1. Nr. 11 von 12
November 2012 · 94. Jahrgang
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Wirtschaftspolitisches Mitteilungsblatt
für die Mitglieder der AIHK
M I T T E I L U N G E N
Gegenvorschlag ist einschneidend aber akzeptabel
von Marco Caprez, lic. iur., Rechtsanwalt, juristischer Mitarbeiter der AIHK, Aarau
Wie in den Oktober-Mitteilungen ausführlich dargelegt, hält die «Abzockerinitia- INDIREKTER GEGEN-
tive» nur bedingt, was sie suggeriert. Sollte die Initiative vom Volk angenommen VORSCHLAG ZUR
«ABZOCKERINITIATIVE»
werden, so wird es weiterhin Millionenboni geben. Zudem werden Unternehmen
durch starre Bestimmungen unnötig in ihrer wirtschaftlichen Unternehmenstätig-
keit eingeschränkt. Umso mehr sollte die Initiative abgelehnt werden, weil nach
Ablauf der Referendumsfrist ein indirekter Gegenvorschlag in Kraft treten könn-
te, der zwar einschneidend, aber dennoch mehrheitlich wirtschaftsfreundlich ist.
indirekte Gegenvorschlag hinfällig und die Initiative
Der indirekte Gegenvorschlag ist besser muss vom Parlament auf Gesetzesstufe umgesetzt
als die «Abzockerinitiative», weil er: werden.
hält, was er verspricht;
nicht übers Ziel hinausschiesst; Erst bei Ablehnung der Initiative wird der indirekte Ge-
Grundanliegen der Initiative aufnimmt;
die genvorschlag im Bundesblatt publiziert. Mit der Publi-
auf unsinnige Forderungen verzichtet; kation beginnt die Referendumsfrist zu laufen. Nach
Mitwirkungsrechte der Aktionäre angemes-
die Ablauf der Referendumsfrist wird der indirekte Gegen-
sen berücksichtigt;
vorschlag auf Gesetzesstufe in Kraft treten. Ein allfälli-
dank des Vergütungsreglements transparenter
ges Referendum erscheint aufgrund der erwähnten
als die Initiative ist und
schon bald in Kraft treten könnte.
Zahlen aber sehr unwahrscheinlich. So hat etwa eco-
nomiesuisse öffentlich erklärt, kein Referendum gegen
den indirekten Gegenvorschlag ergreifen zu wollen.
Über welche Vorlage werden wir
am 3. März 2013 abstimmen?
Inhaltliche Unterschiede
Am 16. März 2012 verabschiedete die Bundesver-
sammlung einen indirekten Gegenvorschlag zur so Im Gegensatz zur Initiative, die ausschliesslich Be-
genannten «Abzockerinitiative», welcher im Natio- stimmungen für börsenkotierte Unternehmen
nalrat mit 193:0 und im Ständerat mit 42:1 (einzige beinhaltet, hätte der indirekte Gegenvorschlag teil-
Gegenstimme vom Initianten und Ständerat Thomas weise auch Auswirkungen auf nicht börsenkotierte
Minder) angenommen wurde. Unternehmen. Nachfolgend sollen die Grundpfeiler
des Gegenvorschlags näher erläutert werden:
Das Stimmvolk wird am 3. März 2013 über Minders
«Abzockerinitiative» urteilen. Über den indirekten 1. Die Vergütungsprinzipien eines Unternehmens sollen
Gegenvorschlag wird an diesem Datum nicht abge- in einem Vergütungsreglement festgehalten werden.
stimmt. Nimmt das Volk die Initiative an, so wird der Im Reglement wird zwischen einer Grundvergütung
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2. und zusätzlichen leistungs- und erfolgsabhängigen senkotierten Gesellschaft soll neu durch die General-
Komponenten unterschieden. Die Generalversamm- versammlung gewählt werden, es sei denn, die
lung muss das Vergütungsreglement und dessen Än- Statuten sehen den Verwaltungsrat dafür vor. Die
derungen zwingend genehmigen. Die «Abzocker- «Abzockerinitiative» sieht zwingend die jährli-
initiative» verlangt kein Vergütungsreglement, che Wahl des Verwaltungsrates sowie des Prä-
sondern starre statutarische Bestimmungen. sidenten vor.
