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Terror und islamischer Extremismus, mangelnde Rechtsstaatlichkeit und eine politische Führung, die
gesellschaftliche Probleme aussitzt statt sie anzugehen - Pakistanis haben sich an Vieles gewöhnt.
"Doch jüngst wurde das Maß des Erträglichen mehrfach überschritten. Die schweigende Mehrheit er-
hebt ihre Stimme", berichtet Olaf Kellerhof, der Projektleiter Pakistan der Friedrich-Naumann-Stiftung
für die Freiheit. Der Mordversuch der Taliban an einer 14-Jährigen, die Instrumentalisierung der Wut
über den Muhammad-Film aus den USA sowie die fingierte Blasphemie-Anklage gegen ein minderjähri-
ges Mädchen mit Down-Syndrom nahmen Teile der Zivilgesellschaft nicht mehr hin. Das Aufstehen der
sonst schweigenden Mehrheit zeigte Wirkung: Die Taliban gerieten in Bedrängnis und sahen sich zu
ihrer bislang ausführlichsten Rechtfertigung genötigt. Vor allem junge Menschen beginnen, sich zu
engagieren.
Pakistan:
Das Schweigen aus Angst ist gebrochen
Islamabad, 05.11.2012
Bericht aus aktuellem Anlass
N° 38/2012
Olaf Kellerhoff
Aktuelle Informationen zur Projektarbeit der Stiftung für die Freiheit finden Sie unter www.freiheit.org
In Pakistan gab es innerhalb von drei Monaten
drei Fälle, bei denen Menschen innerhalb der
sonst schweigenden Mehrheit ihr Missfallen
zum Ausdruck brachten: Das Attentat der Tali-
ban auf die 14-jährige Malala Yousufzai, die
organisierte Gewalt nach dem Muhammad-
Film und die Blasphemie-Anklage gegen Rims-
ha Masih, ein 14-jähriges Mädchen mit
Down-Syndrom. Die drei Fälle zeigen:
 Pakistan mangelt es weiterhin an Rechts-
staatlichkeit. Eigentlich verbotene Organi-
sationen dürfen frei agieren. Die Exekutive
lässt sich sowohl von der Oberschicht (Ein-
fluss mächtiger Einzelpersonen) als auch
von der Unterschicht (bei Auftreten als
Mob) zur Aufgabe von rechtsstaatlichen
Positionen bringen.
www.freiheit.org I2
 Die politische Führung vermeidet weiterhin
jegliche Konfrontation mit dem gesell-
schaftlichen Problem des islamistischen
Extremismus. Sie versucht zu beschwichti-
gen, auszusitzen und Stimmungen für sich
zu nutzen. Damit lässt sie Extremisten, ihre
Sympathisanten und ihre aktiven Unterstüt-
zer in der Gesellschaft de facto frei gewäh-
ren.
 Trotz aller Gewöhnung an Terrorakte, Kriege
und Drohnenangriffe gibt es Fälle, die das
Maß des Erträglichen überschreiten. Dann
ist ein kleiner Teil der Zivilgesellschaft be-
reit, die Angst vor islamistischen Extremis-
ten zu überwinden und aufzustehen. Die
Reaktionen zeigen Wirkung: Noch nie fühl-
ten sich die Taliban derart genötigt, sich zu
rechtfertigen.
 Teile der Zivilgesellschaft protestierten bis-
lang nur spontan gegen einzelne, schlimme
Fälle von Extremismus. Eine organisierte
Bewegung, die strukturelle Veränderungen
fordert, hat sich noch nicht gebildet.
 Vor allem junge Menschen beginnen sich zu
engagieren. Sie wollen, so wie alle Jugendli-
che, ein selbstbestimmtes Leben führen, ih-
re Chancen nutzen. Und sie wollen stolz auf
ihr Land sein. Sie wollen kein Pakistan mit
Terrorismus-Stigma.
 Bislang nahmen Extremisten mit einer Mi-
schung aus Einschüchterung und Propagan-
da signifikanten Einfluss auf Staat und Ge-
sellschaft. Ihr Einfluss könnte – abhängig
von weiteren Aktionen der Bevölkerung –
abnehmen. Einen Teil der Unterstützung ha-
ben die Extremisten bereits durch Angriffe
auf staatliche Einrichtungen verspielt, vor
allem beim Militär.
