DMR BLUE TRANSFORMATION & PEOPLEMANAGEMENT (FOKUS: LEADERSHIP)
Was sind die Ingredienzen von Unternehmen und insbesondere deren Führung, die zukünftig erfolgreich bestehen können? Wie gelingt es, die Transformations- und Innovationsfähigkeit in der Unternehmenskultur – der kulturellen DNA – zu verankern? Und wie sehen die Erfolgsbeispiele für Transformationsprogramme aus, bei denen sich Effizienz- und Innovationsorientierung nicht ausschließen? Zu diesen Fragen haben wir uns in den Dialog mit Transformationsexperten unterschiedlicher Unternehmen begeben, um gemeinsam Erfolgsfaktoren und Lessons Learned herauszuarbeiten und unterschiedliche Beispiele für die Verankerung von Transformationskompetenz in einem Unternehmen vorzustellen.
DMR BLUE TRANSFORMATION & PEOPLEMANAGEMENT (FOKUS: LEADERSHIP)
1. DeteconManagementReportblue•1/2014
Transformation &
People Management
www.detecon-dmr.com
DMRDetecon
Management Report
2014
blue
Special
Künstler haben unsere Themen neu interprtiert
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Wir geben Kunst eine Bühne.
Die neue Detecon-Webseite ist online!
Art meets Consulting
Wir stehen mit unseren Geschäftsfeldern
an einer der spannendsten Baustellen unserer Zeit:
Die Vernetzung globaler Information und Kommunikation.
Interviews mit
Michael Kamsteeg, E.ON :
„Ein nachhaltiges Transformationsprogramm stärkt die Wettbewerbsfähigkeit“
Dr. Fanchen Meng, Heidrick & Struggles :
Über die Wichtigkeit von interkultureller Kompetenz im Kontext von Global Leadership
Dr. Leena Pundt, Otto Group :
Diversity Management als Katalysator für wirtschaftlichen Erfolg
Georg Habenicht, BuyIn :
„Wir haben kein Paris in Deutschland“
Reza Moussavian, Deutsche Telekom AG :
„Unser Ansatz ist der der Selbstbefähigung“
2.
3. 1 Detecon Management Report blue • 2014
Liebe Leserinnen und Leser,
viele Unternehmen sehen sich mit einem unüberschaubaren und maximal dynamischen Markt
umfeld konfrontiert, in dem starre lokale Großkonzernstrukturen sowie hierarchische „Comand
& Control“-Führung nicht mehr Schritt halten. Etablierte Unternehmen werden zunehmend
ins Abseits gedrängt. Auf permanente Effizienzsteigerungen getrimmte Unternehmen verlieren
gegenüber innovativen Start-ups an Boden oder verschwinden vollständig von der Bildfläche.
Dies ist nicht nur ein strategisches, sondern primär ein kulturelles Problem. Von einem bekannten
Stanford-Professor stammt der Satz: „Unternehmenskultur ohne Strategie ist sinnlos. Und eine
Strategie ohne Unternehmenskultur ist kraftlos.“
Was sind also die Ingredienzen von Unternehmen und insbesondere deren Führung, die zukünf
tig erfolgreich bestehen können? Wie gelingt es, die Transformations- und Innovationsfähigkeit
in der Unternehmenskultur – der kulturellen DNA – zu verankern? Und wie sehen die Erfolgs
beispiele für Transformationsprogramme aus, bei denen sich Effizienz- und Innovationsorientie
rung nicht ausschließen?
Zu diesen Fragen haben wir uns in den Dialog mit Transformationsexperten unterschiedlicher
Unternehmen begeben, um gemeinsam Erfolgsfaktoren und Lessons Learned herauszuarbeiten
und unterschiedliche Beispiele für die Verankerung von Transformationskompetenz in einem
Unternehmen vorzustellen – sei es in Form von Transformationsprogrammen wie bei E.ON oder
einer eigenständigen Einheit „Group Transformational Change“ bei der Deutsche Telekom AG.
Besonderes Augenmerk galt den interkulturellen und neuen Herausforderungen, auf die sich
Leader in diesen neuartigen und agilen Strukturen einstellen müssen. Beispielhaft beleuchten
wir die kulturellen Unterschiede im asiatischen und europäischen Raum und gehen insbeson
dere auf europäische Unterschiede zwischen Frankreich und Deutschland ein. Dabei ist uns eine
differenzierte Sichtweise wichtig, bei der kulturelle Unterschiede als Stärken und Bereicherung
gesehen werden – fernab von den klassischen Stereotypen. Wie sich die nicht nur aufgrund un
terschiedlicher Nationalitäten geschaffene Vielfalt nutzen und steuern lässt, zeigen wir anhand
des Diversity Managements der Otto Group auf. Um kulturelle Veränderungen und Transforma
tionserfordernisse sichtbar zu machen, stellen wir die bewährte Methode „Organizational Energy“
vor, die toxische und korrosive Entwicklungen im Unternehmen visibel macht.
Begleiten Sie uns auf einer gemeinsamen „Transformation Journey“ rund um Global Leadership,
Cultural Change und Transformation Best Practice! Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre
und viel Erfolg bei der erfolgreichen Anwendung.
Ihr
Marc Wagner
Partner
Global Lead Transformation, People Management & Integral Business
Transformation &
People Management
4. 2 Detecon Management Report blue • 2014
Inhalt
Herausgeber:
Detecon International GmbH
Sternengasse 14-16
50676 Köln
www.detecon.com
DMR@detecon.com
Aufsichtsrat:
Klaus Werner (Vorsitz)
Geschäftsführung:
Francis Deprez (Vorsitz)
Dr. Jens Nebendahl
Handelsregister:
Amtsgericht Köln HRB 76144
Sitz der Gesellschaft: Köln
Druck:
Kristandt GmbH&Co.KG
Frankfurt/Main
Fotos:
Fotolia
iStockphoto
Impressum:
Leadership im 21. Jahrhundert
Wie gehen Führungskräfte die neuen
Anforderungen an? 4
Shared Leadership
Brauchen wir ein neues Führungsparadigma? 6
Interview mit Dr. Fanchen Meng, Partner, Heidrick & Struggles
Über die Wichtigkeit von interkultureller
Kompetenz im Kontext von Global Leadership 8
Interview mit Georg Habenicht, Vice President Procurement Academy,
Culture and Change, BuyIn
„Wir haben kein Paris in Deutschland“ 14
Smart Working@Detecon
Warum hängt ein Boxsack in der Kaffeelonge? 18
Transformationskultur
Auf dem Weg zu einem innovativen
und agilen Unternehmen 22
Interview mit Reza Moussavian, Vice President Group Transformational Change,
Deutsche Telekom AG
„Unser Ansatz ist der der Selbstbefähigung“ 24
Intrapreneurship
Innovation als zentraler Bestandteil
der Unternehmenskultur 30
Interview mit Michael Kamsteeg, Leiter des „E.ON 2.0“
Kostensenkungs- und Restrukturierungsprogramms
Ein nachhaltiges Transformationsprogramm
stärkt die Wettbewerbsfähigkeit 32
5. 3 Detecon Management Report blue • 2014
Interview mit Volker-Gerd Westphal und Thorsten Scharf,
Ministerium des Innern des Landes Brandenburg
Restrukturierung und Transformation im
Öffentlichen Sektor: Herausforderungen, Potenziale
und Trends der Verwaltungsmodernisierung 36
Pro-bono-Projekt Geekettes
Boost Female Tech Community! 40
Interview mit Dr. Leena Pundt, Otto Group
Diversity Management als Katalysator
für wirtschaftlichen Erfolg 42
Leadership im Wandel
Geld ist nicht alles – drei Thesen zum Thema
Führung der Generation Y 48
Sustainability Performance Management
Integration und Steuerung von Nachhaltigkeit
im Unternehmenskontext 54
Transformation Journey
Über den Paradigmenwechsel in der Arbeitswelt und
das Märchen von Wandel und Transformation 56
Organisationale Energie
Die Transformation von Unternehmen aus der
Perspektive „Leadership und menschliche Energie“ 62
Die Autoren 68
6. 4 Detecon Management Report blue • 2014
Leader haben eine tragende Rolle bei Transformationen und der Umsetzung von Unter-
nehmenskulturen. In Interviews mit Vertretern führender DAX-Unternehmen sammelten
wir innovative Beispiele für kulturstärkende Maßnahmen. Der Mitarbeiter und das Team
rücken immer mehr in den Mittelpunkt.
D
Wie gehen Führungskräfte
die neuen Anforderungen an?
ie Erwartungen an Führungskräfte sind heutzutage viel
fältig. Führung kann nicht mehr nur Management bedeuten,
sondern muss in Inspiration und Förderung der Mitarbeiter
münden, sodass auch sie die Zukunft des Unternehmens mit
bestimmen. Ein Leader soll eine Kultur und nicht mehr nur
Geschäftszahlen vermitteln, und dies möglichst im Einklang
mit unterschiedlichen Ansprüchen von fünf unterschiedlichen
Generationen. Eine Führungskraft wird nicht nur auf Prozesse,
strategische Zielsetzung, weitsichtiges Planen und Budgetierung
fokussiert sein, die dafür sorgen, dass ein Unternehmen funktio
niert. Sie muss vielmehr die Mitarbeiter auf eine Vision einstim
men, Unterstützung und Interesse am anderen zeigen, motivie
ren, Sinn stiften, Teams und Koalitionen bilden, Vertrauen und
Einfühlvermögen mitbringen. Die ideale Führungskraft hat in
ihrem Büro – metaphorisch gedacht – zwei Kordeln von der
Decke hängen: eine für Manager- und eine für Leader-Fähigkei
ten. Um das System in Balance zu halten, muss der Führende an
beiden Kordeln ziehen.
Veränderte Teamstrukturen
Laut HR-Experten und Führungskräften verschiedener Unter
nehmen, die wir im letzten Herbst befragt haben, verändern
sich vor allem die Teamstrukturen.* Kaum eine Führungskraft
führt nur einen in sich geschlossenen Bereich. Die Mitarbeiter
sind verteilt, in verschiedenen Räumen, Abteilungen, Bundes
ländern, europa- oder sogar weltweit, das Team wird immer
heterogener. Durch die räumliche Distanz wird häufig nur noch
eine virtuelle Teamführung möglich. Unter diesen Rahmen
bedingungen ist es wichtig, dass die Verantwortungen durch
die Führungskraft eindeutig abgeklärt werden und sie den Blick
für das Ganze entwickelt und den Mitarbeitern genau zuhört.
Sie muss Probleme frühzeitig erkennen und adäquat reagieren
können.
„Eine gute Führungskraft gibt Hinweise, challengt,
lässt zu einem gewissen Grad auch Fehler zu
und toleriert sie, wenn man offen und ehrlich
damit umgeht.“
Vice President Project Controlling, DAX 30 Konzern
Voraussetzung dafür ist auch eine geeignete Fehlerkultur. Darf
man Konflikte offen ansprechen? Wie werden Konflikte gelöst?
Um Abstand zu gewinnen, raten die meisten HR-Experten zu
Off-Site Meetings. Für eine offene Konfliktklärung können die
räumlichen Gegebenheiten manchmal den entscheidenden Un
terschied machen. Das gleiche gilt für Teamevents. Außerhalb
des Unternehmenskontexts kann ein Team auf eine ganz andere
Art zusammen wachsen.
Durch den permanenten Wandel müssen vor allem Phasen
überbrückt werden, in denen das Team nicht genau weiß, wo es
hingeht und große Unsicherheit herrscht. Es bedarf einer großen
Flexibilität im Denken, sowohl auf Seiten der Mitarbeiter, als
auch bei den Führungskräften. Letztere werden in Zukunft
immer weniger Linienvorgesetzter, sondern immer mehr Pro
jektmanager sein, die auch Macht abgeben können und ihre
Stellung nicht mehr als Statussymbol interpretieren.
Leader sind die treibenden Kräfte von Transformationen
Transformationen sind nicht einfach durchzusetzen. Sie
brauchen einen Leader, der die Notwendigkeit und Relevanz
eines Wandels konstatiert. Um den Transformationsprozess
dann voranzubringen, benötigt man neben einem starken
Leadership-Netzwerk und der Würdigung der beteiligten
Personen vor allem eine klare und deutlich kommunizierte
Leadership im 21. Jahrhundert
* Aus datenschutzrechtlichen Gründen können die Ergebnisse nur anonym
dargestellt werden.
7. 5 Detecon Management Report blue • 2014
Vision, damit die Mitarbeiter die genaue Richtung des Unter
nehmens sehen und vor allem verstehen. Auch hier muss der
Leader wieder als Rollenmodell fungieren, sodass er eine höhere
Akzeptanz gegenüber Veränderungen und Reorganisationen auf
Seiten der Mitarbeiter erzielt. Schließlich kann nur anhand der
Führung und deren Vorleben die Transformation in der Unter
nehmenskultur verankert werden.
Relevanz der Unternehmenskultur und die Schlüsselrolle des
Leaders
Unternehmenskulturen können, wenn sie richtig definiert wer
den, sowohl Wandel als auch Transformationen erleichtern. Der
Leader hat dabei eine Rolle von entscheidender Bedeutung,
indem er als Multiplikator einer zu lebenden Unternehmens
kultur fungiert. Er kann dabei unterstützen, neue Ansätze,
Werte, Überzeugungen in einer Kultur zu festigen, eine Vision
entwickeln und kommunizieren, sodass Hindernisse einfacher
aus dem Weg geräumt und Ziele schneller geplant und erreicht
werden können. Als Kern der Unternehmenskultur kann er sie
auf eine ganz bestimmte Art und Weise prägen, wie es die Mit
arbeiter alleine nicht schaffen würden.
