1. Moderne KUNST:
GUTE aussichten für DEN ERHALT
www.restauro.de
September 2014
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Zeitschrift für Restaurierung, Denkmalpflege und Museumstechnik
Aserbaidschan: ZWISCHEN ERDÖL UND WELTERBE
Kunststück: Die Zwei Seiten EInes Gemäldes
Musikinstrumente: HÖren oder nur ausstellen?
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MUsikinstrumente – Substanz & Klang
Niccolo Caldararo
Firniskrepierung bei Malereien auf Musik-
instrumenten des 19. Jahrhunderts
Wurde eine künstliche Alterung als Dekorelement verwendet?
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Regenerierungsprozess
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Goldenes Piano, Steinway & Sons,
um 1902, National Museum of
America, Washington D. C.
Zwei Musikinstrumente aus dem späten 19. Jahrhundert zeigen Malereien auf Holz, jeweils mit
einer starken Krepierung des Firnisses. Erstmalig gelangen der Vergleich von Materialanalysen so-
wie die Adaption von Restaurierungsmethoden bei ähnlichen Schadensphänomenen.
Der „Goldflügel“ von Steinway
Im Rahmen des IIC-Kongresses in Brüssel 1990
stellten Jia-Sun Tsang und sein Team ihre Analy-
sen und Restaurierungsmaßnahmen eines Flü-
gels von Steinway vor (Jia-Sun Tsang et alii
1990). Es handelte sich dabei um das 100.000.
Instrument, das Steinway 1902 für den amerika-
nischen Präsidenten Theodor Roosevelt herge-
stellt hatte (Abb. 2). Dieses als „Goldflügel“ be-
kannte Klavier zeigt die neun Musen und befand
sich zunächst in der Sammlung der Smithsonian
Institution. Heute befindet es sich im National
Museum of American History in Washington. Es
ist überliefert, dass Thomas Wilmer Dewing
(1851–1938) die Oberflächen des Flügels ge-
fasst hat. Das Tafelbild wies nur wenige Abnut-
zungsstellen und einen vergilbten Firnis auf, so-
dass die Vermutung nahe lag, dass es seit sei-
ner Entstehung nie restauriert worden war. Le-
diglich ein Dokument beschrieb den Auftrag ei-
nes dicken Firnisses kurze Zeit nach der Entste-
hung des Originalgemäldes sowie eine Überma-
lung zu einem späteren Zeitpunkt.
Die mikroskopische Untersuchung des Schich-
tenaufbaus zeigte, dass die von dem Maler be-
nutzte Ölfarbe direkt auf einem dünnen Blatt-
gold aufgetragen worden war, unter der sich ei-
ne Gessoschicht befand. Bei weitergehenden
Analysen fand man auf dem Blattgold eine harz-
ähnliche Substanz sowie über und unter der
Goldfolie eine Bronzepuderschicht. Eine gas-
chromatographische Analyse förderte einen
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musikinstrumente – Substanz & Klang
2
Abstract
The Conservation of a Piano Cover
Painting
The conservation of a decorative
painting on a piano cover is de-
scribed in the context of an earlier
treatment published in preprints.
The painting was set between lay-
ers of varnish that made the treat-
ment difficult. Discovery of the
method by which the object was
produced and the design of a treat-
ment modality are described.
Schellackfirnis mit Pigmenten zu Tage. Darüber
hinaus wurde Dammar sowohl in der Pigment-
schicht als auch im darüber liegenden Ölfirnis
festgestellt.
Detaillierte Informationen über die Arbeitswei-
se des Malers waren bis dato nur unzureichend
durch wenige Briefe des Künstlers belegt. So-
wohl vergleichbare Analysen von Herstellungs-
techniken und verwendeten Materialien direkt
am Objekt als auch die Erwähnung in der Fachli-
teratur fehlten zu diesem Zeitpunkt. Erste Hin-
weise geben die Quellenschriften des 19. Jahr-
hunderts. Hier wird das Lackieren mit Blattgold
„nach der üblichen Verfahrensart“ beschrieben.
