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GEHEIM!
Das eiserne Problem des Sozialismus
Ukrainisches Erz zum hohen Preis
	 DDR und BRD beim Bau des Bergbau- und
	 Aufbereitungskombinates Kriwoi Rog
Leseprobe - kein kompletter Text!
Die Qualität der Abbildungen ist hier im Unterschied zum Buch beschränkt.
–  –
Inhaltsverzeichnis
Vorwort	 7
■ Peter Siebler
	 Das BAK – ein Vorhaben der Investbeteiligung	 11
■ Heinz Kinder
	 Die DDR, ihr Eisenerz und das BAK Kriwoi Rog	 12
■ Alexander Lasarew 
	 Das BAK: Episoden der Entwicklung	 17
■ Interview mit Prof. Dr. Heinrich Schubert
	 … deutlich hinter dem internationalen Stand	 44
■ Vladimir Malyi
	 Die Aufbereitung oxidierter Eisenerze – Der lange
	 Weg zur Technologie	 48
■ Gerhard Kasten • Rolf Junghanns
	 Das Vorkommando	 62
■ Wolfgang Bönitz
	 MGM – eine Nachbetrachtung	 67
■ Heinz Hildebrandt
	 Außerordentliches aus dem Leben eines Baustellen-
	 direktors, der eigentlich ein Bergmann war	 75
■ Gerhard Kasten
	 Der erste Konvoi	 103
■ Peter Hofmann
	 Bauen ab Stunde Null	 105
■ Ulrich Pflaume
	 Die Projektierung – der Weg von den Kisten mit
	 den sowjetischen Aufgabenstellungen zu den
	 Ausführungsplänen	 110
■ Klaus Thiemer
	 Als Maulwurf in der ukrainischen Erde – technische
	 Herausforderungen und bleibende Erinnerungen	 113
■ Joachim Rescher
	 Projektmanagement im internationalen Anlagen-
	 bau – wie es nicht sein sollte	 121
■ Interview mit Dr. Klaus Blessing
	 Investitionsbeteiligung in der UdSSR für Eisenerz –
	 Verlustgeschäft für die DDR?	 130
■ Kurt Rudolf 
	 Der Sinn der Beteiligung –
	 aus der Sicht der Plankommission	 134
■ Peter Roloff
	 Sechs Monate beim Generallieferanten –
	 ein Interregnum	 136
■ Hartmut Dockhorn
	 Wie serviert man die heiße russische Kartoffel?	 139
■ Gerhard Kasten
	 Verantwortung	 142
■ Gerhard Kasten
	 Rehattacke am Feiertag	 142
■ Hans Beck
	 Gute Verpflegung bringt den Bau in Bewegung	 143
■ Jens Hussel
	 Beschwerden an die Küche	 150
■ Rolf Junghanns
	 Perestroika – und wir mittendrin	 151
■ Manfred Griese
	 Was ist das deutsche Nationalgetränk?	 171
■ Gerhard Kasten
	 Die Rubelkasse	 172
■ Klaus Ehrlich
	 Herausforderung im Osten	 174
■ Helmut Gündel
	 Wohnungsbau über große Entfernungen	 181
■ Gerhard Kasten
	 Schwere Planerfüllung 1988	 188
■ Werner Wehrstedt
	 BAK – problembelastete Großinvestition	 189
■ Wolfgang Bönitz
	 BAK Kriwoi Rog – Versuch einer persönlichen Bilanz	 202
■ Hellmut Jentschke
	 Flucht, Freundschaft und Zikaden	 208
■ Gerhard Kasten
	 Lena	 212
■ Manfred Babilinski
	 Materialwirtschaft und Infrastruktur –
	 beides ein Kapitel für sich	 214
■ Rolf Junghanns
	 Der Übersetzungscomputer	 226
■ Miloslav Klasna
	 Eine Aufgabe, wie es sie nur einmal im Leben gibt	 228
■ Otmar Jordan
	 Utopien? Müssen sein!	 231
■ Rita Österreicher
	 … gesund durch den Auslandseinsatz	 237
■ Ulrich Schneider
	 Geschichten vom laufenden Band	 240
■ Sabine Schubert ■ Viktor Zinchenko
	 Echte Freundschaft kommt nicht von oben	 244
■ Jana und Holger Zschieck
	 Majak-Disko mit internationalen Folgen	 253
■ Holger Milde
	 Harte Jahre – gute Jahre	 259
■ Erich Höldke
	 Auch Hunde?	 263
■ Ursula Rosner
	 Objektverantwortliche für Reparaturstützpunkt
	 und Krananlagen	 264
■ Erwin Nolte
	 Ohne Transport kein Bau	 267
■ Gerhard Kasten
	 Schneller als der Fahrplan erlaubt!	 274
■ Bernhard Albrecht
	 Kras-Kipper, Kohl-Köpfe und Knoblauch-
	 Kuriositäten	 275
■ Helmut Tautrim
	 Verhaftung vorm WM-Finale	 278
–  – 
■ Rolf Junghanns
	 Geografischer Nebel	 279
■ Jürgen Schäfer ■ Rolf Junghanns ■ Friedrich Böhrs
	 Mit »Majak« fing alles an	 280
■ Gerhard Kasten
	 Kultur für Bauarbeiter	 298
■ D-ROLF Becker
	 Abenteuer Ukraine 1986 –
	 D-ROLF im ukrainischen Winter	 299
■ Christa Neumann
	 Zeitreise	 301
■ Gerald Reitmeyer
	 Zeit der Gemeinsamkeit	 306
■ Friedrich Böhrs
	 Mein Abenteuer BAK	 311
■ Frank Borzutzki
	 Von der Kohle zum Erz – ein besonderer Abschnitt
	 in meinem Leben	 319
■ Hans-Werner Becker
	 Raubritter mit Maßgefühl	 326
■ Regina Böhm
	 In der BAK-Familie bis zum Schluss	 327
■ Marina Noack
	 Wie die guten Onkels Licht
	 nach Dolinskaja brachten	 330
■ Erwin Nolte
	 Sportliche Selbstfindung	 331
■ Irina Berndt
	 Gedankenreise Hamburg–Dolinskaja hin und
	 zurück	 332
■ Eugen Neuber
	 Verständigung in bewegten Zeiten	 336
■ Jürgen Brendel
	 Die LURGI-Projektbegleitung	 341
■ Heinz Kinder
	 Die Unvollendete – 315 Tage am BAK Kriwoi Rog	 346
■ Interview mit Staatssekretär a. D. Dr. Lorenz Schomerus
	 Musste die deutsche BAK-Baustelle geschlossen
	 werden?	 358
■ Rolf Wendler ■ Heinz Köbke ■ Horst Bischof
	 Rettungsversuche – die UWETEC am BAK	 360
■ Dieter Engel
	 Die Abwicklung einer zwiespältigen Erbschaft	 367
■ Rolf Junghanns
	 Sacorda Mine. Erz-nostalgischer Ausflug	 371
■ Gespräch mit Bernd Goldbach
	 Doli – die Jahre danach	 374
■ Jelena Omorokowa
	 Die Wurzeln unserer Freundschaft	 378
■ Alexandra Stanislawska
	 Zwischen den Welten	 380
■ Roswitha Stahr
	 Das fliegende Klassenzimmer –
	 Bericht über eine Schülerreise in die Ukraine	 383
■ Alexej Grizina
	 Zustand und Perspektiven des Eisenerzsektors
	 der Ukraine – Potential des BAK Kriwoi Rog	 387
■ Rolf Junghanns
	 BAK Kriwoi Rog – Reise dreizehn Jahre rückwärts	 390
■ Rolf Junghanns
	 Zukunft des BAK auf der langen Bank	 406
■ Alexander Lasarew
	 Stille	 416
Resümee	 417
Anhang	 421
Eckdaten des Vorhabens	 422
Die für das BAK Kriwoi Rog geplante Technologie
der Eisenerzaufbereitung	 425
Erläuterung einiger Begriffe der Eisenerz-
Aufbereitung	 431
Chronik des BAK Kriwoi Rog	 434
Kleines Wörterbuch zum BAK Kriwoi Rog	 444
Übersicht: Objekte des BAK Kriwoi Rog	 455
Übersicht über die Auftragnehmer auf der
deutschen Baustelle des BAK Kriwoi Rog	 466
Förderung und Import von Eisenerz sowie Roheisen-
und Rohstahlproduktion der DDR	 471
Literaturübersicht	 472
Autoren, Interviewte und Illustrator	 474
Danksagung	 481
Der Rohstoff und das Endprodukt des BAK	 483
Die Kombinatsbaustelle	 484
Fotos	 486
Fotochronik – Höhepunkte des Baustellenlebens	 486
Die Objekte des Kombinats	 493
Kollegen unserer Baustelle	 500
Freizeitgestaltung auf der Baustelle	 504
Eindrücke aus Dolinskaja	 506
Karte der Ukraine	 511
Anzeigen	 512
–  –
Vorwor t
Es ist nichts so neu, als was in Vergessenheit geriet.
Sprichwort
Sich selbst vergessen ist der Anfang der Torheit.
Sprichwort
Was man immer schon gekannt hat, war doch ganz anders
Hans-Georg Gadamer
Eisen und vor allem seine veredelte Form Stahl verwen-
den wir im Alltagsleben tagtäglich – von der Stecknadel
bis hin zu technischen Großanlagen. Wir nutzen Eisen
und Stahl ganz selbstverständlich, sie scheinen einfach
da zu sein, so wie die Luft um uns. Logisch, dass es so
einfach nicht ist – von nichts kommt nichts. Woher Eisen
kommt, wie es erzeugt wird und was man dazu braucht,
diese Frage überlässt der Verbraucher normalerweise
den Metallurgen.
Eisen und Stahl sind nicht so im Gespräch, wie es Erdöl
ist. Dabei geben sie ein nicht weniger interessantes The-
ma ab – die Gewinnung von Eisen war ja eine wichtige
Grundlage für die Entstehung unserer heutigen Gesell-
schaft. In unserem Buch soll es vor allem um den wich-
tigsten Ausgangsstoff für die Eisengewinnung gehen:
das Eisenerz, und zwar vor allem darum, wo es die DDR
herbekam und was sie dafür zu tun hatte.
In Deutschland wird schon lange kein Eisenerz mehr
gefördert, in Westdeutschland nicht und auch nicht im
Osten Deutschlands. Die eigenen Eisenerz-Vorkommen
erwiesen sich nach dem Krieg in beiden deutschen Staa-
ten als unzureichend, beide Staaten konnten ihre Me-
tallurgie ohne Erzimporte nicht weiter ausbauen. Die
Situation auf beiden Seiten war ähnlich, wobei sich die
Maßstäbe und Zeitpunkte unterschieden. Im Gegensatz
zum wirt­schaft­lich schwächeren Osten Deutschlands
hatte Westdeutschland traditionell, schon vor dem Krieg,
eine bedeutend stärkere Eisenhüttenindustrie und somit
einen wesentlich größeren Eisenerzbedarf. Hier gab es
in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre noch eine starke
eigene Förderung, aber schon zu dieser Zeit wurde zu-
nehmend mehr Erz importiert, als im Lande gefördert
wurde. Im Weiteren ging der Erzabbau in Westdeutsch-
land kontinuierlich zurück, bis dann ab 1987 in den
Statistischen Jahrbüchern der BRD keine eigene Eisen-
erz-Förderung mehr ausge­wiesen wird.
Für unser Buch ist vor allem die Eisenerz-Versorgung
der DDR von Interesse. In Ostdeutschland war die Pro­
duktion von Roheisen und Stahl vor dem Krieg nur unbe-
deutend; die hier ansässige eisen- und stahlver­arbeitende
In­dustrie bezog dieses Ausgangsmaterial im Wesent-
lichen aus den Hüttenwerken Westdeutschlands. Nach
dem Krieg änderte sich diese Situation. Noch vor Grün-
dung der DDR begann Westdeutschland, den innerdeut-
schen Handel zu drosseln, speziell auch die Lieferungen
von Eisen und Stahl. Die Bereitstellung dieser Rohstoffe
für Ost­deutschland und die DDR wurde von der poli-
tischen Führung Westdeutschlands, auch durch Druck der
amerikani­schen Militäradministration, in der Nachkriegs-
zeit mit Embargo belegt oder als politisches Druckmittel
benutzt, was sich auch später wiederholte.
Da aber Eisen
und Stahl für den Wiederaufbau dringend gebraucht wur-
den, mussten die eigenen metallurgischen Kapazitäten der
DDR ausgebaut werden. Das entsprach auch den damals
in Osteuropa praktizierten Leitthesen der Politischen Öko-
nomie des Sozialismus, die eine vorrangige Entwicklung
der Schwerindustrie vorsahen. Im Osten Deutschlands
waren die Eisenerzvorräte von vornherein mengenmäßig
unbedeutender als die westdeutschen und auch bald er-
schöpft oder immer weniger abbauwürdig, die Qualität
der Eisenerze lag hier meist noch unter der der in West-
deutschland verfügbaren Erze. So ergab sich auch für die
DDR die Notwendigkeit, Eisenerz zu importieren. Mit den
Jahren wuchs der Eisenerz-Import der DDR stetig; ab 1969
impor­tierte die DDR beständig mehr Eisenerz, als im In-
land gefördert wurde. Die heimische Förderung sank bis
1973 auf ein unbedeutendes Niveau und war dann 1981
schließlich eingestellt.
Wo kauft man Eisenerz, wenn man selbst nicht genügend
hat? Auf dem Weltmarkt waren die großen Lieferan­ten
vor allem Erzgruben in Schweden, Indien und Brasi­lien,
die Eisenerz guter Qualität in großen Mengen anboten. Im
Unterschied zur westdeutschen Eisenhütten-Industrie, die
auf dem Weltmarkt frei einkaufen konnte und auch be-
stimmte überseeische Eisenerz-Lagerstätten selbst ausbeu-
tete, war die DDR angesichts ihrer Valutaknappheit über
lange Zeit vor allem auf das Erz aus dem ukrainischen Ei-
senerzrevier Kriwoi Rog angewiesen. Die Qualität dieses
Erzes war zu dieser Zeit schon wenig befriedigend, der
Eisengehalt war niedrig, die Beimengungen an tau­bem
Material hoch. Zum Problem der geringen Qualität kam
im Weiteren die Schere zwischen dem stark wachsen­den
Bedarf der UdSSR und der anderen europäischen RGW-
1
	 Siehe hierzu auch Fässler 2006 und Einblicke. 50 Jahre EKO Stahl.
– 12 – 
Die DDR, ihr Eisenerz und das BAK Kriwoi Rog
■  Heinz Kinder
Kriwoi Rog – wo genau liegt das? Der ehe­malige DDR-
Bürger erinnert sich vielleicht an den Geografie-Unter-
richt, als die Wirtschaft der UdSSR auf dem Stundenplan
stand. Damals war die Rede von den industriellen Errun-
genschaften und vom Reichtum an Bodenschätzen, und
dabei auch von den Erzlagerstätten des Reviers Kriwoi
Rog und von der Eisenhüttenindustrie.
Etwa dreißig Jahre nach meinem Geografie-Unterricht
stand ich selbst, nicht ganz unbeeindruckt, vor einem
solchen industriellen Giganten. Es war dies der 5 000 m3
-
Hochofen des Hüttenkombinates »Kriworoshstal« – der
damals größte der Welt und der Stolz des Werkes –, den
ich als Teilnehmer einer Tagung der Ständigen Kommis-
sion Schwarzmetallurgie des RGW besichtigen konnte.
Gute zehn Jahre später war es mit der stolzen großen
UdSSR ebenso vorbei wie mit dem RGW. Diesmal – ich
arbeitete inzwischen in der Abteilung Außenwirtschaft
des VEB Mansfeld Generallieferant Metallurgie – ging es
bei meinem Besuch in Kriwoi Rog um Möglichkeiten der
Errichtung einer Schlacken­haldenaufbereitungsanlage im
Hüttenkombinat »Kriworoshstal« und auch schon um die
Errichtung von 1 500 Wohnungen für die aus Deutschland
abziehenden Truppenteile der Sowjetarmee. Für dieses
Vorhaben sollten die deutschen Baukapazitäten, die am
BAK vorhanden waren, genutzt werden. So lernte ich
das BAK kennen – zunächst nur als Übernachtungsmög-
lichkeit im Bauarbeiterdorf »Majak«. Mit dem Bauvorha-
ben selbst hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt noch keine
direkten Berührungspunkte. Fragen und Probleme von
Investitionsbeteiligungen waren in meiner bisherigen
Tätigkeit im RGW-Sekretariat in Moskau und in der
Abteilung Internationale Zusammenarbeit des Minis-
teriums für Erzbergbau, Metallurgie und Kali (MEMK)
Gegenstand eher theoretischer Betrachtungen gewesen.
Das begann in den Jahren 1970–1971, als in den Arbeits-
organen des RGW die Hauptrichtungen der langfristigen
wirtschaftlichen und wissenschaftlich-technischen Zu-
sammenarbeit beraten wurden und letztlich 1971 ihren
Niederschlag in dem »Komplexprogramm für die weitere
Vertiefung und Vervollkommnung der Zusammenarbeit
und Entwicklung der sozialistischen ökonomischen Inte-
gration der Mitgliedsländer des RGW« fanden. Zur Ver-
sorgung der RGW-Länder mit eisenhaltigen Rohstoffen
hieß es in diesem Komplexprogramm u. a.:
	 »Die Gewinnung, Aufbereitung und Pelletierung von
Eisenerzen in einem Umfang, der im Wesentlichen
den steigenden Bedarf der interessierten Mitgliedslän-
der des RGW an Eisenerzen langfristig decken wird,
ist in der UdSSR durch gemeinsame Anstrengungen
weiter zu entwickeln, darunter erforderlichen­falls un-
ter Einbeziehung materieller und anderer Res­sourcen
Der 5 000 m3
-Hochofen Nr. 9 des Metallurgischen Kombinats »Kriworoshs­tal«
der interessierten Länder, die in den Jahren 1971–1972
mit der UdSSR entsprechende Abkommen schlie-
ßen.«
Da der steigende Importbedarf der RGW-Länder an Eisen­
erzen durch die UdSSR nicht oder nur unter großen Schwie-
rigkeiten gedeckt werden konnte, drängte die UdSSR,
auch unter Hinweis auf die genannten Festlegungen des
Komplexprogramms, Anfang der 70er Jahre auf eine ma-
terielle Beteiligung der Importländer zur Aufrechterhal-
tung bzw. Erhöhung des bisherigen Lieferniveaus, u. a.
durch zweckgebundene Ausrüstungslieferungen.
Im April 1974 unterzeichneten Bulgarien, Ungarn, die
DDR, Polen, die CSSR und die UdSSR ein »Generalab-
kommen über die Zusammenarbeit bei der Entwicklung
der Produktion von eisenhaltigen Rohstoffen auf dem
Territorium der UdSSR«.
Dieses Abkommen und die entspre­chenden bilateralen
Verträ­ge si­cher­ten der DDR ab 1980 den zu­sätzlichen
jährlichen Be­zug von 340 000 Tonnen Eisenerz (Fe-­Inhalt)
über die im langfristi­gen Han­delsabkommen von 1975
vor­­­ge­sehenen Men­gen hinaus.
Die DDR stellte dafür im Gegenzug,
ähnlich wie die anderen am Abkom-
men beteiligten Länder, im Zeitraum
1974–1978 als Vorauslieferung Ausrüs-
tungen (u. a. Tagebauausrüstungen), Konsumgüter (wie
z. B. Möbel und Textilien) und andere Waren bereit. Der
Umfang der Vorauslieferungen der am Abkommen betei-
ligten Länder im Zeitraum 1974–1978 belief sich auf über
750 Millionen transferable Rubel.
Für die DDR resultierte die Notwendigkeit der Beteili-
gung an diesem Abkommen einmal aus der Erfordernis,
die eigene Roheisenproduktion zu steigern, da die UdSSR
beträchtliche Probleme hatte, den wachsenden Roheisen-
Zahlenangaben zur Eisen­­
erzeugung und Eisenerz­
versor­gung der DDR siehe
Seite 471
– 17 –
Das BAK: Episoden der Entwicklung
■  Alexander Lasarew
Die folgenden Episoden sind ein bearbeiteter Auszug
aus dem Band 1 des Buches »Trudnobogoschtschajemyj
KGOKOR« (Schwer aufbereitbares BAK Kriwoi Rog)
von Alexander Lasarew, der uns den Buchtext vor dem
Erscheinen zur Verfügung gestellt hat. Dieses Buch ist
eine breit angelegte chronologische Erzählung über die
Ereignisse am und um das BAK Kriwoi Rog, angefan-
gen von der Idee der Schaffung des Kombinats bis zum
Jahre 1990. Das Buch berichtet in Episoden und Anek-
doten über die gewaltigen Aufgaben der Errichtung des
Kombinats und die dabei zu lösenden Widersprüche und
Probleme, über die Arbeit einer Vielzahl von am Bau be-
teiligten Arbeitern, Ingenieuren, Leitern und Funktio-
nären. Die Schilderung basiert auf Interviews mit vielen
Kollegen der BAK-Direktion, Mitarbeitern der Projektie-
rungsinstitute und lokaler Behörden, anderen Zeitzeu-
gen sowie auf zahlreichen Dokumenten dieser Zeit. Mit
der Arbeit am 2. Band über die Entwicklung des BAK
Kriwoi Rog in den Jahren bis 1998 hat der Autor 2006
begonnen.
Der Band 1 in russischer Sprache mit etwa 300 Seiten,
der etwa 500 Fotos enthalten wird, soll demnächst er-
scheinen. Informationen zum Bezug dieses Buches wer-
den nach Erscheinen veröffentlicht auf der WEB-Seite:
www.bakbuch.de
■  ■  ■
1971. Waljawka – eine Siedlung am Rand von Kriwoi
Rog, die es heute schon nicht mehr gibt.
Bedächtig trete ich an unser Haus, berühre seine kalte
Wand. Einsam steht es da, von der Welt abgeschnitten
durch Gräben und Baugruben, und schaut mich wie ein
verlassenes Waisenkind mit leeren Fensteraugen an. Mit
vier Jahren war ich hierher gekommen und habe die
Kindheit hier verbracht. Dieses Haus, das mein Vater
mit seinen Händen aufgebaut hatte, und die Siedlung
habe ich immer innig geliebt – das war meine Heimat.
Jetzt dröhnt direkt vor der Haustür eine Planierraupe
laut auf.
»Warum müsst ihr es einreißen?« schreie ich den Rau-
penfahrer an.
»Mach Platz!« winkt er mich weg.
Nach wenigen Minuten ist vom Haus nur ein Trümmer-
berg übrig. Der Raupenfahrer schaltet den Motor ab und
steigt herunter um zu rauchen. Zu ihm kommt ein an-
derer Mann.
»Was hat euch das Haus gestört?« schreie ich auf die
beiden ein.
Der Hinzugekommene stellt sich mir als Vermesser vor
und fragt zurück:
»Das ist wohl euer Haus?«
»War es! Was hat es euch gestört? Wofür musstet ihr
es abreißen?«
»Für ’nen Tagebau.«
»Wozu noch so ein Loch, wo doch dort drüben so viel
Erz auf Halde liegt!«
»Das ist armes Erz und noch dazu oxidiertes. Wir brau-
chen besseres Erz.«
»Bald habt ihr das halbe Kriwbass in einen Tagebau
verwandelt und die andere Hälfte unter dem Abfallerz
beerdigt! Denkt ihr auch an die Menschen?«
■  ■  ■
Oxidiertes Eisenerz – eine Schicksalsfrage
für Kriwoi Rog
Bis 1985 wurden rings um die Stadt Kriwoi Rog einige
Milliarden Tonnen an oxidiertem Eisenerz mit einem ge-
ringen Eisengehalt auf Halden geschüttet, während die
Vorräte an reichem Erz zurückgingen. Bereits 1969 hatte
das Ministerium für Schwarzmetallurgie der UdSSR die
Institute »Kriwbassprojekt« und »Mechanobrtschermet«
mit einer Durchführbarkeitsstudie zur Errichtung eines
Kombinats beauftragt, das oxidierte Erze verarbeiten soll.
Zur Errichtung dieses Kombinats, so wollte es Kossygin,
sollten dann auch die sozialistischen Länder mit heran-
gezogen werden, die bisher das Erz »einfach so« – über
Warenaustausch – bekommen hatten.
Nach einem Jahr war die Durchführbarkeitsstudie
fertig. Das Kombinat sollte pro Jahr 30 Millionen Ton-
nen Erz verarbeiten. Als Technologie waren Schwer-
kraftaufbereitung und Starkfeld-Magnetscheidung mit
nachgeschalteter Flotation vorgesehen; erzeugt werden
sollte Erzkonzentrat. Großtechnische Versuche von »Me-
chanobrtschermet« im Aufbereitungskombinat »ZGOK«
ergaben dann aber, dass die entwickelte Technologie nur
eine geringe Effektivität hatte.
Nach weiteren Forschungsarbeiten hatten die Institute
im Auftrag des Ministeriums eine neue Technologie mit
Magnetscheidung und Flotation ausge-
arbeitet, bei der Pellets als Endprodukt
vorgesehen waren. Nach Bestätigung
dieser Technologie durch das Ministe-
rium für Gesundheitswesen und den
Ministerrat der Ukraine wurde sie 1976
dem Ministerium für Schwarzmetallurgie der UdSSR zur
Prüfung vorgelegt. Ein Jahr lang wurde anschließend
nachgebessert und schließlich der Beschluss gefasst, auf
der Basis dieser Technologie das BAK Kriwoi Rog für
oxidierte Erze zu bauen und dabei die RGW-Länder zu
beteiligen.
Zum Thema Aufbereitungs­
technologie siehe auch
»Die für das BAK Kriwoi
Rog geplante Tech­­­nologie
der Eisen­erzauf­bereitung«
(S. 425 ff.)
– 19 –
Rayons, sondern auch des gesamten Oblasts neues Leben
einhauchen. Wie aus dem Füllhorn sollen dem Ort neue
Wohnhäuser, Straßen, Sozial- und Kultureinrichtungen,
Anschluss ans Gasnetz und andere Segnungen zufallen.
Das Schreiben, das er eben unterschrieben hatte, lautet:
»Das Exekutivkomitee des Rayonsowjets der Volksdepu-
tierten des Rayons Dolinskaja hat die Standortzuweisung
des Kombinats in der Variante III geprüft und hat gegen
diese Standortvariante für das Kombinat sowie gegen die
Anlegung der Klärteiche in der Balka Krinitschewatska
keine Einwände.«
Zwei Tage später ist Fedenko dann auf einer Beratung
zum Thema Zivilverteidigung am Getreidehochsilo. Wäh-
rend der Beratung eilt plötzlich der Parteisekretär Kalushny
heran und ruft ihn zum Telefon. Am Apparat ist Kirowo-
grad – der Zweite Sekretär der Oblast-Parteileitung Kibez:
»Mit welchem Recht haben Sie ohne unsere Erlaubnis
ein derart unsinniges Papier unterschrieben?«
Ein Recht der Erwiderung hat Fedenko keines. Ihm
war mit einem Mal klar, was ihm blühen konnte: Entwe-
der stellt man ihm im neuen Kombinat ein Denkmal auf
oder man schickt ihn in die Wüste.
»Machen Sie sich sofort auf den Weg und ziehen Sie
Ihre Genehmigung zurück.«
Das war wie eine eiskalte Dusche. Wozu verlangen sie
von ihm, sich selbst zu erniedrigen? Er wollte, dass Do-
linskaja endlich aus dem Schlamm, den allgegenwärtigen
Schweineställen und der Armut herauskommt. Endlich
gibt es mal eine Chance für ein besseres Leben, und da
wollen die Oblastchefs alles wieder über den Haufen
werfen. Seine Mutter hatte ihn dazu erzogen, den Men-
schen mit Güte und Verständnis zu begegnen, ein offenes
Ohr für ihre Probleme zu haben. Warum wollen die dort
oben diese Zukunftschance nicht sehen?
Grigori Fedenko hatte zeitig gelernt, selbständig zu
entscheiden. Früh hatte er den Vater verloren, der im
Krieg in Polen gefallen war. Nicht leicht war für ihn
der Weg aus dem Dorf Bokowoje zum Studium an die
Lomonossow-Universität nach Moskau gewesen. Als
Lehrer hatte er danach gearbeitet und schließlich als Di-
rektor der Acht-Klassen-Schule in Baschtanka. Die Ent-
scheidung für das Kombinat hatte er mit dem Herzen
getroffen und er hatte nicht vor, gegen sein Gewissen zu
handeln. Und so fuhr er auch nirgendwo hin.
Zwei Tage später wieder ein Anruf – wieder Kibez und
diesmal kategorisch: »Sie fahren sofort nach Kriwoi Rog.«
Nun muss er fahren, das Institut ausfindig machen. Er
findet es und findet auch Dsjubenkos Arbeitsraum. Bei
dem sind etwa zehn Personen versammelt, promovierte
Techniker, die ihn alle mit Händedruck begrüßen. Dsju-
benko stellt den Gast vor:
»Das ist der Mann, der die Genehmigung für den Bau
des Kombinats erteilt hat.«
Alle blicken ihn lächelnd an. In dieses Wohlwollen hi-
nein sagt Fedenko:
»Ich ziehe meine Entscheidung zurück.«
Einer der Experten springt empört auf: »Begreifen Sie
denn nicht, was alles Sie kaputtmachen?«
»Das begreife ich sehr wohl.«
»Verehrtester, Sie kommen zu spät«, schaltet sich Dsju-
benko ein, »Wir haben Ihr Schreiben schon an alle Insti-
tute verteilt. Die Maschine ist nicht mehr anzuhalten!«
Zwei Tage später findet in Dolinskaja eine Plenarsitzung
der Rayonparteileitung statt. Giduljan stellt Fedenko so-
fort an den Pranger:
»Fedenko richtet den Rayon zugrunde! Die beste Schwarz­
erde an das Kombinat abzutreten – das ist ein Verbre-
chen!« In diesem Stil geht es dann weiter. Zwei Tage
später muss Fedenko schließlich im Oblast-Exekutivko-
mitee antreten und auch dort stellt man sich dem Vorha-
ben in den Weg.