Die Öffentlichkeit ist empört über das Mala-
la-Attentat
Anfang Oktober erregte der Mordversuch von
zwei Anhängern der Taliban an der 14-jährigen
Malala Yousufzai nationales und internationales
Aufsehen. Die Paschtunin aus dem Swat-Tal
war durch ihre Blogbeiträge über die Talibanbe-
setzung des vormaligen Tourismusgebietes
bekannt geworden. Sie hatte sich für Mäd-
chenbildung bei den zumeist konservativen
Paschtunen eingesetzt. Malala überlebte und
wurde zur ärztlichen Behandlung ins Ausland
geflogen. Als das Attentat bekannt wurde,
empörte sich die pakistanische Öffentlichkeit.
Politiker sprangen auf den Zug auf und boten
Übernahme der medizinischen Behandlungs-
kosten, sei es der Präsident Asif Ali Zardari
oder der populäre ehemalige Kricketspieler
und Parteigründer Imran Khan. Von Angelina
Jolie über Barak Obama und Madonna bis Ban
Ki Moon reichten die internationalen Verurtei-
lungen. Bislang hatte noch kein Fall solche
Einmütigkeit hervorgerufen.
Die Taliban gerieten in Bedrängnis und veröf-
fentlichten ihre bislang längste Verteidigungs-
stellungnahme. Auf sechs Seiten erklärten sie,
warum das Mädchen ihrer Meinung nach ster-
ben müsse. Erstens sei sie volljährig und damit
strafbar. Zweitens sei sie eine Frau, die zwar
grundsätzlich im Islam und nach paschtuni-
scher Tradition geschützt sei, sich jedoch ge-
gen die Scharia versündigt habe. Damit beste-
he sogar die Pflicht für das Attentat. Drittens
sei die junge Bloggerin eine Spionin, die Ge-
heimnisse über die Mujahidin und die Taliban
gegenüber der BBC enthüllt habe. Dafür habe
sie Belohnungen und Auszeichnungen von
„Zionisten“ erhalten.
In ihrer Stellungnahme versuchen die Extre-
misten, die Inhalte der Proteste gegen den
Mordversuch umzudeuten - es ging um ein
Mädchenbildung – diesjähriges Motto
des SPARC Kalenders (Foto Olaf Kellerhoff)
www.freiheit.org I3
Attentat auf ein Kind und um den Einsatz für
Bildung. Unter denjenigen, die gegen das Atten-
tat protestierten, waren auch Partner der Fried-
rich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, darun-
ter die Kinderrechtsorganisation SPARC.
Der Staat ermöglicht Massenprotest
Drei Wochen vor dem Attentat auf die 14-
jährige Malala hatte der Film „Innocence of
Muslims“ eines amerikanischen Christen zu
Demonstrationen von Muslimen in mehreren
Staaten geführt. Der Film stellt den Propheten
Muhammad als blutrünstigen und sexhungrigen
Kinderschänder dar. Auch in Pakistan gingen
Menschen aus Protest auf die Straße. Zunächst
demonstrierten in dem Land mit 180 Millionen
Einwohnern in mehreren Städten insgesamt nur
6.000 Menschen, 1.000 davon laut Medienbe-
richten in der 18-Millionen-Stadt Karachi.
Solch geringe Zahlen sind normalerweise kaum
einer Rede wert in Pakistan, wo bis zu 100.000
Menschen an Wahlkampfveranstaltungen teil-
nehmen. Waren die Proteste gegen den
Muhammad-Film zu Beginn verhältnismäßig
unbedeutend, so sahen mehrere Organisationen
und Parteien dennoch die Chance, von der
Stimmung zu profitieren. Sie wollten den Pro-
test mit eigenen Themen besetzen und sich
profilieren. Einige Gruppen, darunter auch ver-
botene wie die Jamiat ul-Dawa, die auf den
UN- und US-Terrorlisten steht, organisierten
größeren Protest. Sie karrten Anhänger mit Bus-
sen an. Durch die Demonstrationen sollte in
Wahrheit jedoch nicht in erster Linie die Welt-
öffentlichkeit angesprochen werden, sondern
vor allem Pakistanis. Es ging um die hiesige
Deutungshoheit des Islam. Keine Organisation
wollte sich nach dem Erscheinen des Muhamm-
ad-Filmes nachsagen lassen, eine solche
Schmähung des Islams tatenlos hinzunehmen.
Je gewaltsamer das Protestauftreten, desto
mehr Medienpräsenz war gewiss.