Auf Worte Taten folgen lassen
Fast jedes Unternehmens hat heutzutage Guiding Principles,
auch zum Thema Führung. Feierlich und stolz werden sie prä
sentiert, bei der Umsetzung hapert es jedoch oft. Damit alle
hinter den Leitsätzen stehen, sollten sie möglichst von Vertre
tern aller Beteiligten erarbeitet werden. Die Definition einer
guten Führung sollte nicht nur Top-down, sondern genauso
Bottom-up erfolgen. Zudem ist das tatsächliche Leben solcher
Vorsätze unabdinglich. Und Führungskräfte sind diejenigen, die
mit gutem Beispiel voran gehen, „Fackelträger“ sind und nicht
nur mit Worten, sondern auch mit darauffolgenden Taten kom
munizieren.
„Ein Beispiel zu geben ist nicht die
wichtigste Art, wie man andere beeinflusst.
Es ist die einzige.“
Albert Schweizer
Der Leader muss die Mitarbeiter ins Zentrum rücken
Durch die Interviews mit unseren Partnern aus verschiedenen
Unternehmen konnten wir innovative Beispiele für kultur
stärkende Maßnahmen sammeln. Es wird deutlich, dass die Mit
arbeiter dort immer mehr in den Mittelpunkt gestellt werden.
Führungskräftetrainings sind prinzipiell nichts neues, aber der
Nutzen davon scheint doch um einiges höher, wenn Leader und
ihre Mitarbeiter ein Führungskräftetraining zusammen durch
laufen. Führung ohne Mitarbeiter ist nicht möglich, allerdings
werden sie erstaunlicherweise viel zu wenig eingebunden. Eine
Führungskraft sollte nicht versuchen, der oder die Beste zu sein,
sondern zum Ziel haben, das Beste aus anderen zu machen.
Darüber hinaus sollte man sich viel mehr auf die Stärkung der
Stärken und nicht auf die Stärkung von Schwächen fokussieren.
Unternehmensleitlinien können nicht nur eine Guidance für
das gesamte Unternehmen sein, sie können auch als Messfaktor
fungieren. Die Zahlung von variablen Gehaltsfaktoren können
davon abhängig gemacht werden, inwieweit eine Führungskraft
die Werte des Unternehmens einhält.
Feedback ernst nehmen
Zudem sollten auch die Mitarbeiter die Chance bekommen,
ihren Führungskräften ein Feedback darüber zu geben, wie
zufrieden oder gefördert sie sich fühlen. Stellt ein von den
Mitarbeitern demokratisch gewählter CEO das Leitbild für die
Zukunft dar?
Wie relevant ein regelmäßiger Austausch mit den Mitarbeitern
ist, hat der Vorstandsvorsitzende eines DAX-Unternehmen be
sonders erkannt. Er hält regelmäßige Frühstücksrunden mit
ausgewählten Mitarbeitern aus allen Ebenen und fragt ganz
konkret: „Was nervt euch? Was können wir verbessern?“ Eine
Führungskraft muss dann allerdings auch mit den Antworten
der Mitarbeiter umgehen können, diese zunächst aushalten und
dann eindeutig umsetzen.
Auch die Reduzierung von Hierarchien kann hilfreich sein.
Intern werden alle akademischen Titel abgeschafft, man ist auf
allen Mitarbeiter- und Führungsebenen „per Du“. Auf diese
Weise werden die Rangfolge fokussierende Gedanken und damit
verbundene, nicht zu unterschätzende Hindernisse abgebaut.
Insgesamt sind die Anforderungen an Leader im 21.Jahrhun
dert äußerst vielfältig. Um diese zu bewältigen, müssen Füh
rungskräfte die Mitarbeiter – nicht sich selbst! – in den Fokus
rücken, eine geeignete Kultur vermitteln. Und diese vor allem
(vor)leben, indem sie stets als Beispiel fungieren.
8. 6 Detecon Management Report blue • 2014
Kurze Produktlebenszyklen, komplexe
Märkte und eine sinkende Halbwert
zeit von Wissen erfordern nicht nur
eine Transformation der altbekannten
Arbeitsumgebung. Damit verbunden
ist vielmehr auch eine Neuinterpreta
tion von Führungsaufgaben und ein
modernes Rollenverständnis. Dies zieht
ein Umdenken in der Arbeitskultur
nach sich, vor allem aber eine Verän
derung des traditionellen, vertikalen
Führungsstils.
Shared Leadership
Brauchen wir ein
neues Führungsparadigma?
9. 7 Detecon Management Report blue • 2014
in neuer Trend im Thema Führungsverantwortung ist
„Shared Leadership“, die Aufteilung von Führungspositionen
(Co-Leadership) auf eine Gruppe oder einzelne Teammitglieder.
Vorreiter wie Pearce und Conger sehen als Hauptanwendungs
gründe die Befähigung der Führungskräfte, sich auf ihre indi
viduellen Kompetenzen zu konzentrieren, Entscheidungswege
kurz und damit Hierarchien flach zu halten. Die Erweiterung
des Aufgaben- und Verantwortungsspektrums von Mitarbei
tern ermöglicht mehr Freiraum bei der Umsetzung. Besonders
die Übertragung von Führungsaufgaben an Mitarbeiter mit
Kundennähe unterstützt langfristig die Wettbewerbsfähigkeit
von Unternehmen. [Marshall Goldsmith: http://blogs.hbr.
org/2010/05/sharing-leadership-to-maximize/] So können
Organisationen von einem „Diversity of Thought“-Ansatz zur
Hebung von Synergien und der Stärkung unternehmerischer
Energie profitieren. [Science Journal of Psychology, Is Shared
Leadership the New Way of Management?, Page 3.] Erste
Studien lassen vermuten, dass Shared-Leadership-Ansätze eben
falls einen größeren Einfluss auf Team Performance und Pro
duktivität haben als vertikale Führungsstile. [Pearce and Sims,
2002; Pearce et al, 2004; Ensley, Hmieleski, & Pearce, 2006]
Demgegenüber steht eine vielschichtige hierarchische Organisa
tionsstruktur, in der Top-down-Regelungen nicht ausreichend
mit Führungskräften und Mitarbeitern abgestimmt sind und
daher praxisfern bleiben können.
Jedoch kann die Einführung eines Shared-Leadership-Modells
auch Herausforderungen für ein Unternehmen inhärent haben.
Ein möglicher Abfluss von Know-how bei der Übertragung von
Führungsverantwortung und eine Vernachlässigung des ope
rativen Geschäfts sind risikoreich. Ergänzend können poten
zielle Interessenskonflikte oder interne Machtkämpfe Entschei
dungen verzögern oder den Fokus von der externen Marktsicht
auf eine rein interne Sichtweise verlegen.
Das Für und Wider von Shared Leadership muss im Einklang
mit der Unternehmenskultur und den Unternehmenswerten
stehen. Es stellt kein starres Vorgehensmodell dar, sondern be
darf einer Anpassung an gegebene Organisationsstrukturen,
Aufgaben und Erfahrungen. [http://www.huffingtonpost.de/
alexandra-hildebrandt/shared-leadership-die-zuk_b_4803248.
html] Wichtig sind in diesem Zusammenhang ein gemein
E schaftliches Verständnis von Zielen und eine vertrauensbasierte
Zusammenarbeit. Marshall Goldsmith, einer der weltweit
führenden Management Coaches und Autoren, führt im
Harvard Business Review [Marshall Goldsmith: http://blogs.
hbr.org/2010/05/sharing-leadership-to-maximize/] folgende
Faktoren an, die es bei der Einführung von Shared Leadership
außerdem zu beachten gilt:
> Übertragung der Führungskompetenz an die höchst-
qualifizierten Teammitglieder zur Stärkung ihrer
Fähigkeiten
> Genaue Abgrenzung der Entscheidungsbefugnis
> Förderung einer Kultur von Freiraum, um die Initiative
zu ergreifen
> Übertragung von Ermessensfreiheit und Autonomie an
qualifizierte Mitarbeiter bezüglich ihrer Aufgaben und
Ressourcen
> Kein Hinterfragen getroffener Entscheidungen
> Betrachtung des Einzelnen als Ressource denn als Manager
> Aufsetzen von Follow-up Meetings zur Überprüfung des
Fortschritts und der eventuellen Einleitung von
Korrekturmaßnahmen
Shared Leadership ist Teil eines modernen Führungsverständ
nisses, welches Führung zunehmend als Teamaufgabe betrach
tet anstatt als Individualleistung. Mitarbeiter sind somit nicht
bloße Empfänger von Anweisungen, sondern werden mit Füh
rungskompetenzen ausgestattet und zu Mit-Unternehmern
weiterentwickelt, zur bestmöglichen Nutzung von vorhan
denem Wissen und Fähigkeiten. [http://www.springerpro
fessional.de/mit-shared-leadership-besser-fuehren/4921152.
html#] In diesem Change- und Transformationsprozess von
Zusammenarbeit ist eine klare Definition und Einhaltung von
Aufgaben, Spielregeln und Machtbefugnissen essenziell. Im Ge
gensatz zum traditionellen, vertikalen Linienmanagement bietet
Shared Leadership entscheidende Vorteile bezüglich Komplexi
tätsbewältigung, Talentförderung und Produktivitätssteigerung.
In der Praxis ist jedoch oft eine Kombination beider Führungs
ansätze innerhalb eines Unternehmens, zum Beispiel auf unter
schiedlichen Führungsebenen, sinnvoll und notwendig. [http://
www.wb.besser-entscheiden.org/wp-content/downloads/ent
scheiden_im_wechselspiel_profile21.pdf]
10. 8 Detecon Management Report blue • 2014
Über die Wichtigkeit von
interkultureller Kompetenz
im Kontext von Global Leadership
Interview mit Dr. Fanchen Meng, Partner, Heidrick & Struggles
11. 9 Detecon Management Report blue • 2014
Das zweite Merkmal ist die sogenannte Self-Leadership, die
optimale Fähigkeit, sich an unterschiedliche Umfeldbedin
gungen flexibel anpassen zu können. Dort gibt es wiederum drei
wesentliche Elemente: die Adaptionsfähigkeit, sich auf ein neues
Umfeld sowohl intern als auch extern, auch auf unterschiedliche
Kulturen, einzustellen; die emotionale Fähigkeit, die vor allem
in einem global agierenden Unternehmen von Relevanz ist, um
in der Lage zu sein, die emotionale Stimmung jederzeit anzu
passen oder umstellen zu können, und die Fähigkeit des Self-
Development, die eigene Entwicklung, die ganz wesentlich ist
in einem sich so schnell ändernden Umfeld, mit dem wir jeden
Tag konfrontiert sind.
Das dritte Merkmal ist die sehr relevante interkulturelle
Fähigkeit, wofür Heidrick & Struggles beispielsweise ein eigenes
Kompetenzcenter „China Desk“ in Europa einrichtet hat. Da
Unternehmen zunehmend global agieren und auch Investitionen
im globalen Umfeld erfolgen, ist dies aus meiner Sicht eines der
wichtigsten Merkmale. Wenn man in Paris in einem franzö
sischen Unternehmen tätig ist, muss man genau verstehen, was
ein chinesischer oder ein russischer Investor für Möglichkeiten
bringt. Das stellt natürlich völlig andere Herausforderungen an
die Führungspersönlichkeiten an der Spitze.
MR: Vielen Dank für die Möglichkeit, auf Ihr umfassendes
Erfahrungswissen im Kontext von „Global Leadership“ zurückgrei-
fen zu können – uns interessiert insbesondere Ihr tiefer Einblick in
die asiatische und europäische Kultur. Lassen Sie uns aber mit dem
Thema „Leadership“ allgemein starten.Was zeichnet aus Ihrer Sicht
eine gute Führungskraft im 21. Jahrhundert aus? Und was sind
typische Merkmale?
F. Meng: Aus meiner Sicht zeichnet eine „gute Führungskraft“
insbesondere drei Merkmale aus: Erstens eine umfassende Lern
fähigkeit, die sogenannte „learning agility“. Eine Führungs
kraft muss den komplexen, globalen Kontext verstehen und
über entsprechende „Best Practice“-Sichtweisen verfügen. Für
mich sind vier Best-Practice-Kategorien zu unterscheiden: die
interne unternehmerische Best Practice, die branchenbezogene
Best Practice, also beispielsweise innerhalb einer Industrie zu
beobachten, was Wettbewerber besser machen als wir, dann die
übergreifende Best Practice und schließlich die sehr wichtige
antizipierte, zukünftige Best Practice. Dazu kommt natürlich
noch die Kundenorientierung, das klare Verständnis der inter
nen Stärken und Schwächen und das Wissen darüber, was in
welcher Weise dazu beiträgt.
D
Führungskräfte in global ausgerichteten Unternehmen
profitieren von einem internationalen Werdegang.
Doch auch die Firmen selbst können zum
Kompetenzgewinn von Einzelnen und dem ganzen
Team beitragen. Einblicke in das Thema Global
Leadership gibt Dr. Fanchen Meng, Partner bei
Heidrick & Struggles.
12. 10 Detecon Management Report blue • 2014
Dr. Fanchen Meng ist Partner bei
Heidrick & Struggles in Paris, eine
der führenden Executive Search und
Leadership Consulting Companies.
Nach 13 Jahren Beratungserfahrung
bei A.T. Kearney war Dr. Meng
Senior Vice President bei Siemens
und in der Region Ost/China für
50 Firmen mit 30.000 Mitarbeitern
verantwortlich. Zudem war er
Group VP und Head of Strategy
Asia bei der Lafarge Group.
13. 11 Detecon Management Report blue • 2014
DMR: Das Thema interkulturelle Kompetenz ist sehr spannend
und eine neue Herausforderung des 21. Jahrhundert, da nun eine
wirklich globalisierte Welt und global agierende Unternehmen
existieren. Wie kann ich mir interkulturelle Kompetenz aneignen?