Am 8. Dezember 1978 unterzeichnet der Vorsitzende
des Oblast-Exekutivkomitees Maximenko einen Brief: »In
Übereinstimmung mit der Oblastleitung der Kommunisti-
schen Partei der Ukraine lehnt das Oblast-Exe­kutivkomitee
Kirowograd die Errichtung des Kombinats aufgrund des
Mangels an Arbeitskräfteressourcen sowie der dafür erfor-
derlichen Zweckentfremdung von 4 000 Hektar hochpro-
duktivem Ackerboden kategorisch ab.«
Der traditionelle Reichtum des Rayons Dolinskaja wächst auf den fruchtbaren
Schwarzerdefeldern – Weizen, Rüben, Mais, Melonen, Sonnenblumen …
– 39 –
Freundschaftstreffen der Mitarbeiter des
Produktionsbereiches des Generallieferan­
ten der DDR-Baustelle mit den Kollegen
der Produktions­abteilung der BAK-
Direktion auf der DDR-Baustelle (oben)
und im Dendropark (unten).
Bild oben v. l. n. r. – hintere Reihe:
Jörg Heckel, Gerd Liebing, Friedrich
Böhrs, Karl-Heinz Straßburger, Jelena
Bondarenko, Heinz Jäger, N, Jelena
Jablunowskaja, Wjatscheslaw Iwano­witsch
Zygul, Brigitte Hildebrandt, Rainer Dahle,
Oleg Perminow, Gerhard Gießler, Ilona
Werner, Volker Werner, Lothar Achtzehn,
Wladimir Iwanow, Gerhard Jeanneret,
Mario Geue;
vordere Reihe:
Valentin Skibizki, Lilja Suprunowa, Sergej
Bondarenko, Konstantin Kowal, Klaus
Bau­erhin, Georg Hübner (»On«)
Bild unten v. l. n. r. – hintere Reihe:
N, Nikolai Proko­penko, Karl-Heinz
Straßburger, Marina Prud­tschinskaja,
Wjatscheslaw Iwanowitsch Zygul – Leiter
d. Produktionsabt., Swetlana Prokopenko,
Lothar Achtzehn, Lilja Suprunowa, Jürgen
Döring, Jelena Jablunowskaja, N,
Alexander Lasarew, Wladimir Sholobow,
Jürgen Drews, Wolf­gang Berndt;
vordere Reihe:
N, Günther Pilz, Dr. Volker Wittenbecher,
Jelena Sawdijarowa, Alexander Gaikowoi
(vorn), N, Valeri Mruk, N, N, Bruno Böhm,
Juri Sawdijarow, Erhard Wolf.
Wir verlassen schließlich Selenodolsk und verabschie-
den uns von Freunden und Kollegen, ich mich auch von
den aufgestauten unlösbaren Problemen in meinem
bisherigen Betrieb. Schwer fällt mir der Abschied vom
Stausee, meinem geliebten Anglerparadies, aber die
versprochene neue Funktion – Sysa will mich als sei-
nen Stellvertreter für Wohnungsbau einsetzen – und
vor allem die Aussicht auf eine große Wohnung verlan-
gen Opfer. Ich fange also bei der BAK-Direktion in Do-
linskaja an. Und schaue erst einmal in den Mond. Nicht
nur, dass ich die erste Zeit jeden Tag nach Kriwoi Rog
pendeln muss, da ich in Dolinskaja noch nicht wohnen
kann – jeden Morgen und jeden Abend jeweils andert-
halb Stunden Fahrt im Schneckentempo im überfüllten,
stickigen Zubringerzug zur Baustelle. Das war abzuse-
hen. Weniger freudvoll ist, dass der versprochene Pos-
ten anderweitig besetzt ist, ich darf mich als einfacher
Ingenieur tummeln …
Schließlich kommt mit einem neuen Stellenplan meine
Chance: Ich werde Leiter des neugebildeten Büros für
die Errichtung der Wohn- und Sozialobjekte. Wir über-
nehmen nun die Verantwortung für diese Objekte von
Valentina Tschishikowa, Juri Brusnik und Valeri Mruk.
Juri weist uns ein: Die rumänische Firma »Arcom« baut
den Mikrorayon Nr. 4: das sind 23 Wohnhäuser, ein Pro-
phylaktorium, das Fernmeldeamt, die Feuerwache, eine
Kaufhalle, ein Kindergarten, zwei Heizverteilerstationen,
eine Schule, das Betriebsgebäude der Gaswirtschaft, Ob-
jekte der Kommunalwirtschaft und der Wohnungsver-
waltung, sowie der Krankenhauskomplex. Mikrorayon
Nr. 5 der ČSSR: »Pozemny stavby« Banská Bystrica baut
13 Wohnhäuser, zwei Kindergärten, eine Kaufhalle mit
– 43 –
Wjatscheslaw Zygul und Ljudmila Asmolowa bei den rumänischen Bauarbeitern
eingesperrt war – wegen seiner deutschen Herkunft. Und
all die Jahre danach hat er alles unternommen, um jede
»So, hier sind die Pläne. Baut das mal schnell hin und dann nichts wie wieder weg von hier!«,
(Karikatur aus einer ČSSR-Zeit­schrift von 1986)
Vermutung, er könnte Deutscher sein, abzuwehren – zu
tief war der Einschnitt dieser Jahre in sein Leben gewe-
sen.
Heute kommt unser Gespräch auf die ungelösten
Probleme der Baustelle. Bis zur Fertigstellung der In-
dustriebauten bleibt noch viel zu tun. Und eine Masse
ungelöster Probleme lastet auf der Baustelle: Noch im-
mer fehlt eine Gesamtkoordinierung der Baustelle; die
Leitung des »Baukomplexes«, die eigentlich die Bau- und
Montageleistungen aller beteiligten Länder koordinieren
soll, tut dies nur für die Arbeiten der sowjetischen Bau-
betriebe. Jelesow sitzt mit der Kombinatsdirektion immer
noch in Kriwoi Rog statt vor Ort. Die Baubetriebe aus
Kriwoi Rog werden vom Stadtparteikomitee aus Dolins-
kaja nach Kriwoi Rog abgezogen, so dass die Pläne für
die Errichtung des BAK nicht erfüllt werden können. Um
nicht in allen Bauaufgaben von anderen abzuhängen und
operativ ins Baugeschehen eingreifen zu können, sollte
die BAK-Direktion einen eigenen flexiblen Baubetrieb
haben – aber keiner nimmt sich ernsthaft dieser Frage an.
… Ich frage ihn, wie lange das noch so gehen wird, dass
wir die Probleme vor uns herschieben, wenn im kom-
menden Jahr das Kombinat doch in Betrieb gehen soll?!
Ich erfahre jetzt von ihm zum ersten Mal, dass Dsjuba
dem stellvertretenden Minister Antonenko als realen In-
betriebnahmetermin 1992 vorgeschlagen hat. Antonenko
hat das akzeptiert, denn das BAK ist die erste Baustelle,
bei der so viele beteiligte Länder auf einem Baufeld neben­
einander so eng verzahnt arbeiten.
Auswahl, Bearbeitung und Übersetzung: Rolf Junghanns
■  ■  ■
– 44 – 
Zu den im Weiteren ver-
wendeten Fach­begriffen
siehe »Erläu­te­rung einiger
Begriffe der Eisen­erz-Auf­
be­reitung« auf S. 82
… deutlich hinter dem internationalen Stand
■  Interview mit Prof. Dr. Heinrich Schubert   
der Technologie Klarheit zu verschaffen. Trotz der aufge-
schlossenen Atmosphäre und der weitgehenden Offenheit
in den Gesprächen mit dem damaligen Direktor des Insti-
tuts »Mechanobrtschermet« Suslikow, seinem Stellvertre-
ter für wissenschaftliche Arbeit Arsentjew und dem Leiter
der Abteilung »Aufbereitung oxidierter Eisenerze« Malyi
erbrachte das Treffen keine Erkenntnisse, durch die sich
die Technologie als vorteilhafter hätte bewerten lassen.
Das zwölfseitige Gutachten und den sich an dieses an-
schließenden Dienstreisebericht stellen wir weiter unten
in Ausschnitten vor. Mit seiner Einschätzung hatte Prof.
Schubert damals viele sachlich denkende Leiterpersön-
lichkeiten auf seiner Seite, bei manchem stieß sie aller-
dings nicht auf Gegenliebe.
Die von Prof. Schubert getroffenen Einschätzungen
wurden als vertrauliche Dienstsache eingestuft, das BAK
wurde trotzdem gebaut.
Wir baten Herrn Prof. Schubert um einen aktuellen
Kommentar – 20 Jahre danach.
l?	 Zuallererst eine Frage zum Erz: Kann man einem Laien
einigermaßen verständlich erklären, was eigentlich
oxidisches Eisenerz und was oxidiertes Erz ist?
➤	 Prof. Schubert: Ein Oxid ist bekanntlich eine Sauerstoff-
verbindung eines Elements. Im Falle des Eisens sind
die wichtigen oxidischen Minerale Magnetit (Fe3
04
),
Hämatit (Fe2
03
) und Eisenhydroxide. Im Magnetit liegt
das Fe in zwei‑ und dreiwertiger Form vor. Die vorhan-
dene Kristallstruktur verleiht ihm ferromagnetische
(stark magnetische) Eigenschaften, die eine sehr effek-
tive Anreicherung auf Schwachfeld‑Magnetscheidern
selbst bei sehr feiner Verwachsung ermöglichen. Hä-
matit enthält demgegenüber das Fe nur in dreiwertiger
Form. Dieses Mineral ist paramagnetisch – schwach
magnetisch. Deshalb ist es nur auf Starkfeldscheidern
anreicherbar, und bei feiner Verwachsung gelingt die
Magnetsortierung nur mit mäßigem Erfolg.
	 Das Erz, das am BAK Kriwoi Rog aufbereitet werden
sollte, gehörte zu einer Teilgruppe der oxidischen Eisen­-
erze – zu den o x i d i e r t e n Eisenerzen. Um ein oxi-
diertes Eisenerz handelt es sich dann, wenn es un-
ter metamorphen Bedingungen, d. h. bei Druck- und
Temperaturzunahme, zu einer Oxidation des zwei-
wertigen Eisens vom Magnetit gekommen ist, der
Magnetit also in Hämatit und/oder Eisenhydroxide
umgewandelt worden ist.
l?	 Wie und wann kamen Sie in Verbindung mit dem
Vorhaben BAK Kriwoi Rog?
➤	 Prof. Schubert: Wie ich mit dem Vorhaben Kriwoi Rog
in Verbindung gekommen bin, dazu vermag ich mich
im Detail nicht mehr zu äußern. Ich habe in meinem
Als die wichtigsten Teile des Vorprojekts
im Februar 1985 übersetzt waren, erhielt
Prof. Dr. Schubert, Experte für Aufberei-
tungstechnologie an der Bergakademie
Freiberg, vom Ministerium für Erzberg-
bau, Metallurgie und Kali den Auftrag,
die für das Projekt BAK geplante Technologie zu bewer-
ten. In seinem Gutachten vom 17. Februar 1985 verglich
er dieses Vorhaben mit den damals betriebenen Anlagen,
in denen ähnliches Eisenerz aufbereitet wurde. Eingangs
stellte er fest: »Die Aufbereitung fein- bis feinstverwach-
sener häma­ti­tischer bzw. eisenhydroxidhaltiger Erze war
lange Zeit ein ungelöstes Problem.« Angesichts der damit
verbundenen technologischen Schwierigkeiten waren bis
dahin nur wenige Anlagen dieser Art realisiert worden. Die
bedeutendsten davon befanden sich in Brasilien und in den
USA (Tilden), in Kriwoi Rog arbeitete man in klein- und
großtechnischen Versuchsanlagen an dieser Technologie.
In Brasilien konnte die Technologie relativ einfach ge-
halten werden. Da das dort aufbereitete Erz aufgrund
seiner günstigeren Verwachsung besser aufbereitbar
war, musste es nicht sehr fein aufgemahlen werden, al-
lein schon mit Nass-Starkfeldmagnetscheidern konnte es
zufriedenstellend angereichert werden.
Die nordamerikanischen Takonit-Eisenerze hingegen,
die von ihrer Zusammensetzung und Verwachsung her
den oxidierten Erzen von Kriwoi Rog nahekamen, muss-
ten wesentlich feiner als das brasilianische Erz aufge-
mahlen werden, um einen Aufschluss zu erreichen. Das
erhaltene feine Korn schloss aber eine Aufbereitung in
Starkfeld-Magnetscheidern aus (da bei dem feinen Korn
die Schleppkräfte der Trübe die Magnetkräfte überwo-
gen). Deswegen hatte man bei der Cleveland Cliffs Iron
Co. in Tilden eine für die damalige Zeit sehr effektive
reine Flotationstechnologie – ohne Magnetscheidung –
gewählt. Bei einem Ausgangserz mit einem Eisengehalt
von 32 bis 36 % konnte man Konzentrate mit einem Eisen­
gehalt von 63 bis 67 % und einem Quarzanteil (SiO2
) von
4,7 bis 4,3 % erzielen. Dabei lag der Energieverbrauch je
durchgesetzter Tonne hier wesentlich niedriger, als in Kri-
woi Rog geplant war. Die Technologie der Tilden-Anlage
charakterisierte Prof. Schubert als »die fortschrittlichste
[…], die gegenwärtig für die Aufbereitung oxidierter Tako-
nit-Erze bekannt ist.«
Die anhand der knappen Vorprojektunterlagen begut-
achtete Kriwoi-Rog-Grundtechnologie bewertete er an-
gesichts des unbefriedigenden Aufbereitungsergebnisses
und des hohen Energieverbrauchs als »abzulehnen«. Da
die Projektunterlagen einiges an Fragen offenließen, reis-
te Prof. Schubert zusammen mit Dr. Koch Ende Septem-
ber 1985 nach Kriwoi Rog, um sich dort bei den Autoren
– 48 – 
Die Aufbereitung oxidierter Eisenerze – Der lange Weg
zur Technologie
■  Vladimir Malyi   
Die geologische Schichtenfolge im Eisenerzrevier von
Kriwoi Rog, dem Kriwbass, ist im Wesentlichen (abgese-
hen von einigen Ausnahmen) die folgende:
–	Deckgebirge aus Lehm und Felsgestein
–	3 Horizonte armes oxidiertes Eisenerz (Eisenquarzite)
–	Horizonte aus armem Magnetiterz
–	Horizonte aus reichem Hämatiterz.
Bis in die erste Hälfte der 1950er Jahre wurde im Kriw-
bass vor allem das Hämatit-Erz im untertägigen Bergbau
gefördert. Sein Eisengehalt lag bei 60 %, so dass dieses Erz
direkt, ohne Aufbereitung an die Roheisenerzeuger gelie-
fert werden konnte. Nur etwa 5–10 % des Hämatit-Erzes
wurden damals aufbereitet, ausschließlich in kleinen,
primi­tiven Anlagen, die mit Absiebung und Setzverfah-
ren arbeiteten und eine Verbesserung des Eisen­gehaltes
um wenige Prozent erbrachten.
Anfang der 1950er Jahre wurde den Eisenerzerzeu-
gern des Kriwbass die Forderung gestellt, der Metall-
urgie wesentlich mehr Erz zu liefern. Dies war durch
einen Ausbau der Untertageförderung nicht machbar
und so galt es, neue Eisenerzquellen zu erschließen.
Im Erzbergbau trat eine vollkommen neue Situation
ein: Man begann nun mit der Gewinnung des oberflä-
chennahen Eisenerzes im Tagebau. Dazu wurden Berg-
bau- und Aufbereitungskombinate errichtet – große
Industriekomplexe, die zwei Aufgaben wahrnahmen:
die Förderung von Erz im Tagebau und die anschlie-
ßende Aufbereitung des Erzes. Die Notwendigkeit der
Aufbereitung ergab sich dadurch, dass hier Magnetiter-
ze gefördert wurden, die einen geringen Eisengehalt
aufwiesen. Um diese für die Metallurgie brauchbar zu
machen, musste ihr Eisengehalt durch Anreicherung er-
höht werden. Im Laufe der 50er bis 70er Jahre entstanden
in Kriwoi Rog neben kleineren Aufbereitungsanlagen
insgesamt fünf große Bergbau- und Aufbereitungs-
kombinate (BAK): »JuGOK« (BAK »Süd«) – Inbetrieb-
nahme – 1954; NKGOK« (BAK »Neu-Kriwoi-Rog«)
– 1959, »ZGOK« (BAK »Zentrum«) – 1961, »SewGOK«
(BAK »Nord«) – 1963, »InGOK« (BAK »Ingulezk«) –
1965.
Magnetiterz lässt sich aufgrund seiner ausgeprägten ma-
gnetischen Eigenschaften einfach aufbereiten. Die hierfür
übliche Technologie ist die Schwachfeldmagnetscheidung.
Ihr Kernstück ist ein Separator, der mit Dauermagneten
ausgerüstet ist, die aus der Erztrübe die Magnetitkörner
herausziehen. Auf diese Weise wird das Nutzmineral von
den Quarzitkörnern (weitgehend) getrennt. Im Ergebnis
dieses Prozesses erhält man ein Eisen­erz-Konzentrat; die
Abgänge werden in Klärteiche abgeleitet.
Führender Kopf bei der Entwicklung der Schwach-
feldmagnetscheider war der Doktor der technischen
Wissenschaften Viktor Grigorjewitsch Derkatsch vom
Leningrader Aufbereitungsinstitut »Mechanobr«.
Oxidiertes Eisenerz
Um die Magnetiterze für die Aufbereitungskombinate
gewinnen zu können, mussten die darüberliegenden drei
Horizonte mit sogenannten oxidierten Armeisen­erzen
abgeräumt werden. Die Erze dieser Schichten ließen
sich mit der Technologie der Schwachfeld-Magnetschei-
dung nicht verarbeiten. Grund war ihre andersgeartete
Zusam­mensetzung. Statt Magnetit enthalten sie andere
Eisenerzminerale – Hämatit und Eisenhydroxid –, die
im Unterschied zum Magnetit nur schwachmagnetisch
sind. In den 1950er Jahren gab es für die Aufbereitung
dieser Erze keine geeignete Technologie, so dass man sie
nur abbaggerte und auf Halde fuhr. Die Aufhaldung er-
folgte mit der Maßgabe einer späteren Weiterverarbeitung
(wobei es aber durch Fehler oder Nachlässigkeit auch zu
Vermischungen mit dem Deckgebirge kam).
Es fiel also – ganz kostenlos – ein Rohstoff an, der we-
gen der fehlenden Verarbeitungstechnologie aufgehaldet
werden musste. Statt diese Ressource gewinnbringend
nutzen zu können, mussten weitere Ressourcen in An-
spruch genommen werden – Flächen gingen der Land-
wirtschaft oder anderen Nutzungen verloren, durch die
Halden entstanden Belastungen für die Umwelt. Es war
also angesagt, eine Technologie für die Verarbeitung die-
ser Erze zu schaffen.
Die Absicht, die oxidierten Eisenerze zu nutzen, be-
stand allerdings schon früher, als die Vorräte schon
erkundet waren, aber noch nicht im großen Maßstab ab-
gebaut wurden. Die Forschungen zu Technologien, die
eine effektive Aufbereitung dieser Eisenerze ermöglichen
könnten, wurden bereits vor dem Krieg aufgenommen
– seit den 30er Jahren liefen sie im Leningrader Insti-
tut »Mechanobr«, im Moskauer Bergbauinstitut und im
Forschungsinstitut für Erzbergbau Dnjepropetrowsk.
Die untersuchten Verfahren waren das Sortieren in Setz-
maschinen, die Schwertrübeaufbereitung, die flotative
Aufbereitung und das magnetisierende Rösten der Hä-
matiterze.
1933 wurde im Erzbergwerk Schmakowo in Kriwoi
Rog eine Versuchsanlage mit einem Schachtofen zum
magnetisierenden Rösten von Hämatiterz gebaut, die bis
1941 bestand. Leiter dieser Anlage war der damals junge
Ingenieur Vitali Iwanowitsch Karmasin. Als dann später
oxidiertes Eisenerz im großen Maßstab als Begleiterz an-
– 54 – 
Disput über die Technologie
Nach den Versuchen am BAK »MichGOK« entbrannte ab
Ende 1983 im Institut »Mechanobrtschermet«, im Minis-
terium für Schwarzmetallurgie der UdSSR und in einigen
weiteren Einrichtungen ein Disput, der über 2–3 Jahre
– bis zum Beginn der Ausführungsprojektierung für das
BAK Kriwoi Rog – andauerte. Der Disput rührte daher,
dass bis zu dieser Zeit bei der Projektierung des BAK Kri-
woi Rog zwei Technologien parallel untersucht wurden
– die Starkfeldmagnetscheidungs-Flotations-Technologie
und die Starkfeld-Magnet­scheidungstechnologie. Für die
Ausführungs­projektierung war dann natürlich eine der
beiden Technologien auszuwählen.
Welche Argumente führten die Disputanten an?
•	Argumente der Anhänger der S t a r k f e l d m a g n e t-
scheidungs-Flotations-Technologie (zu denen
aus der Institutsleitung der Direktor G. F. Suslikow
und der stellvertretende Direktor W. A. Arsentjew
gehörten): Die Starkfeld-Magnetscheidung arbeitet
effektiv nur in der 1. Aufbereitungsstufe bei grober
Aufmahlung des Erzes. Bei einer feinen Aufmahlung
(d. h. in der 2. Aufbereitungsstufe) sichern die Separa-
toren keine hohe Konzentratqualität; für feine Teilchen
(unter 10 µm) und besonders schwachmagnetische Teil-
chen (Eisenhydroxide) wird nur ein geringes Ausbrin-
gen erreicht. Im Ausland wird die Magnetscheidung
nur bei grob aufgemahlenem Erz eingesetzt (Brasilien,
Mexiko); feinverwachsene Erze werden mit der Flota-
tion aufbereitet (Tilden, USA).
•	Argumente der Anhänger der Starkfeld-Magnet -
s c h e i d u n g s t e c h n o l o g i e (in der Institutsleitung
waren das der Chefingenieur F. U. Popow, der stell-
vertretende Direktor N. A. Strelkin und der stellver-
tretende Direktor L. A. Lomowzew): Die Technologie
der Starkfeld-Magnetscheidung hat in den letzten
Jahren eine große Entwicklung erfahren; die effektive
Trennkorngröße konnte auf 10 µm reduziert werden.
Das Verfahrensschema kann sowohl mit Importtechnik
realisiert werden wie auch mit eigenen Ausrüstungen,
die in den Aufbereitungskombinaten »MichGOK« und
»ZGOK« erfolgreich großtechnisch erprobt worden
sind. Die Qualität des Magnetkonzentrats steht hin-
ter der des Magnetscheidungs-Flotations-Konzentrats
zurück, aber hier sind noch nicht alle Möglichkeiten
ausgeschöpft und bis zur Inbetriebnahme des Kombi-
nats sind Fortschritte bei der Lösung dieses Problems
zu erwarten (was sich im Weiteren noch bestätigen und
in unserem Vortrag auf dem Aufbereitungskongress in
Aachen 1997 dargelegt werden sollte). Geeignete Flo-
tationsreagenzien sind entweder giftig oder nicht ver-
fügbar – auf den Einsatz von Stärke muss verzichtet
werden, da sie in der UdSSR nur für die Lebensmit-
telversorgung zur Verfügung steht. (Hintergrund für
dieses Argument ist die Tatsache, dass eine Aufberei-
tung des Abwassers aus der Aufbereitung angesichts
Der Starkfeld-Nass-Magnet­scheider (Rotorseparator) »6 ĖRM 35/315«, konstruiert im Institut »Gipromasch­ugleobogaschtschenije«, gefertigt im Maschinen­baubetrieb
»Železorudné Bane« (ŽB) Spišská Nová Ves (ČSSR)
1 –Spulenblock; 2 – Magnet­pole des mittleren und unteren Rotors; 3 – Magnet­pole des oberen Rotors; 4 – Vorrichtung zur Auf­nahme des Trennguts; 5 – Matrize;
6, 7 – Antrieb der Rotoren; 8 – Trübe­aufgabe­vor­richtung; 9 – Rotor; 10 – Lüfter zur Kühlung der Magnet­spulen
(Technische Daten siehe S. 82)
– 62 – 
Das Vorkommando
■  Gerhard Kasten  ■  Rolf Junghanns   
Ein Arbeitstag Mitte August 1985 in Berlin in den Büros
des VEB Mansfeld Generallieferant Metallurgie (MGM),
der den DDR-Teil des RGW-Vorhabens BAK Kriwoi Rog
steuern soll. Nacheinander bekommen drei Kollegen
einen Anruf. Eine schneidige Stimme meldet sich: »Hier
Kasten!« – und beglückwünscht sie zu einer Prämie über
100 Mark. Verwunderung und freudige Erregung bei den
Angerufenen – und gleich darauf dürfen sie die Gefühle
wechseln. Der Anrufer lässt wissen, dass sie zwar den
Erhalt der Prämie per Unterschrift quittieren müssen,
ausgezahlt wird ihnen das Geld aber nicht!
22. August 1985, ein Donnerstag. Durch das nächtli­che
Berlin töfft ein »Barkas«-Kleinbus. Die Nacht ist warm,
die Straßen sind menschenleer – kein Wunder, es ist
0.45 Uhr. Zu dieser frühen Stunde startet die Mission
»Vorbereitungsgruppe DDR-Baustelle BAK Kriwoi Rog«.
An der Gethsemane-Kirche hält der »Barkas«. Ein erster
Fahrgast wird an Bord genommen: Gerhard Kasten, Dele­
­gationsleiter. Nicht weit von hier, in der Stargarder Stra-
ße, steigt Rolf Junghanns dazu, Sprachmittler. Er hat zwei
schwere Koffer bei sich, das schwerste darin sind die
Russisch-Wörterbücher. Um 1.15 Uhr kommt in der Ein-
becker Straße Gerhard Fillinger an Bord, der Haushand-
werker des Vorkommandos. Auch seine Koffer haben
beträchtliches Gewicht – privates Werkzeug, das er in Er-
mangelung betriebseigenen Werkzeugs mitnimmt. Um
1.30 Uhr in Treptow stößt als Letzter Peter Zimmermann
hinzu, Verantwortlicher für die Organisation von Unter-
bringung und Versorgung.
Das kleine Team fährt zum Flughafen Berlin-Schö-
nefeld, Endziel ihrer Reise ist Kriwoi Rog. Die Aufga-
benstellung der Reise lautet: »Vorbereitung der Eröffnung
des DDR-Teils der RGW-Baustelle BAK Kriwoi Rog und
Klärung aller organisatorischen Fragen«.
Zu dieser Aufgabe gehören die Unterbringung der ersten
eintreffenden DDR-Bauarbeiter in einem sowje­tischen
Wohnheim und die Organisation ihrer Verpflegung, die
Eröffnung der Bankkonten für Tagegeld für die Bauarbei-
ter und zur Bezahlung der vor Ort gekauften Bau- und
Treibstoffe, die Bereitstellung dieser Materialien, die
Klä­rung aller Pass-Visa-Formalitäten, die Sicherung der
Wasser- und Energieversorgung auf der Baustelle.
Beim Einchecken auf dem Flughafen Schönefeld zeigt
sich, dass die vier neben den pro Person zulässigen 20 Ge-
päckkilos zusammen noch 74 Kilo Übergepäck haben!
Der Flug IF 616 startet dann um 3.15 Uhr, die »Tu‑134«
bringt sie in zweieinhalb Stunden nach Moskau.
Dort werden sie von Mitarbeitern des Außenhandels-
betriebs LIMEX, den Kollegen Griese und Pester emp-
fangen, die sie zum Kursker Bahnhof an den Zug nach
Kriwoi Rog bringen. Um 20.10 Uhr geht die Reise wei-
ter, über Tula, Kursk, Charkow, Dnjepropetrowsk, und
am 23. August kommen sie dann nach 1 200 Kilometern
Bahnfahrt um 16.10 Uhr auf dem Fernbahnhof von Kri-
woi Rog an.
Am Bahnhof begrüßt sie Juri Dawydenko, Mitarbeiter
der »Abteilung für die Arbeit mit den ausländischen Spe-
zialisten« der noch recht neuen »Direktion des im Bau
befindlichen Bergbau- und Aufbereitungskombinates
Kriwoi Rog«, der sie zur Unterkunft bringt.
Es ist ein 9-stöckiges Arbeiterwohnheim des Metallur-
gischen Kombinats am »Platz der Hochofenbauer«. Das
DDR-Vorkommando mietet in diesem Plattenbau für die
Startphase der Baustelle zunächst anderthalb Etagen. In
Wohnheim des Metallurgischen Kombinats »W. I. Lenin« (Kriworoshstal) am Platz der Hochofenbauer
– 67 –
MGM – eine Nachbetrachtung
■  Wolfgang Bönitz   
lich die »Fahne von Kriwoi Rog« und das bei Kriegsende
in Eisleben wieder aufgestellte Lenindenkmal. Und eben
diese symbolische Linie musste wohl herhalten, um die
Zuständigkeit des Mansfeld Kombinates zu begründen.
Nach und nach schickten sich alle so vom Ministerrat
benannten Ministerien, deren Kombinate und nachge-
ordnete Betriebe in das Unvermeidliche und arbeiteten
an ihrer Strategie, die da hieß: Wir machen das, was wir
müssen, aber keinesfalls mehr!