Nach dem Anlegen trägt man einen „mit durch-
scheinenden Farben versehenen Weingeistfir-
niß auf. Die dauerhafteste Lackirung ist die Ölla-
ckirung, nemlich mit Öllackfirniß“ (Daul/Wirth
1868, S. 739). Diese Art des Lackierens wird
von Daul und Wirth als „Frauenarbeit“ bezeich-
net, nach Amerika und im Speziellen als Technik
auf Klavierdeckeln verortet. Hier müssen jedoch
weitere Quellenrecherchen erfolgen. Die Scha-
densphänomene des stark krepierten Firnisses
auf dem Goldpiano, so vermuteten Jia-Sun
Tsang et alii, würden unter anderem aus der
Kombination von Ölfirnis und Dammar resultie-
ren. Es wurden die Möglichkeiten einer Regene-
rierung ausgelotet. Die Tupfer der Reinigungs-
proben wurden mit Hilfe der Fourir-Transforma-
tions-Infrarotspektroskopie (FTIR) analysiert.
Dabei konnte bei einer Reinigung mit Aceton
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MUsikinstrumente – Substanz & Klang
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Paneel vor der Restaurierung
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Rückseite des Klavierdeckels mit
herausgenommenem Paneel
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Stark krepierter Firnis unter dem
Mikroskop
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musikinstrumente – Substanz & Klang
Paneel mit erhaltenem Craquelé
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Caldararo 1997
Caldararo, Niccolo: Conservation treatments of
paintings on ceramic and glass: Two case studies,
in: Studies in Conservation, 42 (1997), S. 157–164.
Daul/Wirth 1868
Daul, Anton und Maximilian Wirth: Die Frauenarbeit,
oder der Kreis ihrer Erwerbsfähigkeit, Band 2, Altona
1868.
Doerner 2003
Doerner, Max: Malmaterial und seine Verwendung
im Bilde, 19. Aufl., 2003; Repr. The Materials of the
Artist and their use in Painting with Notes on The
Techniques of the Old Masters, New York 2003.
Groen 1988
Groen, Karin: Scanning electrin microscopy as an aid
in the study of blanching, in: The Hamilton Kerr
Institute Bulletin 1 (1988), S.48–65.
Tsang et alii 1990
Tsang, Jia-Sun et alii: The conservation of the
100,000th Steinway Piano, in: John S. Mills & Perry
Smith (Hrsg.): Cleaning, Retouching and Coatings,
Technology and Practice for Easel Paintings and
Polychrome Sculpture, Preprints of the Contributions
to the IIC Brussels Congress 1990, S. 52–55.
Ruhemann 1968
Ruhemann, Helmut: Die Reinigung von Gemälden
und die sich daraus ergebenden Folgen für die Ober-
flächen; Repr. The Cleaning of Paintings: Problems
and Potentialities, New York 1968.
Literaturverzeichnis
festgestellt werden, dass Dammar aus beiden
Schichten entfernt worden war. Jia-Sun Tsang et
alii folgerten, dass aufgrund der Löslichkeit des
Firnisses und des Wachsgehaltes der Pigment-
schicht eine Regenerierung des Firnisses mög-
lich sein müsste. Sie verwendeten Zellstofftü-
cher („KimWipes“), um die Firnisschichten kon-
trolliert zu reduzieren.
Ein Vergleichsobjekt mit ähnlichem Craquelé
Das hier vorgestellte Objekt, das sich zur Res-
taurierung im Atelier eines Klavierrestaurators in
der San Francisco Bay Area befand, zeigte zwei
Holzpaneele mit Bemalung (H. 55,88 cm,
B. 29,21 cm), die mit Drehverschlüssen in einer
Rahmenkonstruktion gehalten wurden (Abb. 3,
4). Das Objekt entstand im späten 19. Jahrhun-
dert und war mit einer verbackenen Staub-
schicht bedeckt, die mit einer Tensidlösung ent-
fernt werden konnte. Der stark krepierte Firnis
war auf der Innenseite vergilbt und weiß gefal-
len, sodass die kunstvolle Malerei darunter
kaum wahrnehmbar war (Abb. 5). Die Art und
Weise der Krepierung sowie erste optische Un-
tersuchungen legten zunächst die Vermutung
nahe, dass es sich – wie beim Goldpiano – um
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MUsikinstrumente – Substanz & Klang
Zum Autor
Niccolo Caldararo, B. A.
ist Direktor und Chefkonservator
des Conservation Art Service,
einem privatwirtschafltichen La-
bor in San Francisco. Er lehrt seit
1995 an der San Francisco State
Universität Anthropologie.