F. Meng: Ich selbst war ein Absolvent von einer chinesischen
Top-Universität. Dann bin ich nach Deutschland gekommen,
habe dort mein Diplom und meinen Doktor an einer renom
mierten Universität gemacht und danach jahrzehntelang in
Deutschland in einem internationalen Umfeld gearbeitet, in
meinem Fall in einer amerikanischen Firma. Von dieser wurde
ich dann nach China zurückgeschickt, um die Niederlassungen
von dieser Firma in China vor Ort zu leiten. Dort sollte ich
aber nicht nur mit lokalen Klienten zusammenarbeiten, son
dern auch internationale Kunden mit meinen internationalen
Erfahrungen bedienen. Personen mit einem solchen Werde
gang werden immer typischer, vor allem in weltweit agierenden
Firmen. Der wesentliche Punkt ist, dass man systematisch von
der Unternehmens- und Führungsperspektive die Personen,
die einen internationalen Werdegang haben, fördert, und die
Personen, die nicht während des Studiums internationale Erfah
rung gesammelt haben, internationale Fähigkeiten systematisch
aufbauen lässt. All das muss in die beruflichen Entwicklungen
eingebaut werden. Das ist die Herausforderung, vor der eine
Führungskraft in weltweit agierenden Unternehmen steht.
DMR: Das stellt den Link zum Thema Talentmanagement und
Entwicklung von Führungskräften her, es müssen de-facto interna-
tionale Karrieren mehr gefördert werden. Allerdings machen wir
häufig die Erfahrung, dass Mitarbeiter ins Ausland gehen und dort
durchaus sehr gute Positionen bekleiden. Wenn sie zurückkommen,
ist für sie aber keine Position mehr vorgesehen. Das heißt, dass das
Programm nicht systematisch ist. Die Personen landen zurück in
Deutschland erst einmal in irgendwelchen Projektstellen und kön-
nen nicht den nächsten Karriereschritt machen.
F. Meng: Dieses Phänomen beobachte ich zurzeit auch sehr
häufig in Frankreich. Ich finde es sehr bedauerlich, dass sehr
viele Top-Management-Talente, wenn sie aus Asien zurück
kehren, trotz vieler internationalen Fähigkeiten ihre Karriere
nicht systematisch fortsetzen können und damit auch nicht
den gewünschten Beitrag zur Steigerung des Wachstums, des
Shareholder Value und der Beschäftigung leisten können. Das
sind typische Opportunitätskosten, die sich Unternehmen mer
ken sollten. Das unterscheidet für mich gutes von schlechtem
Management.
DMR: Globalisierung und internationaler Hintergrund in den
Führungsstrukturen und in der Führungskräfteentwicklung zu ver-
ankern, ist ein sehr großer Erfolgsfaktor, wenn man sich als global
agierendes Unternehmen noch behaupten will. Was sind aus Ihrer
persönlichen Sicht, aus den zahlreichen Erfahrungen, die Sie ge-
sammelt haben, die häufigsten Fehler, die im internationalen Kon-
text durch Führungskräfte gemacht werden?
F. Meng: Ein großer Fehler ist, beim Thema Führung primär
das Individuum und nicht die Teamstruktur und das entspre
chend interkulturelle Umfeld, in dem sich eine Führungskraft
bewegen muss, zu berücksichtigen. Hier gibt es insbesondere
in Bezug auf die Einhaltung von Corporate Governance und
Compliance-Vorgaben eine Vielzahl von Negativbeispielen.
Zum Beispiel tappen Top-Führungskräfte aus Entwicklungs
ländern hier in „Compliance-Fallen“, da sie nicht systematisch
in die entsprechenden Gepflogenheiten sowie Strukturen ein
geführt und nicht Bestandteil eines Teams wurden, sondern als
„Einzelkämpfer“ agiert haben. Ähnliche vermeidbare Fehltritte
habe ich auch häufig bei den europäischen Leistungträgern im
asiatischen Umfeld erlebt.
Führung muss im Team und unter Berücksichtigung des jewei
ligen kulturellen Umfelds erfolgen – nur so kann auf der einen
Seite die Entfaltung des Talents ermöglicht, aber auch Fehlent
scheidungen vorgebeugt werden.
DMR: Team und Teamfähigkeit sind ein wichtiger Punkt. Was ist
die Herausforderung bei der Führung von Teams im internationa-
len Kontext? Und was sind die Hauptfaktoren, um High-perfor-
ming Teams zu bilden?
F. Meng: Für mich sind in diesem Zusammenhang zwei
Fähigkeiten notwendig: Erstens muss eine Führungskraft
implizit verstehen, wie sie die unterschiedlichen Personen
und unterschiedlichen Arbeitsweisen, geprägt durch die kul
turellen Unterschiede, zu managen und mit ihnen umzu
gehen hat. Zweitens ist für mich absolut wichtig, dass eine
Führungskraft,entsprechend der jeweiligen Geschäftssituation
die Voraussetzungen im Sinne der Umfeldbedingungen für
High-performing Teams schafft, beispielsweise durch entspre
chend flexible Anreizsysteme. Das ist leicht gesagt, aber häufig
sehr schwer umzusetzen.
Ich denke beispielsweise an meinen Wechsel von A.T. Kearney
zu Siemens. Siemens hat mich mit einem Team von fünf Leuten
von A.T. Kearney abgeworben. Die Schwierigkeit war damals,
dieses kleine Team in das große Team von Siemens zu integrie
ren. Das ist meinem damaligen Vorgesetzten sehr gut gelungen.
Man muss nicht nur das Thema des kulturellen Backgrounds
bedienen, sondern auch die Einbettung in die Unternehmens
kulturen und Unternehmensprozesse.
14. Global
Lead
12 Detecon Management Report blue • 2014
DMR: Wir haben ebenfalls schon häufiger die Erfahrung gemacht,
dass es noch nicht einmal die kulturellen Hintergründe sind, die
die größten Hindernisse darstellen, sondern vielmehr die unter-
nehmenskulturellen Hintergründe. Sie waren und sind in einer
Vielzahl von Ländern geschäftlich aktiv, vor allem in Deutschland,
China und Frankreich. Welche Unterschiede sehen Sie zwischen
diesen drei Kulturkreisen?
F. Meng: Das ist eine sehr komplexe Frage. Die französische
Führungskultur ist sehr elitär. Elitär bedeutet, dass die Per
sonen, die wirklich an die Spitzen gelangen, bestimmte Grandes
Ecoles [Hochschulen] besucht haben und somit die entspre
chenden akademischen Laufbahnen nachweisen können. Oft
haben solche Personen auch in der Regierung in bestimmten
Positionen gearbeitet, um von da aus in die Wirtschaft zu wech
seln. Es sind sehr selten Personen, die aus „normalen“ Verhält
nissen stammen, eine normale Universität besucht und sich
dann hochgearbeitet haben. Das sind in Frankreich nur Aus
nahmeerscheinungen. In Deutschland habe ich die Erfahrung
gemacht, dass eine Top-Führungskraft normalerweise zwanzig
bis dreißig Jahre Berufserfahrung nachweisen kann und sich
häufig auf bestimmte Fachbereiche spezialisiert hat. In Deutsch
land erscheint es mir weniger elitär. Wenn die Franzosen und
die Deutschen ein Joint Venture unternehmen, so könnten nach
fünf Jahren die Führungskräfte alle Französisch und die Fach
kräfte alle deutsch werden. Das ist ein typisches Phänomen, das
man häufiger beobachten kann.
DMR: Also würden Sie sagen, dass eine Karriere wie die von René
Obermann, der sein Studium abgebrochen und sich selbstständig
gemacht hat, danach bei der Deutschen Telekom eingestiegen ist
und dort CEO wurde, in Frankreich gar nicht möglich ist, weil
man sich nicht in den elitären Kreisen bewegt?
F. Meng: Genau. Wobei, möglich ist das schon, Ausnahmen be
stätigen ja immer die Regel, aber das ist sehr selten. Wenn wir
nun zuletzt die chinesische Führungskultur betrachten, kann
man beobachten, dass sie, genauso wie es in der Anfangszeit
der Industrialisierung in Amerika und Europa war, noch von
der Founding Generation geprägt ist. Die Top-Führungskräfte
in China kann man deswegen zwei Kategorien zuordnen. Die
erste Kategorie umfasst die „self-made“ Unternehmertypen, also
den „self-made man“, der durch bestimmte unternehmerische
Befähigungen und das Ergreifen von Chancen super erfolgreich
geworden ist.
DMR: Es ist oft zu lesen, dass solche Personen häufig Partei
hintergründe haben, wenig ausgebildet sind und vom Land stam-
men?
F. Meng: Nein, das ist eine verzerrte Wahrnehmung. So sind
sie häufig staatliche Angestellte gewesen oder gehören durch
ihren familiären Hintergrund zur Elite. Der propagierte Ame
rican Dream der USA ist in China ebenfalls kaum zu leben.
Die zweite Kategorie, denen die Top-Führungskräfte in China
zugeordnet werden können, sind die Beamten, die Staatsunter
nehmen verwalten und im Laufe ihrer Karriere ihre Manage
mentkompetenzen unter Beweis gestellt haben. Sie legen sehr
viel Wert auf das Spezialistentum und entsprechende Qualifi
kationen. Das sind die zwei Typen, denen man in China häu
fig begegnet. Vom Hintergrund her kann das natürlich anders
erscheinen als das, was man von deutschen oder französischen
Führungskräften kennt. Allerdings kann man die Mentalität der
Menschen, die dort erfolgreich sind, und die damit verbundene
Bescheidenheit auch mit der deutschen Gründerzeitgeneration
vergleichen.
DMR: Sie sind also der Meinung, dass das Verhalten und die Tu-
genden weniger kulturell bedingt sind, sondern vielmehr aus der
Phase oder der Epoche resultieren, in der sich ein Wirtschaftssystem
befindet?
F. Meng: Ja, genau.
DMR: Spannend wäre es zu sehen, wie sich die nächste Genera
tion, die Kinder dieser Gründungsgeneration, entwickeln. Wird sie
ein ähnliches Verhalten an den Tag legen, wie wir das in der west-
lichen Welt erleben, oder wird es anders sein, weil der kulturelle
Hintergrund einen anderen Einfluss nimmt?
F. Meng: Man muss ganz nüchtern sagen, dass das Meistern der
weiteren Entwicklungen durch die geschäftliche und politische
Elite eine größere Herausforderung für die Gesellschaft dar
stellt, als es damals in Deutschland der Fall war. Warum? Weil
China und die chinesischen Unternehmen in Wettbewerb mit
Unternehmen aus der westlichen Welt stehen, die im Prinzip
schon einen über einhundert Jahre andauernden Reifeprozess
hinter sich haben. Für mich laufen zurzeit zwei Trends auf ei
nander zu: Zum einen dringen die chinesischen Unternehmen
immer mehr in die westliche Welt vor, mit entsprechenden
Konsequenzen für die Führungsebenen. Darauf müssen sich die
westlichen Firmen vorbereiten, indem sie zum Beispiel lernen,
mit ihnen Partnerschaften einzugehen. Zum anderen tun sich
westliche Unternehmen immer noch schwer damit, die asia
tischen Wachstumsmöglichkeiten für sich auszuschöpfen. Der
asiatische Wachstumsmarkt unterscheidet sich von anderen
Wachstumsmärkten wie dem in Afrika oder im Nahen Osten,
aber auch von den historischen Märkten in Europa grundsätz
lich in zwei Merkmalen: Erstens haben die Asiaten selbst ein
großes Unternehmertum, das heißt es gibt und gab schon im
15. dership
13 Detecon Management Report blue • 2014
mer sehr viele Unternehmer im Laufe der Geschichte. Zweitens
sind die Asiaten sehr sparsam, vor allem die Japaner, weswe
gen es genügend Kapital gibt. Wenn europäische Unternehmen
im asiatischen Umfeld wachsen wollen, ist die nächste Stufe,
dass sie sich mehr und mehr auf das lokale Kapital mit dem
lokalen Unternehmer einlassen. Das sind die beiden Trends, die
die zukünftigen Erfolge von europäischen Firmen entscheiden
werden. Ein Erfolgsbeispiel ist das französische Tourismus-
Unternehmen Club Med. Sie haben es geschafft, ihren größ
ten deutschen Konkurrenten TUI abzuhängen, nachdem der
chinesische Großkonzern Fosun in sie investiert hat. Das ist
das Thema, welches die europäischen Firmen in den nächsten
Jahrzehnten sehr stark beschäftigen wird, und in dem sich die
Gewinner von den Verlierern unterscheiden werden.
DMR: Das kann auch als eine große Bedrohung erscheinen. Ihre
These ist, dass Asiaten kein Kapital benötigen, da sie selbst welches
haben, ebenso wie den Entrepreneur Spirit und das Know-how. Der
Bildungsstand beziehungsweise die Anzahl der Absolventen, gerade
in China, ist im letzten Jahrzehnt sehr stark gestiegen, in gleicher
Weise wie die Qualität der Ausbildung. Da muss sich ein Europäer
nun die Frage stellen, welchen USP er gegenüber einem Asiaten
mitbringen kann. Defacto ist dieser kaum mehr vorhanden. Der
zukünftige Trend wird dann wohl eher so sein, wie Sie es beschrie-
ben haben: Asiaten nutzen ihr Kapital, um sich in europäischen
Konzernen einzukaufen und so die europäischen Märkte mitzu-
gestalten.
