnick, Child-Murder by Parents, 9.
100
Scott, Parents who kill their children. Medicine Science and the Law 13/1973, 120 – 126.
101
Scott ist ein englischer Psychiater, ehemaliger Chairman des Maudsley Hospital in
Denmark Hill (London) und Mitglied des Royal College of Psychiatrists.
102
Radbill, 37 ff.
103
Samuel X. Radbill (1901-1987) war ein amerikanischer Mediziner, Dozent für Geschichte
der Kinderheilkunde an the Graduate School of Medicine, University of Pennsylvania,
Philadelphia.
40
41. (1) Bevölkerungskontrolle: Insbesondere bei Völkern, die weder
Empfängnisverhütung noch Abtreibung kennen.
(2) Illegitimität: Die Schande, die mit der Austragung außerehelicher Kinder
verbunden war, bewog die Menschen verschiedener Epochen und Gesellschaften,
ihre Neugeborenen zu töten.
(3) Überlastung bzw. Überforderung der Mutter durch Krankheit, Jugend oder Armut.
(4) Rituelle Opferung bei bestimmten Fruchtbarkeitsriten104.
(5) Aberglauben: Der Mensch fürchtete häufig, dass Missgebildete, Zwillinge oder
gebrechliche Kinder Unheil bedeuteten und daher wurden sie getötet. Es gab auch
den Aberglauben, dass getötete Kinder unfruchtbare Frauen helfen, Krankheiten
heilen oder eine gute Ernte bewirken könnten.
4. D’Orban (1979)105
D’Orban106 schlägt folgende Kategorien vor:
(1) Tötung resultierend aus einer impulsiven Handlung in Zusammenhang mit dem
Verlust der Toleranz, wobei das Opfer direkt an der Entstehung des Tötungsantriebs
steht. Dieses entspricht im Wesentlichen der fünften Kategorie Scotts
Klassifikationssystem.
(2) Tötung von Kindern, die von psychisch kranken Müttern begangen wird. Dieses
entspricht Scotts dritter Kategorie.
(3) Neonatizid, d. h. die Tötung eines Neugeborenen durch die Mutter innerhalb der
ersten 24 Stunden nach der Geburt. Diese Kategorie ist mit dem Begriff „Neonatizid“
Resnicks übereinstimmend.
(4) Tötung durch Mütter, die sich gegen den Partner revanchieren.
(5) Unerwünschte Kinder: Diese Kategorie schließt Frauen ein, die ein
unerwünschtes Kind durch Aggression oder durch Vernachlässigung töten. Das
Äquivalent dieser Kategorie ist Scotts erste Gruppe.
104
In China, Indien, Peru und Mexiko. Über Reproduktionsverhalten im Alten Peru:
Kauffmann-Doig (1977). Über Neonatizid in China, Mexiko und Indien: Schwartz/Isser, 19 ff.;
Oberman, 3 ff.; Meyer/Oberman, 13 ff.
105
D’Orban, Women who kill their children. British Journal of Psychiatry, 134/1979, 560 –
571.
106
Englischer Mediziner, Consultant Psychiatrist des Royal Free Hospital, London.
41
42. (6) Gnädige Tötung eines Kindes, um es von einem tatsächlichen Leid zu erlösen.
Dieses ist mit der Gruppe 2 des Klassifikationssystems Scotts identisch.
5. Bourget/Bradford (1990)107
Bourget108 & Bradford109 schlugen ein Klassifikationssystem vor, in dem
verschiedene Arten der klinischen Situationen einbezogen werden:
(1) Pathologischer Filizid mit abschließendem Selbstmord.
(2) Unbeabsichtigter Filizid aufgrund physischer Misshandlung.
(3) Revanchierender Filizid.
(4) Neonatizid, insbesondere des ungewollten Kindes.
(5) Väterlicher Filizid.