2. Der Verwaltungsrat hat jährlich einen Vergütungs- 7. Die Depot- und Organvertretung werden abge-
bericht zu erstellen, in dem er Rechenschaft über das schafft. Die Rechte des Stimmrechtsvertreters werden
Vergütungsreglement abzulegen hat. Nebst diesem zumindest bei börsenkotierten Gesellschaften detail-
Rechenschaftsteil umfasst der Vergütungsbericht lierter geregelt. Hat der Stimmrechtsvertreter bspw.
auch einen Transparenzteil. Im Transparenzteil sind keine Weisungen zu angekündigten Traktanden er-
die effektiv geleisteten Vergütungen an den Verwal- halten, so muss er sich zwingend der Stimme enthal-
tungsrat, die Geschäftsleitung und den Beirat offen ten und darf nicht – wie nach aktueller Rechtslage –
zu legen. Die «Abzockerinitiative» verlangt hin- gemäss den Anträgen des Verwaltungsrates stimmen.
gegen keinen Vergütungsbericht.
8. Die Generalversammlung soll den heutigen Be-
3. Die Generalversammlung hat jährlich zwingend dürfnissen angepasst werden. Die Einladung zur Ge-
die Vergütungen des Verwaltungsrats, der Geschäfts- neralversammlung kann dem Aktionär neu auch
leitung und des Beirats zu genehmigen. Ein solcher elektronisch zugestellt werden. Ferner können die
Beschluss ist grundsätzlich bindend. Dem Beschluss Statuten vorsehen, dass Aktionäre ihre Rechte aus
über die Vergütungen der Geschäftsleitung kommt der Distanz auf elektronischem Weg ausüben. Neu
ausnahmsweise konsultative Wirkung zu, sofern die können Generalsversammlungen ausschliesslich auf
Statuten dies vorsehen. Die erwähnte Regelung gilt elektronischem Weg und ohne Tagungsort durchge-
für sämtliche Aktiengesellschaften, weshalb sie auch führt werden. Die «Abzockerinitiative» verlangt
unmittelbare Auswirkungen auf KMU hat. Die «Ab- zwingend, dass Aktionäre elektronisch fernab-
zockerinitiative» verlangt eine jährliche Abstim- stimmen können.
mung über sämtliche Vergütungen, auch über
diejenigen an die Geschäftsleitung. 9. Vorsorgeeinrichtungen werden verpflichtet, ihre
Stimmrechte auszuüben, sofern dies möglich ist. Zu-
4. Abgangsentschädigungen und Zahlungen im Vor- dem müssen sie offenlegen, wie sie gestimmt ha-
aus («goldene Fallschirme») sind grundsätzlich unzu- ben. Die «Abzockerinitiative» sieht eine zwin-
lässig, soweit keine begründete Ausnahme bean- gende Stimmpflicht vor.
tragt wurde. Antrittsprämien sind hingegen möglich,
sofern sie im Vergütungsreglement vorgesehen sind. 10. Der indirekte Gegenvorschlag enthält im Gegen-
Die «Abzockerinitiative» verlangt ein absolu- satz zur Initiative keine neuen Strafbestimmungen.
tes gesetzliches Verbot von Abgangsentschä-
digungen und Vergütungen im Voraus.
Gegenvorschlag besser als Initiative
5. Die Rückerstattungsklage wird griffiger ausgestal- In der heutigen, globalisierten Wirtschaft braucht es
tet. Die Rückforderung exzessiver Vergütungen soll globale Regelungen. Nationale Lösungen bringen
erleichtert werden, sofern ein offensichtliches Miss- wenig. So würde bspw. die Forderung nach einem
verhältnis zwischen Leistung der Gesellschaft und Verbot von «Abgangs- oder anderen Entschädigun-
der erbrachten Gegenleistung besteht. gen» Schweizer Unternehmen gegenüber dem Aus-
land benachteiligen: Während ausländische Firmen
6. Die Mitglieder des Verwaltungsrats von börsenko- (auch an ihren Standorten in der Schweiz) nach wie
tierten Gesellschaften werden jährlich durch die Ge- vor solche Entschädigungen anbieten könnten, wäre
neralversammlung gewählt, sofern die Statuten dies den Schweizer Unternehmen untersagt. Damit
nichts anderes bestimmen. Eine Amtsdauer darf je- würden wir uns unnötig selber benachteiligen.
doch drei Jahre nicht übersteigen. Bei Gesellschaf-
ten, die nicht an einer Börse kotiert sind, werden die Obwohl auch der indirekte Gegenvorschlag Ab-
Mitglieder für eine Dauer von drei Jahren bzw. maxi- gangsentschädigungen und Zahlungen im Voraus
mal sechs Jahren gewählt. Der Präsident einer bör- grundsätzlich verbietet, können trotzdem begründe-
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3. te Ausnahmen beantragt werden, sofern sie im Inte- nen. Mit dem indirekten Gegenvorschlag werden die
resse der Gesellschaft sind und die Generalversamm- Anliegen der Initiative auf eine praxistaugliche und
lung ihnen zustimmt. Solche Bestimmungen sind mehrheitlich wirtschaftsverträgliche Weise gelöst.