F. Meng: Es ist allerdings nicht nur eine Bedrohung. Auf der asi
atischen Seite finden wir Low Cost Manufacturing und Kapital
verfügbarkeit, auf der europäischen Seite haben wir bedeutende
Brands und hohe Qualität. Wenn man dies kombiniert, kön
nen neue Märkte erschlossen werden. Das sieht man sehr gut
an dem Best-Practice-Beispiel von Club Med. Club Med stand
kurz vor dem Bankrott. Mit dem Einstieg des chinesischen In
vestors hatten sie plötzlich das Kapital, um auch auf den asia
tischen Märkten zu wachsen, vor allem in China. Sie brauchen
dort keinen Cash-Flow mehr, sondern können nun ein Fran
chise-Modell umsetzen, um zu wachsen. Gleichzeitig kann der
ganze Cash-Flow, den sie haben, in die Erschließung nordame
rikanischer Märkte fließen. Mit Einstieg dieses chinesischen In
vestors haben sie auf einmal ein völlig anderes Geschäftsmodell
bekommen. Und das beschreibt diese Partnerschaft – es ist also
nicht nur eine Bedrohung. Eine Bedrohung existiert nur dann,
wenn die Menschen nicht wissen, wie man die Möglichkeiten
für sich selbst nutzen kann.
DMR: Also dreht sich diese vermeintliche Bedrohung relativ schnell
in eine Win-win-Situation um: Die Asiaten liefern das Kapital,
den Marktzugang und die günstigen Kostenstrukturen. Die euro-
päischen Anbieter liefern die Marke und die Qualität. Das ist vor
allem relevant, wenn eine europäische Markeaus dem Automobil-
sektor oder dem Technologiesektor noch ein anderes Image hat als
eine asiatische.
F. Meng: Ja, auf der europäischen Seite kommt noch der Vorteil
hinzu, dass sie etablierte Managementstrukturen und die lang
jährige Erfahrung mit Managementsystemen haben. Das darf
man nicht unterschätzen. In diesem Punkt können sich die asia
tischen an den europäischen Unternehmen orientieren.
DMR: Da hätten wir dann ja auch wieder den Bogen gespannt
zum Thema interkulturelle Kompetenz. Wenn sich beispielsweise
ein Franzose mit einem Chinesen zusammentut, müssen beide
Manager, beide Managementstrukturen, beide Teamstrukturen
genau diese interkulturelle Kompetenz mitbringen, damit das Joint
Venture oder die Partnerschaft überhaupt erfolgreich ist. Ergo, ohne
funktioniert es nicht mehr.
F. Meng: Exakt.
DMR: Sie haben sich bei Heidricks & Struggles im Rahmen
einer Leadership-Studie intensiv mit dem Themenkomplex Talent
management und Führungskultur in einem Wachstumsszenario be-
schäftigt. Was sind hier die wichtigsten Ergebnisse der Studie?
F. Meng: Es gibt drei wichtige Erkenntnisse aus dieser Studie,
die wir eben auch schon angesprochen haben. Erstens ist es un
heimlich wichtig, sich zu einer Partnerschaft zu vereinigen, wie
man es ja am Beispiel des Club Med gesehen hat. Zweitens muss
die asiatische Kompetenz auf den höchstmöglichen Führungs
ebenen vertreten sein, idealerweise auch in den Aufsichtsräten,
im Vorstand oder in funktionalen Führungsebenen. Drittens
sollte man nicht nur auf individuelle Personen setzen, sondern
die systematische Implementierung von Führungspersonen in
eine Teamstruktur fokussieren, um die individuellen Manager
besser zu befähigen und vor eventuellen Fehltritten zu bewah
ren.
DMR: Also geht der Trend sehr stark weg von der Suche nach dem
idealen Individuum hin zu der Suche nach jemand, der optimal
im Team arbeitet?
F. Meng: Definitv. Das beobachte ich auch in meinem Bereich
immer häufiger.
DMR: Nun sind wir bereits am Ende des Interviews angelangt.
Vielen Dank noch einmal für das spannende Gespräch.
16. 14 Detecon Management Report blue • 2014
Interkulturelle Zusammenarbeit ist für Georg
Habenicht, Vice President Procurement Academy,
Culture and Change bei BuyIn, kein Management-
schlagwort, sondern elementarer Aspekt seines
Arbeitsalltags. Im Procurement Joint Venture der
Konzerne Deutsche Telekom und Orange arbeiten
an zwei Hauptstandtorten, in Bonn und Issy-les-
Moulineux bei Paris, rund 250 Kollegen aus 24
Nationen täglich gemeinsam daran, optimale Ein-
kaufsbedingungen für die beiden Mutterkonzerne
zu erzielen. In diesem Interview berichtet Georg
Habenicht über seine Arbeit sowie die Heraus-
forderungen und Chancen, die sich für BuyIn aus
dem deutsch-französischen Austausch ergeben.
Interview mit Georg Habenicht,
Vice President Procurement Academy,
Culture and Change, BuyIn
„Wir haben kein Paris
in Deutschland“
17. 15 Detecon Management Report blue • 2014
MR: Herr Habenicht, zunächst eine Frage zu Ihrem Aufga-
bengebiet: Sie arbeiten in einem spannenden Umfeld, der „Leader-
ship und Corporate Culture“. Was kann man sich darunter genau
vorstellen?
G. Habenicht: Der Bereich der „Leadership und Corporate
Culture“ umfasst zwei Kernaufgaben: Zum einen kümmern wir
uns um die BuyIn Academy, die für die interne Weiterbildung
verantwortlich ist. Wir organisieren zum Beispiel Trainings zu
Verhandlungsthemen, Strategic Procurement oder interkultu
reller Zusammenarbeit. Zum anderen kümmern wir uns intern
um BuyIns Changemanagement und BuyIns Unternehmens
kultur.
DMR: In einem Unternehmen mit Mitarbeitern aus 24 Nationen
bietet Ihnen insbesondere das zweite Aufgabenfeld wahrscheinlich
viele Chancen, um voneinander zu lernen?
G. Habenicht: Ja, genau. Ein wesentlicher Bestandteil un
seres Geschäftsauftrags besteht darin, die Unternehmenskultur
von BuyIn erfolgreich und konstruktiv zu gestalten und eine
Brücke zwischen den kulturellen Unterschieden zu bauen. Um
voneinander zu lernen und die Stärken der unterschiedlichen
Nationen positiv für BuyIn ausnutzen zu können, bieten wir
für alle neuen Mitarbeiter ein sogenanntes „Bridge Training“
an. Darin fokussieren wir uns auf kulturelle Besonderheiten,
speziell im deutsch-französischen Vergleich. Eine Analyse von
Stereotypen, die natürlich nicht auf alle zutreffen, soll helfen,
die typischen Verhaltensweisen, die fester Bestandteil einer Kul
tur sind, zu identifizieren und angemessen darauf zu reagieren.
Nur, wenn wir die anderen Nationen verstehen lernen, können
wir auch gemeinsam vorwärts gehen.
DMR: Wie können wir uns ein „Bridge Training“ vorstellen?
G. Habenicht: Ein „Bridge Training“ dauert zwei Tage. Es ist
weniger ein standardisierter als vielmehr ein pragmatischer
Workshop, der sich auf die Teilnehmerinnen und Teilnehmer
einlässt und sich an ihren Bedürfnissen und Erfahrungen orien
tiert. Ziel ist es, das kulturelle Verständnis zu stärken und so die
Basis für die Unternehmenskultur BuyIn aufzubauen.
Inhaltlich arbeiten wir mit dem Prinzip der Selbst- und Fremd
wahrnehmung. Diese versuchen wir abzugleichen, um Vertrauen
zu schaffen. In einem weiteren Schritt versuchen wir, den neuen
Mitarbeitern die Unternehmenskultur von BuyIn näher zu
bringen. Bei BuyIn arbeiten wir gemäß dem Prinzip „Avoid the
friendly avoidance“. Das heißt, dass kulturelle Unterschiede
und damit eventuell zusammenhängende Problemstellungen
offen angesprochen und diskutiert werden sollen. Feedback und
transparente Kommunikation sind dafür essenziell.
DMR: Wie verschieden sind die Kulturen denn wirklich?
G. Habenicht: Zu Anfang des Projekts haben wir bei BuyIn
eine Dreistufigkeit der kulturellen Ebenen berücksichtigt: Zu
erst die Ebene BuyIn, dann die Muttergesellschaften Deutsche
Telekom und Orange und zuletzt die Ebene der Nationalitäten.
Ich könnte natürlich sagen: Wir fahren mit dem Auto auf der
selben Seite der Straße und unser Lebensstandard ist ähnlich –
aber in der Tiefe gibt es eben doch verschiedene Nuancen. Und
je näher die Kulturen einander sind, desto wichtiger sind die
kleinen Unterschiede.
Jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter trägt eine komplexe
Geschichte mit sich – und diese Geschichte ist nicht nur die
eigene, sondern auch die tradierte Geschichte. Diese ist zum
einen durch das persönliche Umfeld und zum anderen durch
das Heimatland geprägt. Vor allem reicht diese Geschichte weit
in die Vergangenheit der kulturellen Entwicklung der jeweiligen
Nation zurück. Wenn diese Entwicklungen nicht transparent
gemacht werden, ist es schwierig, eine andere Kultur zu verste
hen.
DMR: Haben Sie konkrete Beispiele?
G. Habenicht: Ja. Wir haben kein Paris in Deutschland – also
einen zentralen Ort des Landes, in dem sich alles abspielt. Die
Franzosen haben uns anfangs oft gefragt: „Wann geht die Deut
sche Telekom denn nach Berlin?“, und wir haben geantwortet:
„Nie“. Denn wir haben mehrere „Paris“ wie Berlin, Frankfurt,
Hamburg und München. Das heißt, wir sind geschichtlich be
dingt viel dezentraler und föderaler aufgestellt als Frankreich,
das eine starke, zentralistische Ausrichtung auf Paris hat. Diese
Unterschiede spiegeln sich beispielsweise in den Entscheidungs
prozessen wider: Deutsche sind sehr konsensorientiert, stimmen
die Themen aus Sicht der Franzosen lange vorher ab, bereiten
Verhandlungen und Gespräche intensiv vor. Deutsche gehen
dabei Schritt für Schritt vor, auf Basis vereinbarter Regeln. Bei
Franzosen hingegen geht es bei Verhandlungen und Terminen
stärker um die Relationship-Ebene. Die Motivation für die Ge
spräche und die Diskussionen verlagern sich in die jeweiligen
Meetings- und Verhandlungssituationen.
Ein weiterer wesentlicher Unterschied ist das Problemmanage
ment. Bei Deutschen zählen das Fachwissen, die Expertise und
der Prozess. Die Aufgabe steht im Mittelpunkt. Bei Franzosen
zählt der Mensch, das Generelle und das Umfeld – und nicht
das Prozesshafte.
Beim Kommunikationsstil unterscheiden sich beide Kulturen
ebenfalls deutlich: Während die Deutschen eine sehr präzise, ex
plizite Kommunikation pflegen, kommunizieren die Franzosen
D
18. 16 Detecon Management Report blue • 2014
Georg Habenicht ist studierter Architekt mit
einem Master of Environmental Planning.
Aktuell ist er als Vice President Procurement
Academy, Culture and Change für unter
schiedliche Initiativen im Kontext Corporate
Culture, Change Management und Weiter
bildung bei BuyIn verantwortlich. Er hat die
Transformation der Deutschen Telekom seit
über 29 Jahren in unterschiedlichen Leitungs
funktionen innerhalb des Konzerns Deutsche
Telekom begleitet – mit starkem Bezug zu
People Management Themen.
BuyIn ist das 50/50 Procurement Joint
Venture zwischen Deutscher Telekom und
Orange. Das 2011 gegründete Unternehmen
ist hauptsächlich in drei Bereichen tätig:
Network, Customer Equipment und Service
Platforms. Der Hauptsitz des Unterneh
mens befindet sich in Brüssel, die Mehrzahl
der rund 250 Mitarbeiter ist an den Haupt
standorten Bonn und Paris beschäftigt. Das
Joint Venture wird von Volker Pyrtek, Chief
Procurement Officer von BuyIn, geführt.
19. 17 Detecon Management Report blue • 2014
eher implizit und spielerisch. Aber natürlich spreche ich hier
stark in Stereotypen. In der Wirklichkeit sind die Grenzen nicht
ganz so hart ausgeprägt. Die Tendenz stimmt trotzdem.
DMR: Was machen Sie bei BuyIn, damit die Kulturen effizient
und mit positiver Einstellung unter einem Dach zusammenarbei-
ten?
G. Habenicht: Ein ganz wichtiger, wenn auch scheinbar banaler
Bestandteil waren von Anfang an klare Regeln wie die Meeting-
Rules. Diese zehn Regeln sind eine Mischung aus den Gewohn
heiten der Deutschen und der Franzosen. Eine Regel heißt zum
Beispiel „We arrive in time to greet our colleagues before star
ting“ und kombiniert die Pünktlichkeit der Deutschen mit der
Aufwärmphase der Franzosen. Letztere wollen zu Beginn des
Meetings noch nicht gleich über die Inhalte sprechen, sondern
suchen zunächst das persönliche Gespräch mit den Kollegen.
DMR: Gibt es ein Evaluierungstool, um immer wieder nachzuspü-
ren, wo die Mitarbeiter gerade stehen, wenn es um die Unterneh-
menskultur geht?
G. Habenicht: Unser Bereich verantwortet ebenfalls den The
menkomplex „Mitarbeiter- und Kundenbefragung“, der dafür
ein gutes Tool ist. Die Mitarbeiterbefragung „Mood Indicator“
umfasst 21 Fragen zur Mitarbeiterzufriedenheit sowie drei zu
sätzliche Fragen zur internen Kundenzufriedenheit. Der Mood
Indicator wird zweimal pro Jahr durchgeführt. Die Fragen zur
Mitarbeiterzufriedenheit beziehen sich auf die Strategie, das
Mitarbeiterengagement, die Führung, Prozesse und die Integra
tion, da dieser Aspekt wesentlich für den Erfolg von BuyIn ist.