Zunächst war in dieser Phase der Gesamtumfang etwas
nebulös, denn die sowjetische Seite hatte ihre Planungen
noch lange nicht abgeschlossen, was aber bei den riesigen
Aufwendungen und den komplizierten Zuordnungen an
die beteiligten Länder auch nicht verwunderlich war. Im
Frühjahr und Sommer 1984 starteten in den Betrieben die
Werbeaktionen um Mitarbeiter für den neuen General-
lieferanten (GL). In Frage kamen dafür zunächst zwei
Betriebe in Berlin. SKET-INGAN, ein bekannter Gene-
rallieferant insbesondere für Anlagen der Metallurgie
und Kabelproduktion, sowie INEX, ein ebenso bekann-
ter Generallieferant für Ausrüstungen des Schwerma-
schinenbaus und generell für komplette Fabrikanlagen.
Solche Aktionen, bei denen aus Mitarbeitern gänzlich ver-
schiedener Betriebe ein neuer gebildet wird, sind immer
riskant. Geht es doch darum, aus den verschiedensten
Betriebskulturen eine neue zu formen, mit der sich nach
und nach alle Mitarbeiter identifizieren können. Geht es
den abgebenden Betrieben gut und haben sie Aufträge, so
sind die Mitarbeiter im Wesentlichen zufrieden. In diesem
Fall müssen die Werber damit rechnen, nur solche Mitar-
beiter zu gewinnen, die der Spenderbetrieb nicht ungern
abgibt. Die Betriebsleitungen werden sich vor jene Mit-
arbeiter stellen, die sie unbedingt halten wollen. Was die
anderen betrifft – soll doch der neue Betrieb sehen, wie
er mit den Luschen zurechtkommt!
Doch trotz der von allen Seiten herbeigeholten neuen
Mitarbeiter – ganz so schlimm sollte es nicht werden. Bei
den Mitarbeitern von INEX stieß die Werbung auf recht
offene Ohren, da mehrere große Vorhaben in Algerien
spätestens 1985 zu Ende gehen sollten und neue Aufga-
ben in annehmbarer Zahl und Größenordnung nicht zu
erwarten waren. Außerdem war das Vertrauen, dass der
–	Mansfeld Generallieferant Metallurgie
–	Ost-Handels-GmbH
–	Infracom
–	Aus!
Wie beschreibt man die vorstehende Namenfolge denn
nun? Vielleicht so:
Von der Wiege bis zur Bahre dauerte es nur acht Jahre.
Mansfeld Generallieferant Metallurgie
Als sich der Ministerrat der DDR widerwillig, aber not-
gedrungen mit der Notwendigkeit der Realisierung des
multilateralen Abkommens, abgeschlossen im Oktober
1983 auf Initiative der Regierung der UdSSR mit einer
Reihe von Ländern des RGW, befasste, schrieb man das
Jahr 1984. Es galt, die Realisierung des Abkommens für
den übernommenen Anteil zu organisieren und alle zu
beteiligenden Ministerien, Kombinate, Außenhandelsor-
ganisationen, Betriebe u. a. zu ihrer jeweiligen Aufgabe zu
vergattern. Das traf zunächst alle zu beteiligenden Minis-
terien, also das für Erzbergbau, Metallurgie und Kali, das
für Schwermaschinen- und Anlagenbau, das Bauministe-
rium, das für Elektrotechnik, das für Handel und Versor-
gung, das für Verkehr usw. – fast keines der vorhandenen
wurde davon ausgeschlossen. Eines aber sollte sich den
Hut aufsetzen und die Verantwortung tragen. Das war
nach der eigentlich geltenden Normierung das Ministe-
rium für Schwermaschinen- und Anlagenbau (MSAB)
mit dem Minister Rolf Kersten an der Spitze. Doch der
lehnte ab und verwies auf das für Erzbergbau, Metallur-
gie und Kali (MEMK) mit dem Chef Dr. Kurt Singhuber,
das ja zuständig für die Beschaffung von Erz und dessen
Weiterverarbeitung sei. Keiner wollte den erwähnten Hut
aufhaben – jedem war klar, was er sich da an den Kopf
binden würde. Jedes der beiden Ministerien hatte seine
»Verdienten Formulierer des Volkes«, die ihren Chef mit
den besten Argumenten auszustatten hatten, wie man
die Verantwortung abwenden könne. Im abschließenden
und entscheidenden Gespräch wurde ein Kompromiss
erzielt. Danach erhielt das MEMK die Gesamtverantwor-
tung, aber das MSAB hatte Mitarbeiter abzugeben, die im
Anlagenbau erfahren sind. Auch andere Ministerien soll-
ten dies, so dass für Elektrotechnik (MEE), doch die meis-
ten sollte schon das MSAB abstellen. Ein Kombinat im
MEMK sollte zuständig sein für die Bildung eines Gene-
rallieferanten, und das war dann das ziemlich überraschte
Mansfeld Kombinat in Eisleben, das in der DDR-Volks-
wirtschaft ein Konglomerat an Aufgaben hatte, die von
der Kupfererzgewinnung und -verarbeitung bis zur Pro-
duktion von Verschlüssen für Bierflaschen reichten. Aber
mit Kriwoi Rog verband es eine symbolische Linie, näm-
– 75 –
Außerordentliches aus dem Leben eines
Baustellendirektors, der eigentlich ein Bergmann war
■  Heinz Hildebrandt
Zur Vorgeschichte und etwas über mich,
weil es zum Verständnis dessen, was ich
nun schreiben werde, notwendig ist
Es war Sommer 1984. Bis zu diesem Sommer war ich
Bergmann, zwar kein Bergmann oder Hauer unter Tage,
wie man es im Allgemeinen unter dieser ehrenwerten
Bezeichnung versteht, aber ein recht gut ausgebildeter
Ingenieur, der sein Diplom an der altehrwürdigen Berg-
akademie Freiberg erworben hatte. Seitdem ich die Hoch-
schule verlassen hatte, arbeitete ich im damaligen VEB
Schachtbau in Nordhausen. Zuerst war ich Steiger, arbei-
tete auf verschiedenen Baustellen, teufte Schächte ab, fuhr
Stollen auf, lernte eine Menge von dem dazu, was man
eben auf Hochschulen und Akademien nicht gelehrt be-
kommt, lernte auch, wie man mit Leuten umgehen muss,
um sich zu behaupten, und wie man Vertrauen gewinnt.
Meine Arbeit war also im weitesten Sinne die Arbeit eines
Spezialisten in einem Spezialbetrieb, der sich hauptsäch-
lich mit besonderen Dienstleistungen für den Bergbau
befasst. Natürlich bauten wir auch im eigentlichen Sinne,
nämlich Baustelleneinrichtungen, die wir brauchten, um
unsere Schächte zu teufen und Stollen aufzufahren. Besser
gesagt, wir ließen diese Baustelleneinrichtungen bauen
und wir selber erledigten, oft als Haupt- oder General-
auftragnehmer, die Koordinierungs- und Kontrollaufga-
ben. Wichtig für mich war, dass ich in den 70er Jahren mit
einer relativ großen Mannschaft unseres Betriebes im Ko-
sovo im Süden Jugoslawiens auf der grünen Wiese eine
große Schachtanlage bis zur Produktionsreife aufbauen
konnte, mit der Blei- und Zinkerze für das Bergbau- und
Metallurgie-Kombinat Trepča, ein Blei-und-Zink-Kom-
binat, gewonnen wurden. Eine unschätzbare Erfahrung,
noch dazu, da im letzten dieser Jahre mit zwei westdeut-
schen Unternehmen, der Gutehoffnungshütte (GHH) und
Siemens, kooperiert wurde – in der damaligen politischen
Situation gewiss kein einfaches Unterfangen.
Dann wurde ich Direktor für Produktion im Schacht-
bau Nordhausen. Das war ich zehn Jahre lang und war
immer noch im gleichen Betrieb. Ich hatte eine hübsche
und verständige Frau, zwei Kinder – prima Jungs, und
ich war 48 Jahre alt. Mein Leben lief in »vernünftigen«
Bahnen – bis zu diesem Sommer 1984.
An einem Tag in diesem Sommer rief mich mein Chef,
Direktor Otto Katzmann, in sein Büro und sagte die
schicksalsschweren Worte: »Heinz, hast du schon mal
was von Kriwoi Rog gehört?«
Natürlich hatte ich schon mal was über Kriwoi Rog
gehört, nur nicht das, was mir Otto Katzmann darauf fol-
gend sagte: »Die DDR baut dort ein Aufbereitungskom-
binat für Eisenerze, ein Riesending, mehrere Milliarden
Investumfang, zusammen mit anderen sozialistischen
Ländern. Du sollst die Leitung des DDR-Anteils über-
nehmen, sozusagen im Auftrag der Regierung.«
Meine Reaktion war: »Wie kommen die denn auf mich,
so etwas habe ich noch nie gemacht und von Aufbe-
­rei­tung habe ich gerade so viel Ahnung, wie ich in Frei-
berg während des Studiums in den Vorlesungen gehört
habe.«
Darauf Otto: »So was hat noch keiner von uns gemacht,
jedenfalls nicht in derartigen Dimensionen.«
Wieder ich: »Was hältst du denn davon, was würdest
du mir raten?«
Darauf Otto in seiner ihm eigenen Art, tief Luft holend
und mit ausgebreiteten Händen: »So eine Chance be-
kommt man nur einmal im Leben. Wenn ich zehn Jahre
jünger wäre, ich würde es machen.«
Ich war über zehn Jahre jünger als er – ich hatte ver-
standen und habe es gemacht. Allerdings mit einem er-
wartungsvollen und einem weinenden Auge, da mir in
Aussicht gestellt worden war, in wenigen Jahren Ottos
Nachfolge anzutreten. Damals ahnte ich schon, dass da-
raus wohl nichts werden würde.
Der Anfang
Meine Erinnerungen an diese Zeit sind recht gut, nur ist
es schwer, das heißt fast unmöglich, das Wichtigste in
historisch exakter Reihung wiederzugeben. Aber das ist
ja auch nicht so wichtig. Wichtig ist, was geschah.
Ich glaube das Erste, was damals geschah, war, dass
ich den für mich wahrscheinlich wichtigsten Wegbeglei-
ter der folgenden zwei Jahre, Manfred Wagner, als ersten
aus der Kriwoi Roger Führungsmannschaft kennen lern-
te. Wenn ich mich recht erinnere, verabredeten wir uns
zu einem ersten Treffen auf der Kupferschiefer-Schacht-
anlage Niederröblingen. Manfred war zum damaligen
Zeitpunkt Wirtschaftssekretär bei der SED-Kreisleitung
des Mansfeld Kombinates, ich war Produktionsdirektor
im Schachtbau Nordhausen, einem Betrieb des Mans-
feld Kombinates. Wir begrüßten und betrachteten uns
ein paar Sekunden, und ich glaube, dass diese ersten Se-
kunden für die nächsten Jahre sehr wichtig waren. Man-
fred war ein ganzes Stück jünger als ich, springlebendig
und frisch, und ich fühlte, mit dem kannst du, der passt.
Wichtig zu erwähnen, Manfred war und ist ein kluger
Kopf und im Übrigen promovierter Mathematiker. Da
trafen sie nun aufeinander, der Baustellendirektor in spe
– 76 – 
– das sollte meine Funktion für die nächsten fünf Jahre
sein – und der designierte POZK (Partei-Organisator des
Zentralkomitees der SED).
In dieser Zeit wichtiger Entscheidungen für die nächs-
ten Jahre unseres Lebens wussten wir sehr wenig über
das, was uns erwartete. Es waren nur Schlagzeilen: Größ-
tes Integrationsvorhaben des RGW, Tausende Arbeiter
aus der DDR werden gemeinsam mit noch vier anderen
Ländern ein riesiges Kombinat in der Ukraine errichten.
Und wir, die Führungskräfte, sollten uns für die Dauer
des gesamten Vorhabens verpflichten. Damit wir ja recht
bei der Stange blieben, sollten wir nun auch noch No-
menklaturkader des ZK werden, was hieß, Verantwor-
tung in erster Linie dem ZK gegenüber zu übernehmen
und rapport- und rechenschaftspflichtig zu sein. Was das
für mich bedeuten sollte, habe ich zum damaligen Zeit-
punkt nicht gewusst und erst viel später verstanden, als
ich begann, daran zu zweifeln, dass ich einmal wieder in
leitender Position im Schachtbau Nordhausen arbeiten
würde.
Dann folgten Aussprachen und Belehrungen beim
Mansfeld-Generaldirektor Professor Jentsch, im ZK bei
Achim Benecke und beim Minister Dr. Kurt Singhuber.
Viel wurde belehrt und auch eine Menge leeres poli-
tisches Stroh gedroschen. Nur mit Informationen über
die Sache, den eigentlichen Kern unserer Aufgabe, sah
es dünn aus. Die erste Beratung bei Minister Singhuber
ist mir in lebendiger Erinnerung.
Beim Minister in Berlin oder
das erste böse Omen
Die Szene (leicht überhöht beschrieben):
Ein richtig sachliches Ministerbüro. Der Minister, klein,
untersetzt, mit stechenden, »starken« dunklen Augen.
An seinem Tisch ein stellvertretender Minister (sehr zu-
rückhaltend, dienstbeflissen), ein Parteisekretär (mit of-
fenem Gesicht, sympathisch), ein Abteilungsleiter (blickt
gelangweilt drein), ein »POZK« (hellwach und etwas
aufgeregt) und ein angehender Baustellendirektor (auch
hellwach, angespannt und sehr neugierig darauf, was da
nun geschehen soll).
Nach kurzem Händeschütteln hatten alle Platz genom-
men.
Danach trat allmählich Totenstille ein, minutenlang
blieb es still, man hätte eine Stecknadel zu Boden fallen
hören können. Niemand wagte es, sich zu räuspern, kein
Fuß scharrte. Alle schauten nur … die meisten nur Lö-
cher in die Büroluft.
Der Baustellendirektor in spe blickte unverwandt auf
den Minister, der Minister unverwandt auf ihn – minu-
tenlang. Nichts geschah, wirklich gar nichts. Die Stille
war lähmend, fast beängstigend.
Dann, plötzlich der Minister zum Baustellendirektor in
spe: »Na?« – dreimal hintereinander – »Na?« … Pause …
»Na?« … Wieder Totenstille.
Der Baustellendirektor in spe schaut und schaut und
wundert sich und denkt: ›Er müsste doch nun etwas zu
mir sagen, zum Beispiel zu meiner Berufung, meinen
Aufgaben usw. usw.!?‹ …
Dann der Minister zum Baustellendirektor in spe: »Was
guckst’n so?« Darauf der Baustellendirektor in spe: »Ge-
nosse Minister, ich gucke meistens so. Das ist bei mir nur
Ausdruck großer Aufmerksamkeit.«
Worauf das Eis gebrochen war.
In der Folge referierte der Minister über die Bedeu-
tung der Eisen- und Stahlindustrie für die Versorgung
der DDR mit Bananen, Apfelsinen, Zitronen und anderen
Südfrüchten und deren Bedeutung für die Bevölkerung
… und auch etwas über das Vorhaben BAK Kriwoi Rog
und … dass es ihm leider nicht gelungen sei, dieses für
die DDR-Wirtschaft wahrhaft unglückliche Vorhaben zu
verhindern!
Der Baustellendirektor in spe hatte leider kaum Ge-
legenheit, auch nur wenige Worte zu erwidern und die
hundert Fragen zu stellen, die ihm auf der Seele brann-
ten.
Nach abschließendem Händeschütteln kam es doch
noch zum wahrhaft aufschlussreichen und persönlichen
»Gespräch«. Der Minister nahm den – nun ernannten
– Baustellendirektor zur Seite und sagte: »Du wirst es
nicht leicht haben, wahrscheinlich fährst du mit diesem
Vorhaben irgendwie gegen den Baum.«
Das erste böse Omen!
Da dachte sich der Baustellendirektor: ›Ein ehrliches
Wort? … Sollte es vielleicht doch stimmen, was dir deine
ehemaligen Mitstreiter im Schachtbau Nordhausen zum
Abschied ins Stammbuch schrieben?!‹:
	 »Jetzt beginnt die Geschichte von einem, der auszog,
das Fürchten zu lernen!«
Und es war wirklich ein ehrliches Ministerwort, wie es
sich später herausstellen sollte und ich später erkannt
habe!
Wir lernen Russisch
Wir, das sind Manfred, der »POZK«, Heinz, der Baustel­
lendirektor, und Roland Dietze, der Beauftragte des Zen­
tralrates der FDJ. Roland war nunmehr der Dritte im
Bunde. Der Beauftragte des Zentralvorstandes des FDGB
fehlte zum damaligen Zeitpunkt noch. Die Partei, das
heißt, das ZK, hatte beschlossen, dass wir drei auf einem
Schnellehrgang Russisch zu lernen hatten. Für die­se Auf-
gabe war die Ingenieurschule Riesa ausgewählt worden.
Also reisten wir in Riesa an, bezogen unsere recht ordent­
lich ausgestatteten Zimmer in einem Studentenwohn-
heim und erlernten recht und schlecht einige um­gangs-
­sprachliche Sätze der russischen Sprache, kernige Be­-
grüßungs- und Trinksprüche und einige Fachvokabeln
aus der Aufbereitungstechnik. Uns wurde eine Lehrerin
zugeteilt, die nur für unsere Ausbildung zuständig war
– 91 –
denschicht gerammt oder sitzen auf Grund der Reibung
an ihrer Oberfläche ausreichend fest. Gerammt wird mit
einer Ramme, einem riesigen Monstrum mit einem hoch
aufragenden Mast, dem Rammgerüst, an dem der einzu-
schlagende Pfahl befestigt ist, auf den der »Rammbär« ein-
schlägt. Das Gerüst sitzt auf einem Raupenfahrwerk, mit
dem es von Ort zu Ort bewegt wird. Besonders aufwän-
dig waren die Rammarbeiten für die Halle der Filtration
mit Nasskonzentratlager, das größte Gebäude des Bauan-
teils der DDR – 492 Meter lang und 111,5 Meter breit. Hier
mussten die Rammpfähle an den Stellen eingeschlagen
werden, auf denen die Gebäudestützen und die riesigen
Eindickerbehälter von 24 Metern Durchmesser aufgestellt
werden sollten. Ich erinnere mich, dass mich eines Tages
in meinem Büro eine Havariemeldung vom Baufeld er-
reichte: Eine Ramme ist umgestürzt. Wie in solchen Fäl-
len üblich, musste eine Kommission unter meinem Vorsitz
den Vorfall untersuchen. Die Ramme war nur soweit be-
schädigt, dass sie nach einer allerdings aufwändigen Re-
paratur weiter arbeiten konnte. Wichtiger war, dass der
Rammenführer den Umsturz der Ramme ohne wesent-
liche Blessuren überstanden hatte. Während die Ramme
im Umstürzen war, hatte er geistesgegenwärtig den Füh-
rerstand mit einem waghalsigen Sprung verlassen.
Das Probegründungsprogramm
Im Leistungsumfang der DDR war anfangs das Objekt
Grobbrecher vorgesehen. Das ist ein unterirdisches Bau-
werk, das im Wesentlichen zwei große Kegelbrecher und
zwei über ihnen liegende Vorratsbunker beinhaltet. Das
Erz, das in Stücken von bis zu 1,20 Meter Größe angeliefert
wird, soll aus den Waggons in die Bunker gekippt werden.
Aus den Bunkern wird es dann den Brechern zugeführt,
die die Erzbrocken auf eine Stückgröße von maximal
35 Zentimetern zerkleinern. Diese Anlage war in einem
zum größten Teil unterirdischen Stahlbeton-Hohlzylinder
von 39,5 Metern Tiefe und 32 Metern lichtem Durchmes-
ser unterzubringen. Zum Abtransport des gebrochenen
Erzes sollten vom Sohlenniveau des Schachtes zwei Tun-
nel schräg nach oben abgehen bis zum Ansatzpunkt für
die Bandbrücken, die das Erz dem Gebäude der Mittelzer-
kleinerung zuführen. Ein wahrlich gewaltiges Objekt, das
wir da übernehmen sollten, und auch eine Herausforde-
rung für uns. Um bei Baubeginn der Industriebauobjekte
schnell die Arbeiten aufnehmen zu können, machte man
sich in der DDR frühzeitig Gedanken um die Technologie
insbesondere dieses schwierigen Objekts.
Der sowjetische Auftraggeber hatte ursprünglich vor-
gegeben, dass die äußere Hülle dieses Baukörpers als
Bohrpfahl­geräte im Einsatz. Rechts vorn sind bereits angelegte Bohrpfähle mit ihren heraus­ragenden Bewehrungsstäben zu sehen,
ganz vorn teilweise freigelegte Bohrpfähle.
– 101 –
nischen oder gastronomischen Highlights vorzuführen,
wie zum Beispiel die fahrbare, gekühlte Bierzapfstelle,
die köstliches, optimal gekühltes Bier spendete. Weil es
uns interessierte, fragten wir, wie denn am Tag zuvor
die Übergabezeremonie abgelaufen wäre, worauf sie
uns mitteilten, dass es eine würdige Übergabe gewesen
sei. Die DDR-Fahne sei eingeholt und zusammengefaltet
und zusammen mit den Insignien und Dokumenten des
Generalkonsuls der DDR an den bundesdeutschen Gene-
ralkonsul übergeben worden.
Die Arbeit nach der Wende
1990 zeichnete sich eine allmähliche Verbesserung im
Bau- und Montagegeschehen ab. Vor allen Dingen war
das der Tatsache zuzuschreiben, dass sich für uns über-
raschend und zunächst nahezu unerklärbar der Zustrom
von Bau- und Montagematerial verbesserte – Lieferter-
mine wurden plötzlich gehalten und die Versorgung
mit den Montageteilen lief sortimentsgerecht. Offenbar
Die Bauarbeiten laufen mit Hochdruck. Links: Arbeiten am Übergabepunkt 2.
Oben: Bewehrungsarbeiten an einem der Eindicker der Filtrationshalle.
Unten: Betonage der Stirnwand des Erz­bunkers in der Feinzerkleinerung
wurden in der DDR andere Bauvorhaben »abgewickelt«
– klarer gesagt: eingestellt –, die dort gebundenen Kapa-
zitäten wurden frei, so dass unsere Lieferer von Stahl-
bau‑ und Stahlbetonelementen zunehmend in der Lage
waren, ihren Lieferverpflichtungen für unsere Baustelle
besser nachzukommen. Auch zuvor schwer beschaff-
bare Technik wurde plötzlich verfügbar. Das alles schlug
– 103 –
Der erste Konvoi
■  Gerhard Kasten
Am 4. Oktober 1985 soll der erste Kraftfahrzeug-Kon-
voi aus der DDR Dolinskaja, also das Baufeld »Majak«
erreichen. Das waren 43 Bauarbeiter auf 24 Fahrzeugen
mit der für den Baustart notwendigen Technik. Der Tross
war am 27. September aus Cottbus losgefahren nach einer
offiziellen Verabschiedung durch eine große Zahl von
Kollegen und Leitern der am Bau beteiligten Betriebe,
einschließlich des stellvertretenden Ministers für Erz-
bergbau, Metallurgie und Kali Dr. Kurt Döring und des
Generaldirektors des Mansfeld Kombinats, Prof. Karl-
Heinz Jentsch. Am achten Tag nach der Abfahrt, nach fast
2 000 Kilometern Fahrt durch Polen, Belorussland und
die Ukraine, wird der Konvoi nun am Ziel erwartet.
An diesem Tag hat Gerhard Kasten im Büro der DDR-
Baustellendirektion Telefondienst zur Koordinierung
aller Aktivitäten. Nicht nur der Konvoi soll eintreffen,
er soll an der Rayongrenze von Dolinskaja durch Vize-
konsul Dr. Welz aus dem DDR-Konsulat in Kiew, den
Baustellendirektor und sowjetische Vertreter empfangen
werden und ein Kamerateam des DDR-Fernsehens soll
diesen Augenblick aufnehmen. Außerdem sollen fünf-
zehn Kollegen mit dem Zug in Kriwoi Rog ankommen.
Und eben an diesem Tag gibt es am Morgen noch eine
böse Überraschung: Bei zwei »Barkas«-Kleinbussen, ge-
parkt vor unserem Arbeiterwohnheim, sind in der Nacht
die Seitenscheiben eingeschlagen worden, es fehlen De-
cken, Wattejacken und Gummistiefel. Der »Lada« des
Baustellendirektors ist glücklicherweise unbeschädigt.
Die »Barkas« sind zwar fahrbereit (sieht man davon ab,
dass die Fahrt zugig wird), aber losfahren können sie
vorerst nicht – die Miliz ist zu holen, die Untersuchungs-
führer müssen Spuren aufnehmen und protokollieren.
Das kostet Nerven, denn alle wollen rechtzeitig zur Be-
grüßung an der Rayongrenze von Dolinskaja sein. Damit
das Kamerateam rechtzeitig zur Begrüßungszeremonie
kommt, muss schnell ein Taxi ran. Der telefonische Ta-
xiruf will nicht klappen und der Dolmetscher muss nun
eilends auf die Straße, um ein Taxi einzufangen. – Ab
diesem Tage wird speziell für die Bewachung unseres
Parkplatzes vor dem Wohnheim ein Milizionär abge-
stellt.
Mitten in diesem Trubel steht plötzlich eine zierliche
blonde junge Frau im Büro von Gerhard Kasten. »Mein
Name ist Jelena Omorokowa, ich bin Deutschlehrerin an
der 26. Schule in Kriwoi Rog. Ich habe gehört, dass heute
Bauarbeiter aus der DDR hier eintreffen. Wir möchten
zum Jahrestag der Gründung der DDR am 7. Oktober an
unserer Schule ein Fest durchführen und wollen es gern
mit Deutschen begehen. Es möchten bitte sieben bis zehn
Bauarbeiter zu uns kommen. Können Sie uns dabei bitte
helfen?« – Gerhard Kasten kann dann zwar nicht selbst
zu diesem Fest kommen, aber andere Kollegen nehmen
das dann gern wahr. Mit dieser ersten kurzen Begegnung
nimmt eine intensive Freundschaft der Familie Kasten
mit dieser Lehrerin ihren Anfang, die bis heute anhält.
Am Abend kommen dann nach der Begrüßung und
dem Abstellen der Fahrzeuge auf dem Baufeld »Majak«
die Bauarbeiter im Bus zum Wohnheim in Kriwoi Rog.
Da kein warmes Wasser läuft, wird organisiert, dass sie
alle zu einer Sauna gefahren werden, um den Staub der
Reise abzuspülen.
Große Aufregung später in der Finanzabteilung des
MGM Berlin: »Solche Kosten sind in unserer Finanzord-
nung nicht vorgesehen!« In Berlin kann man sich die Si-
tuation vor Ort nicht vorstellen. Man ist der Meinung,
dass Saunabesuch ja ein Privatvergnügen sei, für das je-
der selber zu zahlen habe. Nach einigen Diskussionen
gibt es dann ein Einsehen, MGM übernimmt die Rech-
nung.
Der Abend nach der langen Fahrt für die Bauarbei-
ter und nach dem ersten größeren Stress für die junge
DDR-Baustellenleitung klingt dann in der benachbarten
Kantine »Kijanka« mit einem Festmahl aus. Hier gibt es
auch eine Premiere. Trotz Alkoholverbots ringsum wur-
de das erste Mal Bier aus der DDR auf den Tisch gestellt:
»Braustolz« aus Karl-Marx-Stadt. – Die Bierversorgung
wird dann bis zum Ende der Baustelle mit deutschem
Bier gesichert. Die Sorten wechseln, aber das Prinzip
bleibt: Die Arbeiter sollen bei ihrer harten Arbeit so ver-
sorgt werden, wie sie es zu Hause gewöhnt sind.
Die härteren Sachen bleiben aber vorerst unter Ver-
schluss. Sie werden vom Zoll nicht freigegeben, auch
nicht für den Empfang am 7. Oktober mit sowjetischen
Vertretern von KPdSU, Stadtverwaltung Kriwoi Rog,
BAK-Direktion und mit den Leitern der ČSSR-Partner-
baustelle Mitrovský und Von’ka.
Am nächsten Morgen eröffnet Gerhard Kasten die Ru-
bel-Baustellenkasse. Kassenbelege für Einnahmen und
Ausgaben hat der Baustellendirektor mitgebracht, ein-
schließlich Kassenordnung. Ab jetzt müssen alle Kolle-
gen an der Vollverpflegung teilnehmen und muss der
GL jedem Bauarbeiter die ihm zustehenden Rubel aus-
zahlen.
Jedem auf der DDR-Baustelle am BAK Beschäftigten
stehen pro Tag 11 Rubel Auslösung zu. Von ihnen wer-
den 5 Rubel vom GL einbehalten für die Finanzierung
der Vollverpflegung. Die verbleibenden 6 Rubel können
sich die Kollegen entweder voll auszahlen lassen oder
nur zur Hälfte, um die andere Hälfte auf ein sogenanntes
GENEX-Valutakonto überweisen zu lassen. Mit diesen
eingesparten Valuta können dann zu Hause aus einem
speziellen Katalog DDR-Mangelwaren bestellt werden.
– 104 – 
Am selben Tag bekommt Gerhard Kasten ein beson-
deres Geburtstagsgeschenk: Nach vielen Wochen Abhär-
tung fließt nun endlich warmes Wasser.
Der 1. Kfz-Konvoi aus der DDR trifft in Dolinskaja ein und wird an der Rayongrenze
offiziell empfangen.
■  ■  ■
– 105 –
Bauen ab Stunde Null
■  Peter Hofmann
Einem glücklichen Zufall hatte ich es zu verdanken,
dass ich im Mai 1985 in meinem Betrieb, dem Kombi-
natsbetrieb 01 des Bau- und Montagekombinats Kohle
und Energie, für den ersten Konvoi nach Kriwoi Rog
mit ausgewählt wurde. Eigentlich führte der Weg jedes
BAK-Bauarbeiters damals über die Baustelle des Kern-
kraftwerkes Lubmin, weiter über Baustellen an der Erd-
gastrasse und dann erst nach Kriwoi Rog.