zwar einschneidende Bestimmungen für den Wirt- Der Gegenvorschlag auf Gesetzesstufe wahrt die un-
schaftsstandort Schweiz. Im Gegensatz zur Initiative ternehmerische Freiheit. Er vollbringt nämlich den
bleibt die unternehmerische Freiheit jedoch gröss- Spagat zwischen den Anliegen der Unternehmen an
tenteils gewahrt und die Mitwirkungsmöglichkeiten genügender Flexibilität mit denen der Aktionäre
der Aktionäre werden angemessen berücksichtigt. In nach angemessenen Mitwirkungsmöglichkeiten
diesem Zusammenhang gilt es ferner besonders das grösstenteils. Ganz im Gegensatz zur «Abzockerini-
Vergütungsreglement hervorzuheben, das den Akti- tiative», die übers Ziel hinausschiesst. Unsinnige For-
onären die Möglichkeit einräumt, ein auf die Bedürf- derungen wie die zwingende Strafbarkeit für die
nisse der Gesellschaft massgeschneidertes Konzept Verletzung aktienrechtlicher Bestimmungen gehören
zu entwerfen. Durch ein Reglement dürfte auch die nicht ins Aktienrecht bzw. in unsere Verfassung.
Transparenz gefördert werden.
Schliesslich tun die Stimmenden gut daran, das emo-
Schliesslich wäre der indirekte Gegenvorschlag auf tionale Thema sachlich anzugehen und sich nicht
Gesetzesstufe schneller umsetzbar. Es ist nämlich von allzu vielen Emotionen leiten zu lassen. Natürlich
eher unwahrscheinlich, dass das Parlament bei einer mögen Millionenboni übermässig oder ungerecht
allfälligen Umsetzung der Initiative auf Gesetzesstu- erscheinen. Gewiss hat das Parlament auch keine
fe wesentlich schneller agieren wird, gilt es doch Meisterleistung im vorliegenden Gesetzgebungsver-
zahlreiche Details abschliessend umzusetzen. fahren abgeliefert. Nichtsdestotrotz resultierte aus
einem demokratischen Verfahren ein guter Geset-
zesvorschlag, der von Parteien sämtlicher politischer
Fazit
Couleurs getragen wird. Dieser indirekte Gegenvor-
Aus Sicht der AIHK sollen Löhne für alle Mitarbeiter schlag greift schneller und ist die bessere Lösung. Die
grundsätzlich frei verhandelbar sein und durch den AIHK empfiehlt ihren Mitgliedern somit, am 3. März
Wettbewerb beeinflusst werden. Einschränkungen 2013 ein Nein zur «Abzockerinitiative» in die Urne
sollen nur soweit erfolgen, als «Lohnexzesse» im zu legen. Eine gute Alternative steht mit dem indi-
Management nicht anders vermieden werden kön- rekten Gegenvorschlag bereit.
Studie zeigt Risiken der Energiewende auf
von Jan Krejci, lic. iur., juristischer Mitarbeiter der AIHK, Aarau
In seiner Energiestrategie 2050 geht der Bundesrat von einer sinkenden Strom- ENERGIEPOLITIK
nachfrage ab 2020 aus. Was passieren könnte, wenn diese Prognose nicht eintrifft,
untersuchte eine neue Studie des Instituts für Wirtschaftsstudien Basel AG (IWSB).
Die Autoren der Studie kommen zum Schluss, dass sich die Energiekosten der
Wirtschaft verdoppeln bis verdreifachen werden. Zudem sei absehbar, dass der
Ausstieg aus der Kernenergie die Abhängigkeit von Gas enorm erhöhen werde
und bis zum Jahr 2050 zu einer Versiebenfachung des Gasimports führen könnte.
Letztes Jahr haben der Bundesrat und das Parlament Bundesrat geht davon aus, dass der Stromverbrauch
den Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen. Dies bis 2020 «stabilisiert» werden kann und dass dieser
bedeutet, dass 40 Prozent der heutigen Strompro- danach sinken wird. Was passieren könnte, wenn
duktion ersetzt werden müssen. Den Ersatz der nuk- diese Prognose nicht eintrifft, zeigt eine neue Studie
learen Stromproduktion will der Bundesrat mit einem des Instituts für Wirtschaftsstudien Basel AG (IWSB).