So hilft uns der Mood Indicator, Verbesserungen anzustoßen
und Stärken zu identifizieren – auch in Bezug auf eine offenere
Unternehmenskultur: “I experience the communication within
BuyIn as open and respectful”. Dies trägt stark zur Transparenz
und zum Erfolg im Unternehmen bei.
DMR: Was bedeutet „Corporate Culture“ im Rahmen von BuyIn
und wie ist dies letztlich operationalisiert, so dass es nicht ein Lip-
penbekenntnis bleibt?
G. Habenicht: Unser Leadership-Leitbild wurde gerade in
nerhalb unserer Unternehmenswerte formuliert: Simplicity,
One Voice, Partnership, Ambition. Diese spiegeln den Start-
up-Geist von BuyIn wider. Diese Prinzipien gilt es, im Unter
nehmen weiter zu verankern und kontinuierlich mit eindrucks
starken Beispielen zu füllen.
DMR: Sie haben gerade das Thema Führungsverhalten angeschnit-
ten – wie leitet man bei BuyIn ein Team mit Rücksicht auf die
unterschiedlichen Kulturen?
G. Habenicht: Um ein Gleichgewicht in die Führung zu brin
gen und Dissonanzen zu vermeiden, ist die Anzahl der deut
schen und französischen Führungskräfte bei BuyIn ausgegli
chen. Zudem ist der deutsche CEO mit seiner Familie nach
Paris gezogen – eine sehr wichtige Symbolwirkung in Richtung
der Franzosen, im Sinne von „ich lasse mich auf euch ein, ich
will mich eurer Kultur nähern“.
Aber die Kultur spielt noch eine andere wichtige Rolle zum
Thema Führung. Der Weg zu Führungspositionen zwischen
Deutschen und Franzosen ist unterschiedlich, denn wenn eine
Französin oder ein Franzose nicht an einer „grande école“ stu
diert hat, ist eine Managementkarriere schwierig. Zudem sind
es Franzosen gewohnt, einen nach oben gerichteten Karriereweg
zu gehen – ein „up and down“ ist kaum denkbar.
Inhaltlich zählen bei einer deutschen Führungskraft das Fach
wissen und der Prozess, während bei einem Franzosen die Per
son und generelles Managementwissen im Mittelpunkt stehen.
Dabei ist kein Weg der „richtigere“ oder „bessere“. Beide Füh
rungsstile sind wertvoll und wichtig, um miteinander wachsen
zu können.
DMR: Gibt es im dritten Jahr BuyIn immer noch Herausforde-
rungen in der interkulturellen Zusammenarbeit oder charakteri-
sierte das primär die Anfangszeit von BuyIn?
G. Habenicht: Da wir alle sehr konstruktiven und guten Wil
lens aufeinander zugegangen sind, ist unser Unternehmen
inzwischen sehr gut „eingespielt“. Trotzdem bleiben einige
Herausforderungen, zum Beispiel eine weitere Stärkung des Un
ternehmensklima und ein gemeinsames Bestreiten der aktuellen
Marktanforderungen. Vertrauen, Akzeptanz und Toleranz müs
sen immer wieder aufs Neue belegt werden. Das ist ein unauf
hörlicher Prozess, der für uns aber sehr erfolgversprechend ist.
21. 19 Detecon Management Report blue • 2014
In einer kleinen Kaffeelounge im zweiten Stock der Arbeitsräume der Unternehmensberatung
Detecon International hängt ein Boxsack, in einer anderen findet man die komplette Ein-
richtung einer urigen Tiroler Kneipe vor. Für Besucher kann dies ein erstes Indiz dafür sein,
dass Arbeiten hier etwas anders gedacht wird. Die Arbeitswelten sind kreativ gestaltet, die
Mitarbeiter wählen eigenverantwortlich ihren Arbeitsort. „Smart Working“ nennt man das bei
Detecon – eine clevere Arbeitsphilosophie, die alle Beteiligten in eine neue Ära katapultiert
hat: Mobiler Lebensstil ergänzt sich mit stetig wechselnden Anforderungen aus unterschied-
lichen Projekten bei unterschiedlichen Kunden.
Warum hängt ein Boxsack
in der Kaffeelounge?
Smart Working@Detecon
22. 20 Detecon Management Report blue • 2014
eue Anforderungen erfordern einen Wandel der Arbeits
welten. Verbunden mit den technischen Neuerungen könnte
die Zeit nun reif sein für eine andere Art des Arbeitens.
Bessere Arbeitsqualität – geringere Kosten
Smart Working ist ein holistisches Konzept, das eine Vision
für Unternehmenskultur, Führung, IT, Organisation und Ar
beitsumgebungen beinhaltet. Es integriert mobiles Arbeiten in
die Unternehmenskultur und sucht innovative Lösungen, um
die Organisation agiler und die Arbeit flexibler zu gestalten.
Smart Working verspricht viele Vorteile für Mitarbeiter und
Unternehmen. Mit modernen Technologien lassen sich Arbeits
zeiten und stile flexibel gestalten, Mitarbeiter können selbstbe
stimmt ihren Tagesablauf einteilen. Mobiles Arbeiten kann als
erster Schritt in Richtung Work-Life-Balance gesehen werden
– und damit den wachsenden Zahlen der überstrapazierten und
Burnout gefährdeten Menschen entgegenwirken. Diese Vorteile
betreffen nicht nur die Mitarbeiter, vielmehr profitiert auch das
Unternehmen von der höheren Produktivität der Mitarbeiter.
Ferner werden Büroflächen deutlich reduziert und Reisekosten
eingespart.
Doch wie realisiert man Smart Working im Unternehmen? Und
wie führt man ein Team, das nicht mehr im Büro präsent ist?
Smart Working bei Detecon
Detecon hat mit Smart Working ein Konzept umgesetzt, das
die Anforderungen an eine moderne Arbeitswelt ganzheitlich
implementiert. Denn auch hier gilt: Bevor man mit einem Be
ratungsprodukt an Kunden herantritt, sollte man es selbst be
herrschen. Das umgesetzte Prinzip stützt sich auf die drei Säulen
People, Places, Tools.
Alle drei Aspekte sind von elementarer Bedeutung, da sie nur
im Einklang und in der Interaktion miteinander funktionieren.
„Places“ steht für die Auflösung der territorialen Arbeitsflä
chen, beispielsweise Zellenbüros. Die Architektur des Gebäudes
und die Aufteilung der zur Verfügung stehenden Fläche ist ein
zentraler Aspekt: Die Mitarbeiter benötigen verschiedene Ar
beitsumgebungen, die ihre Arbeitsstile geeignet unterstützen.
Die Räumlichkeiten müssen daher je nach Arbeitsstil unter
schiedlichen Anforderungen genügen. Jeder Mitarbeiter muss
die Möglichkeit haben, konzentriert an einem Schreibtisch zu
arbeiten. Gleichzeitig muss es ebenfalls Umgebungen geben, die
Teamwork oder virtuelle Meetings unterstützen. Auch Räume,
die den informellen Austausch fördern – zum Beispiel die Box
N
23. Und wie geht es weiter?
Neben Detecon haben auch andere Firmen bereits Teile des
Smart-Working-Konzepts umgesetzt – allerdings handelt es sich
dabei meist nur um den architektonischen Aspekt. Bei Smart
Working handelt es sich jedoch um ein ganzheitliches Konzept,
das mit einem kulturellen Wandel einhergehen muss. Es verän
dert Arbeit in vielen Bereichen und muss daher klar von Füh
rungskräften geführt und gelebt werden.
Eine kritische Auseinandersetzung mit der Thematik ist eben
falls von elementarer Bedeutung. Die Befürchtung, dass man
heute immerzu erreichbar sein muss und die Arbeit nie hinter
sich lassen kann, ist durchaus berechtigt. Ob die Lösung dafür
ein Abschalten des Blackberry E-Mail-Verkehrs nach 18:15 Uhr
ist, wie derzeit von einigen großen Unternehmen praktiziert, ist
jedoch fraglich. Vielmehr ist es sinnvoll, eine Balance zwischen
Geben und Nehmen zu erlangen. Dies entzieht sich jedoch for
malen Regelungen und kann nur zwischen den beteiligten Mit
arbeitern und Führungskräften selbst vereinbart werden. Ohne
eine angepasste und funktionierende Unternehmenskultur ist
diese Balance nicht erreichbar.
Erfolg bei Detecon
Trotz möglicher Einwände gilt Smart Working bei Detecon als
Erfolgsmodell. Vielleicht liegt es daran, dass Unternehmensbe
rater heute schon so arbeiten, wie es für viele andere Mitarbeiter
in Konzernen möglicherweise erst in fünf bis zehn Jahren Rea
lität wird. Flexibilität, eigenverantwortliche Projektarbeit und
virtuelle Zusammenarbeit gehören auch ohne Smart-Working-
Konzept zum Berufsbild eines Beraters.
Doch trotz Flexibilität ist den Beratern das umstrukturierte Bü
rogebäude ans Herz gewachsen als ein Ort, an den man gerne
freitags aus dem Projekt zurückkehrt. Man tauscht sich mit Kol
legen aus und trinkt zwischen den Meetings mal wieder in einer
der kreativ gestalteten Ecken einen Kaffee zusammen. Und nach
einer stressigen Woche hat man dann auch schon das ein oder
andere Mal einen Kollegen gesehen, der den Boxsack noch bear
beitet hat, bevor das Wochenende eingeläutet wurde…
Detecon hat als Unternehmen von den Vorteilen dieses Ansatzes
bereits jetzt sehr profitiert. Auch die Mitarbeiter haben das Kon
zept mit seinen neuen Arbeitsweisen zu schätzen gelernt.
Klares Fazit: Weiterempfehlen!
21 Detecon Management Report blue • 2014
sack-Kaffeeküche – sind daher Teil des Konzepts. Alle Bereiche
unterstützen unterschiedliche Arbeitsstile und bieten jedem
Mitarbeiter die optimale Arbeitsumgebung für die jeweils anste
hende Tätigkeit. Diese Art der Raumgestaltung sorgt außerdem
für Flächeneffizienz – und somit für deutliche Kosteneinspa
rungen. Dies ist zwar von großer Bedeutung, jedoch muss ein
Teil der Einsparungen in ein inspirierendes Umfeld investiert
werden, um Wohlbefinden, Motivation und Leistungsfähigkeit
der Mitarbeiter zu steigern.
„People“, der Mensch, ist ein weiterer zentraler Bestandteil von
Smart Working: Es gibt für die Mitarbeiter in dieser Welt viel
zu gewinnen, aber zu aller erst auch viel zu lernen: Welches
Raummodul passt zu welchem Arbeitsstil, wie arbeite ich mit
Kollegen in einem Projektteam, die ich selten persönlich sehe,
und wie balanciere ich das Geben und Nehmen aus, wie behalte
ich eine Work-Life-Balance unter den Rahmenbedingungen des
mobilen Arbeitens?
Wenn Arbeitsort und Arbeitszeit flexibel sind, dann kann der
Rahmen der Arbeit nicht mehr durch formale Regelungen vor
gegeben werden. Vielmehr muss eine neue Führungskultur ei
nen Ausgleich fördern.
Welche Verantwortlichkeiten beim Führen von virtuellen Teams
wahrgenommen werden müssen, unterscheidet sich durchaus
im Hinblick auf Führungsaufgaben und angewandten Füh
rungsinstrumente. Neue Herausforde-rungen wie sinkende
Möglichkeiten der Kontrolle von Mitarbeitern und damit eine
steigende Bedeutung von Vertrauen in die Arbeit der Mitarbei
ter werden auf Führungskräfte zukommen und erfordern ein
verändertes Rollenverständnis und Klarheit in Verantwortlich
keiten.
Um diese Prinzipien realisieren zu können, ist die Bereitstellung
von entsprechender Infrastruktur und Technik – den „Tools“
– von elementarer Bedeutung. Mobiles Arbeiten bedeutet eine
flexible Wahl des Arbeitsplatzes, der beispielsweise durch gesi
cherte Hotspots und eine vollständige Umstellung auf Mobilte
lefonie ermöglicht wird. Das Unternehmen Detecon geht noch
einen Schritt weiter: Tools erlauben nicht nur mobiles Arbeiten,
sondern bieten jedem Berater die Möglichkeit, selbstbestimmt
zu arbeiten. Er kann somit nicht nur vom Hotel aus oder auf
einer Zugfahrt arbeiten, sondern auf einer Online-Plattform
selbst entscheiden, welche Projekte für ihn interessant sind.
Die „Detecon Projektbörse“ führt alle Projekte auf, die aktuell
anstehen und zu personalisieren sind. Die Berater können sich
auf diese bewerben und somit die eigene Projektverwendung
mitbestimmen. Diese Freiheitsgrade gehen jedoch auch mit der
Verantwortung einher, eigenverantwortlich für eine hohe Aus
lastung zu sorgen.
24. 22 Detecon Management Report blue • 2014
Transformationskultur
Auf dem Weg
zu einem innovativen
und agilen Unternehmen
Unternehmen, insbesondere wenn sie ICT-affin sind, müssen heute agiler, flexibler
und vorausschauender agieren. Dies gelingt denjenigen, die sich in einen permanenten
Lernprozess begeben – und sich, wenn nötig, täglich neu erfinden.