6. Wilczynski (1997)110
Wilczynski111 listet zehn Motive für Filizid auf, die von Schwartz und Isser in dem
Buch Endangered Children112 bearbeitet wurden:
(1) Rachetötung. Ein Elternteil tötet das gemeinsame Kind, um sich am Partner zu
rächen.
(2) Eifersucht auf das Kind oder Ablehnung seinetwegen. Der Vater ist meistens der
Täter.
(3) Unerwünschtes Kind. Weitverbreiteter Grund für Neonatizid.
(4) Disziplin. Übereifrige körperliche Bestrafung des Kindes bei Weinen oder
Ungehorsam.
(5) Altruismus.
107
Bourget/ Bradford, Homicidal Parents, Canadian Journal of Psychiatry, 35/1990, 233-238.
108
Dr. Bourget ist ein kanadischer Mediziner, Consultant Psychiatrist des Royal Ottawa
Hospital, Associate Professor in Psychiatry, University of Ottawa, Ontario, Kanada.
109
Dr. J M Bradford, kanadischer Mediziner des Royal Ottawa Hospital und Professor von
Psychiatrie an der University of Ontario.
110
Wilczynski, Child Homicide. Greenwich Medical Media, 1997.
111
Ania Wiczynski ist Doktor der Rechte, Professor an der juristischen Fakultät der Sydney
University, Australien.
112
Schwartz/Iser, Endangered Children:Neonaticide, Infanticide and Filicide, 2000.
42
43. a) Primär. Normalerweise gnädige Tötung bei sehr kranken bzw. behinderten
Kindern.
b) Sekundär. Eventuelle Postpartum-Depression. Mangel an elterlicher
Unterstützung.
(6) Psychotischer Elternteil. Wahnvorstellungen über das Kind.
(7) Münchhausen-Syndrome-by-Proxy (MSBP). Psychische Erkrankung, wobei ein
Elternteil - meistens die Mütter – Krankheiten bei ihrem Kind vorsätzlich herbeiführen,
um medizinische Behandlung zu erfordern. Diese Form von Kindesmisshandlung
führt nicht selten zum Tod des Kindes.
(8) Nach sexuellem bzw. rituellem Missbrauch.
(9) Fahrlässigkeit.
(10) Unbekannt.
7. Guileyardo, Prahlow and Barnard (1999)113
Sie schlugen ein Klassifikationssystem vor, indem die Konstellation der Motive und
Ursachen für Filizid erweitert wurde und deren Kategorien kompatibler mit der
gerichtlichen Praxis sein sollte. Sie sind:
(1) Altruismus.
(2) Euthanasie.
(3) Akute Psychose.
(4) Post partum -Persönlichkeitsstörung.
(5) Unerwünschtes Kind.
(6) Unerwünschte Schwangerschaft.
(7) Zornausbruch.
(8) Revanchierende Mütter.
(9) Münchhausen-by-proxy-Syndrom (MBPS).
(10) Sexueller Missbrauch.
(11) Tötung älterer Kinder.
(12) Nachlässigkeit und Vernachlässigung.
(13) Sadismus und Bestrafung.
113
Guileyardo, Prahlow and Barnard, Familial filicide and filicide classification. The American
Journal of Forensic Medicine and Pathology, 20 (3)/1999, 286 – 292.
43
44. (14) Drogen- und Alkoholmissbrauch.
(15) Dissoziationsanfälle.
(16) Unbeteiligter Zuschauer.
II. Zur Phänomenologie des Neonatizids: Entstehungsbedingungen und
Risikofaktoren
Die Ermittlung und Analyse von Ursachen, Entstehungsbedingungen und
Risikofaktoren der Neugeborenentötung durch die Mutter können dazu beitragen,
verbesserte Maßnahmen zum Lebensschutz des Neugeborenen zu treffen.