ersten Massnahmenpaket seiner Energiestrategie
2050 angehen. So soll der Energie- und Stromver-
Steigende Bedeutung von Gas
brauch pro Person gesenkt, die Energieeffizienz ge-
steigert und der Zubau erneuerbarer Energien mittels Für die Studie wurden Daten der Internationalen
enormer finanzieller Förderung erhöht werden. Der Energieagentur (IEA) und von Swisspower, dem
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4. Grafik 1: Steigender Gasimportbedarf
Importbedarf 2009: 925 PJ
285
521
6 113
Rohöl und Erdölprodukte Gas Kohle Kernbrennstoffe
Zubaustrategie: Zubaustrategie: Zubaustrategie:
«foss-zentral und EE» «foss-dezentral und EE» «Erneuerbare Energien»
Importbedarf: 340 PJ Importbedarf: 315 PJ Importbedarf: 242 PJ
3 3 3
126 126
113 126
211 186
Rohöl und Erdölprodukte Gas Kohle
Erklärung: Die Grafik zeigt den Importbedarf 2009 (oben) und 2050 (unten) im Szenario «neue Energiepolitik» (in PJ).
EE= Erneuerbare Energien, PJ = Peta Joule. Datenquelle: oben: BFE (2010); unten: BFE (2011) und Berechnungen des IWSB. Grafik: IWSB.
Verband der städtischen Elektrizitätswerke, verwen- ie Lagerungsmöglichkeiten von Erdgas sind
D
det. Beide Organisationen gehen von einer steigen- schlechter als bei anderen Energieträgern.
den Stromnachfrage aus. as wird fast ausschliesslich mittels Pipelines durch
G
eine Vielzahl von Ländern geleitet. Dieser Trans-
Die Entscheidungsgrundlage des Bundesrates zeigt in portweg erscheint als eher problematisch.
verschiedenen Szenarien den Energieverbrauch bis ie Berechnung zweier auf der Entscheidungs-
D
zum Jahr 2050 auf. Aufgrund dieser Grundlage stellt grundlage des Bundesrates basierender Szenarien
die Studie den Energiemix der Schweiz von heute und ergab, dass sich die Energiekosten für Unterneh-
in der Zukunft dar. Dabei wird klar, dass in den nächs- men bis zum Jahr 2050 verdoppeln könnten.
ten Jahrzehnten die Bedeutung des Gases im Energie- ie Berechnung eines Alternativszenarios ergab
D
mix zunehmen wird. Verstärkt wird der Effekt zudem, sogar eine Verdreifachung der inflationsbereinig-
wenn weniger auf Stromimporte gesetzt werden soll- ten Energiekosten.
te. Zur Bewertung der Versorgungssicherheit analy- a die zukünftige Preisentwicklung von Energieträ-
D
sierten die Autoren der Studie, Dr. Lukas Mohler, Dr. gern mit grosser Unsicherheit verbunden ist, wären
Patrick Koch und Sebastian Deininger, ausserdem die auch noch gravierendere Auswirkungen denkbar.
Herkunft der Rohstoffimporte. Schlussendlich wurden
die zukünftigen Energiekosten der Wirtschaft und
Versorgungssicherheit gefährdet
verschiedener Branchen dargestellt.
Die Studie zeigt, dass die Energiestrategie des Bun-
desrates mit enormen Risiken verbunden ist und den
Fazit der Studie
Wirtschaftsstandort Schweiz erheblich schwächen
ird in der Schweiz auf fossile Stromproduktion
W könnte. Sie könnte die Versorgungssicherheit ge-
gesetzt, ist eine Verdreifachung der notwendigen fährden und würde zu einer verschärften Auslandab-
Gasimporte möglich. hängigkeit führen. Die ausführliche Studie «Die
ächst zudem aufgrund des Wirtschafts- und Be-
W Energiestrategie des Bundesrates: Auswirkungen
völkerungswachstums die Energienachfrage, ist auf Energiemix, Versorgungssicherheit und Energie-
eine Verfünf- bis Versiebenfachung der notwendi- kosten der Wirtschaft» wurde von economiesuisse
gen Gasimporte möglich. in Auftrag gegeben und kann hier heruntergeladen
ie grossen Gasvorkommen verteilen sich auf we-
D werden:
nige Länder. Die meisten dieser Länder werden als http://www.iwsb.ch/fileadmin/dokumente/studien/
politisch wenig stabil eingeschätzt. de/IWSB_Gutachten_Energiemix.pdf.
80
5. Wirtschaftsfreundliche Politik ist gefragt!
von Peter Lüscher, lic. iur., AIHK-Geschäftsleiter, Aarau
Die Wahlen für Aargauer Regierung und Parlament der nächsten Legislatur sind WAHLEN VOM
vorbei. Während noch die letzten Wahlplakate abgeräumt werden, zieht die 21. OKTOBER 2012
AIHK Bilanz: Aus unserer Sicht sind die Wahlresultate für den Standort Aargau
positiv. In der Regierung ist die bürgerliche Mehrheit klar und auch im Grossen
Rat sind die wirtschaftsfreundlichen Kräfte stark. Gelegenheiten, ihre tatsächli-
che Wirtschaftsfreundlichkeit unter Beweis zu stellen, werden sich in der neuen
Legislatur sowohl dem Regierungsrat als auch dem Grossen Rat bieten.
