Lern-Service-Engineering - Eine ökonomische Perspektive auf technologieunters...
Geschlechterforschung - Ihr Blick auf das Lernen und Lehren mit neuen Technologien
1. Sabine
Zauchner
Geschlechterforschung
Ihr Blick auf das Lernen und Lehren mit neuen Technologien
Der
Beitrag
vermiEelt
einen
Überblick
über
die
grundlegenden
Konzepte
der
Geschlechterforschung
und
deren
Bedeutung
für
das
Lernen
und
Lehren
mit
neuen
Technologien.
Einleitend
werden
der
Begriff
„Gender“
sowie
das
Konzept
des
„Doing
Gender“
erklärt
und
das
Erkenntnisinteresse
der
Geschlechterfor-‐
schung
dargelegt.
Es
lassen
sich
im
Wesentlichen
drei
Ansätze
–
Gleichheitsansatz,
Differenzansatz
und
(De-‐)
KonstrukCvismus
–
unterscheiden,
deren
zentrale
Fragestellungen
im
Kontext
des
Lernens
und
Lehrens
mit
neuen
Technologien
vorgestellt
werden.
Dabei
werden
neben
den
Forschungsergebnissen
der
Bildungsforschung
oder
der
MedienwissenschaHen
vor
allem
die
Theoriebildung
und
Forschungsergeb-‐
nisse
der
Geschlechterforschung
in
der
Technik
breit
rezipiert.
Insbesondere
das
Verständnis
von
Techno-‐
logie
als
soziale
KonstrukCon
war
bedeutsam
für
die
Entwicklung
des
Konzepts
der
„sozialen
Co-‐Kon-‐
strukCon
von
Gender
und
Technologie“,
das
in
seiner
Bedeutung
für
die
Forschung
zum
Lernen
und
Lehren
mit
neuen
Technologien
beschrieben
wird.
Quelle:
Lisa
Norwood
hEp://www.flickr.com/photos/lisanorwood/1348465462/
[2011-‐01-‐10]
#gender
#spezial
#theorieforschung
Version
vom
1.
Februar
2011
Für
dieses
Kapitel
wird
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2. 2
—
Lehrbuch
für
Lernen
und
Lehren
mit
Technologien
(L3T)
1. Konzept
von
Gender
und
Genderforschung
Unter
„Gender“
werden
gesellschaHliche
Geschlech-‐
Der Begriff „Gender“ ist seit nunmehr einigen Jahr- ! terrollen
und
Geschlechterverhältnisse
verstanden.
Gender
wird
entlang
gesellschaHlich
gegebener
Ge-‐
zehnten in wissenschaftlichen Diskursen verankert. schlechterordnungen
ständig
neu
hergestellt
und
ist
Unter Gender werden gesellschaftliche Geschlech- damit
veränderlich.
Die
Geschlechterforschung
zielt
terrollen und Geschlechterverhältnisse v e r- darauf
ab,
Mechanismen
offen
zu
legen,
die
zu
Zu-‐
standen. Dabei handelt es sich um allgemeine Vor- schreibungen
besCmmter
EigenschaHen,
Erwartungen
stellungen und Erwartungen dahingehend, wie oder
Verhaltensmuster
an
die
Geschlechter
be-‐
sCmmen.
Frauen und Männer sind beziehungsweise sein
sollten. Gender bezeichnet alles, was in einer Kultur
als typisch für ein bestimmtes Geschlecht ange- Ausgehend von dieser Begriffsdefinition zielt die Ge-
sehen wird. Diese Sichtweise ist gekennzeichnet schlechterforschung darauf ab, jene Mechanismen of-
durch ein Verständnis von Geschlecht als sozial kon- fenzulegen, in denen Gender – die Zuschreibung von
struiert. Geschlechtliches Positionieren und Verhalten Geschlecht und die damit einhergehende Hierarchi-
ist ein zentraler Anspruch der Gesellschaft an Indi- sierung – wirksam wird. Die Genderforschung hat
viduen. Geschlechtsbezogene Identifikationsprozesse auf vielfältige Weise Eingang in unterschiedliche
beinhalten komplexe Aneignungsprozesse vorgege- Fachdisziplinen gefunden und hat sich aber auch als
bener sozialer Identitätsangebote. Die Zuordnung zu eigenes – interdisziplinäres – Fachgebiet etabliert.