Weil der Termin des Starts für den ersten Konvoi mehr­
fach verschoben worden war, waren die dafür ausge-
­wählten Bauarbeiter auf diese Baustellen versetzt wor-
den. Da der geplante Starttermin im Mai 1985 näher rück-
te, brauchte man für die Vorbereitung des ersten Konvois
kurzfristig Personal. Genau in dieser Zeit wurde ich vom
Industriebau Bautzen zum KB 01 in Hoyerswerda dele-
giert. Dieser Kombinatsbetrieb 01 des Bau- und Monta-
gekombinates Kohle und Energie bildete in der DDR die
Basis für die Industriebauten in Kriwoi Rog.
Nach einem eintägigen Aufenthalt in Hoyerswerda
schickte man mich ins Kraftwerk Boxberg zu Werner
Thiemig, der die Vorbereitungen für den ersten Kon-
voi leitete. Unsere Aufgabe war, die von überall heran-
geschafften Utensilien, technischen Ausrüstungen und
vieles mehr in die Container, Wohnwagen und Lkws
des ersten Konvois zu verstauen. Eigentlich sollte alles
gleichmäßig verteilt werden, so wie es auf den Packlis-
ten stand, damit es zu keiner Überladung der Fahrzeuge
kam. Eine Ausnahme machten wir. Unter den Wohnwa-
gen befand sich ein großer Stauraum, der mit Kohlen
und anderen sperrigen Materialien gefüllt werden soll-
te. Jeder Wagen wurde nach Packliste mit der gleichen
Menge Kohlen beladen. Weil aber noch genügend Koh-
len da waren, füllten wir den Stauraum des von uns zu
beladenden Wagens so voll mit Kohlen, bis nichts mehr
reinging. Die Vorbereitungen gingen gut voran und man
fieberte dem Start entgegen. Doch es kam anders. Weil
die Vorbereitungen für den Baustart in Dolinskaja nicht
abgeschlossen waren, wurde der Start bis auf Weiteres
verschoben.
Nun hieß es für einige von uns, mit einem Teil der für
den ersten Konvoi bereitgestellten Technik und Ausrüs-
tung die Gründung für ein neues Gebäude für den VEB
Erzprojekt in Leipzig herzustellen. Mit Autokran, Lkws
und Bagger im Schlepp ging es von Boxberg nach Leipzig.
Innerhalb weniger Monate konnten wir mit Hilfe der neu-
en Technik einen Großteil der Fundamente für diesen Er-
weiterungsbau fertigstellen. Mitte September wurden wir
mit der Technik nach Boxberg zurückbeordert. Nun ging
alles sehr schnell. Die Kandidaten für den ersten Konvoi
wurden zusammengerufen und uns wurden die Namen
und die dazugehörigen Fahrzeuge bekannt gegeben. Eini-
ge – wie auch ich – wurden keinem Fahrzeug zugeordnet,
wir sollten als Reserve zur Verfügung stehen. Es gab dann
aber keine Ausfälle und so konnten wir nur als Zuschauer
dabei sein, als der erste Konvoi auf Reisen ging. Als Trost
erfuhren wir dann aber, dass wir in wenigen Tagen mit
dem Flugzeug nach Kiew fliegen werden und den Konvoi
in Dolinskaja in Empfang nehmen dürfen.
In Kriwoi Rog angekommen, wurden wir in einem Ar-
beiterhotel untergebracht und erfuhren, dass der erste
Konvoi glücklich in Dolinskaja angekommen ist und am
Abend bis auf eine kleine Gruppe nach Kriwoi Rog kom-
men wird. Die Ankunft wurde von uns abends mit einer
kleinen Feier begangen, die durch Stromausfall unterbro-
chen wurde. Ein Blick aus dem Fenster machte deutlich,
dass nicht nur bei uns, sondern im gesamten Umkreis
alle Lampen aus waren. Später erfuhren wir, dass bei ho-
her Stromabnahme durch das Hüttenkombinat in Kriwoi
Rog der Strom in den Wohngebieten abgeschaltet wird.
Eine Woche fuhren wir täglich frühmorgens von Kri-
woi Rog nach Dolinskaja zum Arbeiten und abends zu-
rück. Dabei lernten wir die Umgebung kennen.
Unsere erste Arbeit bestand darin, das der DDR für das
Bauarbeiterdorf zugeteilte Grundstück einzuzäunen und
die mitgebrachten Wohnwagen zu einer Wagenburg auf-
zustellen, um die ersten Tagesunterkünfte zu haben und
damit die ersten Arbeiter zur Bewachung des Geländes
auch über Nacht in Majak bleiben konnten. Beim Aushe-
ben der Löcher für die Zaunpfosten im schweren Boden
von Hand war uns schnell klar, dass uns eine mühselige
Arbeit bevorstand, Technik dafür hatten wir keine. Wir
merkten bald, dass nebenan, hundert oder zweihundert
Meter von uns, auch gearbeitet wird, und waren auf Er-
kundung gegangen. Was wir fanden, waren unsere tsche-
choslowakischen Nachbarn und Kollegen, die wie wir
mit der Errichtung des Wohnlagers begonnen hatten. Der
Besuch brachte uns auch die ersehnte Hilfe für die Zaun-
pfostenlöcher – wir hatten bei ihnen ein Kleingerät mit
einem hydraulischen Erdbohrer erspäht. Die Getränke-
frage war schnell geklärt und der Maschinist übernahm
für uns das Bohren der Löcher für die Zaunpfähle. Hier
zeigte sich zum ersten Mal die gute Zusammenarbeit mit
unseren Kollegen aus der ČSSR.
So hatten wir Zeit gewonnen und konnten mit dem
Aufbau der Wagenburg beginnen. Ein Mitarbeiter vom
technischen Büro des KB 01 maß die Stellplätze der ein-
zelnen Wagen ein und wies die Lkw-Fahrer ein. Er war
so in diese Arbeit vertieft, dass er beim Einweisen eines
Wagens vergaß, seinen Arm, den er zum Abschätzen der
Entfernung zum zurückzuschiebenden Wagen angelegt
hatte, zurückzuziehen. Wie ein dürrer Ast knackte der Arm
durch. Das war unser erster Verletzter. Zum Glück hatten
– 106 – 
wir schon Detlef, unseren ersten Sani, auf der Baustelle.
Der brachte den Verletzten im Sankra ins Krankenhaus
nach Dolinskaja. Dort wurde der Arm eingegipst, und mit
dem nächsten Flieger ging der Mann nach Hause.
Nachdem die Wagenburg aufgestellt war und sogar der
Duschwagen funktionierte, zogen wir nach Majak. Durch
dieArbeit in Leipzig hatten wir uns in unserem kleinen Kol-
lektiv miteinander vertraut gemacht und wir beschlossen,
zu fünft in einem Wohnwagen zu wohnen, statt abends
die lange Fahrt nach Kriwoi Rog zu machen. Neben den
Arbeiten für das zukünftige Wohnlager mit seinen Ver-
sorgungseinrichtungen musste in den Nachtstunden das
noch nicht vollständig umzäunte Wohnlager bewacht wer-
den. Zwei Stunden lang waren immer zwei Mann für Ru-
he und Ordnung verantwortlich. Anfangs konnten wir mit
einem »Multicar« das Gelände abfahren, nach dem ersten
Regen leider nicht mehr. Durch die vielen Bewegungen
auf dem erst vor kurzem von der Schwarzerde beräum-
ten Feld war der Rest der verbliebenen Schwarzerde zu
einem schwarzen Gekrümel geworden. Im Herbstregen
verwandelte sich das zu einem zähen, klebrigen Teig, der
sich um die Reifen wickelte. Nach wenigen Metern Fahrt
war der Zwischenraum unter den Kotflügeln so verstopft,
dass die Räder verkeilten. Auch zu Fuß wurde dieser fest
anklebende schwarze Teig zu einer Strapaze. Mit jedem
Schritt wuchs man und hatte bald Schuhsohlen so dick
und schwer wie ein Ziegelstein. Der warme Herbst mach-
te vieles erträglich und so gingen die Arbeiten im Wohn-
lager gut voran. Das erste große Versorgungszelt wurde
errichtet und die mobile Küche installiert, die Aufstellung
der ersten Dölbau-Baracken begann.
Ende November war dann der schöne Herbst vorbei. Die
mitgebrachten Kohlen spendeten nun wohlige Wärme,
die Notstromaggregate machten die Nacht zum Tag. Aber
die Kohlevorräte gingen schnell zu Ende und Nachschub
aus der Ukraine war noch nicht in Reichweite. Eine Wa-
genbesatzung brauchte sich darüber noch keine Sorgen
zu machen – das waren wir, denn wir saßen im Wohnwa-
gen mit dem großen Kohlevorrat. Eines Abends hatten
wir es uns nach der Arbeit wieder einmal in unserem
Wagen gemütlich gemacht, als sich unter uns jemand an
unserem Kohlevorrat zuschaffen machte; wir stürmten
hinaus und mussten feststellten, dass die anderen Wa-
genbesatzungen unseren Kohlevorrat entdeckt hatten.
Wir versuchten, die Kiste diebessicher zu machen, was
uns nicht gelang, und so wurden unsere Kohlen schnell
alle. Frieren musste aber keiner. Viele der Lieferungen
aus der Heimat kamen in Holzkisten an. Die wurden zer-
legt und verfeuert. Nur morgens, wenn der Ofen keine
Glut mehr hatte, war es mordskalt im Wagen und keiner
wollte als Erster aus dem Bett.
Nach mehreren Wochen in Dolinskaja hatte es sich bei
uns herumgesprochen, dass im Ort samstagabends im Kul-
turhaus Disko ist. Mit »B1000« und »ARO« fuhren wir hin
und staunten nicht schlecht. Ein großer Saal ohne Tische,
nur Stühle längs der Wände aufgereiht, keinerlei Getränke
– aber schöne Frauen waren da … Nur – wie spricht man
die Damenwelt hier an? Und wie wird hier getanzt? Mit
etwas hängengebliebenem Schulrussisch begannen wir,
die ersten netten Bekanntschaften zu schließen.
Den Jahreswechsel feierten wir in Kriwoi Rog in der
Kantine »Kijanka« gleich neben dem Arbeiterwohnheim.
Wir, die Arbeiter und Angestellten der DDR-Baustelle,
feierten im Erdgeschoss mit Bier und Sekt; im Oberge-
schoss hatten Komsomolzen aus Kriwoi Rog ihre Feier
– mit Limonade und Mineralwasser, so wie es die KPdSU
damals von der Jugend verlangte.
Im Frühjahr des darauffolgenden Jahres begannen wir
mit dem Bau der ersten Baufa-Häuser. Georg Krasel, bes-
ser bekannt als Schorsch, verlangte viel von sich selbst
und von uns, er formte unsere Brigade zu einer schlag-
kräftigen Truppe. Seine Führung und seine Erfahrung im
Zimmererhandwerk brachten uns voran und so konn-
ten wir die gestellten Fertigstellungstermine für mehre-
re Häuser unterbieten. Durch die Arbeit in der FDJ und
der DSF und durch unsere freundschaftlichen Kontakte
zu den Einwohnern von Dolinskaja und insbesondere zu
den Schülern und Lehrern der Schule Nr. 2 waren wir
auch gesellschaftlich sehr aktiv. Dafür wurde die eine
oder andere Arbeitsstunde abgezweigt, was Georg nicht
immer schmeckte. Er war zum Arbeiten nach Dolinska-
ja gekommen, alles andere wurde dem untergeordnet.
Irgendwann fand er sich mit diesen gesellschaftlichen
Das erste Haus in Majak steht schon wenige Tage nach Baubeginn.
Höchstgeschwindigkeit 40 Kilometer pro Stunde? Dolinskaja im Spätherbst.
– 113 –
Als Maulwurf in der ukrainischen Erde – technische
Herausforderungen und bleibende Erinnerungen
■  Klaus Thiemer
Exakt aufzuschreiben, was wir vom Autobahnbaukombi-
nat (kurz ABK) am BAK in Kubikmetern und Tonnen ge-
leistet haben, ist mir heute so gut wie unmöglich. Als wir
unsere Leistungen abgeschlossen hatten (wenn auch die
deutschen Objekte der Aufbereitung nicht fertiggestellt
wurden, so gehörten wir doch zu den wenigen deutschen
Baubetrieben am BAK, die ihre Leistungen abschließen
konnten), haben wir alle Bautagebücher, Projektmappen,
Lagepläne, Vermessungsunterlagen und was es da noch
an Papier gab, dem HAN IB übergeben. Wir als ABK be-
hielten nur Lohnunterlagen und Abnahmeprotokolle.
Nach der Wende wurde das ABK privatisiert und der Be-
trieb Erdbau nach wenigen Jahren aufgelöst, wobei auch
die letzten technischen Unterlagen zum BAK verloren
gingen. Da kann nur noch das Gedächtnis helfen.
Wir vom ABK waren seit 1986 auf der Baustelle des
BAK als Nachauftragnehmer (NAN) für Straßen-, Erd-
und Tiefbau. Ich selbst bin auf die Baustelle versetzt wor-
den, nachdem ich im Dezember 1985 wegen politischer
Unzuverlässigkeit und schlechter Vorbildwirkung als
Betriebsdirektor des ABK-Betriebes Verkehrsbau Ber-
lin abgelöst worden war. Zur Bewährung wurde ich im
ABK für die Vorbereitung und Durchführung der Auf-
gaben des BAK Kriwoi Rog eingesetzt und kam dann im
August 1986 nach Dolinskaja, wo ich bis Januar 1989
NAN-Leiter war.
Die Aufgabe unseres NAN, der durchschnittlich mit
150 Arbeitern und Leitern vor Ort war, bestand, in einem
Wort gesagt, in der Baustellenerschließung. Wir übernah-
men dazu von der sowjetischen Seite die grob planierte
Fläche, von der zuvor der fruchtbare Schwarzerdeboden
und große Lösslehmmassen abgetragen und auf die Fel-
der der umliegenden Kolchosen oder auf Kippen abge-
fahren worden waren. Das war eine große Vorleistung,
die nach ursprünglichen Planungen im Beteiligungsum-
fang der DDR gewesen wäre. Wie groß die abgetragenen
Erdmassen waren, dafür sprechen unsere ersten Pla-
nungen: Wir hatten 250 bis 300 Lkw und 60 große Bagger
vorgesehen. Der sowjetische Erdbau erledigte das dann
mit riesigen Schürfkübelwagen, eine Art großer Erdhobel
auf Rädern, die die abgekratzte Erde ins »Hobel«-Inne-
re aufnahmen und auch selbst abfuhren. Ein Teil dieser
Erdmassen lag eine Zeitlang auf Kippe am Rand des In-
dustriebaufeldes als bis zu dreißig Meter hoher Berg.
Aus diesem Grobplanum wurde dann von uns ent-
sprechend den Bauplänen das genaue Feinplanum für
die zu errichtenden Objekte und Baustraßen hergestellt.
Die Baustraßen waren zu bauen und dort, wo notwendig,
auch wieder rückzubauen. Wir hoben die bis zu 15 Meter
tiefen Baugruben für die DDR-Industriebauobjekte aus,
fuhren die dabei anfallenden Erdmassen auf Kippen, die
bis zu 15 Kilometer entfernt lagen und transportierten
Erdstoff auch wieder zurück zur Verfüllung von Gruben.
Auf dem Baufeld der Definitivobjekte und auch auf der
zentralen Baustelleneinrichtung (ZBE) legten wir befes-
tigte Lagerflächen an.
Für die Errichtung der ZBE hatten wir die Plattenstra-
ßen gebaut, das unterirdische Entwässerungssystem für
Regen-, Brauch- und Abwasser angelegt (die Abwas-
serkanalisation mit einem Durchmesser bis zu 1 Me-
ter) und alle Rohr- und Kabelgräben ausgehoben, mit
einem Sandbett versehen und nach Leitungsverlegung
wieder verfüllt. Für uns selbst wie auch für alle anderen
DDR-Baubetriebe entluden wir auf dem Güterbahnhof
Dolinskaja und dann auch am Hochgleis in ZBE-Nähe
Materialien und Baustoffe und transportierten sie zur
Baustelle. Und da der lokale Winterdienst bemerkens-
wert schwerfällig war, halfen wir, neben dem Winter-
dienst auf unseren Baustraßen, schließlich auch noch,
die von uns mitbenutzten öffentlichen Straßen im Rayon
schneefrei zu halten.
Das Anlegen befestigter Lagerflächen und natürlich
auch von Baustraßen war wichtig angesichts der Boden-
verhältnisse in der Region Dolinskaja. An der Oberfläche
lag eine Schicht von 1 bis 1,50 Meter Schwarzerdeboden,
unter dem bis zu 30 Meter mächtiger Lösslehm anstand.
An der Oberfläche machte sich das so bemerkbar, dass
ein etwas länger anhaltendender Regen diesen Boden
in eine zähe, schmierige und fest anhaftende Masse ver-
wandelte, die weder für normale Fahrzeuge befahrbar,
noch auch nur begehbar war. Deswegen haben wir alle
Baustraßen, Lagerflächen und Gleise auf einer Unterlage
aus Textilvlies und Splitt oder Schotter aufgebaut und
Entwässerungsrigolen angelegt.
Die DDR-ZBE hatte, gemessen an landläufig üblichen
Baustelleneinrichtungen, die ungewöhnlich große Fläche
von 670 x 380 Meter (254 600 Quadratmeter), aber inner-
halb des Gesamtvorhabens erfüllte sie nur die Funktion
einer Hilfseinrichtung. Die Baugruben der Industriebau-
Objekte waren eine bei weitem größere Aufgabe. Alles
übertraf dabei die Grube der Filtrationshalle. Die Halle
selbst nahm eine Grundfläche war 492 x 111,5 Metern ein.
Bei einer durchschnittlichen Grubentiefe von 10 Metern
hatten wir hier etwa 600 000 Kubikmeter Erdreich zu be-
wältigen. Dazu kamen noch die Gruben für die Kom-
plexe Mittelzerkleinerung mit etwa 85 000 Kubikmetern
und Feinzerkleinerung mit 95 000 Kubik­metern Erdaus-
hub.
– 116 – 
etwa 30 Metern. Die Region von Dolinskaja war zwar
wegen dieses Bodens als Standort für das BAK gewählt
worden, weil Lösslehm verhindert, dass sich die bei der
Aufbereitung anfallenden umweltschädlichen Abwäs-
ser ungehindert ausbreiten können, aber zugleich ist ein
solcher Baugrund für schwere Bauten nicht tragfähig. Er
wird insbesondere bei dynamischen Belastungen (etwa
durch die Vibrationen der Brecheranlagen) und mit zu-
nehmendem Wassergehalt instabil und trägt nicht mehr,
was dann zum Einsturz des Bauwerks führen kann. Da-
her muss eine aufwändige Spezialgründung ausgeführt
werden. Bei den Industriebauobjekten des BAK waren
das Stahlbetonpfähle, die entweder vorgefertigt aus der
DDR angeliefert und in die Erde gerammt oder aber als
so genannte Bohrpfähle vor Ort hergestellt wurden. Für
die Bohrpfähle wurde mit Spezialbohrgeräten jeweils ein
Bohrloch mit einem Durchmesser von bis zu 1 180 mm
niedergebracht, in das dann ein langer runder Beweh-
rungskorb hinabgelassen wurde, wonach das Bohrloch
mit Beton verfüllt wurde. Diese Pfähle mussten entweder
den tragfähigen Grund erreichen oder durch ihre Länge
eine ausreichende Haftung im Erdreich sichern (durch
die so genannte »Mantelreibung«).
In den Gesprächen mit den Kollegen von der »Kirow«-
Erzverwaltung in Kriwoi Rog hörte ich davon, dass große
Industrieobjekte in der Sowjetunion eingestürzt waren,
die zwar solide auf Pfählen gegründet wurden, bei de-
nen aber das Regenwasser nicht aus dem Bereich der
Gründung abgeleitet worden war. Das Wasser weichte
dann den Boden um die Pfähle auf, die so ihren Halt im
Boden verloren.
Immer wenn unsere ABK-Arbeiter einen Abschnitt
der Baugrubensohle fertigplaniert hatten und dieser mit
Betonplatten oder Ortbeton befestigt war, übernahmen
dann also die Tiefgründer von uns den Staffelstab – die
Kollegen vom Spezialbaukombinat Magdeburg (SBK)
mit ihren schweren »Bauer«-Bohrgeräten oder die Kol-
legen vom Industrie- und Hafenbau Rostock mit ihren
Rammen. Mit Stahlbeton-Rammpfählen wurde u. a.
die Filtrationshalle gegründet. Insgesamt wurden et-
wa 9 500 Rammpfähle mit einer Länge von 7–11 Metern
eingeschlagen. Bei den Komplexen Mittel- und Fein-
zerkleinerung wurden Bohrpfähle niedergebracht – et-
wa 1 800 Pfähle mit einem Durchmesser von 800 bzw.
1 180 Millimetern bis auf eine Tiefe von 21 Metern.
Vorbereitet wurden diese Tiefgründungsarbeiten im
Jahr 1986 mit einem Probegründungsprogramm, das
durch den Schachtbau Nordhausen (SBN) im Auftrag der
Bauakademie der DDR ausgeführt wurde. Mit diesem
Programm sollten vor dem Baubeginn an den Industrie-
objekten die günstigsten Verfahren für den Aushub der
Baugruben und für die Tiefgründung bestimmt werden,
sowohl von den bauphysikalischen Ergebnissen her wie
auch von den Kosten und der technologischen Eignung.
Das Programm umfasste neben dem Niederbringen
von Probebohrpfählen auch die Herstellung von Schlitz-
wänden, gesichert durch schräg verlaufende Injektions-
anker. Das Schlitzwandverfahren stand damals neben
anderen Verfahren (z. B. dem Gefrierwandverfahren) in
der Diskussion als Variante für die Sicherung der Bau-
grubenwände. Längs des Umfangs der Baugrube sollte
eine Schlitzwand aus Stahlbeton in die Tiefe gebracht
werden. Diese hätte dann, gesichert durch die Injek­
tionsanker, der Baugrubenwand Stabilität verliehen und
zugleich Einsparungen beim Erdaushub erbracht, da ja
die übliche Abschrägung der Baugrubenwand und die
zusätzlich anzulegende »Arbeitsbreite« nicht notwen­
dig gewesen wäre – der Boden hätte nur für den eigent-
lichen Baukörper ausgehoben werden müssen.
Sowohl die Probebohrpfähle wie auch die Schlitzwand
wurden bis in eine Tiefe von 20 Metern niedergebracht.
Das Programm war notwendig, da in der DDR mit sol-
chen Böden in dieser Mächtigkeit keine Erfahrungen
vorlagen. Für die Bauakademie war das Programm ein
gefundenes Fressen mit Sahnehäubchen, denn ohne
das BAK hätte nie jemand ein solch aufwändiges Ver-
suchsprogramm bezahlt.
Die Belastungs- und Zugfestigkeitsmessungen an den
Bohrpfählen, Schlitzwänden und Ankern erbrachten
schließlich sehr zufriedenstellende Ergebnisse. Später
wurde ein Teil der »Bauer«-Injektionsanker mit Bagger
und von Hand zur Besichtigung freigelegt. Das war für
alle interessierten Bauleute vor Ort ein anschaulicher Un-
terricht, denn hier war zu sehen, was bis dahin keiner
gesehen hatte. Zum einen waren verankerte Schlitzwän-
de kein Alltagsgeschäft im Bau und zudem bleiben diese
Konstruktionen normalerweise den Blicken verborgen.
Nach der Auswertung des Versuchsprogrammes wurde
aufgrund der Erkenntnisse und Erfahrungen aus dem Um-
gang mit Lehmböden von den Bauingenieuren und Geo-
technikern der Bauakademie, der Verkehrshochschule und
des ABK wegen der zu erwartenden Kosten entschieden,
auf verankerte Schlitzwände zur Baugrubensicherung zu
verzichten und mit zwischen 70 ° und 80 ° abgeböschten
Baugrubenwänden zu arbeiten. Dabei wurden dann die
Grubenwände mit Textilvlies gegen Niederschlagswasser
geschützt, da nach unseren Erfahrungen der Lösslehm
sehr standfest ist. Weiter wurden in allen Bauphasen Gra-
bensysteme unterhalten, um Niederschlagswasser von
den Baugruben fernhalten bzw. um es sammeln und ab-
pumpen zu können. Für die Objekte Mittel- und Feinzer-
kleinerung wurde die Baugrubenwände im Bereich der
Turmdrehkrane durch Stahlspundwände gesichert.
Während die Bohrpfahlmethode als eines der Grün-
dungsverfahren ausgewählt wurde, kam das Schlitz-
wandverfahren wegen seiner hohen Kosten nicht zum
Einsatz. (Es wurde dann übrigens später in Berlin für die
Bahn-Untertunnelung der Spree angewendet, da es für
die Sicherung von Baugruben und den Tunnelvortrieb
bei anstehendem Wasser die beste Methode ist. Bei die-
sem Bau hat Geld zudem wohl wesentlich weniger eine
Rolle gespielt als am BAK).
– 117 –
Warum eigentlich wurde am BAK mit weni-
ger Leuten und Maschinen mehr geschafft
als auf Großbaustellen in der DDR?
Unsere gute Arbeitsleistung am BAK hatte besondere
Triebkräfte. Wenn ich davon zu Hause in der DDR er-
zählte, wurden viele nachdenklich.
In erster Linie war da ein grundsätzlicher Unterschied
in der materiellen Sicherstellung zwischen unserer BAK-
Baustelle und der DDR-Bauwirtschaft. Für uns als Erd-,
Tief- und Straßenbauer war in der DDR schon jahrelang
der Treibstoff limitiert, in den Jahren 1985/1986 schon so
eng, dass Dieselkraftstoff meist am 20. jedes Monats auf-
gebraucht war. So ergaben sich unsinnige technologische
Abläufe und ein enormer bürokratischer Aufwand, um
mit allen nur erdenkbaren Begründungen von den so-
genannten K o n t i n g e n t t r ä g e r n noch Treibstoffmar-
ken zu bekommen. Über den meisten Treibstoff verfügen
konnten Armee, Bergbau und Landwirtschaft. Da war es
naheliegend, dass für diese Bereiche sehr gern und viel
gearbeitet wurde, natürlich außerhalb der Bilanz.
Ein weiteres Mangelprodukt waren Lkw-Reifen. Im
Durchschnitt standen deswegen auf den Baustellen des
ABK in der DDR etwa 20 % der Lkw aufgebockt. Prekär
war die Lage auch bei Ersatzteilen, besonders kritisch
bei Hydraulikbaugruppen. Dadurch wurden in jedem
Betrieb riesige Bestände »für alle Fälle« aufgebaut, ohne
die die Produktion oft nicht gesichert werden konnte. Im
Betrieb Verkehrsbau Berlin mit 1 600 Beschäftigten lagen
die Materialbestände bei 12 bis 14 Millionen Mark.
Ganz anders nun war die Lage am BAK, was mancher
gar nicht recht glauben mochte. Da herrschte in der Mate-
rialversorgung immer Sonnenschein – praktisch alles war
da, wenn es wegen der langen Anlieferungsstrecke auch
nicht immer termingerecht eintraf. Im Lauf der Bauzeit
wurde zwar das Benzin rationiert, wohl deshalb, dass mit
den Pkws nicht so viel privat »herumgejuchtelt« werden
konnte. Da musste man eben, wie zu Hause üblich, ben-
zinbetriebene Baumaschinen haben – da fuhr dann auch
der Pkw wieder. (Von dieser Hintertür ahnten die Ratio-
nierer des Generallieferanten natürlich nichts). Generell
wurde für unsere ABK-Truppe am BAK das gesamte be-
nötigte Material, auch wenn es in der DDR »Goldstaub«
war, bereitgestellt. Mitunter bekamen wir sogar zu viel
des Guten, so dass wir zur Freude der Heimat­betriebe in
der Lage waren, eine größere Menge neuer Lkw-Reifen
zurückzuschicken.
Für ein zufriedenes Arbeiten sorgten natürlich auch die
exquisite Essenverpflegung rund um die Uhr, die sehr
gute Unterbringung im Wohnlager und die vielseitigen
Möglichkeiten der Freizeitgestaltung. Neben Einkaufs-
und gastronomischen Angeboten gab es Sportmög-
lichkeiten auf Freisportflächen und im Winter in einer
großen Traglufthalle, geboten wurden Bibliothek, Rus-
sisch-Sprachzirkel, Kino, Kegelbahn, Sauna, Bade- und
Ausflugsfahrten und vieles andere.
Ein weiterer Aspekt hing mit der Mobilität der ABK-
Mannschaft zusammen. Zu Hause in der DDR war es
bei den ABK-Kraftfahrern üblich, sich täglich ein- oder
mehrmals in einer Kneipe in Baustellennähe zu einem
Zusatzpäuschen zu treffen. Am BAK ging das nicht – in
der Region gab es einfach keine Kneipen, in denen man
bei einem Bier und Essen das Programm für den Feier-
abend hätte besprechen können.
In der DDR war es überall, wo gebaut wurde, Usus, für
Verwandte, Freund, Freundin oder Freunde von Freun-
den mal ’ne Fuhre zu machen – Sand, Kies, Erde auf die
Datschenbaustelle bringen, Schutt abfahren … Auch das
gab es am BAK nicht, die Anverwandten waren fern und
der ortsansässigen Bevölkerung war es verboten, auf sol-
che Hilfe zurückzugreifen. Zudem war der Bewegungs-
bereich unserer Kraftfahrer eingeschränkt und von der
Miliz kontrolliert.