Bei der Untersuchung von Risikofaktoren, die zum Neonatizid führen können, stellt
Overpeck114 in ihrer Studie 1998 fest, dass Todesfälle von Neugeborenen häufiger
als die von älteren Kindern vorkommen.115 Sie kommt zu dem Schluss, dass die
stärksten Risikodispositionen für Neonatizid das Jugendalter der Mutter116, eine
zweite oder weitere Geburt117 und keine pränatale Betreuung118 sind. Eine kürzere
als 12 Jahre Schulausbildung für Mütter, die über 19 Jahre alt sind, war ein weiterer
Risikofaktor für Neugeborenentötung119. Die jüngsten verfügbaren Angaben aus dem
National Center for Health Statistics of the Centers for Disease Control and
Prevention in USA weisen darauf hin, dass die Kindersterblichkeit höher ist bei
Müttern, die erst nach dem ersten Trimester der Schwangerschaft pränatale
Betreuung suchen oder bei denen, die auf eine vorgeburtliche Versorgung
vollkommen verzichten120. Die höchste Frequenz der Kindersterblichkeit im
Zusammenhang mit dem Alter der Mutter ist für die Gruppe im Alter von unter 20
Jahren. Die höchste Kindersterblichkeitsrate erfolgt bei Müttern, die weniger als 11
Jahre Schulausbildung haben121. Mc Kee und Shea122 vergleichen ihre Stichprobe
von 20 wegen Filizids angeklagten Frauen mit denen von Bourget und Bradford,
114
Epidemiologin des U.S. Maternal and Child Health Bureau, Rockville, Maryland.
115
Overpeck et al., New England Journal of Medicine: 339/1998, 1212; Overpeck,
Epidemiology of Infanticide, 19 – 31; Overpeck et al., Pediatrics 103/1999; 968 – 974.
116
Jünger als 17 Jahre.
117
Bei Müttern, die jünger als 19 Jahre sind.
118
Overpeck et al., New England Journal of Medicine 339/1998, 1213.
119
Ebenda.
120
Mac Doman/Atkinson, Nat. Vital Stat. Rep., 47 (23)/1999, 5.
121
Ebenda, 10.
122
Mc Kee/Shea, J. of Clin. Psychol. 54/1998, 679 – 687.
44
45. d’Orban und Resnick und kommen zum Schluss, dass achtzig Prozent der
Probanden eine diagnostizierbare Persönlichkeitsstörung haben, mindestens 35%
geistig zurückgeblieben sind und 35% einer Diagnose von Borderline Intellectual
Functioning123 haben124. Mc Kee und Shea sehen einen Zusammenhang zwischen
niedrigem Einkommen der Mütter und Neugeborenentötung, wobei alle Probanden
der Untersuchung arbeitslos waren. Knapp 20% der Frauen waren Opfer vom
sexuellen Missbrauch125. Mc Kee und Shea stellen darüber hinaus fest, dass diesen
Frauen die ausreichenden Ressourcen bzw. Mittel fehlten, um die zum Filizid
führenden Stressfaktoren zu bewältigen126. Außerdem waren die meisten Tötungen
das Ergebnis nicht vom Rausch, sondern vielmehr vom verzerrten Realitätskontakt;
sie waren impulsiv und ungeplant ausgeführt und bezogen sich auf extreme Ebenen
vom situativen Stress, Depression, Zorn oder eine Kombination dieser Faktoren127.
Obermann128 behauptet, Neonatizid sei eine Problematik, die nicht nur individuell,
sondern auch gesellschaftlich zu behandeln sei. Auf der individuellen Ebene haben
die in Neugeborenentötungsfälle verwickelte Frauen so wenig oder gar kein
Selbstwertgefühl, dass sie unfähig sind, sich Selbst zu schützen: Ihre Unsicherheit
führt im Fall einer Schwangerschaft zur Lähmung, zur Untätigkeit129. Außerdem
befürchten viele Frauen, dass sie von ihrer familiären Umgebung ausgeschlossen
werden, wenn sie geschwängert werden130. Obermann findet bei vielen
Neugeborenentötungsfällen, dass die Familien kaum Interesse an ihren Mitgliedern
haben. Bei Frauen, die Neonatizid begehen, mangelt es an Beziehungen mit offenen,
fürsorglichen und zuverlässigen Menschen, die ihre schwierige Situation erkennen
können. Selbst in einer gut belebten Wohnung bleibt die individuelle Isolierung ein
struktureller Faktor, der bei einer Neugeborenentötung mitwirkt. Über die mitwirkende
Rolle der Schande beim Neonatizid erklärt Massaro131, dass sie destruktiv, anstatt
reintegrativ wirkt. Schande sei eine Aufforderung zur Erniedrigung des
Normbrechers, zunächst durch den Staat und dann durch die Tätergemeinschaft.