Kontakt:
caldararo@aol.com
einen pigmentierten Firnis mit Dammarzusatz
handeln könnte. Dieses konnte jedoch nicht be-
stätigt werden. Die Analysen ergaben lediglich
Schellack als Lackkomponente. Ungewöhnlich
war das divergierende Erscheinungsbild zwi-
schen den Paneelen und der Rahmenkonstrukti-
on, die eine deutlich geringere Krepierung auf-
wies. Aus diesem Grunde wurden Überlegun-
gen angestellt, ob es sich bei dem Tafelbild um
eine antikisierende Schablone hätte handeln
können, die mit Schellack übermalt und künst-
lich gealtert wurde, um dem Klavier eine au-
thentische Note zu verleihen. Der „blockartige“
Effekt des Oberflächenmusters und die geraden
Linien des Craquelés deuteten auf eine entspre-
chende Vorbereitung des Untergrundes hin. Es
ist ebenfalls möglich, dass der Maler die Panee-
le relativ kurz nach der Herstellung erneut über-
arbeitete und wiederum Schellack verwendete.
Hier könnten beim Trocknungsprozess Schäden
entstanden sein. Die Ursachen des Craquelés
konnten nicht endgültig geklärt werden, es soll-
te jedoch zumindest eine Reduzierung erfolgen,
um die Malerei wieder sichtbar zu machen. Der
Erhalt eines Konstruktionsrahmens, der nicht
regeneriert wurde, sichert die Untersuchung
der Methode für die Zukunft (Abb. 6).
Maßnahmen
Zunächst wurde die Oberfläche der Paneele mit
Speichel gereinigt und anschließend die oberste
Schicht des alten Firnisses auf Basis des Petten-
koferschen Verfahrens mit Ethanol und Tupfern
regeneriert (Doerner 1934; Ruhemann 1968).
Karin Groen konnte 1988 mithilfe der Raster-
elektronenmikroskopie die Nachhaltigkeit der
Methode nachweisen ebenso wie der Verfasser
(Groen 1988; Caldararo 1997). Das Standardver-
fahren sah jedoch vor, dass das zu behandelnde
Kunstwerk in Gänze in einem Behälter isoliert
und den Dämpfen des Lösungsmittels auszu
setzen sei. Daher entschied sich der Verfasser,
die obere Schicht wie Tsang et alii mit kleinen
Tupfern und unter dem Vergrößerungsglas zu re-
generieren, um den Effekt des Lösemittels visuell
überwachen zu können (Abb. 1, 7).
Zusammenfassung
Die Beurteilung von Oberflächenschäden und
ihren Ursachen ist nach wie vor ein umfassen-
der Forschungsbereich. Auch ältere Veröffentli-
chungen zu Verfahren mit analytischen Metho-
den können den Restaurator über besondere
Elemente eines Kunstwerkes informieren, um
sie für ein Restaurierungsobjekt zu adaptieren.
In diesem besonderen Fall konnte auf die Publi-
kation von Jia-Sun Tsang et alii zurückgegriffen
werden und führte schließlich zur Methodenad-
aption und Regenerierung der Oberfläche. Wün-
schenswert wäre auf lange Sicht eine Online-
Datenbank, die Oberflächenphänomene sam-
melt, mit Schichtquerschliffen belegt und so
den internationalen Austausch über Regenerie-
rungsverfahren ermöglicht.
Details des Paneels nach der
Regenerierung
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Fotos:Autor,(2)Steinway&Sons