Erstmals fanden die Wahlen für Parlament und Re- Mit dem Resultat der diesjährigen Grossratswahlen
gierung am gleichen Termin statt. Auch wenn trotz- sind wir insgesamt zufrieden. Der wirtschaftsfreund-
dem keine höhere Wahlbeteiligung zu verzeichnen liche Teil des Parlaments wurde gestärkt.
war, ist die Zusammenlegung sinnvoll. Sie erleich-
tert nicht nur den Parteien die Arbeit und senkt die
Wirtschaftsfreundliche Politik
Kosten. Das Gleiche gilt auch für den Staat. Der
schafft Wohlstand für alle
gleichzeitige Entscheid über die Zusammensetzung
von Exekutive und Legislative ist auch mit Blick auf Eine positive wirtschaftliche Entwicklung kommt al-
die Meinungsbildung der Wahlberechtigten einfa- len Einwohnerinnen und Einwohnern zugute. Opti-
cher. male Standortfaktoren wie die gute Erreichbarkeit,
die Verfügbarkeit qualifizierter Arbeitskräfte oder
Die Einführung eines Quorums bei den Grossrats- gesunde Staatsfinanzen bei einer moderaten steuer-
wahlen wurde von der AIHK seit der Umstellung des lichen Belastung bilden die Grundlage dafür.
Wahlsystems auf den «Doppelten Pukelsheim» ge-
fordert. Dank dieser nun umgesetzten Neuerung Dafür müssen Regierung und Parlament gute Rah-
konnte die Zersplitterung des Parlaments etwas ge- menbedingungen schaffen bzw. erhalten. Hausge-
bremst werden. Die Zahl der im Parlament vertrete- machte Nachteile können wir uns im harten internati-
nen Parteien sank wenigstens wieder auf 9 (2009 onalen Wettbewerb nicht leisten. Die AIHK freut sich,
waren es noch 10, 2005 erst 6). Die bürgerlichen wenn jede Politikerin und jeder Politiker diesem bei
Regierungsparteien verfügen über 86 der 140 Sitze den anstehenden Entscheiden in der noch laufenden
(gleich viele wie 2009, 2005 waren es noch 96), sie- wie der neuen Amtsperiode Rechnung trägt. Daran
he Tabelle unten. werden sie bei den nächsten Wahlen zu messen sein.
Grossratswahlen
Mandatsverteilung nach Parteien, 1953 – 2013
Jahr SVP SP CVP FDP Grüne EVP SD EDU BDP GLP FPS LdU Übrige Total
1953 30 65 49 42 0 4 0 0 0 0 0 8 2 200
1957 29 66 50 39 0 5 0 0 0 0 0 9 2 200
1961 28 64 47 41 0 5 0 0 0 0 0 8 7 200
1965 30 61 46 43 0 5 0 0 0 0 0 7 8 200
1969 30 57 47 40 0 4 0 0 0 0 0 12 10 200
1973 30 46 54 41 0 8 10 0 0 0 0 9 2 200
1977 29 51 45 46 0 8 10 0 0 0 0 11 0 200
1981 34 51 50 48 0 10 0 0 0 0 0 7 0 200
1985 32 44 48 52 5 9 3 0 0 0 0 6 1 200
1989 34 37 42 45 11 9 3 0 0 0 12 6 1 200
1993 36 44 35 41 7 8 3 0 0 0 19 5 2 200
1997 47 48 37 40 6 8 7 1 0 0 4 2 0 200
2001 72 36 32 40 7 8 4 0 0 0 1 0 0 200
2005 46 30 26 24 7 7 0 0 0 0 0 0 0 140
2009 45 22 21 20 13 6 2 2 4 5 0 0 0 140
2013 45 22 19 22 10 6 0 2 6 8 0 0 0 140
Quelle: https://www.ag.ch/de/dfr/statistik/statistische_daten/oeffentliche_statistik/politik/politik_1.jsp
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6. Gesellschaftliche Anerkennung durch gesetzliche
Zulagen?
von Philip Schneiter, lic. iur., Rechtsanwalt, juristischer Mitarbeiter der AIHK, Aarau
SOZIALPOLITIK Am 8. März 2012 hat der Nationalrat beschlossen, gesetzliche Grundlagen dafür
zu erarbeiten, damit Personen, die ihre Angehörige pflegen, eine Betreuungs-
zulage erhalten können. Die Zulage soll kein Erwerbseinkommen, sondern eine
Anerkennung für die geleistete Arbeit bilden. Zur Unterstützung von Personen,
die ihre Angehörigen pflegen, sind bereits zahlreiche Instrumente vorhanden.