Ein weiterer leistungssteigernder Punkt war das feh-
lende Interesse, sich krankschreiben zu lassen. Wer krank
war, konnte keine Überstunden machen, keine »VAZ« an-
sammeln und bekam auch keinen BAK-Zuschlag. Da
es für unsere Kollegen in der Ukraine keinen Garten um-
zugraben gab und die Freundin meist weit war, entfiel
auch diese Ursache für Krankschreibungen. So nahm man
ohne Murren Pillen und Spritzen hin oder verordnete sich
eine Knoblauchkur, nur um schnell wieder arbeiten zu
können. Nachdem unter den Kollegen durchgesickert
war, wie die Verhältnisse im örtlichen Krankenhaus wa-
ren, fiel die Lust am Kranksein erst recht auf null.
Dies alles waren aus meiner Sicht die Haupttriebkräfte
für unsere recht gute Arbeitsleistung am BAK.
Kranksein in Dolinskaja
Obwohl die Wenigsten nach dem Krankenschein schiel-
ten, ließ sich der Arztbesuch nicht immer umgehen. Eines
Tages klagte einer unserer Kollegen über gewaltige Zahn-
schmerzen. Unsere Dolmetscherin Irina war unterwegs.
Da ich vor der russischen Umgangssprache keine Angst
hatte, fuhr ich mit dem Kranken nach Dolinskaja ins Rayon-
Krankenhaus, und auch Martin, der Meister des Kolle-
gen, kam mit – zu dritt ist man tapferer. (Damals wusste
ich noch nicht, dass es auf der ČSSR-Baustelle einen guten
Zahnarzt mit gut ausgestatteter Praxis gab.)
Vorauszuschicken ist, dass Dolinskaja trotz seines Sta-
tus als Rayonstadt (was soviel wie Kreisstadt bedeutet)
über Jahrzehnte hinweg ein benachteiligtes Provinznest
war. Größere Investitionen waren hier bis zur Eröffnung
der Baustelle des Kombinats so gut wie nie angekom-
men, und so gab es nur ein armseliges Krankenhaus,
ohne internes Wassernetz, ausgestattet nur mit dem Al-
lernotwendigsten. Ein neues Krankenhaus war erst im
Entstehen, von den rumänischen Bauleuten mit vielen
Baustopps allmählich hochgezogen.
Vor dem Zahnarzt-»Kabinett« (so heißen die Behand-
lungszimmer auf Russisch) warteten im spartanischen
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BAK-Buch-Leseprobe_1

  • 1. Schibri-Verlag Berlin • Milow • Strasburg GEHEIM! Das eiserne Problem des Sozialismus Ukrainisches Erz zum hohen Preis DDR und BRD beim Bau des Bergbau- und Aufbereitungskombinates Kriwoi Rog Leseprobe - kein kompletter Text! Die Qualität der Abbildungen ist hier im Unterschied zum Buch beschränkt.
  • 2. –  – Inhaltsverzeichnis Vorwort 7 ■ Peter Siebler Das BAK – ein Vorhaben der Investbeteiligung 11 ■ Heinz Kinder Die DDR, ihr Eisenerz und das BAK Kriwoi Rog 12 ■ Alexander Lasarew  Das BAK: Episoden der Entwicklung 17 ■ Interview mit Prof. Dr. Heinrich Schubert … deutlich hinter dem internationalen Stand 44 ■ Vladimir Malyi Die Aufbereitung oxidierter Eisenerze – Der lange Weg zur Technologie 48 ■ Gerhard Kasten • Rolf Junghanns Das Vorkommando 62 ■ Wolfgang Bönitz MGM – eine Nachbetrachtung 67 ■ Heinz Hildebrandt Außerordentliches aus dem Leben eines Baustellen- direktors, der eigentlich ein Bergmann war 75 ■ Gerhard Kasten Der erste Konvoi 103 ■ Peter Hofmann Bauen ab Stunde Null 105 ■ Ulrich Pflaume Die Projektierung – der Weg von den Kisten mit den sowjetischen Aufgabenstellungen zu den Ausführungsplänen 110 ■ Klaus Thiemer Als Maulwurf in der ukrainischen Erde – technische Herausforderungen und bleibende Erinnerungen 113 ■ Joachim Rescher Projektmanagement im internationalen Anlagen- bau – wie es nicht sein sollte 121 ■ Interview mit Dr. Klaus Blessing Investitionsbeteiligung in der UdSSR für Eisenerz – Verlustgeschäft für die DDR? 130 ■ Kurt Rudolf  Der Sinn der Beteiligung – aus der Sicht der Plankommission 134 ■ Peter Roloff Sechs Monate beim Generallieferanten – ein Interregnum 136 ■ Hartmut Dockhorn Wie serviert man die heiße russische Kartoffel? 139 ■ Gerhard Kasten Verantwortung 142 ■ Gerhard Kasten Rehattacke am Feiertag 142 ■ Hans Beck Gute Verpflegung bringt den Bau in Bewegung 143 ■ Jens Hussel Beschwerden an die Küche 150 ■ Rolf Junghanns Perestroika – und wir mittendrin 151 ■ Manfred Griese Was ist das deutsche Nationalgetränk? 171 ■ Gerhard Kasten Die Rubelkasse 172 ■ Klaus Ehrlich Herausforderung im Osten 174 ■ Helmut Gündel Wohnungsbau über große Entfernungen 181 ■ Gerhard Kasten Schwere Planerfüllung 1988 188 ■ Werner Wehrstedt BAK – problembelastete Großinvestition 189 ■ Wolfgang Bönitz BAK Kriwoi Rog – Versuch einer persönlichen Bilanz 202 ■ Hellmut Jentschke Flucht, Freundschaft und Zikaden 208 ■ Gerhard Kasten Lena 212 ■ Manfred Babilinski Materialwirtschaft und Infrastruktur – beides ein Kapitel für sich 214 ■ Rolf Junghanns Der Übersetzungscomputer 226 ■ Miloslav Klasna Eine Aufgabe, wie es sie nur einmal im Leben gibt 228 ■ Otmar Jordan Utopien? Müssen sein! 231 ■ Rita Österreicher … gesund durch den Auslandseinsatz 237 ■ Ulrich Schneider Geschichten vom laufenden Band 240 ■ Sabine Schubert ■ Viktor Zinchenko Echte Freundschaft kommt nicht von oben 244 ■ Jana und Holger Zschieck Majak-Disko mit internationalen Folgen 253 ■ Holger Milde Harte Jahre – gute Jahre 259 ■ Erich Höldke Auch Hunde? 263 ■ Ursula Rosner Objektverantwortliche für Reparaturstützpunkt und Krananlagen 264 ■ Erwin Nolte Ohne Transport kein Bau 267 ■ Gerhard Kasten Schneller als der Fahrplan erlaubt! 274 ■ Bernhard Albrecht Kras-Kipper, Kohl-Köpfe und Knoblauch- Kuriositäten 275 ■ Helmut Tautrim Verhaftung vorm WM-Finale 278
  • 3. –  –  ■ Rolf Junghanns Geografischer Nebel 279 ■ Jürgen Schäfer ■ Rolf Junghanns ■ Friedrich Böhrs Mit »Majak« fing alles an 280 ■ Gerhard Kasten Kultur für Bauarbeiter 298 ■ D-ROLF Becker Abenteuer Ukraine 1986 – D-ROLF im ukrainischen Winter 299 ■ Christa Neumann Zeitreise 301 ■ Gerald Reitmeyer Zeit der Gemeinsamkeit 306 ■ Friedrich Böhrs Mein Abenteuer BAK 311 ■ Frank Borzutzki Von der Kohle zum Erz – ein besonderer Abschnitt in meinem Leben 319 ■ Hans-Werner Becker Raubritter mit Maßgefühl 326 ■ Regina Böhm In der BAK-Familie bis zum Schluss 327 ■ Marina Noack Wie die guten Onkels Licht nach Dolinskaja brachten 330 ■ Erwin Nolte Sportliche Selbstfindung 331 ■ Irina Berndt Gedankenreise Hamburg–Dolinskaja hin und zurück 332 ■ Eugen Neuber Verständigung in bewegten Zeiten 336 ■ Jürgen Brendel Die LURGI-Projektbegleitung 341 ■ Heinz Kinder Die Unvollendete – 315 Tage am BAK Kriwoi Rog 346 ■ Interview mit Staatssekretär a. D. Dr. Lorenz Schomerus Musste die deutsche BAK-Baustelle geschlossen werden? 358 ■ Rolf Wendler ■ Heinz Köbke ■ Horst Bischof Rettungsversuche – die UWETEC am BAK 360 ■ Dieter Engel Die Abwicklung einer zwiespältigen Erbschaft 367 ■ Rolf Junghanns Sacorda Mine. Erz-nostalgischer Ausflug 371 ■ Gespräch mit Bernd Goldbach Doli – die Jahre danach 374 ■ Jelena Omorokowa Die Wurzeln unserer Freundschaft 378 ■ Alexandra Stanislawska Zwischen den Welten 380 ■ Roswitha Stahr Das fliegende Klassenzimmer – Bericht über eine Schülerreise in die Ukraine 383 ■ Alexej Grizina Zustand und Perspektiven des Eisenerzsektors der Ukraine – Potential des BAK Kriwoi Rog 387 ■ Rolf Junghanns BAK Kriwoi Rog – Reise dreizehn Jahre rückwärts 390 ■ Rolf Junghanns Zukunft des BAK auf der langen Bank 406 ■ Alexander Lasarew Stille 416 Resümee 417 Anhang 421 Eckdaten des Vorhabens 422 Die für das BAK Kriwoi Rog geplante Technologie der Eisenerzaufbereitung 425 Erläuterung einiger Begriffe der Eisenerz- Aufbereitung 431 Chronik des BAK Kriwoi Rog 434 Kleines Wörterbuch zum BAK Kriwoi Rog 444 Übersicht: Objekte des BAK Kriwoi Rog 455 Übersicht über die Auftragnehmer auf der deutschen Baustelle des BAK Kriwoi Rog 466 Förderung und Import von Eisenerz sowie Roheisen- und Rohstahlproduktion der DDR 471 Literaturübersicht 472 Autoren, Interviewte und Illustrator 474 Danksagung 481 Der Rohstoff und das Endprodukt des BAK 483 Die Kombinatsbaustelle 484 Fotos 486 Fotochronik – Höhepunkte des Baustellenlebens 486 Die Objekte des Kombinats 493 Kollegen unserer Baustelle 500 Freizeitgestaltung auf der Baustelle 504 Eindrücke aus Dolinskaja 506 Karte der Ukraine 511 Anzeigen 512
  • 4. –  – Vorwor t Es ist nichts so neu, als was in Vergessenheit geriet. Sprichwort Sich selbst vergessen ist der Anfang der Torheit. Sprichwort Was man immer schon gekannt hat, war doch ganz anders Hans-Georg Gadamer Eisen und vor allem seine veredelte Form Stahl verwen- den wir im Alltagsleben tagtäglich – von der Stecknadel bis hin zu technischen Großanlagen. Wir nutzen Eisen und Stahl ganz selbstverständlich, sie scheinen einfach da zu sein, so wie die Luft um uns. Logisch, dass es so einfach nicht ist – von nichts kommt nichts. Woher Eisen kommt, wie es erzeugt wird und was man dazu braucht, diese Frage überlässt der Verbraucher normalerweise den Metallurgen. Eisen und Stahl sind nicht so im Gespräch, wie es Erdöl ist. Dabei geben sie ein nicht weniger interessantes The- ma ab – die Gewinnung von Eisen war ja eine wichtige Grundlage für die Entstehung unserer heutigen Gesell- schaft. In unserem Buch soll es vor allem um den wich- tigsten Ausgangsstoff für die Eisengewinnung gehen: das Eisenerz, und zwar vor allem darum, wo es die DDR herbekam und was sie dafür zu tun hatte. In Deutschland wird schon lange kein Eisenerz mehr gefördert, in Westdeutschland nicht und auch nicht im Osten Deutschlands. Die eigenen Eisenerz-Vorkommen erwiesen sich nach dem Krieg in beiden deutschen Staa- ten als unzureichend, beide Staaten konnten ihre Me- tallurgie ohne Erzimporte nicht weiter ausbauen. Die Situation auf beiden Seiten war ähnlich, wobei sich die Maßstäbe und Zeitpunkte unterschieden. Im Gegensatz zum wirt­schaft­lich schwächeren Osten Deutschlands hatte Westdeutschland traditionell, schon vor dem Krieg, eine bedeutend stärkere Eisenhüttenindustrie und somit einen wesentlich größeren Eisenerzbedarf. Hier gab es in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre noch eine starke eigene Förderung, aber schon zu dieser Zeit wurde zu- nehmend mehr Erz importiert, als im Lande gefördert wurde. Im Weiteren ging der Erzabbau in Westdeutsch- land kontinuierlich zurück, bis dann ab 1987 in den Statistischen Jahrbüchern der BRD keine eigene Eisen- erz-Förderung mehr ausge­wiesen wird. Für unser Buch ist vor allem die Eisenerz-Versorgung der DDR von Interesse. In Ostdeutschland war die Pro­ duktion von Roheisen und Stahl vor dem Krieg nur unbe- deutend; die hier ansässige eisen- und stahlver­arbeitende In­dustrie bezog dieses Ausgangsmaterial im Wesent- lichen aus den Hüttenwerken Westdeutschlands. Nach dem Krieg änderte sich diese Situation. Noch vor Grün- dung der DDR begann Westdeutschland, den innerdeut- schen Handel zu drosseln, speziell auch die Lieferungen von Eisen und Stahl. Die Bereitstellung dieser Rohstoffe für Ost­deutschland und die DDR wurde von der poli- tischen Führung Westdeutschlands, auch durch Druck der amerikani­schen Militäradministration, in der Nachkriegs- zeit mit Embargo belegt oder als politisches Druckmittel benutzt, was sich auch später wiederholte. Da aber Eisen und Stahl für den Wiederaufbau dringend gebraucht wur- den, mussten die eigenen metallurgischen Kapazitäten der DDR ausgebaut werden. Das entsprach auch den damals in Osteuropa praktizierten Leitthesen der Politischen Öko- nomie des Sozialismus, die eine vorrangige Entwicklung der Schwerindustrie vorsahen. Im Osten Deutschlands waren die Eisenerzvorräte von vornherein mengenmäßig unbedeutender als die westdeutschen und auch bald er- schöpft oder immer weniger abbauwürdig, die Qualität der Eisenerze lag hier meist noch unter der der in West- deutschland verfügbaren Erze. So ergab sich auch für die DDR die Notwendigkeit, Eisenerz zu importieren. Mit den Jahren wuchs der Eisenerz-Import der DDR stetig; ab 1969 impor­tierte die DDR beständig mehr Eisenerz, als im In- land gefördert wurde. Die heimische Förderung sank bis 1973 auf ein unbedeutendes Niveau und war dann 1981 schließlich eingestellt. Wo kauft man Eisenerz, wenn man selbst nicht genügend hat? Auf dem Weltmarkt waren die großen Lieferan­ten vor allem Erzgruben in Schweden, Indien und Brasi­lien, die Eisenerz guter Qualität in großen Mengen anboten. Im Unterschied zur westdeutschen Eisenhütten-Industrie, die auf dem Weltmarkt frei einkaufen konnte und auch be- stimmte überseeische Eisenerz-Lagerstätten selbst ausbeu- tete, war die DDR angesichts ihrer Valutaknappheit über lange Zeit vor allem auf das Erz aus dem ukrainischen Ei- senerzrevier Kriwoi Rog angewiesen. Die Qualität dieses Erzes war zu dieser Zeit schon wenig befriedigend, der Eisengehalt war niedrig, die Beimengungen an tau­bem Material hoch. Zum Problem der geringen Qualität kam im Weiteren die Schere zwischen dem stark wachsen­den Bedarf der UdSSR und der anderen europäischen RGW- 1 Siehe hierzu auch Fässler 2006 und Einblicke. 50 Jahre EKO Stahl.
  • 5. – 12 –  Die DDR, ihr Eisenerz und das BAK Kriwoi Rog ■  Heinz Kinder Kriwoi Rog – wo genau liegt das? Der ehe­malige DDR- Bürger erinnert sich vielleicht an den Geografie-Unter- richt, als die Wirtschaft der UdSSR auf dem Stundenplan stand. Damals war die Rede von den industriellen Errun- genschaften und vom Reichtum an Bodenschätzen, und dabei auch von den Erzlagerstätten des Reviers Kriwoi Rog und von der Eisenhüttenindustrie. Etwa dreißig Jahre nach meinem Geografie-Unterricht stand ich selbst, nicht ganz unbeeindruckt, vor einem solchen industriellen Giganten. Es war dies der 5 000 m3 - Hochofen des Hüttenkombinates »Kriworoshstal« – der damals größte der Welt und der Stolz des Werkes –, den ich als Teilnehmer einer Tagung der Ständigen Kommis- sion Schwarzmetallurgie des RGW besichtigen konnte. Gute zehn Jahre später war es mit der stolzen großen UdSSR ebenso vorbei wie mit dem RGW. Diesmal – ich arbeitete inzwischen in der Abteilung Außenwirtschaft des VEB Mansfeld Generallieferant Metallurgie – ging es bei meinem Besuch in Kriwoi Rog um Möglichkeiten der Errichtung einer Schlacken­haldenaufbereitungsanlage im Hüttenkombinat »Kriworoshstal« und auch schon um die Errichtung von 1 500 Wohnungen für die aus Deutschland abziehenden Truppenteile der Sowjetarmee. Für dieses Vorhaben sollten die deutschen Baukapazitäten, die am BAK vorhanden waren, genutzt werden. So lernte ich das BAK kennen – zunächst nur als Übernachtungsmög- lichkeit im Bauarbeiterdorf »Majak«. Mit dem Bauvorha- ben selbst hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt noch keine direkten Berührungspunkte. Fragen und Probleme von Investitionsbeteiligungen waren in meiner bisherigen Tätigkeit im RGW-Sekretariat in Moskau und in der Abteilung Internationale Zusammenarbeit des Minis- teriums für Erzbergbau, Metallurgie und Kali (MEMK) Gegenstand eher theoretischer Betrachtungen gewesen. Das begann in den Jahren 1970–1971, als in den Arbeits- organen des RGW die Hauptrichtungen der langfristigen wirtschaftlichen und wissenschaftlich-technischen Zu- sammenarbeit beraten wurden und letztlich 1971 ihren Niederschlag in dem »Komplexprogramm für die weitere Vertiefung und Vervollkommnung der Zusammenarbeit und Entwicklung der sozialistischen ökonomischen Inte- gration der Mitgliedsländer des RGW« fanden. Zur Ver- sorgung der RGW-Länder mit eisenhaltigen Rohstoffen hieß es in diesem Komplexprogramm u. a.: »Die Gewinnung, Aufbereitung und Pelletierung von Eisenerzen in einem Umfang, der im Wesentlichen den steigenden Bedarf der interessierten Mitgliedslän- der des RGW an Eisenerzen langfristig decken wird, ist in der UdSSR durch gemeinsame Anstrengungen weiter zu entwickeln, darunter erforderlichen­falls un- ter Einbeziehung materieller und anderer Res­sourcen Der 5 000 m3 -Hochofen Nr. 9 des Metallurgischen Kombinats »Kriworoshs­tal« der interessierten Länder, die in den Jahren 1971–1972 mit der UdSSR entsprechende Abkommen schlie- ßen.« Da der steigende Importbedarf der RGW-Länder an Eisen­ erzen durch die UdSSR nicht oder nur unter großen Schwie- rigkeiten gedeckt werden konnte, drängte die UdSSR, auch unter Hinweis auf die genannten Festlegungen des Komplexprogramms, Anfang der 70er Jahre auf eine ma- terielle Beteiligung der Importländer zur Aufrechterhal- tung bzw. Erhöhung des bisherigen Lieferniveaus, u. a. durch zweckgebundene Ausrüstungslieferungen. Im April 1974 unterzeichneten Bulgarien, Ungarn, die DDR, Polen, die CSSR und die UdSSR ein »Generalab- kommen über die Zusammenarbeit bei der Entwicklung der Produktion von eisenhaltigen Rohstoffen auf dem Territorium der UdSSR«. Dieses Abkommen und die entspre­chenden bilateralen Verträ­ge si­cher­ten der DDR ab 1980 den zu­sätzlichen jährlichen Be­zug von 340 000 Tonnen Eisenerz (Fe-­Inhalt) über die im langfristi­gen Han­delsabkommen von 1975 vor­­­ge­sehenen Men­gen hinaus. Die DDR stellte dafür im Gegenzug, ähnlich wie die anderen am Abkom- men beteiligten Länder, im Zeitraum 1974–1978 als Vorauslieferung Ausrüs- tungen (u. a. Tagebauausrüstungen), Konsumgüter (wie z. B. Möbel und Textilien) und andere Waren bereit. Der Umfang der Vorauslieferungen der am Abkommen betei- ligten Länder im Zeitraum 1974–1978 belief sich auf über 750 Millionen transferable Rubel. Für die DDR resultierte die Notwendigkeit der Beteili- gung an diesem Abkommen einmal aus der Erfordernis, die eigene Roheisenproduktion zu steigern, da die UdSSR beträchtliche Probleme hatte, den wachsenden Roheisen- Zahlenangaben zur Eisen­­ erzeugung und Eisenerz­ versor­gung der DDR siehe Seite 471
  • 6. – 17 – Das BAK: Episoden der Entwicklung ■  Alexander Lasarew Die folgenden Episoden sind ein bearbeiteter Auszug aus dem Band 1 des Buches »Trudnobogoschtschajemyj KGOKOR« (Schwer aufbereitbares BAK Kriwoi Rog) von Alexander Lasarew, der uns den Buchtext vor dem Erscheinen zur Verfügung gestellt hat. Dieses Buch ist eine breit angelegte chronologische Erzählung über die Ereignisse am und um das BAK Kriwoi Rog, angefan- gen von der Idee der Schaffung des Kombinats bis zum Jahre 1990. Das Buch berichtet in Episoden und Anek- doten über die gewaltigen Aufgaben der Errichtung des Kombinats und die dabei zu lösenden Widersprüche und Probleme, über die Arbeit einer Vielzahl von am Bau be- teiligten Arbeitern, Ingenieuren, Leitern und Funktio- nären. Die Schilderung basiert auf Interviews mit vielen Kollegen der BAK-Direktion, Mitarbeitern der Projektie- rungsinstitute und lokaler Behörden, anderen Zeitzeu- gen sowie auf zahlreichen Dokumenten dieser Zeit. Mit der Arbeit am 2. Band über die Entwicklung des BAK Kriwoi Rog in den Jahren bis 1998 hat der Autor 2006 begonnen. Der Band 1 in russischer Sprache mit etwa 300 Seiten, der etwa 500 Fotos enthalten wird, soll demnächst er- scheinen. Informationen zum Bezug dieses Buches wer- den nach Erscheinen veröffentlicht auf der WEB-Seite: www.bakbuch.de ■  ■  ■ 1971. Waljawka – eine Siedlung am Rand von Kriwoi Rog, die es heute schon nicht mehr gibt. Bedächtig trete ich an unser Haus, berühre seine kalte Wand. Einsam steht es da, von der Welt abgeschnitten durch Gräben und Baugruben, und schaut mich wie ein verlassenes Waisenkind mit leeren Fensteraugen an. Mit vier Jahren war ich hierher gekommen und habe die Kindheit hier verbracht. Dieses Haus, das mein Vater mit seinen Händen aufgebaut hatte, und die Siedlung habe ich immer innig geliebt – das war meine Heimat. Jetzt dröhnt direkt vor der Haustür eine Planierraupe laut auf. »Warum müsst ihr es einreißen?« schreie ich den Rau- penfahrer an. »Mach Platz!« winkt er mich weg. Nach wenigen Minuten ist vom Haus nur ein Trümmer- berg übrig. Der Raupenfahrer schaltet den Motor ab und steigt herunter um zu rauchen. Zu ihm kommt ein an- derer Mann. »Was hat euch das Haus gestört?« schreie ich auf die beiden ein. Der Hinzugekommene stellt sich mir als Vermesser vor und fragt zurück: »Das ist wohl euer Haus?« »War es! Was hat es euch gestört? Wofür musstet ihr es abreißen?« »Für ’nen Tagebau.« »Wozu noch so ein Loch, wo doch dort drüben so viel Erz auf Halde liegt!« »Das ist armes Erz und noch dazu oxidiertes. Wir brau- chen besseres Erz.« »Bald habt ihr das halbe Kriwbass in einen Tagebau verwandelt und die andere Hälfte unter dem Abfallerz beerdigt! Denkt ihr auch an die Menschen?« ■  ■  ■ Oxidiertes Eisenerz – eine Schicksalsfrage für Kriwoi Rog Bis 1985 wurden rings um die Stadt Kriwoi Rog einige Milliarden Tonnen an oxidiertem Eisenerz mit einem ge- ringen Eisengehalt auf Halden geschüttet, während die Vorräte an reichem Erz zurückgingen. Bereits 1969 hatte das Ministerium für Schwarzmetallurgie der UdSSR die Institute »Kriwbassprojekt« und »Mechanobrtschermet« mit einer Durchführbarkeitsstudie zur Errichtung eines Kombinats beauftragt, das oxidierte Erze verarbeiten soll. Zur Errichtung dieses Kombinats, so wollte es Kossygin, sollten dann auch die sozialistischen Länder mit heran- gezogen werden, die bisher das Erz »einfach so« – über Warenaustausch – bekommen hatten. Nach einem Jahr war die Durchführbarkeitsstudie fertig. Das Kombinat sollte pro Jahr 30 Millionen Ton- nen Erz verarbeiten. Als Technologie waren Schwer- kraftaufbereitung und Starkfeld-Magnetscheidung mit nachgeschalteter Flotation vorgesehen; erzeugt werden sollte Erzkonzentrat. Großtechnische Versuche von »Me- chanobrtschermet« im Aufbereitungskombinat »ZGOK« ergaben dann aber, dass die entwickelte Technologie nur eine geringe Effektivität hatte. Nach weiteren Forschungsarbeiten hatten die Institute im Auftrag des Ministeriums eine neue Technologie mit Magnetscheidung und Flotation ausge- arbeitet, bei der Pellets als Endprodukt vorgesehen waren. Nach Bestätigung dieser Technologie durch das Ministe- rium für Gesundheitswesen und den Ministerrat der Ukraine wurde sie 1976 dem Ministerium für Schwarzmetallurgie der UdSSR zur Prüfung vorgelegt. Ein Jahr lang wurde anschließend nachgebessert und schließlich der Beschluss gefasst, auf der Basis dieser Technologie das BAK Kriwoi Rog für oxidierte Erze zu bauen und dabei die RGW-Länder zu beteiligen. Zum Thema Aufbereitungs­ technologie siehe auch »Die für das BAK Kriwoi Rog geplante Tech­­­nologie der Eisen­erzauf­bereitung« (S. 425 ff.)