einem Geschlecht wird – entlang der gesellschaftlich
2. Ansätze
und
Fragestellungen
der
Genderforschung
im
gegebenen Geschlechterordnung – ständig neu her-
Kontext
des
Lernen
und
Lehrens
mit
Technologien
gestellt und ist damit veränderbar. Das Konzept des
„Doing Gender“ (West & Zimmermann, 1987) wird Im Versuch einer Systematisierung der heterogenen
hierbei als Synonym für die Sichtweise der sozialen Ansätze der Genderforschung lassen sich im Wesent-
Konstruktion – für das aktive Herstellen – von Ge- lichen drei Perspektiven in ihrer historischen Ent-
schlecht verstanden. wicklung abgrenzen, die in der Folge kurz umrissen
Gender ist eine fundamentale Analysekategorie, werden. Dieser Versuch der Systematisierung ist mit
die Kultur und Gesellschaft nicht nur prägt, sondern einer gewissen Unschärfe belegt, wie es wohl auch für
auch deren kulturelle Bedeutungsgebung organisiert. jegliche Taxonomie gelten mag. Allerdings stellt er
Es gibt keine soziale Situation, in der es ohne Belang aus Sicht der Autorin eine praktikable Basis für die
ist, ob wir als Frau oder Mann gesehen werden und Einordnung der Ansätze der Genderforschung dar.
welche Zuschreibungen in Abhängigkeit von zahl- Aktuell stehen zwar insbesondere (de-) konstrukti-
reichen Faktoren wie Alter, Ausbildung, beruflicher vistische Ansätze im Zentrum der Diskussion, aber
Stellung, kultureller und nationaler Herkunft damit auch frühere Ansätze behalten in ihren gesellschafts-
einhergehen. Die Wechselwirkungen von Diskrimi- politischen und inhaltlichen Anliegen bis heute ihre
nierungen vielfacher sozialer Ungleichheiten wie Ge- Gültigkeit. Die Ansätze gelten trotz zum Teil heftig
schlecht und Klassen- beziehungsweise Schichtzuge- geführter Debatten nicht als überholt, vielmehr kriti-
hörigkeit, ethnische Zugehörigkeit, sexuelle Orien- sieren und/oder ergänzen sie sich gegenseitig.
tierung, Religion, Alter oder (körperliche) Behin- Der Ursprung der Frauenforschung in den 1960er
derung stehen im Rahmen der Geschlechterfor- Jahren wird im Gleichheitsansatz gesehen. Dieser
schung im Zentrum des Konzeptes der Intersektio- Ansatz entsprang einer parteiischen Perspektive, in
nalität. Damit trägt die Geschlechterforschung der an der davon ausgegangen wurde, dass sich sowohl die
sie herangetragenen Kritik eines Reduktionismus Wissenschaft als auch die Gesellschaft aus Frauen-
Rechnung, sich auf die Strukturkategorie Geschlecht sicht anders darstellte. Im Zentrum steht die For-
alleine zu beschränken, ohne die Wechselwirkungen derung nach der Gleichberechtigung der Geschlech-
mit anderen sozialen Ungleichheiten zu betrachten ter. Es wird von einer Gleichheit der Geschlechter
(Lenz, 2010). ausgegangen und Geschlechterunterschiede werden
Geschlechtszugehörigkeit strukturiert unseren als gesellschaftlich bedingt erklärt. Die Fragestel-
Alltag; sie ist „omnirelevant“ und sie wird von Indi- lungen im Rahmen des Gleichheitsansatzes unter-
viduen in Interaktion mit gesellschaftlichen Bedin- suchen, wie Frauen aufgrund gesellschaftlicher Me-
gungen in einem permanenten, alltäglichen interak- chanismen diskriminiert werden.