Eine symbolische gesetzliche Zulage ist deshalb überflüssig.
Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen, ist ge- mit der Pflege betagter Eltern. Dass die Arbeitgebe-
wiss keine leichte Aufgabe. Ein Patentrezept gibt es rin bei der Anordnung von Überstunden auf familiä-
nicht. Strenge Anforderungen des Berufs können die re Verpflichtungen Rücksicht nehmen muss, ver-
Vereinbarkeit erschweren. Die Erfüllung familiärer steht sich von selbst.
Pflichten kann im Einzelfall sogar zur Aufgabe des
Berufs zwingen.
Betreuungszulagen für Ange-
hörige?
Konfliktpotential besteht an mehrere Stellen: Im Fo-
kus der intensiv geführten Diskussion steht immer Am 8. März 2012 hat der Nationalrat einer parla-
noch die Frage nach der Vereinbarkeit des Berufs mit mentarischen Initiative der St. Galler Nationalrätin
der Erziehung kleiner Kinder. Beachtung verdient Lucrezia Meier-Schatz (CVP) Folge gegeben, mit
aber auch die Frage nach der Vereinbarkeit des Be- welcher die Vereinbarkeit des Berufs mit der
rufs mit der Pflege betagter Eltern. Pflege betagter Eltern verbessert werden soll. Am
19. Juni 2012 hat die Kommission für soziale Si-
Immerhin darf festgestellt werden, dass der Beruf cherheit und Gesundheit des Ständerats dem Be-
und die Pflege betagter Eltern zu keinem «echten» schluss des Nationalrats zugestimmt. Es liegt nun
Konflikt führen können. Denn während die Erzie- an der Kommissionen für soziale Sicherheit und
hung der Kinder von den Eltern persönlich erfüllt Gesundheit des Nationalrats, die gesetzlichen
werden muss, kann die Pflege der Eltern von einer Grundlagen dafür zu erarbeiten, «um pflegenden
geeigneten Betreuungsperson übernommen wer- Angehörigen eine Betreuungszulage zukommen
den. zu lassen».
Nach den Vorstellungen der Initiantin der parla-
Berechtigter Wunsch, die Eltern
mentarischen Initiative «Betreuungszulage für
persönlich zu pflegen
pflegende Angehörige» soll die gesetzliche Zulage,
Natürlich gibt es achtenswerte Gründe dafür, dass die pflegenden Angehörigen ausgerichtet werden
ein Arbeitnehmer seine Eltern persönlich pflegen soll, ihrer Höhe nach kein Erwerbseinkommen,
möchte. Nach Möglichkeit sollte einem solchen sondern eine Form der Anerkennung bilden. Da-
Wunsch eines Arbeitnehmers denn auch entspro- durch unterscheidet sich die vorgesehene Zulage
chen werden. Wenn ein Arbeitnehmer seine Eltern klar von den bestehenden Kinder- und Ausbil-
persönlich pflegen möchte, muss deshalb zusam- dungszulagen, die den Zweck haben, zur Deckung
men mit der Arbeitgeberin nach einer tragfähigen eines vorübergehend erhöhten finanziellen Bedarfs
Lösung gesucht werden. Denkbar sind verschiedene beizutragen.
Lösungen: Es kann ein unbezahlter Urlaub gewährt
werden. Es kann das Arbeitspensum des Arbeitneh- In der Schweiz kennt der Kanton Freiburg eine ge-
mers reduziert werden. Es können die Arbeitszeiten setzliche Zulage, die pflegenden Angehörigen aus-
flexibilisiert werden. Es kann Homeoffice gestattet gerichtet wird: Angehörigen, die in einem bedeuten-
werden. Ergänzend kann zum Beispiel Job Sharing den Umfang Pflegeleistungen erbringen, wird eine
eingeführt werden. Bereits die Einführung von so genannte Pauschalentschädigung in Höhe von
Teamarbeit erleichtert die Vereinbarkeit des Berufs 25 Franken pro Tag ausgerichtet.