  • 7. – 19 – Rayons, sondern auch des gesamten Oblasts neues Leben einhauchen. Wie aus dem Füllhorn sollen dem Ort neue Wohnhäuser, Straßen, Sozial- und Kultureinrichtungen, Anschluss ans Gasnetz und andere Segnungen zufallen. Das Schreiben, das er eben unterschrieben hatte, lautet: »Das Exekutivkomitee des Rayonsowjets der Volksdepu- tierten des Rayons Dolinskaja hat die Standortzuweisung des Kombinats in der Variante III geprüft und hat gegen diese Standortvariante für das Kombinat sowie gegen die Anlegung der Klärteiche in der Balka Krinitschewatska keine Einwände.« Zwei Tage später ist Fedenko dann auf einer Beratung zum Thema Zivilverteidigung am Getreidehochsilo. Wäh- rend der Beratung eilt plötzlich der Parteisekretär Kalushny heran und ruft ihn zum Telefon. Am Apparat ist Kirowo- grad – der Zweite Sekretär der Oblast-Parteileitung Kibez: »Mit welchem Recht haben Sie ohne unsere Erlaubnis ein derart unsinniges Papier unterschrieben?« Ein Recht der Erwiderung hat Fedenko keines. Ihm war mit einem Mal klar, was ihm blühen konnte: Entwe- der stellt man ihm im neuen Kombinat ein Denkmal auf oder man schickt ihn in die Wüste. »Machen Sie sich sofort auf den Weg und ziehen Sie Ihre Genehmigung zurück.« Das war wie eine eiskalte Dusche. Wozu verlangen sie von ihm, sich selbst zu erniedrigen? Er wollte, dass Do- linskaja endlich aus dem Schlamm, den allgegenwärtigen Schweineställen und der Armut herauskommt. Endlich gibt es mal eine Chance für ein besseres Leben, und da wollen die Oblastchefs alles wieder über den Haufen werfen. Seine Mutter hatte ihn dazu erzogen, den Men- schen mit Güte und Verständnis zu begegnen, ein offenes Ohr für ihre Probleme zu haben. Warum wollen die dort oben diese Zukunftschance nicht sehen? Grigori Fedenko hatte zeitig gelernt, selbständig zu entscheiden. Früh hatte er den Vater verloren, der im Krieg in Polen gefallen war. Nicht leicht war für ihn der Weg aus dem Dorf Bokowoje zum Studium an die Lomonossow-Universität nach Moskau gewesen. Als Lehrer hatte er danach gearbeitet und schließlich als Di- rektor der Acht-Klassen-Schule in Baschtanka. Die Ent- scheidung für das Kombinat hatte er mit dem Herzen getroffen und er hatte nicht vor, gegen sein Gewissen zu handeln. Und so fuhr er auch nirgendwo hin. Zwei Tage später wieder ein Anruf – wieder Kibez und diesmal kategorisch: »Sie fahren sofort nach Kriwoi Rog.« Nun muss er fahren, das Institut ausfindig machen. Er findet es und findet auch Dsjubenkos Arbeitsraum. Bei dem sind etwa zehn Personen versammelt, promovierte Techniker, die ihn alle mit Händedruck begrüßen. Dsju- benko stellt den Gast vor: »Das ist der Mann, der die Genehmigung für den Bau des Kombinats erteilt hat.« Alle blicken ihn lächelnd an. In dieses Wohlwollen hi- nein sagt Fedenko: »Ich ziehe meine Entscheidung zurück.« Einer der Experten springt empört auf: »Begreifen Sie denn nicht, was alles Sie kaputtmachen?« »Das begreife ich sehr wohl.« »Verehrtester, Sie kommen zu spät«, schaltet sich Dsju- benko ein, »Wir haben Ihr Schreiben schon an alle Insti- tute verteilt. Die Maschine ist nicht mehr anzuhalten!« Zwei Tage später findet in Dolinskaja eine Plenarsitzung der Rayonparteileitung statt. Giduljan stellt Fedenko so- fort an den Pranger: »Fedenko richtet den Rayon zugrunde! Die beste Schwarz­ erde an das Kombinat abzutreten – das ist ein Verbre- chen!« In diesem Stil geht es dann weiter. Zwei Tage später muss Fedenko schließlich im Oblast-Exekutivko- mitee antreten und auch dort stellt man sich dem Vorha- ben in den Weg. Am 8. Dezember 1978 unterzeichnet der Vorsitzende des Oblast-Exekutivkomitees Maximenko einen Brief: »In Übereinstimmung mit der Oblastleitung der Kommunisti- schen Partei der Ukraine lehnt das Oblast-Exe­kutivkomitee Kirowograd die Errichtung des Kombinats aufgrund des Mangels an Arbeitskräfteressourcen sowie der dafür erfor- derlichen Zweckentfremdung von 4 000 Hektar hochpro- duktivem Ackerboden kategorisch ab.« Der traditionelle Reichtum des Rayons Dolinskaja wächst auf den fruchtbaren Schwarzerdefeldern – Weizen, Rüben, Mais, Melonen, Sonnenblumen …
  • 8. – 39 – Freundschaftstreffen der Mitarbeiter des Produktionsbereiches des Generallieferan­ ten der DDR-Baustelle mit den Kollegen der Produktions­abteilung der BAK- Direktion auf der DDR-Baustelle (oben) und im Dendropark (unten). Bild oben v. l. n. r. – hintere Reihe: Jörg Heckel, Gerd Liebing, Friedrich Böhrs, Karl-Heinz Straßburger, Jelena Bondarenko, Heinz Jäger, N, Jelena Jablunowskaja, Wjatscheslaw Iwano­witsch Zygul, Brigitte Hildebrandt, Rainer Dahle, Oleg Perminow, Gerhard Gießler, Ilona Werner, Volker Werner, Lothar Achtzehn, Wladimir Iwanow, Gerhard Jeanneret, Mario Geue; vordere Reihe: Valentin Skibizki, Lilja Suprunowa, Sergej Bondarenko, Konstantin Kowal, Klaus Bau­erhin, Georg Hübner (»On«) Bild unten v. l. n. r. – hintere Reihe: N, Nikolai Proko­penko, Karl-Heinz Straßburger, Marina Prud­tschinskaja, Wjatscheslaw Iwanowitsch Zygul – Leiter d. Produktionsabt., Swetlana Prokopenko, Lothar Achtzehn, Lilja Suprunowa, Jürgen Döring, Jelena Jablunowskaja, N, Alexander Lasarew, Wladimir Sholobow, Jürgen Drews, Wolf­gang Berndt; vordere Reihe: N, Günther Pilz, Dr. Volker Wittenbecher, Jelena Sawdijarowa, Alexander Gaikowoi (vorn), N, Valeri Mruk, N, N, Bruno Böhm, Juri Sawdijarow, Erhard Wolf. Wir verlassen schließlich Selenodolsk und verabschie- den uns von Freunden und Kollegen, ich mich auch von den aufgestauten unlösbaren Problemen in meinem bisherigen Betrieb. Schwer fällt mir der Abschied vom Stausee, meinem geliebten Anglerparadies, aber die versprochene neue Funktion – Sysa will mich als sei- nen Stellvertreter für Wohnungsbau einsetzen – und vor allem die Aussicht auf eine große Wohnung verlan- gen Opfer. Ich fange also bei der BAK-Direktion in Do- linskaja an. Und schaue erst einmal in den Mond. Nicht nur, dass ich die erste Zeit jeden Tag nach Kriwoi Rog pendeln muss, da ich in Dolinskaja noch nicht wohnen kann – jeden Morgen und jeden Abend jeweils andert- halb Stunden Fahrt im Schneckentempo im überfüllten, stickigen Zubringerzug zur Baustelle. Das war abzuse- hen. Weniger freudvoll ist, dass der versprochene Pos- ten anderweitig besetzt ist, ich darf mich als einfacher Ingenieur tummeln … Schließlich kommt mit einem neuen Stellenplan meine Chance: Ich werde Leiter des neugebildeten Büros für die Errichtung der Wohn- und Sozialobjekte. Wir über- nehmen nun die Verantwortung für diese Objekte von Valentina Tschishikowa, Juri Brusnik und Valeri Mruk. Juri weist uns ein: Die rumänische Firma »Arcom« baut den Mikrorayon Nr. 4: das sind 23 Wohnhäuser, ein Pro- phylaktorium, das Fernmeldeamt, die Feuerwache, eine Kaufhalle, ein Kindergarten, zwei Heizverteilerstationen, eine Schule, das Betriebsgebäude der Gaswirtschaft, Ob- jekte der Kommunalwirtschaft und der Wohnungsver- waltung, sowie der Krankenhauskomplex. Mikrorayon Nr. 5 der ČSSR: »Pozemny stavby« Banská Bystrica baut 13 Wohnhäuser, zwei Kindergärten, eine Kaufhalle mit
  • 9. – 43 – Wjatscheslaw Zygul und Ljudmila Asmolowa bei den rumänischen Bauarbeitern eingesperrt war – wegen seiner deutschen Herkunft. Und all die Jahre danach hat er alles unternommen, um jede »So, hier sind die Pläne. Baut das mal schnell hin und dann nichts wie wieder weg von hier!«, (Karikatur aus einer ČSSR-Zeit­schrift von 1986) Vermutung, er könnte Deutscher sein, abzuwehren – zu tief war der Einschnitt dieser Jahre in sein Leben gewe- sen. Heute kommt unser Gespräch auf die ungelösten Probleme der Baustelle. Bis zur Fertigstellung der In- dustriebauten bleibt noch viel zu tun. Und eine Masse ungelöster Probleme lastet auf der Baustelle: Noch im- mer fehlt eine Gesamtkoordinierung der Baustelle; die Leitung des »Baukomplexes«, die eigentlich die Bau- und Montageleistungen aller beteiligten Länder koordinieren soll, tut dies nur für die Arbeiten der sowjetischen Bau- betriebe. Jelesow sitzt mit der Kombinatsdirektion immer noch in Kriwoi Rog statt vor Ort. Die Baubetriebe aus Kriwoi Rog werden vom Stadtparteikomitee aus Dolins- kaja nach Kriwoi Rog abgezogen, so dass die Pläne für die Errichtung des BAK nicht erfüllt werden können. Um nicht in allen Bauaufgaben von anderen abzuhängen und operativ ins Baugeschehen eingreifen zu können, sollte die BAK-Direktion einen eigenen flexiblen Baubetrieb haben – aber keiner nimmt sich ernsthaft dieser Frage an. … Ich frage ihn, wie lange das noch so gehen wird, dass wir die Probleme vor uns herschieben, wenn im kom- menden Jahr das Kombinat doch in Betrieb gehen soll?! Ich erfahre jetzt von ihm zum ersten Mal, dass Dsjuba dem stellvertretenden Minister Antonenko als realen In- betriebnahmetermin 1992 vorgeschlagen hat. Antonenko hat das akzeptiert, denn das BAK ist die erste Baustelle, bei der so viele beteiligte Länder auf einem Baufeld neben­ einander so eng verzahnt arbeiten. Auswahl, Bearbeitung und Übersetzung: Rolf Junghanns ■  ■  ■
  • 10. – 44 –  Zu den im Weiteren ver- wendeten Fach­begriffen siehe »Erläu­te­rung einiger Begriffe der Eisen­erz-Auf­ be­reitung« auf S. 82 … deutlich hinter dem internationalen Stand ■  Interview mit Prof. Dr. Heinrich Schubert    der Technologie Klarheit zu verschaffen. Trotz der aufge- schlossenen Atmosphäre und der weitgehenden Offenheit in den Gesprächen mit dem damaligen Direktor des Insti- tuts »Mechanobrtschermet« Suslikow, seinem Stellvertre- ter für wissenschaftliche Arbeit Arsentjew und dem Leiter der Abteilung »Aufbereitung oxidierter Eisenerze« Malyi erbrachte das Treffen keine Erkenntnisse, durch die sich die Technologie als vorteilhafter hätte bewerten lassen. Das zwölfseitige Gutachten und den sich an dieses an- schließenden Dienstreisebericht stellen wir weiter unten in Ausschnitten vor. Mit seiner Einschätzung hatte Prof. Schubert damals viele sachlich denkende Leiterpersön- lichkeiten auf seiner Seite, bei manchem stieß sie aller- dings nicht auf Gegenliebe. Die von Prof. Schubert getroffenen Einschätzungen wurden als vertrauliche Dienstsache eingestuft, das BAK wurde trotzdem gebaut. Wir baten Herrn Prof. Schubert um einen aktuellen Kommentar – 20 Jahre danach. l? Zuallererst eine Frage zum Erz: Kann man einem Laien einigermaßen verständlich erklären, was eigentlich oxidisches Eisenerz und was oxidiertes Erz ist? ➤ Prof. Schubert: Ein Oxid ist bekanntlich eine Sauerstoff- verbindung eines Elements. Im Falle des Eisens sind die wichtigen oxidischen Minerale Magnetit (Fe3 04 ), Hämatit (Fe2 03 ) und Eisenhydroxide. Im Magnetit liegt das Fe in zwei‑ und dreiwertiger Form vor. Die vorhan- dene Kristallstruktur verleiht ihm ferromagnetische (stark magnetische) Eigenschaften, die eine sehr effek- tive Anreicherung auf Schwachfeld‑Magnetscheidern selbst bei sehr feiner Verwachsung ermöglichen. Hä- matit enthält demgegenüber das Fe nur in dreiwertiger Form. Dieses Mineral ist paramagnetisch – schwach magnetisch. Deshalb ist es nur auf Starkfeldscheidern anreicherbar, und bei feiner Verwachsung gelingt die Magnetsortierung nur mit mäßigem Erfolg. Das Erz, das am BAK Kriwoi Rog aufbereitet werden sollte, gehörte zu einer Teilgruppe der oxidischen Eisen­- erze – zu den o x i d i e r t e n Eisenerzen. Um ein oxi- diertes Eisenerz handelt es sich dann, wenn es un- ter metamorphen Bedingungen, d. h. bei Druck- und Temperaturzunahme, zu einer Oxidation des zwei- wertigen Eisens vom Magnetit gekommen ist, der Magnetit also in Hämatit und/oder Eisenhydroxide umgewandelt worden ist. l? Wie und wann kamen Sie in Verbindung mit dem Vorhaben BAK Kriwoi Rog? ➤ Prof. Schubert: Wie ich mit dem Vorhaben Kriwoi Rog in Verbindung gekommen bin, dazu vermag ich mich im Detail nicht mehr zu äußern. Ich habe in meinem Als die wichtigsten Teile des Vorprojekts im Februar 1985 übersetzt waren, erhielt Prof. Dr. Schubert, Experte für Aufberei- tungstechnologie an der Bergakademie Freiberg, vom Ministerium für Erzberg- bau, Metallurgie und Kali den Auftrag, die für das Projekt BAK geplante Technologie zu bewer- ten. In seinem Gutachten vom 17. Februar 1985 verglich er dieses Vorhaben mit den damals betriebenen Anlagen, in denen ähnliches Eisenerz aufbereitet wurde. Eingangs stellte er fest: »Die Aufbereitung fein- bis feinstverwach- sener häma­ti­tischer bzw. eisenhydroxidhaltiger Erze war lange Zeit ein ungelöstes Problem.« Angesichts der damit verbundenen technologischen Schwierigkeiten waren bis dahin nur wenige Anlagen dieser Art realisiert worden. Die bedeutendsten davon befanden sich in Brasilien und in den USA (Tilden), in Kriwoi Rog arbeitete man in klein- und großtechnischen Versuchsanlagen an dieser Technologie. In Brasilien konnte die Technologie relativ einfach ge- halten werden. Da das dort aufbereitete Erz aufgrund seiner günstigeren Verwachsung besser aufbereitbar war, musste es nicht sehr fein aufgemahlen werden, al- lein schon mit Nass-Starkfeldmagnetscheidern konnte es zufriedenstellend angereichert werden. Die nordamerikanischen Takonit-Eisenerze hingegen, die von ihrer Zusammensetzung und Verwachsung her den oxidierten Erzen von Kriwoi Rog nahekamen, muss- ten wesentlich feiner als das brasilianische Erz aufge- mahlen werden, um einen Aufschluss zu erreichen. Das erhaltene feine Korn schloss aber eine Aufbereitung in Starkfeld-Magnetscheidern aus (da bei dem feinen Korn die Schleppkräfte der Trübe die Magnetkräfte überwo- gen). Deswegen hatte man bei der Cleveland Cliffs Iron Co. in Tilden eine für die damalige Zeit sehr effektive reine Flotationstechnologie – ohne Magnetscheidung – gewählt. Bei einem Ausgangserz mit einem Eisengehalt von 32 bis 36 % konnte man Konzentrate mit einem Eisen­ gehalt von 63 bis 67 % und einem Quarzanteil (SiO2 ) von 4,7 bis 4,3 % erzielen. Dabei lag der Energieverbrauch je durchgesetzter Tonne hier wesentlich niedriger, als in Kri- woi Rog geplant war. Die Technologie der Tilden-Anlage charakterisierte Prof. Schubert als »die fortschrittlichste […], die gegenwärtig für die Aufbereitung oxidierter Tako- nit-Erze bekannt ist.« Die anhand der knappen Vorprojektunterlagen begut- achtete Kriwoi-Rog-Grundtechnologie bewertete er an- gesichts des unbefriedigenden Aufbereitungsergebnisses und des hohen Energieverbrauchs als »abzulehnen«. Da die Projektunterlagen einiges an Fragen offenließen, reis- te Prof. Schubert zusammen mit Dr. Koch Ende Septem- ber 1985 nach Kriwoi Rog, um sich dort bei den Autoren
  • 11. – 48 –  Die Aufbereitung oxidierter Eisenerze – Der lange Weg zur Technologie ■  Vladimir Malyi    Die geologische Schichtenfolge im Eisenerzrevier von Kriwoi Rog, dem Kriwbass, ist im Wesentlichen (abgese- hen von einigen Ausnahmen) die folgende: – Deckgebirge aus Lehm und Felsgestein – 3 Horizonte armes oxidiertes Eisenerz (Eisenquarzite) – Horizonte aus armem Magnetiterz – Horizonte aus reichem Hämatiterz. Bis in die erste Hälfte der 1950er Jahre wurde im Kriw- bass vor allem das Hämatit-Erz im untertägigen Bergbau gefördert. Sein Eisengehalt lag bei 60 %, so dass dieses Erz direkt, ohne Aufbereitung an die Roheisenerzeuger gelie- fert werden konnte. Nur etwa 5–10 % des Hämatit-Erzes wurden damals aufbereitet, ausschließlich in kleinen, primi­tiven Anlagen, die mit Absiebung und Setzverfah- ren arbeiteten und eine Verbesserung des Eisen­gehaltes um wenige Prozent erbrachten. Anfang der 1950er Jahre wurde den Eisenerzerzeu- gern des Kriwbass die Forderung gestellt, der Metall- urgie wesentlich mehr Erz zu liefern. Dies war durch einen Ausbau der Untertageförderung nicht machbar und so galt es, neue Eisenerzquellen zu erschließen. Im Erzbergbau trat eine vollkommen neue Situation ein: Man begann nun mit der Gewinnung des oberflä- chennahen Eisenerzes im Tagebau. Dazu wurden Berg- bau- und Aufbereitungskombinate errichtet – große Industriekomplexe, die zwei Aufgaben wahrnahmen: die Förderung von Erz im Tagebau und die anschlie- ßende Aufbereitung des Erzes. Die Notwendigkeit der Aufbereitung ergab sich dadurch, dass hier Magnetiter- ze gefördert wurden, die einen geringen Eisengehalt aufwiesen. Um diese für die Metallurgie brauchbar zu machen, musste ihr Eisengehalt durch Anreicherung er- höht werden. Im Laufe der 50er bis 70er Jahre entstanden in Kriwoi Rog neben kleineren Aufbereitungsanlagen insgesamt fünf große Bergbau- und Aufbereitungs- kombinate (BAK): »JuGOK« (BAK »Süd«) – Inbetrieb- nahme – 1954; NKGOK« (BAK »Neu-Kriwoi-Rog«) – 1959, »ZGOK« (BAK »Zentrum«) – 1961, »SewGOK« (BAK »Nord«) – 1963, »InGOK« (BAK »Ingulezk«) – 1965. Magnetiterz lässt sich aufgrund seiner ausgeprägten ma- gnetischen Eigenschaften einfach aufbereiten. Die hierfür übliche Technologie ist die Schwachfeldmagnetscheidung. Ihr Kernstück ist ein Separator, der mit Dauermagneten ausgerüstet ist, die aus der Erztrübe die Magnetitkörner herausziehen. Auf diese Weise wird das Nutzmineral von den Quarzitkörnern (weitgehend) getrennt. Im Ergebnis dieses Prozesses erhält man ein Eisen­erz-Konzentrat; die Abgänge werden in Klärteiche abgeleitet. Führender Kopf bei der Entwicklung der Schwach- feldmagnetscheider war der Doktor der technischen Wissenschaften Viktor Grigorjewitsch Derkatsch vom Leningrader Aufbereitungsinstitut »Mechanobr«. Oxidiertes Eisenerz Um die Magnetiterze für die Aufbereitungskombinate gewinnen zu können, mussten die darüberliegenden drei Horizonte mit sogenannten oxidierten Armeisen­erzen abgeräumt werden. Die Erze dieser Schichten ließen sich mit der Technologie der Schwachfeld-Magnetschei- dung nicht verarbeiten. Grund war ihre andersgeartete Zusam­mensetzung. Statt Magnetit enthalten sie andere Eisenerzminerale – Hämatit und Eisenhydroxid –, die im Unterschied zum Magnetit nur schwachmagnetisch sind. In den 1950er Jahren gab es für die Aufbereitung dieser Erze keine geeignete Technologie, so dass man sie nur abbaggerte und auf Halde fuhr. Die Aufhaldung er- folgte mit der Maßgabe einer späteren Weiterverarbeitung (wobei es aber durch Fehler oder Nachlässigkeit auch zu Vermischungen mit dem Deckgebirge kam). Es fiel also – ganz kostenlos – ein Rohstoff an, der we- gen der fehlenden Verarbeitungstechnologie aufgehaldet werden musste. Statt diese Ressource gewinnbringend nutzen zu können, mussten weitere Ressourcen in An- spruch genommen werden – Flächen gingen der Land- wirtschaft oder anderen Nutzungen verloren, durch die Halden entstanden Belastungen für die Umwelt. Es war also angesagt, eine Technologie für die Verarbeitung die- ser Erze zu schaffen. Die Absicht, die oxidierten Eisenerze zu nutzen, be- stand allerdings schon früher, als die Vorräte schon erkundet waren, aber noch nicht im großen Maßstab ab- gebaut wurden. Die Forschungen zu Technologien, die eine effektive Aufbereitung dieser Eisenerze ermöglichen könnten, wurden bereits vor dem Krieg aufgenommen – seit den 30er Jahren liefen sie im Leningrader Insti- tut »Mechanobr«, im Moskauer Bergbauinstitut und im Forschungsinstitut für Erzbergbau Dnjepropetrowsk. Die untersuchten Verfahren waren das Sortieren in Setz- maschinen, die Schwertrübeaufbereitung, die flotative Aufbereitung und das magnetisierende Rösten der Hä- matiterze. 1933 wurde im Erzbergwerk Schmakowo in Kriwoi Rog eine Versuchsanlage mit einem Schachtofen zum magnetisierenden Rösten von Hämatiterz gebaut, die bis 1941 bestand. Leiter dieser Anlage war der damals junge Ingenieur Vitali Iwanowitsch Karmasin. Als dann später oxidiertes Eisenerz im großen Maßstab als Begleiterz an-
  • 12. – 54 –  Disput über die Technologie Nach den Versuchen am BAK »MichGOK« entbrannte ab Ende 1983 im Institut »Mechanobrtschermet«, im Minis- terium für Schwarzmetallurgie der UdSSR und in einigen weiteren Einrichtungen ein Disput, der über 2–3 Jahre – bis zum Beginn der Ausführungsprojektierung für das BAK Kriwoi Rog – andauerte. Der Disput rührte daher, dass bis zu dieser Zeit bei der Projektierung des BAK Kri- woi Rog zwei Technologien parallel untersucht wurden – die Starkfeldmagnetscheidungs-Flotations-Technologie und die Starkfeld-Magnet­scheidungstechnologie. Für die Ausführungs­projektierung war dann natürlich eine der beiden Technologien auszuwählen. Welche Argumente führten die Disputanten an? • Argumente der Anhänger der S t a r k f e l d m a g n e t- scheidungs-Flotations-Technologie (zu denen aus der Institutsleitung der Direktor G. F. Suslikow und der stellvertretende Direktor W. A. Arsentjew gehörten): Die Starkfeld-Magnetscheidung arbeitet effektiv nur in der 1. Aufbereitungsstufe bei grober Aufmahlung des Erzes. Bei einer feinen Aufmahlung (d. h. in der 2. Aufbereitungsstufe) sichern die Separa- toren keine hohe Konzentratqualität; für feine Teilchen (unter 10 µm) und besonders schwachmagnetische Teil- chen (Eisenhydroxide) wird nur ein geringes Ausbrin- gen erreicht. Im Ausland wird die Magnetscheidung nur bei grob aufgemahlenem Erz eingesetzt (Brasilien, Mexiko); feinverwachsene Erze werden mit der Flota- tion aufbereitet (Tilden, USA). • Argumente der Anhänger der Starkfeld-Magnet - s c h e i d u n g s t e c h n o l o g i e (in der Institutsleitung waren das der Chefingenieur F. U. Popow, der stell- vertretende Direktor N. A. Strelkin und der stellver- tretende Direktor L. A. Lomowzew): Die Technologie der Starkfeld-Magnetscheidung hat in den letzten Jahren eine große Entwicklung erfahren; die effektive Trennkorngröße konnte auf 10 µm reduziert werden. Das Verfahrensschema kann sowohl mit Importtechnik realisiert werden wie auch mit eigenen Ausrüstungen, die in den Aufbereitungskombinaten »MichGOK« und »ZGOK« erfolgreich großtechnisch erprobt worden sind. Die Qualität des Magnetkonzentrats steht hin- ter der des Magnetscheidungs-Flotations-Konzentrats zurück, aber hier sind noch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft und bis zur Inbetriebnahme des Kombi- nats sind Fortschritte bei der Lösung dieses Problems zu erwarten (was sich im Weiteren noch bestätigen und in unserem Vortrag auf dem Aufbereitungskongress in Aachen 1997 dargelegt werden sollte). Geeignete Flo- tationsreagenzien sind entweder giftig oder nicht ver- fügbar – auf den Einsatz von Stärke muss verzichtet werden, da sie in der UdSSR nur für die Lebensmit- telversorgung zur Verfügung steht. (Hintergrund für dieses Argument ist die Tatsache, dass eine Aufberei- tung des Abwassers aus der Aufbereitung angesichts Der Starkfeld-Nass-Magnet­scheider (Rotorseparator) »6 ĖRM 35/315«, konstruiert im Institut »Gipromasch­ugleobogaschtschenije«, gefertigt im Maschinen­baubetrieb »Železorudné Bane« (ŽB) Spišská Nová Ves (ČSSR) 1 –Spulenblock; 2 – Magnet­pole des mittleren und unteren Rotors; 3 – Magnet­pole des oberen Rotors; 4 – Vorrichtung zur Auf­nahme des Trennguts; 5 – Matrize; 6, 7 – Antrieb der Rotoren; 8 – Trübe­aufgabe­vor­richtung; 9 – Rotor; 10 – Lüfter zur Kühlung der Magnet­spulen (Technische Daten siehe S. 82)
  • 13. – 62 –  Das Vorkommando ■  Gerhard Kasten  ■  Rolf Junghanns    Ein Arbeitstag Mitte August 1985 in Berlin in den Büros des VEB Mansfeld Generallieferant Metallurgie (MGM), der den DDR-Teil des RGW-Vorhabens BAK Kriwoi Rog steuern soll. Nacheinander bekommen drei Kollegen einen Anruf. Eine schneidige Stimme meldet sich: »Hier Kasten!« – und beglückwünscht sie zu einer Prämie über 100 Mark. Verwunderung und freudige Erregung bei den Angerufenen – und gleich darauf dürfen sie die Gefühle wechseln. Der Anrufer lässt wissen, dass sie zwar den Erhalt der Prämie per Unterschrift quittieren müssen, ausgezahlt wird ihnen das Geld aber nicht! 22. August 1985, ein Donnerstag. Durch das nächtli­che Berlin töfft ein »Barkas«-Kleinbus. Die Nacht ist warm, die Straßen sind menschenleer – kein Wunder, es ist 0.45 Uhr. Zu dieser frühen Stunde startet die Mission »Vorbereitungsgruppe DDR-Baustelle BAK Kriwoi Rog«. An der Gethsemane-Kirche hält der »Barkas«. Ein erster Fahrgast wird an Bord genommen: Gerhard Kasten, Dele­ ­gationsleiter. Nicht weit von hier, in der Stargarder Stra- ße, steigt Rolf Junghanns dazu, Sprachmittler. Er hat zwei schwere Koffer bei sich, das schwerste darin sind die Russisch-Wörterbücher. Um 1.15 Uhr kommt in der Ein- becker Straße Gerhard Fillinger an Bord, der Haushand- werker des Vorkommandos. Auch seine Koffer haben beträchtliches Gewicht – privates Werkzeug, das er in Er- mangelung betriebseigenen Werkzeugs mitnimmt. Um 1.30 Uhr in Treptow stößt als Letzter Peter Zimmermann hinzu, Verantwortlicher für die Organisation von Unter- bringung und Versorgung. Das kleine Team fährt zum Flughafen Berlin-Schö- nefeld, Endziel ihrer Reise ist Kriwoi Rog. Die Aufga- benstellung der Reise lautet: »Vorbereitung der Eröffnung des DDR-Teils der RGW-Baustelle BAK Kriwoi Rog und Klärung aller organisatorischen Fragen«. Zu dieser Aufgabe gehören die Unterbringung der ersten eintreffenden DDR-Bauarbeiter in einem sowje­tischen Wohnheim und die Organisation ihrer Verpflegung, die Eröffnung der Bankkonten für Tagegeld für die Bauarbei- ter und zur Bezahlung der vor Ort gekauften Bau- und Treibstoffe, die Bereitstellung dieser Materialien, die Klä­rung aller Pass-Visa-Formalitäten, die Sicherung der Wasser- und Energieversorgung auf der Baustelle. Beim Einchecken auf dem Flughafen Schönefeld zeigt sich, dass die vier neben den pro Person zulässigen 20 Ge- päckkilos zusammen noch 74 Kilo Übergepäck haben! Der Flug IF 616 startet dann um 3.15 Uhr, die »Tu‑134« bringt sie in zweieinhalb Stunden nach Moskau. Dort werden sie von Mitarbeitern des Außenhandels- betriebs LIMEX, den Kollegen Griese und Pester emp- fangen, die sie zum Kursker Bahnhof an den Zug nach Kriwoi Rog bringen. Um 20.10 Uhr geht die Reise wei- ter, über Tula, Kursk, Charkow, Dnjepropetrowsk, und am 23. August kommen sie dann nach 1 200 Kilometern Bahnfahrt um 16.10 Uhr auf dem Fernbahnhof von Kri- woi Rog an. Am Bahnhof begrüßt sie Juri Dawydenko, Mitarbeiter der »Abteilung für die Arbeit mit den ausländischen Spe- zialisten« der noch recht neuen »Direktion des im Bau befindlichen Bergbau- und Aufbereitungskombinates Kriwoi Rog«, der sie zur Unterkunft bringt. Es ist ein 9-stöckiges Arbeiterwohnheim des Metallur- gischen Kombinats am »Platz der Hochofenbauer«. Das DDR-Vorkommando mietet in diesem Plattenbau für die Startphase der Baustelle zunächst anderthalb Etagen. In Wohnheim des Metallurgischen Kombinats »W. I. Lenin« (Kriworoshstal) am Platz der Hochofenbauer