tiven Prozess immer wieder hergestellt und gefestigt Im Kontext des Lernens und Lehrens mit neuen
(Gildemeister, 2008). Technologien steht hier beispielsweise die Frage im
Zentrum, wie sich die gesellschaftliche Stellung der
3. Geschlechterforschung.
Ihr
Blick
auf
das
Lernen
und
Lehren
mit
neuen
Technologien
—
3
Geschlechter in der Technologieentwicklung abbildet. nicht nur Gender, sondern auch das biologische Ge-
Aber auch der Zugang zu Technologien beziehungs- schlecht (Sex) als diskursive Konstruktion, die per-
weise aus einer bildungswissenschaftlichen Per- manent performativ – das heißt im ständigen Zitieren
spektive der Zugang zu Bildung im Allgemeinen oder von (Geschlechter-)normen – hergestellt wird. Im
stereotype mediale Repräsentationen von Männern Dekonstruktivismus steht einerseits die Dekon-
und Frauen werden hier thematisiert. struktion von Dichotomien allgemein, aber auch des
Unter Differenzansätzen sind all jene Theorien Systems der Zweigeschlechtlichkeit im Vordergrund.
und Konzepte subsumiert, die von Geschlechtsunter- Zwar wird in diesem theoretischen Ansatz das gleiche
schieden zwischen Männern und Frauen ausgehen. „Material“ für die Analyse herangezogen, es ist aber
Der Ansatz basiert auf der Annahme unterschied- nicht das Herausarbeiten von Unterschieden, welcher
licher Lebensäußerungen von Männern und Frauen die Forschungsfragen hier bestimmt, vielmehr inter-
durch die Einbindung in unterschiedliche Lebens- essiert die Dekonstruktion von Geschlechterpolari-
welten. täten wie beispielsweise die Differenz von Ent-
Fragestellungen, die sich aus dieser Perspektive für wicklern beziehungsweise Entwicklerinnen und Nut-
das Lernen und Lehren mit neuen Technologien er- zenden von Technologien. Unterschiede zwischen
geben, sind beispielsweise das Internet-Nutzungsver- den Geschlechtern interessieren somit in ihrer
halten oder die Internetkompetenzen von Männern Funktion zur Herstellung und Aufrechterhaltung der
und Frauen, die Interessen für oder Einstellungen ge- Zweigeschlechtlichkeit.
genüber neuen Technologien, Computern oder elek- Im Kontext des Lernens und Lehrens mit neuen
tronischen Spielen. Aber auch geschlechtsspezifische Technologien, werden neben den Forschungsergeb-
Präferenzen für bestimmte didaktische Modelle nissen der Bildungsforschung oder der Medienwis-
stehen im Zentrum der Untersuchungen. Zu diesen senschaften insbesondere Theoriebildung und For-
Fragen liegt mittlerweile eine relativ breite For- schungsergebnisse der Geschlechterforschung in der
schungsbasis vor (für einen Überblick vgl. Abbot et Technik rezipiert. Auf die Zusammenhänge von Ge-
al., 2007). Kritisch wird an Differenzansätzen ange- schlecht und Technologie wird daher auch schwer-
merkt, dass sie alleine durch die Benennung ge- punktmäßig in der Folge eingegangen.
schlechtsspezifischer Unterschiede – aber noch mehr
durch die Einbeziehung dieser Forschungsergebnisse
in die Gestaltung technologieunterstützter Lernsze- Es
lassen
sich
im
Wesentlichen
drei
Ansätze
der
Ge-‐
narien – zu einer Festschreibung dieser Unterschiede ! schlechterforschung
in
ihrer
zeitlichen
Abfolge
unter-‐
scheiden:
Gleichheitsansatz,
Differenzansatz
und
(De-‐)
beitragen und damit strukturell symbolische Hierar-
KonstrukCvismus.
Deren
inhaltliche
und
gesellschaHs-‐
chisierungen reproduziert werden.
poliCsche
Schwerpunktsetzungen
besCmmen
die
for-‐
So wird in Ansätzen des (De-) Konstruktivismus schungsleitenden
Fragestellungen
im
Kontext
des
das Augenmerk auf die gesellschaftliche Kon- Lehrens
und
Lernens
mit
neuen
Technologien.
struktion der Zweigeschlechtlichkeit gelegt. Es wird
davon ausgegangen, dass wir nicht zweigeschlechtlich
geboren werden (Hageman-White, 1988). Das Au- Beschreiben
Sie
die
wesentlichen
Eckpunkte
der
An-‐
genmerk wird hierbei auf die Herstellung des so- ? sätze
in
der
Geschlechterforschung.
Wo
würden
Sie
Ihre
eigene
PosiCon
am
ehesten
verorten?