25. 23 Detecon Management Report blue • 2014
ie sich gegenwärtig zeigt, fördern aktuelleTrends wie Globa
lisierung und demografischer Wandel in Form der heranwach
senden Generation Y (die „Digital Natives“) und der gleichzeitig
sinkenden Zahl der „Non-digital Natives“ virtuelle Kommuni
kation und Kollaboration. Hinzu kommt, dass die kulturellen
Veränderungen in der Weise, wie wir leben und arbeiten, die
Nachfrage nach neuen digitalen Geräten und Services, die das
Leben leichter und kontrollierbarer machen, erhöht. Es wird
davon ausgegangen, dass ein Kunde im Jahr 2020 von durch
schnittlich sechs unterschiedlichen Bildschirmen umgeben
sein wird und dass man überall Internetzugang hat. Das würde
einem 50-prozentigen Anstieg der verkauften digitalen Geräte
im Vergleich zu einem lediglich sechs prozentigen Anstieg der
Weltbevölkerung in 2020 entsprechen (Cisco Datenerhebung
von 2012). Es wird ebenfalls prognostiziert, dass 4,4 Milliarden
Menschen im Jahr 2020 immer noch keinen Internetzugang
haben werden, was für Unternehmen gleichzeitig eine Riesen
chance darstellt, Innovationen voranzutreiben, um diese Lücke
zu füllen (ITU „Measuring information society“, 2013).
Diese sich wandelnden Kundenbedürfnisse sowie die nicht
bediente Nachfrage erfordern neue disruptive Technologien.
Mobiltelefone werden zunehmend als Navigationsgeräte,
Terminplaner, Geldbörsen und sonstige Tools verwendet.
SMS-Dienste und herkömmliche Telefonie werden durch Apps
– preisgünstigere Alternativen wie VoIP und WhatsApp – er
setzt. Waren und Produkte werden zunehmend mit Chips aus
gestattet sein, die sich mit unseren Telefonen verbinden lassen,
und die herkömmlichen Dienstleistungen von Ärzten, Lehrern
oder Trainern werden in virtualisierter Form angeboten werden.
Daher wird langfristig davon ausgegangen, dass Telekommu
nikationsbetreiber in offene Plattformen transformieren und
zusätzliche Softwareservices zu ihrer Infrastruktur hinzufügen
müssen (Detecon „The Telco Challenge“, 2012). Das Innovati
onsportfolio wird primär „B2B2C“-Modelle zur Förderung von
Partnerschaften beinhalten, um Trendthemen zu unterstützen.
Dazu gehört beispielsweise eHealth mit einem voraussichtlichen
Wachstum von 50 Prozent während der nächsten Jahre sowie
M2M, Cloud, eMobility, ePayment, Smart Home und Grid mit
Wachstumsprognosen von 18 bis 37 Prozent (Trendprognosen
von DT, PWC, Machina Research, 2012).
Wandelnde Kundenbedürfnisse und neue disruptive Technolo
gien führen zu neuen Marktbedingungen. Statt als Einzelkämp
fer im lokalen Markt zu agieren, solltenTelekommunikationsun
ternehmen verstärkt mit anderen Partnern oder multinationalen
Unternehmen sowie mit jungen innovativen Start-ups inner
halb oder außerhalb ihrer Branche weltweit kooperieren, um
neue Ökosysteme zu entwickeln, die vernetzte Services für alle
Branchen anbieten. Um die endlosen Preiskämpfe überwinden
und gleichzeitig wettbewerbsfähig bleiben zu können, muss die
Branche sich konsolidieren.
Und um effektiv auf die genannten Herausforderungen reagie
ren zu können, müssen Unternehmen eine transformative Kul
tur entwickeln. Kultur wird definiert als umfassende, überzeu
gende, kreative Zusammensetzung von Mindset, Engagement
und Kompetenzen, die Bestandteil der DNA des Unternehmens
sind und von allen Mitarbeitern und Führungskräften gelebt
werden. Um einschneidende Änderungen und einen laufenden
Transformationsprozess bewältigen zu können, sind einerseits
Arbeits- und Lernansätze erforderlich, die es einem Unterneh
men ermöglichen, schneller, einfacher und besser zu werden.
Andererseits müssen neue Wege der Zusammenarbeit, des
Sharings und der Offenheit für Veränderung gefunden werden.
Unternehmen müssen sich allmählich von der alten Welt ver
abschieden, in der Einzelarbeit, feste Arbeitsplätze und prozess
orientiertes Denken dominierten und Co-Creation, Kolla
boration und Flexibilität verhinderten. „Formales Lernen“
dominiert nach wie vor die Ausbildungsprogramme der Unter
nehmen – durchschnittlich fast 95 Prozent –, obwohl dies nicht
den Bedürfnissen heutiger Belegschaften entspricht (Sharon
Boller für BLP, 2013). Informationen unterliegen einem stän
digen Wandel. In diesem Zusammenhang geht es eher um das
rasche Sharing und Co-Creating als um lang andauernde Schu
lungen in Klassenzimmeratmosphäre, wovon die Hälfte des In
halts nach Unterrichtsschluss sowieso nicht mehr abrufbar ist.
Unternehmen müssen stattdessen neue Arbeits- und Lernum
gebungen entwickeln, in denen Zusammenarbeit, soziales Ler
nen, kundenorientiertes Denken und flexible Arbeitsplätze es
Mitarbeitern und Führungskräften intuitiv ermöglichen, agiler,
transformativer und innovativer zu werden – die einzig effektive
Reaktion, wenn es um radikale Veränderungen geht.
Mit anderen Worten: Unternehmen müssen spezielle Bereiche,
Arbeitsgruppen oder Zentren – Plattformen für eine Transfor
mationskultur – entwickeln, in denen der Rahmen für kultu
relle Erneuerung gegeben ist. Diese Bereiche dienen als Ent
wicklungszentren, die all diese Bedürfnisse aufgreifen, und zwar
durch das Entwickeln und Sammeln neuer Arbeits- und Lern
techniken, Anbieten spezieller Trainings, Coachings und sonsti
ger Services für Führungskräfte und Mitarbeiter und durch das
Entwickeln von Formaten, um neue Unternehmenswerte und
-grundsätze unternehmensweit und gemeinsam mit den Part
nern zu kultivieren und zu fördern.
W
26. 24 Detecon Management Report blue • 2014
Unser Ansatz
ist der der
Selbstbefähigung
Reza Moussavian
Vice President Group Transformational Change
Deutsche Telekom AG
27. 25 Detecon Management Report blue • 2014
MR: Was war die Ausgangssituation und Motivation für die
Gründung eines eigenen Bereichs „Shareground“ bei der Deutschen
Telekom AG?
R. Moussavian: Um die Motivation für den Aufbau von GTC
zu verstehen, muss man sich die Entwicklung des Telekommu
nikationsmarktes und der Telekom genauer anschauen. Vor
über 20 Jahren hat die Telekom Telefonminuten verkauft – mit
einem Marktanteil von de facto 100 Prozent – und damit 90
Prozent des Umsatzes erwirtschaftet.
Nahezu in allen Dienstleistungsbereichen haben wir in den letz
ten Jahrzehnten einen signifikanten Preisanstieg (170-280%)
verzeichnen können. Lebensmittel kosten zirka 60 Prozent
mehr, Transportkosten sind um bis zu 270 Prozent gestiegen –
alles Preisanstiege weit über Inflationsausgleich. Nicht so bei Te
lekommunikationsleistungen: Die Gesprächsminute von 1991
kostet heute 94 Prozent weniger in Deutschland! Was macht
man, wenn man mit einer solchen Situation konfrontiert ist?
Erste Strategie: Kostensenken. Aber das allein kann keine 94
Prozent kompensieren. Zweite Strategie: Akquisen. Zukäufe in
Süd- und Osteuropa, in USA und Debis/T-Systems. Dritte Stra
tegie: Neue Produkte. Die Deutsche Telekom mischt diese drei
Strategien behutsam ab, aber was wir feststellen ist, dass diese
drei Strategien sehr unterschiedliche Führungs- und Unterneh
menskulturen erfordern. Von Kosten- und Effizienzbewusstsein,
Denken in quantitativen KPIs hin zu kreativen unternehme
rischen Visionären neuer Ideen und Geschäftsmöglichkeiten.
Nur die eine Gruppe wirtschaftet uns möglicherweise runter,
nur die andere macht uns pleite. Also bedarf eines eines intel
ligenten Mix beider „Kulturen“ und das Herausheben gemein
samer Werte. Das schafft man durch intelligente und integrierte
Wege der Zusammenarbeit, durchgängige User-Zentrierung in
Unternehmensabläufen und neue agile Arbeitsmethoden. Des
halb hat der Vorstand der Telekom Shareground ins Leben geru
fen, eine interne Einheit zur Transformation des Unternehmens
entlang der oben genannten Punkte von innen.
DMR: Eine Innovations- und Transformationskultur schaffen –
das erscheint als eine sehr große Mission für eine doch recht kleine
Einheit. Wie gehen Sie hierbei im Kern vor?
R. Moussavian: In meinem Privatleben stehe ich hinter dem DJ
Pult und verstehe auch im Job meine Aufgabe als DJ’ing. Höhen,
Mitten und Bässe einstimmen – Kulturinitiativen intelligent
mischen mit neuen Arbeits- und Zusammenarbeitsmethoden.
Ich möchte Unternehmenskultur spürbar machen: Erstens neue
D Wege einschlagen und Konzepte kundenfokussiert ausrichten,
agil umsetzen, aktuelles Wissen hocheffizient und on-the-job
erwerben, unternehmerisch und silo-übergreifend zum Nutzen
des Konzerns – nicht des Bereichs – handeln. Zweitens „from
talking to action“ – weniger über Kultur sprechen und über
Events vermitteln, sondern vielmehr operativ erlebbar machen
und über den Einsatz von Methoden konkrete Aufgabenstel
lungen unterstützen sowie neue Entscheidungs- und Problem
lösungsfähigkeiten aufbauen. Drittens die Hilfe zur Selbsthilfe,
Interventionen setzen, um eine konzernübergreifende Commu
nity aus „Transformisten“ aufzubauen und aus sich heraus die
Transformation der Telekom voranzutreiben.
DMR: Wie stellen Sie in diesem Zusammenhang die Multiplika-
tion und Verankerung der Themen in der Unternehmens-DNA
sicher?
R. Moussavian: Das ist eine gute Frage und mitunter auch eine
große Herausforderung für nahezu jedes Unternehmen. Wir
verfolgen dabei mehrere Ansätze parallel: On-the-job Unter
stützung von ausgewählten Top-Leadern auf strategisch wich
tigen Transformationsprojekten („TTT“). Dadurch können wir
eine Sogwirkung erzeugen und schneeballartig weitere Ebenen
darunter bedienen. Wir sind keine verlängerte Werkbank und
steuern Ressourcen bei – unser Ansatz ist der der Selbstbefähi
gung. Wir geben keine Trainings, sondern wir unterstützen die
Problemstellungen direkt und konkret vor Ort „on-the-challen
ge“. Damit gelingt es, dass die Beteiligten das Wissen nachhaltig
aufbauen und anschließend in weiteren Projekten selbständig
anwenden und multiplizieren können – eine Selbstbefähigung.
Wir glauben an die Verbindung von Bottom-up und Top-down
und unterstützen daher zusätzlich auch „gras-root“ Initiativen,
beispielsweise vor Ort in den Segmenten. Diese sind sehr wich
tig, da sie unser Wissen über den Konzern und die Qualität
unserer Angebote signifikant erhöhen.
Es werden konsequent soziale Medien und Enterprise 2.0-Tech
nologien genutzt und im Unternehmenskontext zur Verände
rung der Kultur eingesetzt. Enterprise 2.0 dient als Enabler für
unseren Kollaborationsgrundsatz und ermöglicht es uns, nahe
zu das gesamte Unternehmen mit all seinen Transformations
potenzialträgern zu adressieren.
Letztlich möchten wir die Transformationsführungskräfte befä
higen, über diese multiplizieren und damit über mehrheitlich
reine Pull-Initiativen den Gesamtkonzern erreichen.
29. 27 Detecon Management Report blue • 1 / 2014
DMR: Beim Thema „Befähigung und Wissenvermittlung“ müssen
wir einhaken – inwieweit nehmen Sie über die Art und Ausprä-
gung der Arbeit Impulse unter anderem auch in Richtung Fort-
und Weiterbildung oder auch Talentmanagement und Mitarbeiter-
förderung mit?
R. Moussavian: Wir verstehen uns hier als integrierter Teil der
Aus- und Weiterbildung der Deutschen Telekom und setzten
Impulse. Dabei ist unsere Rolle primär, innovative Methoden
und Vorgehensweise zu entwickeln und deren Transformations-
und Innovationsimpact zu verproben. Und auch bei der Ent
wicklung setzen wir auf das Know-how und die Unterstützung
weiterer interner Experten und Dienstleister – auch durch De
tecon. Haben sich die Methoden bewährt, geben wir das Wis
sen an die auf Aus- und Weiterbildung spezialisierten internen
Einheiten weiter.
Für die Multiplikation und Sicherstellung der „Massentaug
lichkeit“ dieses Know-hows greifen wir konsequent auf interne
Einheiten wie das Telekom Training zu und bauen einen „Sha
repool“ auf, der dieses Wissen weitervermittelt und den breiten
Skill-Aufbau im Unternehmen sicherstellt. Damit leisten wir
einen wesentlichen Beitrag, um Transformationskompetenzen
im Unternehmen aufzubauen.