82
7. Zahlreiche Instrumente gen, gesellschaftliche Anerkennung findet. Arbeit-
vorhanden nehmer, die ihre Eltern pflegen, verdienen kein Mit-
leid, sondern Bewunderung. Wer die Leistung von
Auch wenn es in der Schweiz keine eigenständige Arbeitnehmern, die ihre Eltern pflegen, mit einer
Pflegeversicherung gibt, hat die Finanzierung der gesetzlichen Zulage anerkennen möchte, der über-
Pflege hilfloser Personen eine ausführliche gesetzli- schätzt jedoch die Symbolkraft von Gesetzen. Die
che Regelung gefunden. So besteht unter Umstän- Einführung einer gesetzlichen Zulage hätte parado-
den ein Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung. xerweise sogar zur Folge, dass die Aufopferung von
Mit der Hilflosenentschädigung kann eine hilflose Arbeitnehmern, die ihre Eltern pflegen, weniger An-
Person beispielsweise einen Angehörigen für Pflege- erkennung fände. Freiwilligenarbeit ist nun einmal
leistungen entschädigen. Freilich ist die Hilflosenent- nur so lange ehrenhaft, als sie tatsächlich freiwillig
schädigung nicht derart hoch, dass einem Angehöri- erfolgt.
gen ein bedeutender Lohnausfall vollständig ersetzt
werden könnte. Der Paradoxie, dass die Aufopferung von Arbeit-
nehmern, die ihre Eltern pflegen, weniger Aner-
Zur Unterstützung von pflegenden Angehörigen kennung fände, könnte nur mit einer stetigen Er-
bestehen allerdings verschiedene zusätzliche Inst- höhung der gesetzlichen Zulage entgegengewirkt
rumente: Nach der aargauischen Verordnung werden. Die Erhöhung liesse sich auch ohne weite-
über die Vergütung von Krankheits- und Behinde- res begründen: Für die Bemessung der Höhe ge-
rungskosten bei den Ergänzungsleistungen kann setzlicher Zulagen, mit denen die Leistung be-
ein Angehöriger, der eine hilflose Person pflegt, stimmter Personen anerkannt werden, kann allein
für seinen effektiven oder auch nur hypotheti- das Verhältnismässigkeitsprinzip einen Massstab
schen Erwerbsausfall entschädigt werden. Ausser- bilden. Das Verhältnismässigkeitsprinzip ist aber
dem besteht unter Umständen ein Anspruch auf derart konturlos, dass es für die Begrenzung der
Anrechnung einer Betreuungsgutschrift. Diese Höhe der Zulagen keine erkennbaren Anhalts-
wirkt sich auf die Höhe einer späteren AHV-Rente punkte liefert.
aus. Im Übrigen leistet die AHV Beiträge an Orga-
nisationen wie Pro Senectute, die beispielsweise In den Blickpunkt gerät deshalb die Frage, wie die
Angehörige von pflegebedürftigen Personen be- gesetzliche Zulage finanziert werden soll. Darüber
rät. hat sich die Initiantin der parlamentarischen Initiative
«Betreuungszulage für pflegende Angehörige» bis-
her ausgeschwiegen. Und dies, obwohl der Zürcher
Symbolische Gesetze?
Nationalrat Jürg Stahl (SVP) in der parlamentarischen
Die gesetzlichen Grundlagen, um pflegende Ange- Beratung darauf hingewiesen hat, dass es sich bei
hörige entschädigen zu können, sind in der letzten der Frage der Finanzierung um ein «wesentliches
Zeit in verschiedener Hinsicht ausgebaut worden. Element» handelt.
Mit der Neuordnung der Pflegefinanzierung, die zur
Revision des aargauischen Pflegegesetzes geführt
Suche nach kreativen Lösungen
hat, ist beispielsweise die Möglichkeit geschaffen
worden, eine Hilflosenentschädigung auch dann Damit der Beruf und die Pflege betagter Eltern un-
auszurichten, wenn die Hilflosigkeit bloss einen ter einen Hut gebracht werden können, sind krea-
leichten Grad erreicht. tivere Lösungen als die Einführung einer symboli-
schen gesetzlichen Zulage erforderlich. Vielleicht
Die Aargauische Industrie- und Handelskammer ist lohnt sich für einmal der Blick über die Grenze?
der Ansicht, dass mittlerweile genügend gesetzliche Beispielsweise in Deutschland verhält es sich so,
Grundlagen vorhanden sind, um pflegende Ange- dass der Staat der Arbeitgeberin ein zinsloses Dar-
hörige zu entschädigen. Namentlich eine symboli- lehen geben kann, mit dem die Arbeitgeberin dem
sche gesetzliche Zulage, die pflegenden Angehöri- Arbeitnehmer einen Teil des Lohns auch in Zeiten,
gen ausgerichtet wird, erweist sich deshalb als in denen der Arbeitnehmer seine Eltern pflegt,
überflüssig. ausrichten kann. Die Rückzahlung des Darlehens
erfolgt sodann über Lohnabzüge, welche die Ar-
Selbstverständlich ist es wünschenswert, dass die beitgeberin vornimmt, sobald die so genannte Fa-
Leistung von Arbeitnehmern, die ihre Eltern pfle- milienpflegezeit beendet ist.