Welche
zialen Geschlechts – auf das „Doing Gender“– in In-
Vor-‐
beziehungsweise
Nachteile
entdecken
Sie
in-‐
teraktionen und sozialen Prozessen gelegt: Gender nerhalb
der
Ansätze?
wird in permanenten Zuschreibungs-, Wahrneh-
mungs- und Darstellungsroutinen reproduziert, die
3. Gender
und
(neue)
Technologie
sich lebensgeschichtlich verfestigen und identitäts-
wirksam sind. Dem Doing Gender kommt damit eine Bis in die späten 80er Jahre des 20. Jahrhunderts war
weitreichende Bedeutung in der Konstruktion von das Konzept des technologischen Determinismus das
Weiblichkeit und Männlichkeit zu (Abschnitt 1). vorherrschende Modell in der Gender- und Techno-
Während sowohl Gleichheits- als auch Diffe- logie-Debatte. In dieser mittlerweile in den Sozial-
renzansatz davon ausgehen, dass das biologische und und Kommunikationswissenschaften als überholt an-
das soziale Geschlecht analytisch voneinander ge- gesehenen Theorieströmung wird davon ausge-
trennt werden können, wird diese zentrale Annahme gangen, dass Technik soziale, politische und kulturelle
der frühen Geschlechterforschung im Dekonstrukti- Veränderungen beziehungsweise Anpassungen nach
vismus verneint. Judith Butler (1990; 1991) als wohl sich zieht und dass sozialer und kultureller Wandel
prominenteste Vertreterin dieser Richtung versteht eine Folge technologischer Entwicklungen seien. Die
4. 4
—
Lehrbuch
für
Lernen
und
Lehren
mit
Technologien
(L3T)
feministische Forschung in der Tradition der Gleich- beziehungsweise nicht akzeptiert wird. Zentral aus
heitsansätze konzentrierte sich dabei primär auf die der Gender-Perspektive ist hier das Konzept der in-
Fragestellungen dahingehend, wie technologische terpretativen Flexibilität; das bedeutet, dass Techno-
Entwicklungen Gender-Hierarchien reproduzieren logien bei unterschiedlichen sozialen Gruppen unter-
können. Der Tenor ging weitgehend in die Richtung schiedliche Bedeutungen haben können. So kann
pessimistischer Einschätzungen im Hinblick darauf, Lerntechnologie für Lernende eine organisatorische
dass Frauen Raum im Bereich der männlich domi- Notwendigkeit bedeuten, die Partizipation an Lern-
nierten und patriarchal organisierten Technologie zu- prozessen überhaupt erst ermöglicht. Für Lehrende
gestanden werden könnte. Technologie wurde primär wiederum kann die Möglichkeit einer qualitativen
als eine negative Kraft betrachtet, die Geschlechter- Verbesserung von Lehr-/Lern-Prozessen im Vorder-
hierarchien vielmehr reproduziert und damit eine grund stehen, während auf strategischer Ebene die
weitere Verfestigung der strukturellen Benachtei- Notwendigkeit des Reüssierens am (Weiter-) Bil-
ligung von Frauen fördert, als zu einer Transfor- dungsmarkt im Vordergrund stehen kann.
mation der Geschlechterverhältnisse beizutragen. Derartige „relevante soziale Gruppen“ zeichnen
Diese negative Sichtweise der Bedeutung von sich dadurch aus, dass sie ein gleiches (beziehungs-
Technologien für die Geschlechterfrage wich in der weise zwischen den Gruppen divergierendes) Ver-
weiteren Entwicklung feministischer Theorien posi- ständnis der Bedeutung der Technologie haben, und
tiveren Vorstellungen, die sich insbesondere der Be- sind dafür bestimmend, wie die Technologie gestaltet
trachtung von Frauen als Opfer der gesellschaftlich- wird. Designentscheidungen orientieren sich so an
technischen Gegebenheiten entgegenstellten. Die den jeweiligen Kriterien der spezifischen Gruppen.