Reza Moussavian ist ein Weltbürger mit entsprechend internationaler Erfahrung, wenn es um den Launch neuer Markteinsteiger
oder um die Transformation führender Betreiber geht. In seiner Funktion als Vice President der Group Transformational Change bei
der Deutsche Telekom AG treibt er die Shareground-Initiative voran, um eine neue Kultur hinsichtlich Zusammenarbeit, Innovation
und Umsetzung innerhalb des Unternehmens zu kreieren und zu fördern. Die Magenta MOOC ist nur eines von vielen spannenden
Projekten des Shareground. Zuvor war Moussavian Managing Partner für die MENA-Unit der Detecon International GmbH und bei
IBM und PWC Consulting als strategischer Berater tätig. Für Kunden wie Telefónica, Svyazinvest, Vodafone, Ooredoo, Etisalat und
für Regulierungsbehörden im Nahen Osten und Südamerika sowie für Investoren im asiatisch-pazifischen Raum war er in mehr als
40 Ländern weltweit im Einsatz. Sein Thema war auch hier die Ende-zu-Ende-Transformation.
Shareground ist die Plattform für Transformationskultur der Deutschen Telekom. Es ist eine Initiative, eine dynamische Gemein
schaft, die danach strebt, den Wandel und die Vernetzung mit anderen anzutreiben, um die Arbeitskultur von morgen schon heute
im Unternehmen zu etablieren. Dies umfasst Workshops und Coachings von Business Teams rund um das Thema neue Arbeits-
und Kollaborationsmethodiken sowie kulturelle Partnerschaftsprogramme, Transformation Think Tanks, und neue Erfahrungen für
Mitarbeiter, um eine innovationsorientierte Organisationskultur zu schaffen. Ziel von Shareground ist die Effektivitätsteigerung im
Unternehmen. Shareground richtet sich an alle Mitarbeiter und ruft sie dazu auf, umzudenken und Transformationskompetenzen
anzuwenden, neuen Schwung in die Führungsetagen zu bringen und sich auf agile, wertorientierte Umsetzung zu fokussieren, um die
kulturelle Erneuerung zu fördern.
DMR: Stichwort Team und Team-Performance – nach welchen
Kriterien haben Sie sich eigentlich Ihr Team zusammengestellt?
Moussavian: Wir hatten bei der Mitarbeiterauswahl die Ebenen
strategisch vs. operativ sowie eher Challenger und kritischer Geist
vs. Optimisten und Macher eingestellt. Ziel war es, eine gesunde
Balance zu gewährleisten, was uns gut gelungen ist.
Living Transformation ist eine grundlegende Haltungsfrage.
Dies bedeutet, ein hohes Maß an Flexibilität, Selbstorganisati
on und Eigenverantwortung vorzuleben. Letztlich mussten alle
Mitarbeiter das Rüstzeug zur Veränderung von Sachverhalten
neuen Inhalten mitbringen.
Natürlich ist eine möglichst diverse Teamzusammenstellung
sehr wichtig: unterschiedliche kulturelle Hintergründe, Fachbe
reiche und Skillhintergründe. Dabei stand zum Beispiel nicht
im Fokus, eine bestimmte HR-Kompetenz ins Team zu holen,
sondern ein möglichst breites Potenzial in unserem Team vorzu
halten.
30. 28 Detecon Management Report blue • 2014
DMR: Ein Schwerpunkt dieser Ausgabe ist der Themenkomplex
„Führung“. Aktuell arbeitet die Deutsche Telekom an neuen Füh-
rungsprinzipien und deren Operationalisierung in Führungskräf-
teprogrammen oder Communities. Wie gestalten sich diese neuen
Prinzipien und wie sieht hier insbesondere auch der Beitrag von
Shareground aus?
R. Moussavian: Führungskräfte sind einer der wesentlichen
Treiber für jeden Transformationsprozess, insbesondere auch
bei kulturellen Transformationen. Führungskräfte sind Kata
lysatoren für Transformation. Entscheidend ist dabei, dass die
Transformation vorgelebt wird durch gleiche Werte und eine
positive Grundeinstellung dem Unternehmen und seinen Mit
arbeitern gegenüber. Diese Einstellung wurde in den Leadership
Principles kodifiziert, welche da lauten: Innovate, Collaborate
und Empower to Perform.
Was bedeutet das? Unternehmerisches Denken steht im Fokus,
das heißt gemeinsam mit dem eigenen Team zum Wohle der
Gesamtheit, des Unternehmens, Neues schaffen und zielgerich
tet vorantreiben. Dabei sollen durch neue Arbeitsmethoden
Führungskräfte und deren Teams befähigt werden, Dinge ein
facher, kundenorientierter und kostenorientierter voranzubrin
gen. Dies gelingt nur dann, wenn man effizient und effektiv
zusammenarbeitet und so individuelle Potenziale freisetzt und
Barrieren entfernt – die Grundlage für jede Innovation.
Ein Ansatz unserer Bereichs in diesem Kontext ist unter ande
rem die Simplicity-Initiative – dahinter steckt nicht nur eine
Vereinfachung und Effizienzsteigerung, sondern insbesondere
auch der Aufbau einer Vertrauenskultur, die komplexitätsab
bauend wirkt. Ich muss meinen Kollegen und Mitarbeitern bei
der Zusammenarbeit vertrauen, Fehler zulassen und die Mög
lichkeit schaffen, gemeinsam neue und innovative Themen aus
zuprobieren und erfolgreich zusammen voran zu bringen.
Ich kann nur dann eine innovationsoffene Fehler- und Vertrau
enskultur schaffen, wenn ich „Empower to Perform“ tagtäglich
anwende und mich insbesondere auch als Führungskraft damit
beschäftige, wie es mir gelingt, ein Umfeld zu schaffen, das die
individuellen Potenziale der Mitarbeiter freisetzt.
Auf das Prinzip “Collaborate” zahlt auch unsere Problem
lösungsmethode „Hello Transformation“ beziehungsweise
„Business Lab“.
DMR: Das ist eine sehr interessante Idee. Allerdings ist es mit
Sicherheit noch ein weiter Weg, diese Werte innerhalb der Telekom
zu verankern. Wie wollen Sie dies schaffen beziehungsweise dabei
unterstützen?
R. Moussavian: Es liegt in der Natur des Menschen, kritisch
gegenüber Veränderungen zu sein und den Status Quo zu
sichern. Von daher ist der Ansatz „wir verändern die gesamte
Telekom auf einmal“ mit Sicherheit nicht erfolgsversprechend.
Für uns gilt „start small, but start“ – direkt starten, Erfolgsge
schichten aufbauen und positive, qualifizierte Multiplikatoren
nutzen oder aufbauen. Für uns steht „lead by example“ im Vor
dergrund, gemeinsam mit unserer Transformationscommuni
ty diese Erfolgsgeschichten an konkreten Herausforderungen
schreiben und im Unternehmen für andere visibel machen.
Wir erhoffen uns davon eine ansteckende Wirkung und einen
Dominoeffekt in den Konzern – so hatten wir zum Beispiel
zu unserer Initiative „Magenta MOOC“ mehrere tausend An
meldungen und dadurch eine entsprechende Breitenwirkung.
Und auch über das im letzten Jahr pilotierte Format „Telekom
Challenge“, bei dem ein interdisziplinäres und globales Team
an einer CSR-Problemstellung unter Anwendung innovativer
Methoden erfolgreich gearbeitet hat, wird noch heute sehr po
sitiv gesprochen und ist innerhalb der Telekom weit bekannt.
Wir halten nichts von großen Events oder Kampagnen, son
dern möchten durch die gemeinsame und erfolgreiche Lösung
konkreter Herausforderungen eine positive Veränderung her
beiführen – das ist vielleicht nicht so schrill und laut wie eine
Image-Kampagne, aber viel authentischer, nachhaltiger und mit
konkretem Nutzen verbunden.
DMR: Können Sie vielleicht auf einige Erfolgsbeispiele und kon-
krete Initiativen eingehen?
R. Moussavian: Business Lab – darunter verstehen wir eine
methodische Beratung, bei der mit einer Arbeitsmethode wie
Rapid Prototyping oder anderen agilen Methoden an konkreten
Problemstellungen von Führungskräften und deren Teams ge
arbeitet wird – am „offenen Herzen“. Auch hierbei geht es um
Selbstbefähigung. Ein erfolgreicher Einsatz bedeutet, dass sich
zukünftig die von uns beratenen Teams selbst helfen können
und das Vorgehen verinnerlicht haben. Auch hier gibt uns der
Erfolg recht: Es wurden bereits mehr als 35 Einsätze erfolgreich
absolviert und die Pipeline ist sehr gut gefüllt.
31. 29 Detecon Management Report blue • 2014
Magenta MOOC ist eine ganz neue Art, wie Mitarbeiter kon
zernweit interdisziplinär zusammenarbeiten. Ein interessantes
Format, in dem Themen rund um Transformation, Einfach
heit, Innovation und Entrepreneurship kombiniert werden.
Dabei geht es insbesondere auch um eine smarte Kombina
tion von internen und externen Beiträgen von Top-Experten
aus Forschung und Praxis. Bei dem Magenta MOOC sollen
Mitarbeiter motiviert werden, eigene innovative Ideen zu ent
wickeln – Stichwort Selbstbefähigung! – und ihr umfassendes
Wissen einzubringen. Auch dies bisher sehr erfolgreich und mit
positiver Resonanz: 3.500 Teilnehmer und 120 Teams arbeiten
bereichsübergreifend zu den zuvor beschriebenen Themen zu
sammen und es ist bemerkenswert, mit welchen kreativen und
dabei sehr praxisnahen Ideen die Teams rauskommen. Ich bin
sehr gespannt, wie sich diese neue Form der Zusammenarbeit
in der zukünftigen Arbeitsweise der teilnehmenden Mitarbeiter
wiederfindet und verankern lässt und welche konkreten Innova
tionen für die Deutsche Telekom herauskommen. Und ich bin
sehr zuversichtlich, dass wir durch solche Formate einen kultu
rellen Wandel herbeiführen können.
Daneben gibt es noch Simplicity, Transformation Think Tanks
– und was ab Mai 2015 im Berliner Shareground-Gebäude en
top passieren wird, das erzähle ich im nächsten Jahr.
Noch ein Wort zu den Initiativen: Bei allem ist es uns wichtig,
dass die Begeisterung nicht zu kurz kommt – eine der wich
tigsten Eigenschaften von „High-performing Teams“ und mit
unter ein Unterscheidungsmerkmal zum Mittelmaß. Durch
die von uns bereitgestellten Formate und Plattformen werden
Potenziale von Mitarbeitern geradezu entfesselt. Das sehr po
sitive Feedback und die enorme Nachfrage geben uns Recht
und motivieren uns sehr, den beschrittenen Weg weiter voran
zu treiben.
DMR: Sie erwähnten, dass Kundenorientierung bei Ihrer Arbeit
eine wichtige Rolle spielt. Kundenorientierung ist als Buzzword all-
gegenwärtig.Was verstehen Sie im eigenen Arbeitskontext darunter?
R. Moussavian: Unter Kunden verstehe ich Nutzer, und dies
bedeutet nicht unbedingt immer ein Endkunde – letztlich hat
jeder einen Abnehmer, einen Nutzer seiner Leistung und Arbeit.
Daher sollten bereits in einer frühen Phase die Bedürfnisse der
Nutzer erfasst und der Kern der täglichen Arbeit stärker in die
bestehenden Prozesse integriert werden. Entscheidend ist, sich
immer wieder die Frage zu stellen, welche Aktivität, welcher
Prozess, welches Dokument oder welcher Output überhaupt
dem Nutzer dient oder aus Nutzersicht vereinfacht, verbessert
oder sogar ganz weggelassen werden kann – ein Kern unserer
Simplicity-Initiative. Vielfach stellt man dabei fest, dass Aktivi
täten und Beschäftigungen quasi „ins Leere“ laufen und es gar
keinen Nutzer am anderen Ende gibt. Von daher muss das eige
ne Tun dahingehend laufend hinterfragt werden.
Am Ende sollte sich dies dann für ein Unternehmen auch
in einem erhöhten Marken- beziehungsweise Kundenwert
widerspiegeln. Allerdings halte ich nichts davon, alles an einem
künstlichen Kundenbegriff auszurichten und das Unternehmen
gewaltsam auf einen artifiziellen Endkunden auszurichten. Es
geht vielmehr um die Frage: Wem schaffe ich durch diese Ak
tivität welchen zusätzlichen Nutzen und wie kann ich dies auf
eine möglichst effiziente, einfache und unkomplizierte Art errei
chen! Manchmal bedeutet das auch „Best Service is No Service“.
DMR: Zum Ende unseres Gesprächs noch ein kleiner Ausblick:
Quo vadis Shareground? Wenn Sie in die Glaskugel schauen
könnten, wo sehen Sie Ihren Bereich in der Zukunft beziehungs-
weise wo würden Sie ihn gerne sehen?
R. Moussavian: In zehn Jahren sollte es unseren Bereich mög
lichst nicht mehr geben, da alle unsere Methoden und Arbeits
werte fest in der DNA des Unternehmens integriert sind und
täglich nahezu automatisch Anwendung finden. Unser Auftrag
ist ja die Transformations- und Innovationsfähigkeit des Kon
zerns zu erhöhen. Ziel muss sein, dies möglichst bald zu errei
chen.
Schauen wir uns ein kleineres Zeitfenster von zirka fünf Jahren
an, so ist das Ziel, ein integrierter Bestandteil des Operating
Model des COO zu sein, unser Transformationsverständnis
dort entsprechend zu verankern und bei der zukünftigen Ausge
staltung der Aufbau- und Ablauforganisation sowie dem Aufset
zen strategischer Initiativen zu berücksichtigen.
Jenseits von jeder organisatorischen Verankerung verstehen wir
unsere Mission dabei insbesondere auch darin, unsere Mitar
beiter und Führungskräfte durch neue Methoden und Ansätze
immer wieder aufs Neue zu überraschen, aus ihrer Komfortzone
zu holen und zu begeistern. Dies trägt effektiv zu einer positiven
Transformations- und Innovationskultur bei.
32. 30 Detecon Management Report blue • 2014
er Begriff „Intrapreneurship“ fällt in Gesprächen zu Inno
vationen und Innovationsförderung immer öfter. Doch was ver
steckt sich hinter diesem Modewort und welchen Vorteil kön
nen Unternehmen über „Intrapreneuere“ in den eigenen Reihen
ziehen?