123
Langsames Lernen, das als zentral kognitives Verhaltensmerkmal der Lernbehinderung
bezeichnet ist.
124
Mc Kee/Shea, J. of Clin. Psychol. 54/1998, 683.
125
Ebenda, 684.
126
Ebenda, 685.
127
Ebenda.
128
Oberman, Am. Criminal Law Review, 1996/34(1), 1 – 110.
129
Ebenda, 71.
130
Ebenda.
131
Massaro, Public Policy and Law, Vol. 3, 1997 No.4, 645 – 704.
45
46. Ehrenreich132 erklärt dazu, dass die beim Neonatizid mitwirkende
Schwangerschaftsverleugnung auf die Furcht vor Schande zurückzuführen ist.133
Und die öffentliche Schande ist für Massaro ein potenziell verheerender Eingriff in
das idealisierte Selbstwertgefühl: Es handelt sich hier um eine narzisstische
Niederlage134.
Ein Beispiel für den Einfluss des religiösen Kontextes ist in einem Fall von Green und
Manohar geschildert. Es handelt sich um die einzige Tochter einer Familie von sechs
Kindern. Die Familie praktiziert einen streng evangelischen Glauben, lebt in einer
sozial isolierten Gemeinde und vermeidet zeitgenössische Lebensformen, die als
sündhaft betrachtet werden. Nachdem die Tochter Prügel von ihrem Vater
bekommen hat, verlässt sie das Elternhaus im Alter von 18 und anschließend begibt
sie sich in eine nichteheliche Lebensgemeinschaft. Im Alter von 23 ist sie noch ledig,
gebärt allein ein Kind im Badezimmer und ertränkt es in der Toilettenschüssel. Die
Botschaft des Falles scheint klar. Aus der Sicht ihrer religiösen und kulturellen
Vorstellungen war die außereheliche Schwangerschaft eine schwere Sünde und eine
Abtreibung kam für sie auch nicht in Frage. Obwohl die Frau einen unabhängigen
Lebensstil führen konnte, war es klar, dass sie die durch Introjektion verinnerlichten
Vorstellungen vom Elternhaus nicht einfach loswerden konnte. Während der
Schwangerschaft war sie nie in der Lage, ihre Eltern zu informieren, dass sie Mitglied
einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft war und dass sie außerhalb einer Ehe
geschwängert wurde135.
1. Die Studie Craig über Risikofaktoren
Craig136 erklärt in seiner Studie über Tötung von Kindern in Großbritannien, dass
Neonatizid im Infanticide Act nicht ausdrücklich definiert ist. Es ist außerdem ziemlich
schwierig, sagt Craig137, genaue Zahlen über die Häufigkeit vom Neonatizid zu finden
und daher sollten offizielle Statistiken nur auf eine unterschätzte Inzidenz von
132
Ehrenreich, Life, Jan. 1998 21, 68 – 76.
133
Ebenda.
134
Massaro, Public Policy and Law, Vol. 3, 1997 No.4, 660.
135
Overpeck et al., New England Journal of Medicine 339/1998, 1214.
136
Craig, Journal of the Royal Society of Medicine, Vol. 97 February 2004, 57 – 61.
137
Craig ist Leiter des Harvard Mental Health Letter und Professor für Psychiatrie an der
Harvard Medical School.