bahnbrechenden Arbeiten von Haraway (1991), die in Beim oben genannten Beispiel könnten dies neben
ihrem „A Cyborg Manifesto“ dazu ermutigt und auf- einer Vielzahl anderer Kriterien für die Lernenden
fordert, das positive Potential von Technologien die Eignung für mobile Applikationen, für Lehrende
wahrzunehmen, sind kennzeichnend für diese Per- die Möglichkeit, didaktische Funktionalitäten abzu-
spektivenänderung in der Gender- und Technologie- bilden und Adaptierbarkeit sein. Auf Ebene der Or-
Debatte. Im Kontext neuer Technologien wird hier ganisation wiederum können Servererfordernisse
insbesondere auf Möglichkeiten hingewiesen, die das oder auch die Anbindungsmöglichkeit an die hausei-
Internet für die Exploration von oder das Experi- genen Verwaltungssysteme die relevanten Kriterien
mentieren mit neuen und anderen Aspekten des sein. Wenn Technologien also in unterschiedlichen
Selbst bieten kann (Turkle, 1995). Unterstützt wird sozialen Gruppen jeweils unterschiedliche Bedeu-
diese Sichtweise dadurch, dass es gerade in der Alt- tungen haben, gibt es folglich auch entsprechend
ersklasse der Jugendlichen und jungen Erwachsenen viele unterschiedliche Arten, Technologien zu ge-
in der westlichen Welt in Bezug auf den zeitlichen stalten. Diese Sichtweise impliziert eine Sichtweise
Umfang der Internet-Nutzung zu einer Annäherung des Prozesses der Technikgestaltung als grundsätzlich
der Geschlechter kommt, auch wenn Unterschiede verhandelbar und offen. Sehr schön zu beobachten
im Nutzungsverhalten, beispielsweise bei Computer- war dieser Aushandlungsprozess in der Entwick-
spielen, weiterhin bestehen bleiben (Dholakia et al., lungsgeschichte von Lernplattformen, die ur-
2004). sprünglich sehr stark an der Technik orientiert waren,
und bei denen erst in einem zweiten Entwicklungs-
Die
soziale
KonstrukEon
von
Technologie
stadium didaktische Aspekte verstärkt in den Vorder-
Das Verständnis von Technologie als soziale Kon- grund gestellt wurden.
struktion („Social construction of Technology“, Auch wenn davon ausgegangen werden kann, dass
Pinch & Bijker, 1985) kann hier als impulsgebend für die „relevanten sozialen Gruppen“, die in Verhand-
die feministische Forschung angesehen werden. Es lungen beziehungsweise Kontroversen im Hinblick
wird davon ausgegangen, dass nicht die Technologie auf eine neue Technologie treten, nur zu einem ge-
das menschliche Handeln bestimmt, sondern dass das ringen Teil aus Frauen bestehen, und damit tenden-
menschliche Handeln die Technologie bestimmt. Die ziell eine genderspezifische Analyse nicht stattfindet,
Art und Weise wie Technologie verwendet wird, kann entsteht hier ein Verständnis von Technologie, das
nicht ohne den sozialen Kontext, in den sie einge- entscheidend durch die sozialen Umstände sowie Ge-
bettet ist, verstanden werden. Vertreter/innen dieser gebenheiten und damit natürlich auch durch die Ge-
Theorie gehen davon aus, dass Technologie deshalb schlechterverhältnisse geprägt wird, in denen die
„funktioniert“ beziehungsweise „nicht funktioniert“, Technologie entsteht.
weil sie von bestimmten sozialen Gruppen akzeptiert
5. Geschlechterforschung.
Ihr
Blick
auf
das
Lernen
und
Lehren
mit
neuen
Technologien
—
5
Der
technologische
Determinismus
wurde
in
der Das
Konzept
der
sozialen
Co-‐KonstrukCon
von
Ge-‐
! Gender-‐
und
TechnologiedebaEe
durch
ein
Ver-‐
ständnis
von
Technologie
als
sozial
konstruiert
ab-‐
! schlecht
und
Technologie
geht
davon
aus,
dass
Gender
und
Technologie
in
einem
wechselseiCgen
gelöst.
Das
Konzept
der
interpretaCven
Flexibilität Verhältnis
zueinander
stehen.
Technologie,
und
damit
geht
davon
aus,
dass
Technologien
in
unterschied-‐ auch
Lerntechnologie,
wird
nicht
als
neutral
bezie-‐
lichen
Gruppen
unterschiedliche
Bedeutungen
haben hungsweise
werlrei
angesehen,
sondern
es
wird
ar-‐
und
es
folglich
viele
Gestaltungsmöglichkeiten
gibt: gumenCert,
dass
soziale
Beziehungen
in
Techniken
Damit
wird
der
Prozess
der
Technikgestaltung
als und
Werkzeugen
„eingeschrieben“
sind,
dass
sich
die
offen
und
verhandelbar
verstanden.