Die Zusammensetzung der Begriffe „Intracorporate“ und
„Entrepreneurship“ brachte das Kunstwort „Intrapreneurship“
hervor, welcher einen Prozess beschreibt, in dem Individuen
oder Gruppen in die Rolle eines Entrepreneurs schlüpfen und
mittels Ressourcenbündelung Innovationen am eigenen Ar
beitsplatz entwickeln. Durch spontane Initiativen seitens der
Mitarbeiter können Unternehmen somit bisher unentdeckte
Geschäftsfelder erschließen oder sogar die interne Organisation
überdenken und optimieren. Gerade diese Initiativen „von in
nen“ dienen als Innovationstreiber und bieten einen Mehrwert
für beide Seiten – der Mitarbeiterschaft und dem Unternehmen
selbst.
Intrapreneurship im eigenen Unternehmen strategisch
einbinden
Durch den besonderen Einsatz von einzelnen Mitarbeitern oder
Mitarbeitergruppen innerhalb eines Unternehmens werden in
D
Innovation als
zentraler Bestandteil
der Unternehmenskultur
Intrapreneurship
etablierten Unternehmen innovative Geschäftssegmente auf
gebaut oder strategische Neuausrichtungen angestoßen. 3M,
Apple oder Google haben es vorgemacht. Sie unterstützen ihre
Mitarbeiter durch verschiedene Maßnahmen, um das eigene In
novationspotenzial zu entfalten und bieten Freiräume, sich am
eigenen Arbeitsplatz als Unternehmer zu etablieren. Nun ziehen
zahlreiche Unternehmen nach und sehen Intrapreneurship als
Bestandteil der Unternehmenskultur.
Allerdings bedarf es zwei wichtiger Faktoren, ohne die Intrapre
neurship nicht umgesetzt werden kann:
1. Motivation und Unterstützung seitens des Senior
Managements.
2. Die Sicherheit, dass bei Versagen einer Geschäftsidee
Intrapreneuere nicht bestraft werden oder sogar ihren
Job verlieren.
Unternehmerische Kreativität wird durch starre
Strukturen gehemmt
Einer internationalen Umfrage der Wirtschaftsprüfungsgesell
schaft Ernst & Young zufolge waren 82 Prozent der 263 be
Immer mehr Unternehmen erkennen den Mehrwert von Intrapreneurship und implementieren
Maßnahmen, die einzelne Mitarbeiter oder Mitarbeitergruppen in ihrem unternehmerischen
Handeln unterstützen. Grund dafür ist die Innovationskraft, die innerhalb eines Unternehmens –
nämlich in der Mitarbeiterschaft – liegt. Organisationsmitglieder aus den eigenen Reihen sind am
Puls des Geschäftes und kennen die Herausforderungen des Marktes. Wir zeigen sechs Strategien
wie Unternehmen Innovation von innen schöpfen, um Intrapreneurship als strategischen Erfolgs-
faktor nutzen zu können.
33. 31 Detecon Management Report blue • 2014
fragten Entrepreneurs sich einig, dass Innovation entscheidend
für das Wachstum eines Geschäftes ist. Gerade in dieser Hin
sicht bedarf es für Innovation lockre und agile Organisations
strukturen, welche Kreativität anregen und Rückschläge verar
beiten können. Große etablierte Unternehmen haben oft starre,
hierarchisch institutionalisierte Strukturen, die unternehme
rischen Geist ersticken und Wachstum eingrenzen. Interessant
ist zu sehen, dass nahezu die Hälfte der Befragten – 49 Prozent
– die Ansicht teilt, dass Innovation schwieriger geworden ist,
insbesondere aufgrund zunehmender Größe und Komplexität
der Organisationen.*
Sechs Strategien zur Förderung der eigenen Innovationskraft
Angesichts der steigenden starken Konkurrenz auf internatio
nalen Märkten steigt die Bedeutung von Innovationen enorm,
um Unternehmen einen Vorsprung im globalen Wettbewerb zu
ermöglichen. Und der beste Weg, dies zu tun, geht über die
Nutzung schon vorhandener Ressourcen: die eigenen Mitarbei
ter. Doch wie können Unternehmen die Kreativität innerhalb
der Mitarbeiterschaft anregen, um Innovation zu ermöglichen
und zu fördern? Welche praktischen Maßnahmen müssen um
gesetzt werden, um Innovation als Teil der Unternehmenskultur
zu verankern?
Nach Auswertung zahlreicher Umfragen bei Führungskräften
und etablierten akademischen Instituten konnten sechs Strate
gien identifiziert werden:
1. Aufbau einer formalen Struktur für Intrapreneurship. Geben
Sie Ihren Mitarbeitern genug Zeit neben Ihrem „Tagesgeschäft“,
um auf kreativen Projekten zu arbeiten, und implementieren
Sie einen formalen Prozess für die Entwicklung neuer Produkte
oder Geschäftsideen.
2. Eigene Mitarbeiter nach Ideen und Anregungen fragen. Ihre
Angestellten haben ihre Finger am Puls des Marktes. Ermuti
gen Sie jeden Mitarbeiter, ganz gleich in welchem Rang oder
welcher Funktion, zum Innovationsdialog beizutragen.
3. Versammeln und entfesseln einer vielfältigen Belegschaft.
Wissenschaftliche Untersuchungen bestätigen, dass Gruppen,
welche mit unterschiedlichen Blickrichtungen zusammenge
setzt sind, bessere Ideen und Produkte entwickeln. Nutzen Sie
diese facettenreiche Energiequelle.
4. Gestaltung eines Karrierepfads für Intrapreneure. Intrapre
neure sind zum größten Teil Einzelgänger, die konventionelle
administrative Arbeit ablehnen. Suchen Sie neue Wege und
bieten Sie Ihren Mitarbeitern attraktive Perspektiven für den
beruflichen Aufstieg.
5. Erkundung staatlicher Anreize für Innovationen. Erforschen
Sie, wie staatliche Subventionen Ihre unternehmerischen Akti
vitäten unterstützen können. Regierungen auf der ganzen Welt
bieten neue Steuererleichterungen und andere Anreize, insbe
sondere im Bereiche Forschung und Entwicklung – Unterneh
men wiederum fordern Regierungen zur Unterstützung von
Innovation auf.
6. Auf Rückschläge vorbereitet sein. Kühne Ideen können auch
fehlschlagen. Seien Sie sich dessen bewusst, dass nicht alle Ideen
erfolgreich umzusetzen sind. Bereiten Sie sich auf Rückschläge,
interne Konflikte, finanzielle Risiken und auf Streitkämpfe über
intellektuelles Eigentum vor.
Während diese Leitlinien keineswegs als Erfolgsgaranten gese
hen werden sollten, bieten sie dennoch einen strategischen Plan,
um organisationelle Verstrickungen in Unternehmen aufzu
lockern und ein unterstützendes Umfeld für kreative Prozesse
zu schaffen. Zudem verfolgen diese sechs Strategien ein Schlüs
selziel: die Institutionalisierung von Intrapreneurship, so dass
unternehmerisches Engagement der Mitarbeiter zur Förderung
der Innovationskraft ein untrennbarer Teil der Unternehmens
kultur wird. Nur dann kann der Prozess der kontinuierlichen
Innovation erhalten werden.
Intrapreneurship als strategischer Erfolgsfaktor
Es ist festzuhalten, dass Intrapreneurship ein strategischer Er
folgsfaktor für innovative Unternehmen ist. Auch im Hinblick
auf die Erwartungen der Generation Y an Arbeitsplatz und
Arbeitgeber gewinnen flacher werdenden Hierarchieebenen,
autarkes Handeln, das Übernehmen von Verantwortung und
die Kompetenz, Probleme zu lösen, an Bedeutung. Hier stärkt
die effektive Einbindung unternehmerisch denkender und han
delnder Personen die Organisation im wirtschaftlichen und so
zialen Sinne und ermöglicht die Leistung eines hohen Beitrags
zum Unternehmenserfolg.
* Quelle: Siegerstrategien im deutschen Mittelstand 2013,
Studie, Ernst & Yount 2014
34. 32 Detecon Management Report blue • 2014
Ein nachhaltiges
Transformationsprogramm
stärkt die Wettbewerbsfähigkeit
Ein dynamisches Marktumfeld bedingt immer wieder Anpassungen in Organisationen.
Dass sich Quick-wins und Nachhaltigkeit dabei nicht ausschließen müssen, zeigt das
Transformationsprogramm von E.ON. Michael Kamsteeg, Leiter dieses Programms,
sprach mit DMR BLUE über den Erfolgsfaktor Leadership.
Interview mit Michael Kamsteeg, Leiter des „E.ON 2.0“
Kostensenkungs- und Restrukturierungsprogramms
35. 33 Detecon Management Report blue • 2014
MR: E.ON 2.0 ist wahrscheinlich eines der größten Trans-
formationsprogramme, die E.ON bisher unternommen hat. Was
waren die Auslöser dafür, dieses Programm aufzusetzen?
M. Kamsteeg: Das Programm wurde im Sommer 2011 ge
startet. Unser Marktumfeld hatte sich verändert: Zunehmende
Überkapazitäten, insbesondere im Erzeugungsgeschäft, und eine
höhere Wettbewerbsintensität im Markt, neue Technologien,
gerade bei der regenerativen, dezentralen Energieversorgung
und veränderte politische und regulatorische Rahmenbedin
gungen – Stichwort Ausstieg aus der Kernenergie – haben uns
vor Herausforderungen gestellt, die ein „weiter so“ unmöglich
gemacht haben. Wir wollten uns diesen Veränderungen aktiv
stellen, um auch in Zukunft in unserer Branche führend zu sein.
DMR: Mit welcher Zielsetzung wurde das Programm aufgesetzt:
primär, um Kosten zu senken und Personal abzubauen oder spielten
auch kulturelle Aspekte eine Rolle?
M. Kamsteeg: Primäres Ziel ist der Kostenabbau, um unse
re Wettbewerbsfähigkeit langfristig sicherzustellen, sowie die
Freisetzung finanzieller Ressourcen für den weiteren Aus- und
Umbau unseres Energiegeschäfts. E.ON möchte zu den Top-
Quartil-Unternehmen in den administrativen und operativen
Funktionen gehören. Allerdings muss auch die Nachhaltigkeit
der Einsparungen gewährleistet werden. Bei einem Programm
unseres Umfangs funktioniert dies nur mit einem grundlegen
den kulturellen Wandel. Die Entwicklung und Einführung
einer Performance-Kultur, in der kontinuierliche Verbesserung
gelebt wird, ist daher auch essenzielle Zielsetzung des E.ON 2.0
Programms.
DMR: Welches waren die Haupthebel, um die Zielsetzung zu er-
reichen?
M. Kamsteeg: Wir haben in allen Bereichen des Konzerns Ver
besserungen umgesetzt. Das beinhaltet strukturelle Verände
rungen wie die Zusammenlegung und Verlegung von Holding-
Gesellschaften und operativen Geschäften, die Verbesserung
in administrativen Funktionen, beispielsweise durch die Bün
delung von Finanz- und HR-Aktivitäten in Business Service
Center oder Center of Competence, Kosteneinsparungen in der
Beschaffung von Material und Services sowie Effizienzverbes
serungen in allen operativen Bereichen. Hierzu gehören zum
Beispiel Lean-Maßnahmen in der Erzeugung, im Netzgeschäft
und im Vertrieb.
DMR: Häufig werden in Effizienzprogrammen langfristige Poten-
ziale auf Kosten kurzfristiger „Quick-Wins“ aufgegeben oder nicht
genutzt. Wie sah dies im Rahmen von E.ON 2.0 aus?
M. Kamsteeg: Um die ambitionierten Einsparziele zu erreichen,
mussten sowohl Quick-wins als auch langfristige Potenziale
gehoben werden. In jedem Fall wurde bei allen Maßnahmen
darauf geachtet, dass diese nachhaltig sind. Nicht nachhaltige
Kostensenkungsmaßnahmen sind zwar ebenso erfolgswirksam,
wurden aber nicht auf die Erreichung der Programmziele ange
rechnet.
DMR: Wenn Sie einen Blick zurück wagen: Was waren zu Beginn
die größten Widerstände und Kritikpunkte, mit denen das Pro-
gramm konfrontiert wurde?
M. Kamsteeg: Teil unseres Programms ist ein substanzieller
Personalabbau. Durch frühzeitiges Einbeziehen der Mitbestim
mung und durch klare Kommunikation von Beginn an konnten
wir aber unsere Organisation von der Notwendigkeit und der
fairen Ausgewogenheit der Maßnahmen überzeugen. Wir haben
darüber hinaus grundlegende strukturelle Veränderungen gleich
zu Beginn entschieden, ambitionierte Ziele gesetzt und kom
muniziert. Von den Zielen sind wir im Programmverlauf nicht
abgewichen und haben diese bislang planmäßig umgesetzt und
konsequent nachverfolgt.
DMR: Das Fokusthema unserer aktuellen Ausgabe heißt
„Leadership“: Welche Rolle hat das Management im Transforma
tionsprozess gespielt und wie wurde insbesondere die Einbindung
des Mittelmanagements sichergestellt?
M. Kamsteeg: Leadership zu zeigen war ein wichtiges Prinzip
auf allen Ebenen in unserem Transformationsprogramm. Wir
hatten von Anfang an die volle Unterstützung durch unsere Vor
stände und oberen Führungskräfte. Auch die mittlere Manage
mentebene wurde früh einbezogen und somit von Betroffenen
D
36. 34 Detecon Management Report blue • 2014
Michael Kamsteeg ist seit 1995 in verschiedenen kaufmännischen
Funktionen im E.ON Konzern tätig. Neben Positionen im Rechnungs
wesen, Finanzen, Controlling war er CFO einer Managementeinheit
in Rumänien. Als Projektleiter hat er bereits verschiedene Transforma
tionsprogramme begleitet und leitete das E.ON 2.0 Kostensenkungs-
und Restrukturierungsprogramms. Seit Anfang April ist er CFO der
Global Units E.ON Generation und E.ON Climate & Renewables.