46
47. Neugeborenentötung hindeuten138. Resnick139 behauptet hingegen, dass in
Großbritannien „Hunderte und möglicherweise Tausende von
Neugeborenentötungsfällen“ jedes Jahr auftreten. Amtliche Statistiken schätzen
jedoch die Inzidenz von Infantizid in Großbritannien zwischen 30 und 45 Fälle pro
Jahr140 und davon betragen Neugeborenentötungsfälle zwischen 20 und 25 % der
gefundene Opfer141.
Resnick142 deutet außerdem an, dass die Motive für Neonatizid und Infantizid
divergenter Natur sind: Neonatizid wird begangen, weil das Neugeborene
unerwünscht ist. Infantizid wird hingegen aus altruistischen Gründen begangen, um
das Opfer vor einem imaginären oder tatsächlichen Leid zu bewahren. Nachfolgende
Studien haben diesen Ansatz der unterschiedlichen Motivation bei Neonatizid und
Infantizid bekräftigt143. Und da die Motivation hinter Neonatizid und Infantizid
differieren, sind die Risikofaktoren bei diesen beiden Taten also jeweils
andersartig144. Die Praxis der Neugeborenentötung zeigt sich in vielen alten Kulturen.
Beweise für rituelle Neugeborenentötung wurde dokumentiert unter den Azteken,
den Inkas, den alten Chinesen, den Mardudjara Aborigines in Australien und einigen
afrikanischen Kulturen145.
Neonatizid war im antiken Griechenland und alten Rom, so Craig, eine anerkannte
Geburtenregelungsmethode. Schwächliche oder missgestaltete Neugeborenen
wurden aus eugenischen Gründen getötet oder weil sie als besondere Belastung für
den Staat betrachtet wurden146. Im Rest von Europa jedoch gibt es nur wenige
verlässliche Informationen erst ab Mittelalter. Im mittelalterlichen England kam
Neonatizid sehr häufig vor147. Die Zahlen von dieser Zeit zeigen eine deutliche
Präferenz für männliche vor weiblichen Kindern. Dies deutet an, dass vorwiegend
weibliche Neugeborene getötet wurden148. Diese Tendenz spiegelt sich derzeit bei
138
Craig, Journal of the Royal Society of Medicine, Vol. 97 February 2004, 57.
139
Ebenda.
140
Marks/Kumar, Med Sci Law, 1993/33, 329 – 339.
141
Craig, Journal of the Royal Society of Medicine, Vol. 97 February 2004, 58.
142
Ebenda.
143
D’Orban, British Journal of Psychiatry, 134/1979, 561.
144
Ebenda, 562.
145
Ebenda.
146
Laughlin, Pre- Perinatal Psychiatry J ; 1994/1, 85 – 101.
147
Kellet, Forens Sci Int 1992/53, 1 – 28.
148
Kellum, Hist Child Quart 1973/1974; 367 – 388.
47
48. bestimmten Eskimo-Stämmen in Kanada149, in den Staaten Tamil Nadu, Rajasthan
und Bihar in Indien150und in China151. Eigene Erklärungen wurden skizziert. Die Rede
ist von einer „Präferenz für Söhne“152 oder von einer männlichen Dominanz über den
Haushalt153. Darüber hinaus wird die Tötung weiblicher Neugeborenen als die
effektivste Methode der Geburtenregelung betrachtet154. Der historische Befund zeigt
somit, dass die wichtigsten Risikofaktoren für Neugeborenentötung auf folgende
Aspekte basieren: weibliche Nachkommenschaft, Wirtschaft und kongenitale
Missgestaltung. Craig fragt sich, ob diese Faktoren heutzutage immer noch relevant
sind. Studien über Neonatizid in England und Wales von 1982 bis 1988 stellen fest,
dass die Anzahl von weiblichen und männlichen Opfern ähnlich ist. Demzufolge spielt
der Gender-Faktor kaum eine Rolle in der zeitgenössischen klinischen Praxis in
Großbritannien. Ob es ethnische Vorliebe für weibliche Neugeborenentötung gibt, ist
aus der Studie nicht zu folgern, aber das scheint eher unwahrscheinlich.