Geschlechterverhältnisse
zusammen
mit
der
Techno-‐
logie
sozusagen
materialisieren.
Die
soziale
Co-‐KonstrukEon
von
Geschlecht
und
Tech-‐
nologie
Hier wird Bezug genommen auf die Actors-
In der aktuellen Gender und Technologie-Debatte Network-Theorie (Callon, 1986; Latour, 2005; siehe
trifft das Konzept der sozialen Co-Konstruktion von Kapitel #ant), in der das Verhältnis von Technologie
Gender und Technologie auf breite Zustimmung (für und Gesellschaft durch die Metapher eines hetero-
einen Überblick vgl. Grint & Gill, 1995). Dabei wird genen Netzwerks beschrieben werden kann, in dem
davon ausgegangen, dass Gender und Technologie in sich Technologie und Gesellschaft gegenseitig konsti-
einem wechselseitigen, flexiblen und formbaren Ver- tuieren. Die Netzwerke verbinden Menschen und
hältnis zueinander stehen. Technologie, wird wie nicht-menschliche Entitäten, wobei – gerade dieser
oben bereits festgestellt, nicht als neutral beziehungs- Aspekt wird kontrovers diskutiert – beide als Akteure
weise wertfrei angesehen. Vielmehr wird argumen- beziehungsweise Akteurinnen auftreten können. Im
tiert, dass soziale Beziehungen in Techniken und Rahmen dieser Theorie werden Überlegungen ange-
Werkzeugen „eingeschrieben“ sind, dass sich die Ge- stellt, wie die Akteurinnen beziehungsweise Akteure
schlechterverhältnisse in der Technologie sozusagen die Nutzenden von Technologien im Lebenszyklus
materialisieren. Technologien spiegeln somit die Ge- einer Technologie formen. Designer/innen von
schlechterteilung beziehungsweise Ungleichheiten Technologien „schreiben“ ihre Vision der Welt, ihre
wider. Sie sind sowohl Grund für die als auch Konse- Vorstellungen über die Nutzenden der Technologien,
quenz der Geschlechterverhältnisse (Wajcman, 2010). in die Technologie „ein“. Diese „Einschreibung“ ist
allerdings offen für unterschiedliche Übersetzungen
In der Praxis: Das Sparkling Science Projekt
Das
Sparkling
Science
Projekt
fe|male
(hEp://www.fe-‐ma-‐ Die
Projektergebnisse
sprechen
dafür,
dass
Mädchen
durch
le.net)
untersucht
Web-‐2.0-‐Technologien
unter
dem
Gen-‐ Web-‐2.0-‐Projekte
gut
angesprochen
werden
können:
deraspekt
und
erforscht
deren
Einsatzmöglichkeiten
im Obwohl
die
Projekte
sowohl
für
Buben
wie
für
Mädchen
at-‐
Unterricht.
Dabei
wird,
wie
in
diesem
Kapitel
dargestellt, trakCv
sind,
bewerten
die
Mädchen
die
mit
den
Projekten
davon
ausgegangen,
dass
Web-‐2.0-‐Technologien,
durch verbundenen
Aspekte
der
Gruppenarbeit,
der
InterakCvität
welche
die
Grundgedanken
des
Web,
also
Nutzungsfreund-‐ und
des
selbstorganisierten
Lernens
deutlich
posiCver
und
lichkeit
und
ParCzipaCon
verstärkt
an
Bedeutung
gewinnen, beteiligen
sich
dementsprechend
akCver
und
erfolgreicher
zum
„Eingangstor“
des
Technik-‐Gender-‐Diskurses
erklärt an
den
Projekten.
werden
können.