  • 14. – 67 – MGM – eine Nachbetrachtung ■  Wolfgang Bönitz    lich die »Fahne von Kriwoi Rog« und das bei Kriegsende in Eisleben wieder aufgestellte Lenindenkmal. Und eben diese symbolische Linie musste wohl herhalten, um die Zuständigkeit des Mansfeld Kombinates zu begründen. Nach und nach schickten sich alle so vom Ministerrat benannten Ministerien, deren Kombinate und nachge- ordnete Betriebe in das Unvermeidliche und arbeiteten an ihrer Strategie, die da hieß: Wir machen das, was wir müssen, aber keinesfalls mehr! Zunächst war in dieser Phase der Gesamtumfang etwas nebulös, denn die sowjetische Seite hatte ihre Planungen noch lange nicht abgeschlossen, was aber bei den riesigen Aufwendungen und den komplizierten Zuordnungen an die beteiligten Länder auch nicht verwunderlich war. Im Frühjahr und Sommer 1984 starteten in den Betrieben die Werbeaktionen um Mitarbeiter für den neuen General- lieferanten (GL). In Frage kamen dafür zunächst zwei Betriebe in Berlin. SKET-INGAN, ein bekannter Gene- rallieferant insbesondere für Anlagen der Metallurgie und Kabelproduktion, sowie INEX, ein ebenso bekann- ter Generallieferant für Ausrüstungen des Schwerma- schinenbaus und generell für komplette Fabrikanlagen. Solche Aktionen, bei denen aus Mitarbeitern gänzlich ver- schiedener Betriebe ein neuer gebildet wird, sind immer riskant. Geht es doch darum, aus den verschiedensten Betriebskulturen eine neue zu formen, mit der sich nach und nach alle Mitarbeiter identifizieren können. Geht es den abgebenden Betrieben gut und haben sie Aufträge, so sind die Mitarbeiter im Wesentlichen zufrieden. In diesem Fall müssen die Werber damit rechnen, nur solche Mitar- beiter zu gewinnen, die der Spenderbetrieb nicht ungern abgibt. Die Betriebsleitungen werden sich vor jene Mit- arbeiter stellen, die sie unbedingt halten wollen. Was die anderen betrifft – soll doch der neue Betrieb sehen, wie er mit den Luschen zurechtkommt! Doch trotz der von allen Seiten herbeigeholten neuen Mitarbeiter – ganz so schlimm sollte es nicht werden. Bei den Mitarbeitern von INEX stieß die Werbung auf recht offene Ohren, da mehrere große Vorhaben in Algerien spätestens 1985 zu Ende gehen sollten und neue Aufga- ben in annehmbarer Zahl und Größenordnung nicht zu erwarten waren. Außerdem war das Vertrauen, dass der – Mansfeld Generallieferant Metallurgie – Ost-Handels-GmbH – Infracom – Aus! Wie beschreibt man die vorstehende Namenfolge denn nun? Vielleicht so: Von der Wiege bis zur Bahre dauerte es nur acht Jahre. Mansfeld Generallieferant Metallurgie Als sich der Ministerrat der DDR widerwillig, aber not- gedrungen mit der Notwendigkeit der Realisierung des multilateralen Abkommens, abgeschlossen im Oktober 1983 auf Initiative der Regierung der UdSSR mit einer Reihe von Ländern des RGW, befasste, schrieb man das Jahr 1984. Es galt, die Realisierung des Abkommens für den übernommenen Anteil zu organisieren und alle zu beteiligenden Ministerien, Kombinate, Außenhandelsor- ganisationen, Betriebe u. a. zu ihrer jeweiligen Aufgabe zu vergattern. Das traf zunächst alle zu beteiligenden Minis- terien, also das für Erzbergbau, Metallurgie und Kali, das für Schwermaschinen- und Anlagenbau, das Bauministe- rium, das für Elektrotechnik, das für Handel und Versor- gung, das für Verkehr usw. – fast keines der vorhandenen wurde davon ausgeschlossen. Eines aber sollte sich den Hut aufsetzen und die Verantwortung tragen. Das war nach der eigentlich geltenden Normierung das Ministe- rium für Schwermaschinen- und Anlagenbau (MSAB) mit dem Minister Rolf Kersten an der Spitze. Doch der lehnte ab und verwies auf das für Erzbergbau, Metallur- gie und Kali (MEMK) mit dem Chef Dr. Kurt Singhuber, das ja zuständig für die Beschaffung von Erz und dessen Weiterverarbeitung sei. Keiner wollte den erwähnten Hut aufhaben – jedem war klar, was er sich da an den Kopf binden würde. Jedes der beiden Ministerien hatte seine »Verdienten Formulierer des Volkes«, die ihren Chef mit den besten Argumenten auszustatten hatten, wie man die Verantwortung abwenden könne. Im abschließenden und entscheidenden Gespräch wurde ein Kompromiss erzielt. Danach erhielt das MEMK die Gesamtverantwor- tung, aber das MSAB hatte Mitarbeiter abzugeben, die im Anlagenbau erfahren sind. Auch andere Ministerien soll- ten dies, so dass für Elektrotechnik (MEE), doch die meis- ten sollte schon das MSAB abstellen. Ein Kombinat im MEMK sollte zuständig sein für die Bildung eines Gene- rallieferanten, und das war dann das ziemlich überraschte Mansfeld Kombinat in Eisleben, das in der DDR-Volks- wirtschaft ein Konglomerat an Aufgaben hatte, die von der Kupfererzgewinnung und -verarbeitung bis zur Pro- duktion von Verschlüssen für Bierflaschen reichten. Aber mit Kriwoi Rog verband es eine symbolische Linie, näm-
  • 15. – 75 – Außerordentliches aus dem Leben eines Baustellendirektors, der eigentlich ein Bergmann war ■  Heinz Hildebrandt Zur Vorgeschichte und etwas über mich, weil es zum Verständnis dessen, was ich nun schreiben werde, notwendig ist Es war Sommer 1984. Bis zu diesem Sommer war ich Bergmann, zwar kein Bergmann oder Hauer unter Tage, wie man es im Allgemeinen unter dieser ehrenwerten Bezeichnung versteht, aber ein recht gut ausgebildeter Ingenieur, der sein Diplom an der altehrwürdigen Berg- akademie Freiberg erworben hatte. Seitdem ich die Hoch- schule verlassen hatte, arbeitete ich im damaligen VEB Schachtbau in Nordhausen. Zuerst war ich Steiger, arbei- tete auf verschiedenen Baustellen, teufte Schächte ab, fuhr Stollen auf, lernte eine Menge von dem dazu, was man eben auf Hochschulen und Akademien nicht gelehrt be- kommt, lernte auch, wie man mit Leuten umgehen muss, um sich zu behaupten, und wie man Vertrauen gewinnt. Meine Arbeit war also im weitesten Sinne die Arbeit eines Spezialisten in einem Spezialbetrieb, der sich hauptsäch- lich mit besonderen Dienstleistungen für den Bergbau befasst. Natürlich bauten wir auch im eigentlichen Sinne, nämlich Baustelleneinrichtungen, die wir brauchten, um unsere Schächte zu teufen und Stollen aufzufahren. Besser gesagt, wir ließen diese Baustelleneinrichtungen bauen und wir selber erledigten, oft als Haupt- oder General- auftragnehmer, die Koordinierungs- und Kontrollaufga- ben. Wichtig für mich war, dass ich in den 70er Jahren mit einer relativ großen Mannschaft unseres Betriebes im Ko- sovo im Süden Jugoslawiens auf der grünen Wiese eine große Schachtanlage bis zur Produktionsreife aufbauen konnte, mit der Blei- und Zinkerze für das Bergbau- und Metallurgie-Kombinat Trepča, ein Blei-und-Zink-Kom- binat, gewonnen wurden. Eine unschätzbare Erfahrung, noch dazu, da im letzten dieser Jahre mit zwei westdeut- schen Unternehmen, der Gutehoffnungshütte (GHH) und Siemens, kooperiert wurde – in der damaligen politischen Situation gewiss kein einfaches Unterfangen. Dann wurde ich Direktor für Produktion im Schacht- bau Nordhausen. Das war ich zehn Jahre lang und war immer noch im gleichen Betrieb. Ich hatte eine hübsche und verständige Frau, zwei Kinder – prima Jungs, und ich war 48 Jahre alt. Mein Leben lief in »vernünftigen« Bahnen – bis zu diesem Sommer 1984. An einem Tag in diesem Sommer rief mich mein Chef, Direktor Otto Katzmann, in sein Büro und sagte die schicksalsschweren Worte: »Heinz, hast du schon mal was von Kriwoi Rog gehört?« Natürlich hatte ich schon mal was über Kriwoi Rog gehört, nur nicht das, was mir Otto Katzmann darauf fol- gend sagte: »Die DDR baut dort ein Aufbereitungskom- binat für Eisenerze, ein Riesending, mehrere Milliarden Investumfang, zusammen mit anderen sozialistischen Ländern. Du sollst die Leitung des DDR-Anteils über- nehmen, sozusagen im Auftrag der Regierung.« Meine Reaktion war: »Wie kommen die denn auf mich, so etwas habe ich noch nie gemacht und von Aufbe- ­rei­tung habe ich gerade so viel Ahnung, wie ich in Frei- berg während des Studiums in den Vorlesungen gehört habe.« Darauf Otto: »So was hat noch keiner von uns gemacht, jedenfalls nicht in derartigen Dimensionen.« Wieder ich: »Was hältst du denn davon, was würdest du mir raten?« Darauf Otto in seiner ihm eigenen Art, tief Luft holend und mit ausgebreiteten Händen: »So eine Chance be- kommt man nur einmal im Leben. Wenn ich zehn Jahre jünger wäre, ich würde es machen.« Ich war über zehn Jahre jünger als er – ich hatte ver- standen und habe es gemacht. Allerdings mit einem er- wartungsvollen und einem weinenden Auge, da mir in Aussicht gestellt worden war, in wenigen Jahren Ottos Nachfolge anzutreten. Damals ahnte ich schon, dass da- raus wohl nichts werden würde. Der Anfang Meine Erinnerungen an diese Zeit sind recht gut, nur ist es schwer, das heißt fast unmöglich, das Wichtigste in historisch exakter Reihung wiederzugeben. Aber das ist ja auch nicht so wichtig. Wichtig ist, was geschah. Ich glaube das Erste, was damals geschah, war, dass ich den für mich wahrscheinlich wichtigsten Wegbeglei- ter der folgenden zwei Jahre, Manfred Wagner, als ersten aus der Kriwoi Roger Führungsmannschaft kennen lern- te. Wenn ich mich recht erinnere, verabredeten wir uns zu einem ersten Treffen auf der Kupferschiefer-Schacht- anlage Niederröblingen. Manfred war zum damaligen Zeitpunkt Wirtschaftssekretär bei der SED-Kreisleitung des Mansfeld Kombinates, ich war Produktionsdirektor im Schachtbau Nordhausen, einem Betrieb des Mans- feld Kombinates. Wir begrüßten und betrachteten uns ein paar Sekunden, und ich glaube, dass diese ersten Se- kunden für die nächsten Jahre sehr wichtig waren. Man- fred war ein ganzes Stück jünger als ich, springlebendig und frisch, und ich fühlte, mit dem kannst du, der passt. Wichtig zu erwähnen, Manfred war und ist ein kluger Kopf und im Übrigen promovierter Mathematiker. Da trafen sie nun aufeinander, der Baustellendirektor in spe
  • 16. – 76 –  – das sollte meine Funktion für die nächsten fünf Jahre sein – und der designierte POZK (Partei-Organisator des Zentralkomitees der SED). In dieser Zeit wichtiger Entscheidungen für die nächs- ten Jahre unseres Lebens wussten wir sehr wenig über das, was uns erwartete. Es waren nur Schlagzeilen: Größ- tes Integrationsvorhaben des RGW, Tausende Arbeiter aus der DDR werden gemeinsam mit noch vier anderen Ländern ein riesiges Kombinat in der Ukraine errichten. Und wir, die Führungskräfte, sollten uns für die Dauer des gesamten Vorhabens verpflichten. Damit wir ja recht bei der Stange blieben, sollten wir nun auch noch No- menklaturkader des ZK werden, was hieß, Verantwor- tung in erster Linie dem ZK gegenüber zu übernehmen und rapport- und rechenschaftspflichtig zu sein. Was das für mich bedeuten sollte, habe ich zum damaligen Zeit- punkt nicht gewusst und erst viel später verstanden, als ich begann, daran zu zweifeln, dass ich einmal wieder in leitender Position im Schachtbau Nordhausen arbeiten würde. Dann folgten Aussprachen und Belehrungen beim Mansfeld-Generaldirektor Professor Jentsch, im ZK bei Achim Benecke und beim Minister Dr. Kurt Singhuber. Viel wurde belehrt und auch eine Menge leeres poli- tisches Stroh gedroschen. Nur mit Informationen über die Sache, den eigentlichen Kern unserer Aufgabe, sah es dünn aus. Die erste Beratung bei Minister Singhuber ist mir in lebendiger Erinnerung. Beim Minister in Berlin oder das erste böse Omen Die Szene (leicht überhöht beschrieben): Ein richtig sachliches Ministerbüro. Der Minister, klein, untersetzt, mit stechenden, »starken« dunklen Augen. An seinem Tisch ein stellvertretender Minister (sehr zu- rückhaltend, dienstbeflissen), ein Parteisekretär (mit of- fenem Gesicht, sympathisch), ein Abteilungsleiter (blickt gelangweilt drein), ein »POZK« (hellwach und etwas aufgeregt) und ein angehender Baustellendirektor (auch hellwach, angespannt und sehr neugierig darauf, was da nun geschehen soll). Nach kurzem Händeschütteln hatten alle Platz genom- men. Danach trat allmählich Totenstille ein, minutenlang blieb es still, man hätte eine Stecknadel zu Boden fallen hören können. Niemand wagte es, sich zu räuspern, kein Fuß scharrte. Alle schauten nur … die meisten nur Lö- cher in die Büroluft. Der Baustellendirektor in spe blickte unverwandt auf den Minister, der Minister unverwandt auf ihn – minu- tenlang. Nichts geschah, wirklich gar nichts. Die Stille war lähmend, fast beängstigend. Dann, plötzlich der Minister zum Baustellendirektor in spe: »Na?« – dreimal hintereinander – »Na?« … Pause … »Na?« … Wieder Totenstille. Der Baustellendirektor in spe schaut und schaut und wundert sich und denkt: ›Er müsste doch nun etwas zu mir sagen, zum Beispiel zu meiner Berufung, meinen Aufgaben usw. usw.!?‹ … Dann der Minister zum Baustellendirektor in spe: »Was guckst’n so?« Darauf der Baustellendirektor in spe: »Ge- nosse Minister, ich gucke meistens so. Das ist bei mir nur Ausdruck großer Aufmerksamkeit.« Worauf das Eis gebrochen war. In der Folge referierte der Minister über die Bedeu- tung der Eisen- und Stahlindustrie für die Versorgung der DDR mit Bananen, Apfelsinen, Zitronen und anderen Südfrüchten und deren Bedeutung für die Bevölkerung … und auch etwas über das Vorhaben BAK Kriwoi Rog und … dass es ihm leider nicht gelungen sei, dieses für die DDR-Wirtschaft wahrhaft unglückliche Vorhaben zu verhindern! Der Baustellendirektor in spe hatte leider kaum Ge- legenheit, auch nur wenige Worte zu erwidern und die hundert Fragen zu stellen, die ihm auf der Seele brann- ten. Nach abschließendem Händeschütteln kam es doch noch zum wahrhaft aufschlussreichen und persönlichen »Gespräch«. Der Minister nahm den – nun ernannten – Baustellendirektor zur Seite und sagte: »Du wirst es nicht leicht haben, wahrscheinlich fährst du mit diesem Vorhaben irgendwie gegen den Baum.« Das erste böse Omen! Da dachte sich der Baustellendirektor: ›Ein ehrliches Wort? … Sollte es vielleicht doch stimmen, was dir deine ehemaligen Mitstreiter im Schachtbau Nordhausen zum Abschied ins Stammbuch schrieben?!‹: »Jetzt beginnt die Geschichte von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen!« Und es war wirklich ein ehrliches Ministerwort, wie es sich später herausstellen sollte und ich später erkannt habe! Wir lernen Russisch Wir, das sind Manfred, der »POZK«, Heinz, der Baustel­ lendirektor, und Roland Dietze, der Beauftragte des Zen­ tralrates der FDJ. Roland war nunmehr der Dritte im Bunde. Der Beauftragte des Zentralvorstandes des FDGB fehlte zum damaligen Zeitpunkt noch. Die Partei, das heißt, das ZK, hatte beschlossen, dass wir drei auf einem Schnellehrgang Russisch zu lernen hatten. Für die­se Auf- gabe war die Ingenieurschule Riesa ausgewählt worden. Also reisten wir in Riesa an, bezogen unsere recht ordent­ lich ausgestatteten Zimmer in einem Studentenwohn- heim und erlernten recht und schlecht einige um­gangs- ­sprachliche Sätze der russischen Sprache, kernige Be­- grüßungs- und Trinksprüche und einige Fachvokabeln aus der Aufbereitungstechnik. Uns wurde eine Lehrerin zugeteilt, die nur für unsere Ausbildung zuständig war
  • 17. – 91 – denschicht gerammt oder sitzen auf Grund der Reibung an ihrer Oberfläche ausreichend fest. Gerammt wird mit einer Ramme, einem riesigen Monstrum mit einem hoch aufragenden Mast, dem Rammgerüst, an dem der einzu- schlagende Pfahl befestigt ist, auf den der »Rammbär« ein- schlägt. Das Gerüst sitzt auf einem Raupenfahrwerk, mit dem es von Ort zu Ort bewegt wird. Besonders aufwän- dig waren die Rammarbeiten für die Halle der Filtration mit Nasskonzentratlager, das größte Gebäude des Bauan- teils der DDR – 492 Meter lang und 111,5 Meter breit. Hier mussten die Rammpfähle an den Stellen eingeschlagen werden, auf denen die Gebäudestützen und die riesigen Eindickerbehälter von 24 Metern Durchmesser aufgestellt werden sollten. Ich erinnere mich, dass mich eines Tages in meinem Büro eine Havariemeldung vom Baufeld er- reichte: Eine Ramme ist umgestürzt. Wie in solchen Fäl- len üblich, musste eine Kommission unter meinem Vorsitz den Vorfall untersuchen. Die Ramme war nur soweit be- schädigt, dass sie nach einer allerdings aufwändigen Re- paratur weiter arbeiten konnte. Wichtiger war, dass der Rammenführer den Umsturz der Ramme ohne wesent- liche Blessuren überstanden hatte. Während die Ramme im Umstürzen war, hatte er geistesgegenwärtig den Füh- rerstand mit einem waghalsigen Sprung verlassen. Das Probegründungsprogramm Im Leistungsumfang der DDR war anfangs das Objekt Grobbrecher vorgesehen. Das ist ein unterirdisches Bau- werk, das im Wesentlichen zwei große Kegelbrecher und zwei über ihnen liegende Vorratsbunker beinhaltet. Das Erz, das in Stücken von bis zu 1,20 Meter Größe angeliefert wird, soll aus den Waggons in die Bunker gekippt werden. Aus den Bunkern wird es dann den Brechern zugeführt, die die Erzbrocken auf eine Stückgröße von maximal 35 Zentimetern zerkleinern. Diese Anlage war in einem zum größten Teil unterirdischen Stahlbeton-Hohlzylinder von 39,5 Metern Tiefe und 32 Metern lichtem Durchmes- ser unterzubringen. Zum Abtransport des gebrochenen Erzes sollten vom Sohlenniveau des Schachtes zwei Tun- nel schräg nach oben abgehen bis zum Ansatzpunkt für die Bandbrücken, die das Erz dem Gebäude der Mittelzer- kleinerung zuführen. Ein wahrlich gewaltiges Objekt, das wir da übernehmen sollten, und auch eine Herausforde- rung für uns. Um bei Baubeginn der Industriebauobjekte schnell die Arbeiten aufnehmen zu können, machte man sich in der DDR frühzeitig Gedanken um die Technologie insbesondere dieses schwierigen Objekts. Der sowjetische Auftraggeber hatte ursprünglich vor- gegeben, dass die äußere Hülle dieses Baukörpers als Bohrpfahl­geräte im Einsatz. Rechts vorn sind bereits angelegte Bohrpfähle mit ihren heraus­ragenden Bewehrungsstäben zu sehen, ganz vorn teilweise freigelegte Bohrpfähle.
  • 18. – 101 – nischen oder gastronomischen Highlights vorzuführen, wie zum Beispiel die fahrbare, gekühlte Bierzapfstelle, die köstliches, optimal gekühltes Bier spendete. Weil es uns interessierte, fragten wir, wie denn am Tag zuvor die Übergabezeremonie abgelaufen wäre, worauf sie uns mitteilten, dass es eine würdige Übergabe gewesen sei. Die DDR-Fahne sei eingeholt und zusammengefaltet und zusammen mit den Insignien und Dokumenten des Generalkonsuls der DDR an den bundesdeutschen Gene- ralkonsul übergeben worden. Die Arbeit nach der Wende 1990 zeichnete sich eine allmähliche Verbesserung im Bau- und Montagegeschehen ab. Vor allen Dingen war das der Tatsache zuzuschreiben, dass sich für uns über- raschend und zunächst nahezu unerklärbar der Zustrom von Bau- und Montagematerial verbesserte – Lieferter- mine wurden plötzlich gehalten und die Versorgung mit den Montageteilen lief sortimentsgerecht. Offenbar Die Bauarbeiten laufen mit Hochdruck. Links: Arbeiten am Übergabepunkt 2. Oben: Bewehrungsarbeiten an einem der Eindicker der Filtrationshalle. Unten: Betonage der Stirnwand des Erz­bunkers in der Feinzerkleinerung wurden in der DDR andere Bauvorhaben »abgewickelt« – klarer gesagt: eingestellt –, die dort gebundenen Kapa- zitäten wurden frei, so dass unsere Lieferer von Stahl- bau‑ und Stahlbetonelementen zunehmend in der Lage waren, ihren Lieferverpflichtungen für unsere Baustelle besser nachzukommen. Auch zuvor schwer beschaff- bare Technik wurde plötzlich verfügbar. Das alles schlug
  • 19. – 103 – Der erste Konvoi ■  Gerhard Kasten Am 4. Oktober 1985 soll der erste Kraftfahrzeug-Kon- voi aus der DDR Dolinskaja, also das Baufeld »Majak« erreichen. Das waren 43 Bauarbeiter auf 24 Fahrzeugen mit der für den Baustart notwendigen Technik. Der Tross war am 27. September aus Cottbus losgefahren nach einer offiziellen Verabschiedung durch eine große Zahl von Kollegen und Leitern der am Bau beteiligten Betriebe, einschließlich des stellvertretenden Ministers für Erz- bergbau, Metallurgie und Kali Dr. Kurt Döring und des Generaldirektors des Mansfeld Kombinats, Prof. Karl- Heinz Jentsch. Am achten Tag nach der Abfahrt, nach fast 2 000 Kilometern Fahrt durch Polen, Belorussland und die Ukraine, wird der Konvoi nun am Ziel erwartet. An diesem Tag hat Gerhard Kasten im Büro der DDR- Baustellendirektion Telefondienst zur Koordinierung aller Aktivitäten. Nicht nur der Konvoi soll eintreffen, er soll an der Rayongrenze von Dolinskaja durch Vize- konsul Dr. Welz aus dem DDR-Konsulat in Kiew, den Baustellendirektor und sowjetische Vertreter empfangen werden und ein Kamerateam des DDR-Fernsehens soll diesen Augenblick aufnehmen. Außerdem sollen fünf- zehn Kollegen mit dem Zug in Kriwoi Rog ankommen. Und eben an diesem Tag gibt es am Morgen noch eine böse Überraschung: Bei zwei »Barkas«-Kleinbussen, ge- parkt vor unserem Arbeiterwohnheim, sind in der Nacht die Seitenscheiben eingeschlagen worden, es fehlen De- cken, Wattejacken und Gummistiefel. Der »Lada« des Baustellendirektors ist glücklicherweise unbeschädigt. Die »Barkas« sind zwar fahrbereit (sieht man davon ab, dass die Fahrt zugig wird), aber losfahren können sie vorerst nicht – die Miliz ist zu holen, die Untersuchungs- führer müssen Spuren aufnehmen und protokollieren. Das kostet Nerven, denn alle wollen rechtzeitig zur Be- grüßung an der Rayongrenze von Dolinskaja sein. Damit das Kamerateam rechtzeitig zur Begrüßungszeremonie kommt, muss schnell ein Taxi ran. Der telefonische Ta- xiruf will nicht klappen und der Dolmetscher muss nun eilends auf die Straße, um ein Taxi einzufangen. – Ab diesem Tage wird speziell für die Bewachung unseres Parkplatzes vor dem Wohnheim ein Milizionär abge- stellt. Mitten in diesem Trubel steht plötzlich eine zierliche blonde junge Frau im Büro von Gerhard Kasten. »Mein Name ist Jelena Omorokowa, ich bin Deutschlehrerin an der 26. Schule in Kriwoi Rog. Ich habe gehört, dass heute Bauarbeiter aus der DDR hier eintreffen. Wir möchten zum Jahrestag der Gründung der DDR am 7. Oktober an unserer Schule ein Fest durchführen und wollen es gern mit Deutschen begehen. Es möchten bitte sieben bis zehn Bauarbeiter zu uns kommen. Können Sie uns dabei bitte helfen?« – Gerhard Kasten kann dann zwar nicht selbst zu diesem Fest kommen, aber andere Kollegen nehmen das dann gern wahr. Mit dieser ersten kurzen Begegnung nimmt eine intensive Freundschaft der Familie Kasten mit dieser Lehrerin ihren Anfang, die bis heute anhält. Am Abend kommen dann nach der Begrüßung und dem Abstellen der Fahrzeuge auf dem Baufeld »Majak« die Bauarbeiter im Bus zum Wohnheim in Kriwoi Rog. Da kein warmes Wasser läuft, wird organisiert, dass sie alle zu einer Sauna gefahren werden, um den Staub der Reise abzuspülen. Große Aufregung später in der Finanzabteilung des MGM Berlin: »Solche Kosten sind in unserer Finanzord- nung nicht vorgesehen!« In Berlin kann man sich die Si- tuation vor Ort nicht vorstellen. Man ist der Meinung, dass Saunabesuch ja ein Privatvergnügen sei, für das je- der selber zu zahlen habe. Nach einigen Diskussionen gibt es dann ein Einsehen, MGM übernimmt die Rech- nung. Der Abend nach der langen Fahrt für die Bauarbei- ter und nach dem ersten größeren Stress für die junge DDR-Baustellenleitung klingt dann in der benachbarten Kantine »Kijanka« mit einem Festmahl aus. Hier gibt es auch eine Premiere. Trotz Alkoholverbots ringsum wur- de das erste Mal Bier aus der DDR auf den Tisch gestellt: »Braustolz« aus Karl-Marx-Stadt. – Die Bierversorgung wird dann bis zum Ende der Baustelle mit deutschem Bier gesichert. Die Sorten wechseln, aber das Prinzip bleibt: Die Arbeiter sollen bei ihrer harten Arbeit so ver- sorgt werden, wie sie es zu Hause gewöhnt sind. Die härteren Sachen bleiben aber vorerst unter Ver- schluss. Sie werden vom Zoll nicht freigegeben, auch nicht für den Empfang am 7. Oktober mit sowjetischen Vertretern von KPdSU, Stadtverwaltung Kriwoi Rog, BAK-Direktion und mit den Leitern der ČSSR-Partner- baustelle Mitrovský und Von’ka. Am nächsten Morgen eröffnet Gerhard Kasten die Ru- bel-Baustellenkasse. Kassenbelege für Einnahmen und Ausgaben hat der Baustellendirektor mitgebracht, ein- schließlich Kassenordnung. Ab jetzt müssen alle Kolle- gen an der Vollverpflegung teilnehmen und muss der GL jedem Bauarbeiter die ihm zustehenden Rubel aus- zahlen. Jedem auf der DDR-Baustelle am BAK Beschäftigten stehen pro Tag 11 Rubel Auslösung zu. Von ihnen wer- den 5 Rubel vom GL einbehalten für die Finanzierung der Vollverpflegung. Die verbleibenden 6 Rubel können sich die Kollegen entweder voll auszahlen lassen oder nur zur Hälfte, um die andere Hälfte auf ein sogenanntes GENEX-Valutakonto überweisen zu lassen. Mit diesen eingesparten Valuta können dann zu Hause aus einem speziellen Katalog DDR-Mangelwaren bestellt werden.