83
8. Schuldenbremse auch für Sozialversicherungen
von Peter Lüscher, lic. iur., AIHK-Geschäftsleiter, Aarau
SOZIALE SICHERHEIT Das schweizerische Sozialversicherungssystem erfüllt seine Aufgaben – allen
Unkenrufen zum Trotz – insgesamt gut. Es trägt damit zur Stabiltät bei und
bildet die Grundlage für unsere relativ liberalen Arbeitsmarktregulierungen.
Die zukünftige Entwicklung der finanziellen Lage des Systems gibt aber zu Be-
sorgnis Anlass. Aus unserer Sicht drängt sich die Einführung einer Schulden-
bremse auch hier auf, nachdem sich eine solche bei den Bundesfinanzen als er-
folgreich erweist.
Die Schulden des Bundes konnten nach dem Inkraft- Eine Grundregel definiert das Ziel (zum Beispiel
treten der Schuldenbremse 2003 deutlich reduziert eine ausgeglichene Rechnung).
werden. Dieses Instrument war seinerzeit mit einer Eine Steuerungsregel definiert die Mindestanfor-
Ja-Mehrheit von 85 Prozent und einer deutlichen derungen, die eingehalten werden müssen (zum
Mehrheit in allen Kantonen gutgeheissen worden. Beispiel bezüglich Fondsbestand, Defizit oder Ver-
schuldungsniveau).
Sanktionsregel definiert die Massnahmen, die
Eine
Schulden der Sozialversicherungen
eingeleitet werden, wenn die Steuerungsregel
drohen aus dem Ruder zu laufen
Handlungsbedarf anzeigt. Die Sanktionsregel um-
Verschiedene Sozialversicherungszweige befinden fasst typischerweise folgende Elemente:
sich bereits heute in finanzieller Schieflage. Die Pers- a) erpflichtung des Bundesrats, innert festgeleg-
V
pektiven des Bundes prognostizieren für die kom- ter Frist eine Sanierungsvorlage auszuarbeiten
menden Jahrzehnte einen dramatischen Anstieg der und dem Parlament zu unterbreiten.
Verschuldung der Sozialversicherungen: b) ofortmassnahmen, die in der Übergangszeit
S
eine finanzielle Verschlechterung verhindern.
Schuldenentwicklung der Schweiz 2009– 2060
Schuldenquote in Prozent des BIP
Die Sofortmassnahmen werden nur solange ange-
140%
wendet, bis die in der Steuerungsregel definierten
120% Mindestanforderungen wieder eingehalten werden.
100% Sofortmassnahmen bezwecken somit nicht die Sanie-
80% rung, sondern die Sicherung des betreffenden Sozial-
60% werks für die Zeit, bis eine Sanierungsreform greift.
40%
20% Darstellung der Funktionsweise einer fiktiven
Stabilisierungsregel
0%
Kapitalbestand einer Sozialversicherung in Prozent einer
2009
2012
2015
2018
2021
2024
2027
2030
2033
2036
2039
2042
2060
2045
2048
2051
2054
2057
Jahresausgabe
Kantone Gemeinden Bund Sozialversicherungen
100%
Quelle:
EFV (2012). Langfristperspektiven der öffentlichen Finanzen in der Schweiz 2012. 90%
4. Aussetzen der Sofortmassnahmen
80%
Interventionsregeln für die Sozial- 70%
1. Sanktionsregel greift
2. Sofortmassnahme
bremst
werke sind sinnvoll 60%
50%
Heute in der Schweiz bekannte Schuldenbremsen 40%
3. Inkrafttreten Revision
30%
bei den Sozialversicherungen (z.B. in der Arbeitslo- 20%
senversicherung) sind Interventionsregeln. Sie legen 10%
fest, wann Stabilisierungs- oder Reformprozesse aus- 0%
2012
2014
2016
2018
2020
2022
2024
2026
2028
2030
2032
gelöst werden und beinhalten Massnahmen zur Kor-
rektur einer Fehlentwicklung für die Übergangszeit. ohne Interventionsmechanismus Schwellenwert
AZB 5000 Aarau 1
CH5000 Aarau 1
Quelle: economiesuisse.
Jede Sozialversicherung ist unterschiedlich aufgebaut
PP/Journal
und braucht deshalb eine speziell zugeschnittene In-
terventionsregel. Konzeptionell sind die Regeln je- Die Einführung einer Schuldenbremse für Sozialversi-
doch ähnlich. Sie enthalten folgende Elemente: cherungen verdient aus Sicht der AIHK Unterstützung.
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