Obgleich
der
Schluss
nahe
liegt,
dass
sich
dieses
Verhältnis
Das
Projekt
setzt
an
der
Lebenswelt
der
Jugendlichen
an. wieder
umkehrt,
sobald
die
Entwicklung
der
Technologien
im
Unter
Mädchen
und
Buben
beliebte
soziale
Netzwerke
(wie Vordergrund
steht
und
nicht
deren
Ausgestaltung,
wirH
dies
Facebook,
MySpace,
TwiEer,
SchülerVZ)
dienten
als
Ansatz-‐ die
derzeit
mit
Blick
auf
männliche
Bildungsverlierer
rege
dis-‐
punkte
für
die
Entwicklung
zukünHiger
technologieunter-‐ kuCerte
Frage
auf,
wie
Buben
in
stärkerem
Maße
in
derarCge
stützter
Lernszenarien
in
der
Schule.
Diese
ApplikaConen Projekte
einbezogen
und
darin
gefördert
werden
können
wurden
im
Rahmen
von
Projektarbeiten
an
Schulen
imple-‐ (Zauchner
&
Wiesner,
in
Vorbereitung).
menCert
und
von
den
beteiligten
Schülerinnen
und
Schülern
sowie
Lehrerinnen
und
Lehrern
nach
didakCschen
und
gen-‐
derspezifischen
Aspekten
im
Hinblick
auf
einen
Einsatz
im
Unterricht
formaCv
evaluiert.
6. 6
—
Lehrbuch
für
Lernen
und
Lehren
mit
Technologien
(L3T)
durch die Nutzenden, welche die Bedeutung oder die in den (Lehr- und Lern-) Technologien auf den
Nutzung des Artefakts neu verhandeln können. Das ersten Blick jedoch schwerer erkennbar, weil durch
wiederum bedeutet, dass Technologie, ebenso wie Abstraktion und Technisierung „Objektivität“ und
Gender, de-konstruiert werden kann. Weiters wird in somit vermeintliche Wertefreiheit vermittelt wird.
diesem Ansatz die Bedeutung der Nutzerinnen und Laut Schinzel (2005) sind die hierfür nötigen Katego-
Nutzer von Technologien in deren Rolle in der Tech- rienbildungen immer generalisierend, womit sie wie-
nologieentwicklung betont. derum die „Einfallstore“ für genderspezifische Fest-
Seit den 1990er Jahren wird dabei in der Gender- schreibungen und Normierungen darstellen.
forschung in der Informatik auf Nutzungsfreund-
lichkeit und par tizipatives Design gesetzt
(Schelhowe, 2001). Diese Forderung, Technik partizi- DiskuCeren
Sie
in
der
Gruppe:
Wie
könnte
ein
Unter-‐
pativ und nutzungsfreundlich zu gestalten, ist beim
Web 2.0 in dieser Form nicht mehr zu stellen, denn
? suchungsansatz
aussehen,
der
sich
zum
Ziel
setzt,
ge-‐
schlechtlichen
‚Einschreibungen’
von
Lernplazormen,
sie ist, zwar nicht über die Gestaltung sondern durch Wikis,
Blogs
(wahlweise)
zu
analysieren.
Was
müsste
die Technologie an sich, bereits weitgehend realisiert. dabei
berücksichCgt
werden?
Nicht zuletzt wird dem Web 2.0 wegen seines of-
fenen, nutzungsfreundlichen und partizipativen Cha- Was
ist
unter
der
sozialen
Co-‐KonstrukCon
von
Ge-‐
rakters somit das Potential zugesprochen, eine Art
„Eingangstor“ für ein neues Geschlechter-Techno-
? schlecht
und
Technologie
zu
verstehen?
Versuchen
Sie,
diesen
Ansatz
einem
Kollegen
beziehungsweise
logie-Verhältnis zu bilden. Die wenigen empirischen einer
Kollegin
zu
erklären.
Untersuchungen über die Nutzung von Web-2.0-
Technologien aus einer Genderperspektive lassen
jedoch noch keine eindeutigen Schlussfolgerungen
DiskuCeren
Sie
in
der
Gruppe:
Eine
differenztheore-‐
zu. Carstensen (2009) fasst ihren Überblick über den
Stand der Forschung wie folgt zusammen: „Wenn wir ? Csche
Betrachtung
des
Lernens
und
Lehrens
mit
neuen
Technologien
verfesCgt
Stereotypen
vielmehr
uns die frühen Hoffnungen und Befürchtungen aus als
zu
einer
DekonstrukCon
der
Geschlechterhierar-‐
feministischer Sicht vergegenwärtigen, erscheint in chien
beizutragen.