  • 20. – 104 –  Am selben Tag bekommt Gerhard Kasten ein beson- deres Geburtstagsgeschenk: Nach vielen Wochen Abhär- tung fließt nun endlich warmes Wasser. Der 1. Kfz-Konvoi aus der DDR trifft in Dolinskaja ein und wird an der Rayongrenze offiziell empfangen. ■  ■  ■
  • 21. – 105 – Bauen ab Stunde Null ■  Peter Hofmann Einem glücklichen Zufall hatte ich es zu verdanken, dass ich im Mai 1985 in meinem Betrieb, dem Kombi- natsbetrieb 01 des Bau- und Montagekombinats Kohle und Energie, für den ersten Konvoi nach Kriwoi Rog mit ausgewählt wurde. Eigentlich führte der Weg jedes BAK-Bauarbeiters damals über die Baustelle des Kern- kraftwerkes Lubmin, weiter über Baustellen an der Erd- gastrasse und dann erst nach Kriwoi Rog. Weil der Termin des Starts für den ersten Konvoi mehr­ fach verschoben worden war, waren die dafür ausge- ­wählten Bauarbeiter auf diese Baustellen versetzt wor- den. Da der geplante Starttermin im Mai 1985 näher rück- te, brauchte man für die Vorbereitung des ersten Konvois kurzfristig Personal. Genau in dieser Zeit wurde ich vom Industriebau Bautzen zum KB 01 in Hoyerswerda dele- giert. Dieser Kombinatsbetrieb 01 des Bau- und Monta- gekombinates Kohle und Energie bildete in der DDR die Basis für die Industriebauten in Kriwoi Rog. Nach einem eintägigen Aufenthalt in Hoyerswerda schickte man mich ins Kraftwerk Boxberg zu Werner Thiemig, der die Vorbereitungen für den ersten Kon- voi leitete. Unsere Aufgabe war, die von überall heran- geschafften Utensilien, technischen Ausrüstungen und vieles mehr in die Container, Wohnwagen und Lkws des ersten Konvois zu verstauen. Eigentlich sollte alles gleichmäßig verteilt werden, so wie es auf den Packlis- ten stand, damit es zu keiner Überladung der Fahrzeuge kam. Eine Ausnahme machten wir. Unter den Wohnwa- gen befand sich ein großer Stauraum, der mit Kohlen und anderen sperrigen Materialien gefüllt werden soll- te. Jeder Wagen wurde nach Packliste mit der gleichen Menge Kohlen beladen. Weil aber noch genügend Koh- len da waren, füllten wir den Stauraum des von uns zu beladenden Wagens so voll mit Kohlen, bis nichts mehr reinging. Die Vorbereitungen gingen gut voran und man fieberte dem Start entgegen. Doch es kam anders. Weil die Vorbereitungen für den Baustart in Dolinskaja nicht abgeschlossen waren, wurde der Start bis auf Weiteres verschoben. Nun hieß es für einige von uns, mit einem Teil der für den ersten Konvoi bereitgestellten Technik und Ausrüs- tung die Gründung für ein neues Gebäude für den VEB Erzprojekt in Leipzig herzustellen. Mit Autokran, Lkws und Bagger im Schlepp ging es von Boxberg nach Leipzig. Innerhalb weniger Monate konnten wir mit Hilfe der neu- en Technik einen Großteil der Fundamente für diesen Er- weiterungsbau fertigstellen. Mitte September wurden wir mit der Technik nach Boxberg zurückbeordert. Nun ging alles sehr schnell. Die Kandidaten für den ersten Konvoi wurden zusammengerufen und uns wurden die Namen und die dazugehörigen Fahrzeuge bekannt gegeben. Eini- ge – wie auch ich – wurden keinem Fahrzeug zugeordnet, wir sollten als Reserve zur Verfügung stehen. Es gab dann aber keine Ausfälle und so konnten wir nur als Zuschauer dabei sein, als der erste Konvoi auf Reisen ging. Als Trost erfuhren wir dann aber, dass wir in wenigen Tagen mit dem Flugzeug nach Kiew fliegen werden und den Konvoi in Dolinskaja in Empfang nehmen dürfen. In Kriwoi Rog angekommen, wurden wir in einem Ar- beiterhotel untergebracht und erfuhren, dass der erste Konvoi glücklich in Dolinskaja angekommen ist und am Abend bis auf eine kleine Gruppe nach Kriwoi Rog kom- men wird. Die Ankunft wurde von uns abends mit einer kleinen Feier begangen, die durch Stromausfall unterbro- chen wurde. Ein Blick aus dem Fenster machte deutlich, dass nicht nur bei uns, sondern im gesamten Umkreis alle Lampen aus waren. Später erfuhren wir, dass bei ho- her Stromabnahme durch das Hüttenkombinat in Kriwoi Rog der Strom in den Wohngebieten abgeschaltet wird. Eine Woche fuhren wir täglich frühmorgens von Kri- woi Rog nach Dolinskaja zum Arbeiten und abends zu- rück. Dabei lernten wir die Umgebung kennen. Unsere erste Arbeit bestand darin, das der DDR für das Bauarbeiterdorf zugeteilte Grundstück einzuzäunen und die mitgebrachten Wohnwagen zu einer Wagenburg auf- zustellen, um die ersten Tagesunterkünfte zu haben und damit die ersten Arbeiter zur Bewachung des Geländes auch über Nacht in Majak bleiben konnten. Beim Aushe- ben der Löcher für die Zaunpfosten im schweren Boden von Hand war uns schnell klar, dass uns eine mühselige Arbeit bevorstand, Technik dafür hatten wir keine. Wir merkten bald, dass nebenan, hundert oder zweihundert Meter von uns, auch gearbeitet wird, und waren auf Er- kundung gegangen. Was wir fanden, waren unsere tsche- choslowakischen Nachbarn und Kollegen, die wie wir mit der Errichtung des Wohnlagers begonnen hatten. Der Besuch brachte uns auch die ersehnte Hilfe für die Zaun- pfostenlöcher – wir hatten bei ihnen ein Kleingerät mit einem hydraulischen Erdbohrer erspäht. Die Getränke- frage war schnell geklärt und der Maschinist übernahm für uns das Bohren der Löcher für die Zaunpfähle. Hier zeigte sich zum ersten Mal die gute Zusammenarbeit mit unseren Kollegen aus der ČSSR. So hatten wir Zeit gewonnen und konnten mit dem Aufbau der Wagenburg beginnen. Ein Mitarbeiter vom technischen Büro des KB 01 maß die Stellplätze der ein- zelnen Wagen ein und wies die Lkw-Fahrer ein. Er war so in diese Arbeit vertieft, dass er beim Einweisen eines Wagens vergaß, seinen Arm, den er zum Abschätzen der Entfernung zum zurückzuschiebenden Wagen angelegt hatte, zurückzuziehen. Wie ein dürrer Ast knackte der Arm durch. Das war unser erster Verletzter. Zum Glück hatten
  • 22. – 106 –  wir schon Detlef, unseren ersten Sani, auf der Baustelle. Der brachte den Verletzten im Sankra ins Krankenhaus nach Dolinskaja. Dort wurde der Arm eingegipst, und mit dem nächsten Flieger ging der Mann nach Hause. Nachdem die Wagenburg aufgestellt war und sogar der Duschwagen funktionierte, zogen wir nach Majak. Durch dieArbeit in Leipzig hatten wir uns in unserem kleinen Kol- lektiv miteinander vertraut gemacht und wir beschlossen, zu fünft in einem Wohnwagen zu wohnen, statt abends die lange Fahrt nach Kriwoi Rog zu machen. Neben den Arbeiten für das zukünftige Wohnlager mit seinen Ver- sorgungseinrichtungen musste in den Nachtstunden das noch nicht vollständig umzäunte Wohnlager bewacht wer- den. Zwei Stunden lang waren immer zwei Mann für Ru- he und Ordnung verantwortlich. Anfangs konnten wir mit einem »Multicar« das Gelände abfahren, nach dem ersten Regen leider nicht mehr. Durch die vielen Bewegungen auf dem erst vor kurzem von der Schwarzerde beräum- ten Feld war der Rest der verbliebenen Schwarzerde zu einem schwarzen Gekrümel geworden. Im Herbstregen verwandelte sich das zu einem zähen, klebrigen Teig, der sich um die Reifen wickelte. Nach wenigen Metern Fahrt war der Zwischenraum unter den Kotflügeln so verstopft, dass die Räder verkeilten. Auch zu Fuß wurde dieser fest anklebende schwarze Teig zu einer Strapaze. Mit jedem Schritt wuchs man und hatte bald Schuhsohlen so dick und schwer wie ein Ziegelstein. Der warme Herbst mach- te vieles erträglich und so gingen die Arbeiten im Wohn- lager gut voran. Das erste große Versorgungszelt wurde errichtet und die mobile Küche installiert, die Aufstellung der ersten Dölbau-Baracken begann. Ende November war dann der schöne Herbst vorbei. Die mitgebrachten Kohlen spendeten nun wohlige Wärme, die Notstromaggregate machten die Nacht zum Tag. Aber die Kohlevorräte gingen schnell zu Ende und Nachschub aus der Ukraine war noch nicht in Reichweite. Eine Wa- genbesatzung brauchte sich darüber noch keine Sorgen zu machen – das waren wir, denn wir saßen im Wohnwa- gen mit dem großen Kohlevorrat. Eines Abends hatten wir es uns nach der Arbeit wieder einmal in unserem Wagen gemütlich gemacht, als sich unter uns jemand an unserem Kohlevorrat zuschaffen machte; wir stürmten hinaus und mussten feststellten, dass die anderen Wa- genbesatzungen unseren Kohlevorrat entdeckt hatten. Wir versuchten, die Kiste diebessicher zu machen, was uns nicht gelang, und so wurden unsere Kohlen schnell alle. Frieren musste aber keiner. Viele der Lieferungen aus der Heimat kamen in Holzkisten an. Die wurden zer- legt und verfeuert. Nur morgens, wenn der Ofen keine Glut mehr hatte, war es mordskalt im Wagen und keiner wollte als Erster aus dem Bett. Nach mehreren Wochen in Dolinskaja hatte es sich bei uns herumgesprochen, dass im Ort samstagabends im Kul- turhaus Disko ist. Mit »B1000« und »ARO« fuhren wir hin und staunten nicht schlecht. Ein großer Saal ohne Tische, nur Stühle längs der Wände aufgereiht, keinerlei Getränke – aber schöne Frauen waren da … Nur – wie spricht man die Damenwelt hier an? Und wie wird hier getanzt? Mit etwas hängengebliebenem Schulrussisch begannen wir, die ersten netten Bekanntschaften zu schließen. Den Jahreswechsel feierten wir in Kriwoi Rog in der Kantine »Kijanka« gleich neben dem Arbeiterwohnheim. Wir, die Arbeiter und Angestellten der DDR-Baustelle, feierten im Erdgeschoss mit Bier und Sekt; im Oberge- schoss hatten Komsomolzen aus Kriwoi Rog ihre Feier – mit Limonade und Mineralwasser, so wie es die KPdSU damals von der Jugend verlangte. Im Frühjahr des darauffolgenden Jahres begannen wir mit dem Bau der ersten Baufa-Häuser. Georg Krasel, bes- ser bekannt als Schorsch, verlangte viel von sich selbst und von uns, er formte unsere Brigade zu einer schlag- kräftigen Truppe. Seine Führung und seine Erfahrung im Zimmererhandwerk brachten uns voran und so konn- ten wir die gestellten Fertigstellungstermine für mehre- re Häuser unterbieten. Durch die Arbeit in der FDJ und der DSF und durch unsere freundschaftlichen Kontakte zu den Einwohnern von Dolinskaja und insbesondere zu den Schülern und Lehrern der Schule Nr. 2 waren wir auch gesellschaftlich sehr aktiv. Dafür wurde die eine oder andere Arbeitsstunde abgezweigt, was Georg nicht immer schmeckte. Er war zum Arbeiten nach Dolinska- ja gekommen, alles andere wurde dem untergeordnet. Irgendwann fand er sich mit diesen gesellschaftlichen Das erste Haus in Majak steht schon wenige Tage nach Baubeginn. Höchstgeschwindigkeit 40 Kilometer pro Stunde? Dolinskaja im Spätherbst.
  • 23. – 113 – Als Maulwurf in der ukrainischen Erde – technische Herausforderungen und bleibende Erinnerungen ■  Klaus Thiemer Exakt aufzuschreiben, was wir vom Autobahnbaukombi- nat (kurz ABK) am BAK in Kubikmetern und Tonnen ge- leistet haben, ist mir heute so gut wie unmöglich. Als wir unsere Leistungen abgeschlossen hatten (wenn auch die deutschen Objekte der Aufbereitung nicht fertiggestellt wurden, so gehörten wir doch zu den wenigen deutschen Baubetrieben am BAK, die ihre Leistungen abschließen konnten), haben wir alle Bautagebücher, Projektmappen, Lagepläne, Vermessungsunterlagen und was es da noch an Papier gab, dem HAN IB übergeben. Wir als ABK be- hielten nur Lohnunterlagen und Abnahmeprotokolle. Nach der Wende wurde das ABK privatisiert und der Be- trieb Erdbau nach wenigen Jahren aufgelöst, wobei auch die letzten technischen Unterlagen zum BAK verloren gingen. Da kann nur noch das Gedächtnis helfen. Wir vom ABK waren seit 1986 auf der Baustelle des BAK als Nachauftragnehmer (NAN) für Straßen-, Erd- und Tiefbau. Ich selbst bin auf die Baustelle versetzt wor- den, nachdem ich im Dezember 1985 wegen politischer Unzuverlässigkeit und schlechter Vorbildwirkung als Betriebsdirektor des ABK-Betriebes Verkehrsbau Ber- lin abgelöst worden war. Zur Bewährung wurde ich im ABK für die Vorbereitung und Durchführung der Auf- gaben des BAK Kriwoi Rog eingesetzt und kam dann im August 1986 nach Dolinskaja, wo ich bis Januar 1989 NAN-Leiter war. Die Aufgabe unseres NAN, der durchschnittlich mit 150 Arbeitern und Leitern vor Ort war, bestand, in einem Wort gesagt, in der Baustellenerschließung. Wir übernah- men dazu von der sowjetischen Seite die grob planierte Fläche, von der zuvor der fruchtbare Schwarzerdeboden und große Lösslehmmassen abgetragen und auf die Fel- der der umliegenden Kolchosen oder auf Kippen abge- fahren worden waren. Das war eine große Vorleistung, die nach ursprünglichen Planungen im Beteiligungsum- fang der DDR gewesen wäre. Wie groß die abgetragenen Erdmassen waren, dafür sprechen unsere ersten Pla- nungen: Wir hatten 250 bis 300 Lkw und 60 große Bagger vorgesehen. Der sowjetische Erdbau erledigte das dann mit riesigen Schürfkübelwagen, eine Art großer Erdhobel auf Rädern, die die abgekratzte Erde ins »Hobel«-Inne- re aufnahmen und auch selbst abfuhren. Ein Teil dieser Erdmassen lag eine Zeitlang auf Kippe am Rand des In- dustriebaufeldes als bis zu dreißig Meter hoher Berg. Aus diesem Grobplanum wurde dann von uns ent- sprechend den Bauplänen das genaue Feinplanum für die zu errichtenden Objekte und Baustraßen hergestellt. Die Baustraßen waren zu bauen und dort, wo notwendig, auch wieder rückzubauen. Wir hoben die bis zu 15 Meter tiefen Baugruben für die DDR-Industriebauobjekte aus, fuhren die dabei anfallenden Erdmassen auf Kippen, die bis zu 15 Kilometer entfernt lagen und transportierten Erdstoff auch wieder zurück zur Verfüllung von Gruben. Auf dem Baufeld der Definitivobjekte und auch auf der zentralen Baustelleneinrichtung (ZBE) legten wir befes- tigte Lagerflächen an. Für die Errichtung der ZBE hatten wir die Plattenstra- ßen gebaut, das unterirdische Entwässerungssystem für Regen-, Brauch- und Abwasser angelegt (die Abwas- serkanalisation mit einem Durchmesser bis zu 1 Me- ter) und alle Rohr- und Kabelgräben ausgehoben, mit einem Sandbett versehen und nach Leitungsverlegung wieder verfüllt. Für uns selbst wie auch für alle anderen DDR-Baubetriebe entluden wir auf dem Güterbahnhof Dolinskaja und dann auch am Hochgleis in ZBE-Nähe Materialien und Baustoffe und transportierten sie zur Baustelle. Und da der lokale Winterdienst bemerkens- wert schwerfällig war, halfen wir, neben dem Winter- dienst auf unseren Baustraßen, schließlich auch noch, die von uns mitbenutzten öffentlichen Straßen im Rayon schneefrei zu halten. Das Anlegen befestigter Lagerflächen und natürlich auch von Baustraßen war wichtig angesichts der Boden- verhältnisse in der Region Dolinskaja. An der Oberfläche lag eine Schicht von 1 bis 1,50 Meter Schwarzerdeboden, unter dem bis zu 30 Meter mächtiger Lösslehm anstand. An der Oberfläche machte sich das so bemerkbar, dass ein etwas länger anhaltendender Regen diesen Boden in eine zähe, schmierige und fest anhaftende Masse ver- wandelte, die weder für normale Fahrzeuge befahrbar, noch auch nur begehbar war. Deswegen haben wir alle Baustraßen, Lagerflächen und Gleise auf einer Unterlage aus Textilvlies und Splitt oder Schotter aufgebaut und Entwässerungsrigolen angelegt. Die DDR-ZBE hatte, gemessen an landläufig üblichen Baustelleneinrichtungen, die ungewöhnlich große Fläche von 670 x 380 Meter (254 600 Quadratmeter), aber inner- halb des Gesamtvorhabens erfüllte sie nur die Funktion einer Hilfseinrichtung. Die Baugruben der Industriebau- Objekte waren eine bei weitem größere Aufgabe. Alles übertraf dabei die Grube der Filtrationshalle. Die Halle selbst nahm eine Grundfläche war 492 x 111,5 Metern ein. Bei einer durchschnittlichen Grubentiefe von 10 Metern hatten wir hier etwa 600 000 Kubikmeter Erdreich zu be- wältigen. Dazu kamen noch die Gruben für die Kom- plexe Mittelzerkleinerung mit etwa 85 000 Kubikmetern und Feinzerkleinerung mit 95 000 Kubik­metern Erdaus- hub.
  • 24. – 116 –  etwa 30 Metern. Die Region von Dolinskaja war zwar wegen dieses Bodens als Standort für das BAK gewählt worden, weil Lösslehm verhindert, dass sich die bei der Aufbereitung anfallenden umweltschädlichen Abwäs- ser ungehindert ausbreiten können, aber zugleich ist ein solcher Baugrund für schwere Bauten nicht tragfähig. Er wird insbesondere bei dynamischen Belastungen (etwa durch die Vibrationen der Brecheranlagen) und mit zu- nehmendem Wassergehalt instabil und trägt nicht mehr, was dann zum Einsturz des Bauwerks führen kann. Da- her muss eine aufwändige Spezialgründung ausgeführt werden. Bei den Industriebauobjekten des BAK waren das Stahlbetonpfähle, die entweder vorgefertigt aus der DDR angeliefert und in die Erde gerammt oder aber als so genannte Bohrpfähle vor Ort hergestellt wurden. Für die Bohrpfähle wurde mit Spezialbohrgeräten jeweils ein Bohrloch mit einem Durchmesser von bis zu 1 180 mm niedergebracht, in das dann ein langer runder Beweh- rungskorb hinabgelassen wurde, wonach das Bohrloch mit Beton verfüllt wurde. Diese Pfähle mussten entweder den tragfähigen Grund erreichen oder durch ihre Länge eine ausreichende Haftung im Erdreich sichern (durch die so genannte »Mantelreibung«). In den Gesprächen mit den Kollegen von der »Kirow«- Erzverwaltung in Kriwoi Rog hörte ich davon, dass große Industrieobjekte in der Sowjetunion eingestürzt waren, die zwar solide auf Pfählen gegründet wurden, bei de- nen aber das Regenwasser nicht aus dem Bereich der Gründung abgeleitet worden war. Das Wasser weichte dann den Boden um die Pfähle auf, die so ihren Halt im Boden verloren. Immer wenn unsere ABK-Arbeiter einen Abschnitt der Baugrubensohle fertigplaniert hatten und dieser mit Betonplatten oder Ortbeton befestigt war, übernahmen dann also die Tiefgründer von uns den Staffelstab – die Kollegen vom Spezialbaukombinat Magdeburg (SBK) mit ihren schweren »Bauer«-Bohrgeräten oder die Kol- legen vom Industrie- und Hafenbau Rostock mit ihren Rammen. Mit Stahlbeton-Rammpfählen wurde u. a. die Filtrationshalle gegründet. Insgesamt wurden et- wa 9 500 Rammpfähle mit einer Länge von 7–11 Metern eingeschlagen. Bei den Komplexen Mittel- und Fein- zerkleinerung wurden Bohrpfähle niedergebracht – et- wa 1 800 Pfähle mit einem Durchmesser von 800 bzw. 1 180 Millimetern bis auf eine Tiefe von 21 Metern. Vorbereitet wurden diese Tiefgründungsarbeiten im Jahr 1986 mit einem Probegründungsprogramm, das durch den Schachtbau Nordhausen (SBN) im Auftrag der Bauakademie der DDR ausgeführt wurde. Mit diesem Programm sollten vor dem Baubeginn an den Industrie- objekten die günstigsten Verfahren für den Aushub der Baugruben und für die Tiefgründung bestimmt werden, sowohl von den bauphysikalischen Ergebnissen her wie auch von den Kosten und der technologischen Eignung. Das Programm umfasste neben dem Niederbringen von Probebohrpfählen auch die Herstellung von Schlitz- wänden, gesichert durch schräg verlaufende Injektions- anker. Das Schlitzwandverfahren stand damals neben anderen Verfahren (z. B. dem Gefrierwandverfahren) in der Diskussion als Variante für die Sicherung der Bau- grubenwände. Längs des Umfangs der Baugrube sollte eine Schlitzwand aus Stahlbeton in die Tiefe gebracht werden. Diese hätte dann, gesichert durch die Injek­ tionsanker, der Baugrubenwand Stabilität verliehen und zugleich Einsparungen beim Erdaushub erbracht, da ja die übliche Abschrägung der Baugrubenwand und die zusätzlich anzulegende »Arbeitsbreite« nicht notwen­ dig gewesen wäre – der Boden hätte nur für den eigent- lichen Baukörper ausgehoben werden müssen. Sowohl die Probebohrpfähle wie auch die Schlitzwand wurden bis in eine Tiefe von 20 Metern niedergebracht. Das Programm war notwendig, da in der DDR mit sol- chen Böden in dieser Mächtigkeit keine Erfahrungen vorlagen. Für die Bauakademie war das Programm ein gefundenes Fressen mit Sahnehäubchen, denn ohne das BAK hätte nie jemand ein solch aufwändiges Ver- suchsprogramm bezahlt. Die Belastungs- und Zugfestigkeitsmessungen an den Bohrpfählen, Schlitzwänden und Ankern erbrachten schließlich sehr zufriedenstellende Ergebnisse. Später wurde ein Teil der »Bauer«-Injektionsanker mit Bagger und von Hand zur Besichtigung freigelegt. Das war für alle interessierten Bauleute vor Ort ein anschaulicher Un- terricht, denn hier war zu sehen, was bis dahin keiner gesehen hatte. Zum einen waren verankerte Schlitzwän- de kein Alltagsgeschäft im Bau und zudem bleiben diese Konstruktionen normalerweise den Blicken verborgen. Nach der Auswertung des Versuchsprogrammes wurde aufgrund der Erkenntnisse und Erfahrungen aus dem Um- gang mit Lehmböden von den Bauingenieuren und Geo- technikern der Bauakademie, der Verkehrshochschule und des ABK wegen der zu erwartenden Kosten entschieden, auf verankerte Schlitzwände zur Baugrubensicherung zu verzichten und mit zwischen 70 ° und 80 ° abgeböschten Baugrubenwänden zu arbeiten. Dabei wurden dann die Grubenwände mit Textilvlies gegen Niederschlagswasser geschützt, da nach unseren Erfahrungen der Lösslehm sehr standfest ist. Weiter wurden in allen Bauphasen Gra- bensysteme unterhalten, um Niederschlagswasser von den Baugruben fernhalten bzw. um es sammeln und ab- pumpen zu können. Für die Objekte Mittel- und Feinzer- kleinerung wurde die Baugrubenwände im Bereich der Turmdrehkrane durch Stahlspundwände gesichert. Während die Bohrpfahlmethode als eines der Grün- dungsverfahren ausgewählt wurde, kam das Schlitz- wandverfahren wegen seiner hohen Kosten nicht zum Einsatz. (Es wurde dann übrigens später in Berlin für die Bahn-Untertunnelung der Spree angewendet, da es für die Sicherung von Baugruben und den Tunnelvortrieb bei anstehendem Wasser die beste Methode ist. Bei die- sem Bau hat Geld zudem wohl wesentlich weniger eine Rolle gespielt als am BAK).
  • 25. – 117 – Warum eigentlich wurde am BAK mit weni- ger Leuten und Maschinen mehr geschafft als auf Großbaustellen in der DDR? Unsere gute Arbeitsleistung am BAK hatte besondere Triebkräfte. Wenn ich davon zu Hause in der DDR er- zählte, wurden viele nachdenklich. In erster Linie war da ein grundsätzlicher Unterschied in der materiellen Sicherstellung zwischen unserer BAK- Baustelle und der DDR-Bauwirtschaft. Für uns als Erd-, Tief- und Straßenbauer war in der DDR schon jahrelang der Treibstoff limitiert, in den Jahren 1985/1986 schon so eng, dass Dieselkraftstoff meist am 20. jedes Monats auf- gebraucht war. So ergaben sich unsinnige technologische Abläufe und ein enormer bürokratischer Aufwand, um mit allen nur erdenkbaren Begründungen von den so- genannten K o n t i n g e n t t r ä g e r n noch Treibstoffmar- ken zu bekommen. Über den meisten Treibstoff verfügen konnten Armee, Bergbau und Landwirtschaft. Da war es naheliegend, dass für diese Bereiche sehr gern und viel gearbeitet wurde, natürlich außerhalb der Bilanz. Ein weiteres Mangelprodukt waren Lkw-Reifen. Im Durchschnitt standen deswegen auf den Baustellen des ABK in der DDR etwa 20 % der Lkw aufgebockt. Prekär war die Lage auch bei Ersatzteilen, besonders kritisch bei Hydraulikbaugruppen. Dadurch wurden in jedem Betrieb riesige Bestände »für alle Fälle« aufgebaut, ohne die die Produktion oft nicht gesichert werden konnte. Im Betrieb Verkehrsbau Berlin mit 1 600 Beschäftigten lagen die Materialbestände bei 12 bis 14 Millionen Mark. Ganz anders nun war die Lage am BAK, was mancher gar nicht recht glauben mochte. Da herrschte in der Mate- rialversorgung immer Sonnenschein – praktisch alles war da, wenn es wegen der langen Anlieferungsstrecke auch nicht immer termingerecht eintraf. Im Lauf der Bauzeit wurde zwar das Benzin rationiert, wohl deshalb, dass mit den Pkws nicht so viel privat »herumgejuchtelt« werden konnte. Da musste man eben, wie zu Hause üblich, ben- zinbetriebene Baumaschinen haben – da fuhr dann auch der Pkw wieder. (Von dieser Hintertür ahnten die Ratio- nierer des Generallieferanten natürlich nichts). Generell wurde für unsere ABK-Truppe am BAK das gesamte be- nötigte Material, auch wenn es in der DDR »Goldstaub« war, bereitgestellt. Mitunter bekamen wir sogar zu viel des Guten, so dass wir zur Freude der Heimat­betriebe in der Lage waren, eine größere Menge neuer Lkw-Reifen zurückzuschicken. Für ein zufriedenes Arbeiten sorgten natürlich auch die exquisite Essenverpflegung rund um die Uhr, die sehr gute Unterbringung im Wohnlager und die vielseitigen Möglichkeiten der Freizeitgestaltung. Neben Einkaufs- und gastronomischen Angeboten gab es Sportmög- lichkeiten auf Freisportflächen und im Winter in einer großen Traglufthalle, geboten wurden Bibliothek, Rus- sisch-Sprachzirkel, Kino, Kegelbahn, Sauna, Bade- und Ausflugsfahrten und vieles andere. Ein weiterer Aspekt hing mit der Mobilität der ABK- Mannschaft zusammen. Zu Hause in der DDR war es bei den ABK-Kraftfahrern üblich, sich täglich ein- oder mehrmals in einer Kneipe in Baustellennähe zu einem Zusatzpäuschen zu treffen. Am BAK ging das nicht – in der Region gab es einfach keine Kneipen, in denen man bei einem Bier und Essen das Programm für den Feier- abend hätte besprechen können. In der DDR war es überall, wo gebaut wurde, Usus, für Verwandte, Freund, Freundin oder Freunde von Freun- den mal ’ne Fuhre zu machen – Sand, Kies, Erde auf die Datschenbaustelle bringen, Schutt abfahren … Auch das gab es am BAK nicht, die Anverwandten waren fern und der ortsansässigen Bevölkerung war es verboten, auf sol- che Hilfe zurückzugreifen. Zudem war der Bewegungs- bereich unserer Kraftfahrer eingeschränkt und von der Miliz kontrolliert. Ein weiterer leistungssteigernder Punkt war das feh- lende Interesse, sich krankschreiben zu lassen. Wer krank war, konnte keine Überstunden machen, keine »VAZ« an- sammeln und bekam auch keinen BAK-Zuschlag. Da es für unsere Kollegen in der Ukraine keinen Garten um- zugraben gab und die Freundin meist weit war, entfiel auch diese Ursache für Krankschreibungen. So nahm man ohne Murren Pillen und Spritzen hin oder verordnete sich eine Knoblauchkur, nur um schnell wieder arbeiten zu können. Nachdem unter den Kollegen durchgesickert war, wie die Verhältnisse im örtlichen Krankenhaus wa- ren, fiel die Lust am Kranksein erst recht auf null. Dies alles waren aus meiner Sicht die Haupttriebkräfte für unsere recht gute Arbeitsleistung am BAK. Kranksein in Dolinskaja Obwohl die Wenigsten nach dem Krankenschein schiel- ten, ließ sich der Arztbesuch nicht immer umgehen. Eines Tages klagte einer unserer Kollegen über gewaltige Zahn- schmerzen. Unsere Dolmetscherin Irina war unterwegs. Da ich vor der russischen Umgangssprache keine Angst hatte, fuhr ich mit dem Kranken nach Dolinskaja ins Rayon- Krankenhaus, und auch Martin, der Meister des Kolle- gen, kam mit – zu dritt ist man tapferer. (Damals wusste ich noch nicht, dass es auf der ČSSR-Baustelle einen guten Zahnarzt mit gut ausgestatteter Praxis gab.) Vorauszuschicken ist, dass Dolinskaja trotz seines Sta- tus als Rayonstadt (was soviel wie Kreisstadt bedeutet) über Jahrzehnte hinweg ein benachteiligtes Provinznest war. Größere Investitionen waren hier bis zur Eröffnung der Baustelle des Kombinats so gut wie nie angekom- men, und so gab es nur ein armseliges Krankenhaus, ohne internes Wassernetz, ausgestattet nur mit dem Al- lernotwendigsten. Ein neues Krankenhaus war erst im Entstehen, von den rumänischen Bauleuten mit vielen Baustopps allmählich hochgezogen. Vor dem Zahnarzt-»Kabinett« (so heißen die Behand- lungszimmer auf Russisch) warteten im spartanischen