Was der Wirtschaftsfaktor betrifft, wird erwähnt, dass die meisten Mütter, die
Neonatizid begehen, einkommensschwach sind155, aber nach jüngsten
156
Untersuchungen wurde die Auswirkung des Wirtschaftsfaktors nicht direkt
untersucht und somit ist ein Zusammenhang zwischen Einkommensschwäche und
Neonatizid nicht zu begründen. Ein weiterer Befund von neuen Studien besteht darin,
dass Neonatizid häufiger bei Frauen im Jugendalter mit niedrigem
Ausbildungsniveau vorkommt157.
Schließlich gibt es keine Daten über die Häufigkeit vom Neonatizid auf Grund von
kongenitaler Missgestaltung, sodass die historische Arbeit nicht hilfreich bei der
Feststellung von Risikofaktoren für die zeitgenössische Anwendung war. Von mehr
potenziellem Wert sind wiederum eine Reihe von entscheidenden Faktoren, die im
Zusammenhang mit Neonatizid auftreten. In einer Untersuchung in Großbritannien
zwischen 1970 und 1975 hat d’Orban festgestellt, dass 45 % der Mütter primiparae
149
Loomis, Int J Law Psychiatry ; 9/1986, 503 – 506.
150
Kulksrni/Hebbal/Koujalgi/Ramesh, Ind Pediatrics; 33/1996, 525 – 526.
151
Light, J Center Women and Policy Stud 8/1985, 5 – 6.
152
Ebenda.
153
Freeman, Am Anthropologist ; 73/1971, 1011 – 1018.
154
Ember, Ethnology 13/1974, 197 – 206.
155
Kaye/ Borenstein/Donnelly, J Forens Sci 35/1990, 133 – 139.
156
Overpeck et al., N Engl Med 339/1998, 1211 – 1241; Kellet, Forens Sci Int 53/1992: 1 –
28.
157
Overpeck et al., N Engl Med; 339/1998, 213.
48
49. waren und eine größere Studie aus den USA hat einen noch höheren Wert: Von 139
Fällen von Neonatizid, die zwischen 1983 und 1991 registriert wurden, hat
Overpeck158 festgestellt, dass 65 % primiparae waren. Ein weiterer Risikofaktor
bezüglich des Alters ist die Tatsache, dass Frauen meistens ledig waren und bei
ihren Eltern wohnten159. Darüber hinaus wurde bemerkt, dass die Kommunikation
zwischen der Gravida und ihrer Familie durchaus eingeschränkt war160. In manchen
Familien ist von einer strengen Erziehung die Rede161 und in anderen wurde
beobachtet, dass ein Elternteil für apodiktisch religiöse Ideen engagiert war162.
Andere Studien besagen, dass Frauen unreif163, schüchtern164, minder begabt oder
passiv165 waren. Gummersbach deutet darauf hin, dass die Passivität der Täterin
eine entscheidende Rolle beim Neonatizid spielt166.
Neugeborenentötung erfolgt häufig nach einer Schwangerschaftsverleugnung
(denial of pregnancy), die als Bewältigungsstrategie der Gravida bezeichnet wird:
Normale Schwangerschaftsanzeichen werden dabei „weg rationalisiert“ und
Komplikationen wie beispielsweise vaginale Blutungen werden missinterpretiert167.
Eine Schwangerschaftsverdrängung kann auf die Psyche der Frau so mächtig
auswirken, dass Geburtswehen als Menstruationsbeschwerden und Niederkunft als
Stuhlgang missverstanden werden168. Einige Wissenschaftler erklären einerseits,
diese Frauen versuchen in den ersten Schwangerschaftswochen nicht abzutreiben,
weil sie eine Neugeborenentötung immerhin als „terminal abortion procedure“ oder
als Spätabtreibung betrachten169 und andererseits, das Risiko für
Neugeborenentötung ist noch größer bei Gesellschaften, in denen die Legislation
über Abtreibung streng oder nicht genug gelockert ist170.