Welche
ImplikaConen
lassen
sich
Zeiten des Web 2.0 vorerst die männliche Dominanz aus
dieser
Aussage
für
die
Forschung
ableiten?
nicht mehr gegeben. So werden viele Weblogs von
Frauen geschrieben, speziell von jüngeren Frauen. Danksagung
Das Internet kann nicht mehr als eine männliche Ich bedanke mich bei den beiden Gutachterinnen Mag. Ve-
Technologie angesehen werden - ob es allerdings zu ronika Hornung-Prähauser und Dr. Corinna Barth für ihre
einem weiblichen Medium geworden ist (...), bleibt wertvollen inhaltlichen Anregungen
offen“ (S. 118, eigene Übersetzung). Damit bezieht Weiterführende
Literatur
sich die Autorin darauf, dass Blogs zwar vermehrt
von Frauen geschrieben werden, dass allerdings von ▸ Braun, C. v. & Stephan, I. (2005). Gender@Wissen. Ein
Männern verfasste Blogs, vermutlich auf Grund von Handbuch der Geschlechtertheorien. Köln: Böhlau UTB.
stärker auf Öffentlichkeit hin ausgerichteten In- ▸ Butler, J. (2004). Undoing Gender. New York: Routledge.
halten, auf mehr Resonanz stoßen. Soziale Netz- ▸ Klein, S.; Richardson, B.; Grayson, D. A.; Fox, L. H.; Kramarae,
werke oder Wikis wiederum haben einerseits ein C.; Pollard, D. S.; Dwywe, C. A. (2007). Handbook for
hohes Potential für politische Diskussion und inhalt- Achieving Gender Equity through Education. London: La-
liche Vernetzung, gleichzeitig wird die Binarität der wrence Erlbaum Ass..
Geschlechter über die Profildarstellungen in sozialen ▸ Schulz-Schaeffer, I. (2000). Sozialtheorie der Technik.
Netzwerken jedoch weitgehend der „realen Welt ent- Frankfurt am Main: Campus.
sprechend“ reproduziert. ▸ Trauth, E. M. (2006). Encyclopedia of Gender and Infor-
Jedenfalls ist jedoch festzuhalten, dass in gleicher mation Technology. Hershey: Idea Group.
Weise, wie jene beim technologiegestützten Lernen Literatur
und Lehren eingesetzten Technologien nicht didak-
tisch neutral sind, sondern bei der Entwicklung von ▸ Abbot, G.; Bievenue, L.; Damarin, S.; Kramarae, C.; Jepkemboi,
Softwarewerkzeugen für Lehr-/Lern-Zwecke immer G. & Strawn, C. (2007). Gender Equity in the Use of Educa-
auch pädagogische Theorie implementiert wird tional Technology. In: S. S. Klein; B. Richardson; D A.
(Baumgartner, 2003), Technologie nicht gender- Grayson, L. H. Fox; C. Kramarae, D. S. Pollard & C. A. Dwyer
neutral ist. Abbildungen von Genderstrukturen sind
7. Geschlechterforschung.
Ihr
Blick
auf
das
Lernen
und
Lehren
mit
neuen
Technologien
—
7
(Hrsg.), Handbook of Achieving Gender Equity through Edu- ▸ Kroll, R. (2002). Gender Studies. Geschlechterforschung.
cation., London: Lawrence Erlbaum Ass., 191-215. Stuttgart: Verlag J.B. Metzler.
▸ Baumgartner, P. (2003). Didaktik, E-Learning-Strategien, Soft- ▸ Latour, B. (2005). Reassembling the Social: An Introduction to
warewerkzeuge und Standards - Wie passt das zusammen?. In: Actor-Network-Theory. Oxford: Oxford University Press.
M. Franzen (Hrsg.), Mensch und E-Learning. Beiträge zur eDi- ▸ Lenz, I. (2010). Intersektionalität: zum Wechselverhältnis von
daktik und darüber hinaus., Aarau: Sauerländer, 9-25. Geschlecht und sozialer Ungleichheit. In R. Becker & B. Kor-
▸ Butler, J. (1990). Gender Trouble: Feminism and the Sub- tendiek (Hrsg.), Handbuch Frauen- und Geschlechterfor-
version of Identity. New York Routledge. schung. Theorie, Methoden, Empirie, Wiesbaden: VS Verlag
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