1. 106 FOCUS 19/2015
KULTUR & MEDIEN
Rock im Anzug
Marcus
Mumford (vorn)
mit Winston Marshall,
Ben Lovett und
Ted Dwane (v.l.).
Letztere, haupt-
sächlich zuständig
für Schlagzeug und
Bass, sprachen mit
FOCUS über den
Wandel der Band
Als bärtige Folkies setzten
sie Trends und eroberten
die Charts – hier erklärt die
Kultband Mumford & Sons,
warum sie ihren Sound
nun elektrifiziert
„Wir
waren
schon
immer
rebellisch“
Sie meinten kürzlich, dass das
Warten auf die Veröffentlichung
eines neuen Albums anmutet wie
ein erstes Date via „Tinder“, der
gerade recht trendigen Dating-App.
Können Sie das mal erklären?
Ted Dwane: Da ging es in erster
Linie um Vorfreude. Man arbei-
tet so lange an einem Album und
kann es dann kaum erwarten, bis
es endlich rauskommt – wie die
Vorfreude bei einem ersten Date.
Aber Ihr neues Album „Wilder
Mind“ soll doch wohl mehr sein als
ein One-Night-Stand via „Tinder“?
Dwane: Na, hoffentlich!
Auf dem neuen Album werden
Ihr Markenzeichen, das Banjo,
und alle akustischen Instrumente
durch elektrische Gitarren
und Synthesizer ersetzt. Hatten
Sie Ihren alten Sound satt?
Ben Lovett: Das würde ich so
nicht sagen. Wir brauchten einen
neuen Antrieb und haben uns
entschieden, nicht einfach unse-
re ersten beiden Alben zu wieder-
holen, sondern eine etwas andere
Richtung einzuschlagen. Vieles
dabei war reiner Zufall. Wir hin-
gen in der Garage eines Freundes
herum, der viele elektrische Ins-
trumente und Schlagzeuge be-
sitzt. Und so wurde der Sound
rockiger als zuvor.
Aber das Banjo haben Sie
absichtlich weggelassen?
Dwane: Nein, das war keine
bewusste Entscheidung. Wir lie-
ben das Instrument und seinen
Klang, aber es bietet nicht viel
Raum zur Weiterentwicklung.
Und Winston Marshall, der das
Banjo spielt, fühlte sich dadurch
eingeschränkt. Schließlich war er
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2. FOCUS 19/2015
TITEL
Fotos:UniversalMusic
Folk-
Verein
Als Live-Band
erspielten
sich Mumford
& Sons in
Londons Folk-
Szene so viel
Anerkennung,
dass die
Gruppe 2008
zum berühm-
ten Glaston-
bury-Festival
eingeladen
wurde.
Hit-Platten
Die beiden
Alben „Sigh
No More“
(2009) und
„Babel“ (2012)
wurden zu
Chart-Dauer-
brennern. Vor
allem Letzteres
verkaufte sich
millionenfach.
Frontmann
Mumford zog
durch seine
Ehe mit der
britischen
Schauspielerin
Carey Mulligan
zusätzliches
Medieninte-
resse auf sich.
schon immer in erster Linie Gitar-
rist – was übrigens auch für den
Rest von uns gilt.
Lovett: Wir sind alle mit Rock
und elektrischen Instrumenten
aufgewachsen. Auf akustischen
haben wir erst später gespielt.
Wenn Sie eigentlich Rock-
musiker sind, wie kam es über-
haupt dazu, dass Sie mit Folk
angefangen haben und damit so
erfolgreich geworden sind?
Lovett: Wir waren schon immer
rebellisch! Und wollten etwas an-
deres machen als die Rockmu-
sik, mit der wir aufwuchsen. Wir
empfanden unsere Musik als kit-
schig, vielleicht sogar ein bisschen
komisch. Es war sehr exotisch, sol-
che Musik in London zu machen.
Dwane: Es war ein bisschen
wie in den Sixties, als die Beatles
Musik von Chuck Berry aus den
USA nach Großbritannien brach-
ten. Genauso haben wir diese
riesige Bandbreite an Country-
Musik entdeckt und damit unse-
ren Stil geprägt.
Die Band sieht auch ganz anders
aus als früher: Lederjacken, enge
Jeans, weniger Bart... Sind Sie
in einer frühen Midlife-Crisis?
Lovett: Mich hat es genervt,
dass man uns immer gesagt
hat, wir würden wie bärtige alte
Männer aussehen. Also rasiere
ich mich jetzt öfter. Zugegeben:
Vielleicht auch, um noch so lan-
ge wie möglich an meinen 20ern
festzuhalten ...
Dwane: Und Lederjacken haben
wir schon immer getragen. Ich
glaube, die öffentliche Wahrneh-
mung von Mumford & Sons ist viel
starrer und konzeptioneller als
unsere eigene. Wir sind einfach
vier Freunde, die zusammen Spaß
haben. Auch bei Foto-Shoots.
Lovett: Für unser Album „Babel“
haben wir uns damals in einem
Barber-Shop fotografieren lassen,
weil es ein lustiges Motiv war.
Deswegen wollten wir noch lan-
ge keine Barbiere werden!
Aber jetzt sind Sie Mainstream?
Dwane: Ich glaube nicht. Zumin-
dest war das nicht unser Gefühl,
als wir das Album aufgenommen
haben. Wir dachten eher, wir
wagen etwas, weil wir Dinge wie
Trommelsynthesizer eingesetzt
haben, die für uns komplettes
Neuland waren. Auf uns hat das
sehr experimentell und künstle-
risch gewirkt. Nicht gerade Main-
stream.
Trotzdem werden Sie schon
mit Coldplay verglichen...
Dwane: Wirklich? Das ist echt
komisch...
Lovett: Habe ich gar nicht mit-
bekommen! So schlimm finde ich
das aber nicht. Coldplay ist zwar
keine Band, die uns inspiriert hat.
Aber auf der anderen Seite haben
sie sich ständig weiterentwickelt
und mit ihrer Musik Millionen von
Menschen bewegt ...
Früher waren Sie mit Musikern
wie Edward Sharpe auf Tour.
Treten Sie jetzt dem-
nächst mit Coldplay auf?
Lovett: Nein, nein! (lacht)
Falls das neue Album floppt,
greifen Sie wieder zum Banjo?
Lovett: Albumverkäufe haben
uns noch nie motiviert.
Dwane: Was uns antreibt, ist die
Nachfrage nach unseren Konzert-
Tickets. Nichts gibt uns mehr
Selbstvertrauen. Wir sind eben
doch in erster Linie eine Live-
Band. Solange die Leute zu unse-
ren Konzerten kommen, machen
wir weiter Musik. Und selbstver-
ständlich werden wir unsere alten
und neuen Songs spielen – inklu-
sive Banjo!
Auf dem neuen Album finden
sich viele Liebeslieder – und
während Marcus Mumford und Ben
Lovett ja bereits vergeben sind,
haben Sie, Mr Dwane, gerade eine
Trennung durchgemacht. Ist es
leichter, verliebt oder mit Liebes-
kummer Songs zu schreiben?
Dwane: Die Liebe ist kompliziert.
Ich habe sicherlich einige meiner
besten Songs geschrieben, als ich
verliebt war. Wenn ich Single bin,
bin ich eigentlich nur am Trinken.
Haben Sie es denn schon mal
mit „Tinder“ versucht?
Dwane: Ehrlich gesagt, nein.
Vielleicht sollte ich es mal aus-
probieren. ■
INTERVIEW: LYDIA EVERS
Album Nr. 3
„Wilder Mind“
entstand in
London und
Brooklyn/USA