158
Ebenda.
159
Atkins/Grimes/Joseph/Liebman, Am J Forens Psychol, 17/1990, 5 – 33; Wilkins, J
Psychiatry; 146/1985, 206 – 208.
160
Sadoff, Psychiatr Ann; 17/1995, 5 – 33.
161
Ebenda.
162
Green/Manohar, Br J Psychiatry; 156/1990, 121 – 123.
163
Hirschmann/Schmitz, Psychoter Psychosomat; 8/1958, 1151.
164
Wilkins, J Psychiatry; 146/1985, 206 – 208.
165
Gummersbach, Wein Med Wschr; 88/1938, 1151.
166
Ebenda.
167
Brezinka et al., J Psychosomat Obst Gynecol 15/1994, 3 .
168
Ebenda.
169
Minturn/Stashak, Behav Sc Res; 17/1982, 70 – 90.
170
Ebenda.
49
50. 2. Denial of pregnancy and concealed pregnancy
Der Studie von Miller171 zufolge wird Neonatizid als die Tötung eines Neugeborenen
durch die Mutter am Tag der Geburt definiert, welches eine einzigartige Form von
Infantizid darstellt172. Neonatizid kommt oft nach einem Fall von
Schwangerschaftsverleugnung (denial of pregnancy) vor. Miller ist fest davon
überzeugt, dass die Nachvollziehung des Phänomens denial of pregnancy
(Schwangerschaftsverleugnung) eine wichtige Voraussetzung ist, um Neonatizid
verhüten zu können173. Denial (Verleugnung) kann definiert werden als ein Verhalten,
das zur Annahme einer offenkundigen Tatsache oder deren Implikationen
scheitert174. Hier ist das Verhalten hervorgehoben, weil eine Person kognitiv ein
Faktum anerkennen kann (beispielsweise eine Krankheit oder eine Schwangerschaft)
und trotzdem dessen Auswirkung bzw. Tragweite rundweg ableugnet. Wie bei
anderen Formen der Verleugnung tritt die Schwangerschaftsverleugnung in
verschiedenen Intensitätsstufen auf. Manchmal wird die Schwangerschaft kognitiv
anerkannt, aber die emotionale Konnotation wird verweigert, d. h., gelegentlich ist die
Schwangerschaft erkannt, aber sie wird bis zum Punkt des Unbewusstseins
unterdrückt. Manchmal bleibt die Schwangerschaftsverleugnung extrem täuschend
und gegen alle mögliche Prüfungen anhaltend.
Es gibt drei qualitativ verschiedene Arten der Schwangerschaftsverleugnung: affektiv,
pervasiv oder allgegenwärtig und psychotisch. Die affektive
Schwangerschaftsverleugnung ist mit einem Ablehnungsgefühl (einer Art Rejektion)
zum Fötus verbunden. Dieses Ablehnungsgefühl widerspricht dem gängigen
erhöhten Emotionalzustand der Gravida, der durch einen frühen
Verbundenheitsprozess gekennzeichnet wird. Frauen differieren in ihren emotionalen
Reaktionen bezüglich der Schwangerschaft175. Manche Schwangeren entwickeln
eine verstärkte kognitive und emotionale Sensibilität176. Die meisten Frauen
171
Professor of Psychiatry, Chief of Women’s Services Division, University of Illinois at
Chicago.
172
Miller, Denial of Pregnancy.
173
Ebenda, 81.
174
Ebenda, 82.
175
Rofe/Blittner/Lewin, J Clin Psychol 49/1993, 3 – 12.
176
Mothander, Scand J Psychol 33/1992, 20 – 28.
50