Die gefährliche Eigendynamik wurde vom Staat
nicht gemildert sondern verstärkt: Die Polizei
ließ gewaltsame Demonstranten ungestraft frei,
die während der anfänglichen Proteste festge-
nommen worden waren. Somit war jedem
neuen Demonstranten klar, dass er keine
Strafverfolgung fürchten musste, was immer
er auch anstellen mag. Zudem versuchte die
Regierung, sich an die Spitze der Proteste zu
setzen. Wahrscheinlich wollte sie Sympathie
gewinnen im Hinblick auf die Wahlen im
nächsten Frühjahr. Die Regierung verurteilte
den Film und blockierte YouTube, wo er zu
sehen war. Außerdem wurde kurzfristig ein
zusätzlicher Feiertag angekündigt, Yaum-e
Ishq-e Rasool, den „Tag der Liebe zum Prophe-
ten“. Der Feiertag wurde auf einen Freitag
gelegt, also auf den Wochentag, der traditio-
nell ohnehin schon der Hauptprotesttag ist.
Durch den Feiertag gab die Regierung jedem
die Möglichkeit, an Protesten teilzunehmen.
Das Ergebnis dieser Politik war ein „Tag der
Liebe zum Propheten“ mit Massendemonstra-
tionen, 23 Toten, 200 Verletzten, zerstörten
Autos, geplünderten Geschäften, ausgebrann-
ten Kinos und einer niedergebrannten Kirche
in Mardan.
Die pakistanische Öffentlichkeit erschrak. Poli-
tik, Medien, die organisierte Zivilgesellschaft
und viele Bürger reagierten mit betroffenen
Äußerungen und kritisierten die Gewalt. Viele
waren beschämt. Auch die pakistanischen
Alumni der Internationalen Akademie für Füh-
rungskräfte der Naumann-Stiftung (Free-
domGate Pakistan, FGP) verurteilten öffentlich
die Gewalt. Bürger gründeten auf Facebook
das „Project Cleanup for Peace“. Sie folgten
dem Aufruf eines 23-Jährigen aus Islamabad
und räumten verwüstete Straßen auf. Die Ak-
tion sollte auch Pakistans Image helfen. Rund
100 Menschen kehrten in Islamabad Straßen,
frischten Farbe an Bordsteinen auf und sam-
melten Müll ein. In Karachi halfen 40 Freiwil-
lige, in Lahore 50. Andere Bürger sammelten
Spenden für den Wiederaufbau der zerstörten
Kirche. Ein Werkstattbesitzer ließ auf eigene
Rechnung das Auto eines Ausländers reparie-
ren, das während der Proteste stark beschädigt
worden war. Die Zahl derjenigen, die an sol-
chen Aktionen teilnahmen, war zwar relativ
gering - aber endlich gab es öffentliche Reak-
www.freiheit.org I4
tionen aus der normalerweise schweigenden
Mehrheit. In der Weltöffentlichkeit kam nicht
diese positive Entwicklung an, sondern vielmehr
das Kopfgeld von 100.000 US-Dollar, das Eisen-
bahnminister Ghulam Ahmed Bilour auf den
Urheber des Films aussetzte. Bilour besitzt eines
der zerstörten Kinos in Peshawar. Zwar distan-
zierten sich die Regierung und seine Partei von
dem Minister, doch er durfte im Amt bleiben.
Auch wurde keine Anklage gegen ihn erhoben.
Geistliche, die im Fernsehen zum Mord aufru-
fen, werden ja auch nicht belangt.
Das Blasphemie-Gesetz als Waffe
Sehr wohl belangt wurde dagegen Rimsha
Masih, ein 14-jähriges Mädchen mit Down-
Syndrom, das im August verhaftet und der
Blasphemie angeklagt worden war. Angeblich
hatte sie Seiten des Korans verbrannt. Die Poli-
zei musste das Mädchen, das der christlichen
Minderheit angehört, vor einem aufgebrachten
Mob schützen, der sie lynchen wollte. Verhaf-
tung und Anklage folgte öffentlicher Protest,
weil Rimsha minderjährig und behindert ist.
Zudem stellte sich heraus, dass der Mann, der
sie angezeigte, angebliche Beweismittel fingiert
hatte. Es ist nicht klar, ob ein Nachbarschafts-
streit oder Vertuschung einer sexuellen Straftat
der wahre Hintergrund der Anzeige war. Rimsha
kam frei, der Mann wurde verhaftet. Allerdings
kippten während des Verfahrens gegen ihn drei
von vier Belastungszeugen um. Verteidiger
drohten mit außergerichtlicher Gewalt: „Rimsha
ist schuldig. Wenn der Staat die Gerichte außer
Kraft setzt, dann wird Gott jemanden finden,
der den Job erledigt.” Das Mädchen muss bis
heute versteckt werden. Der Prozess gegen den
Mann dürfte, wie so viele, im Sande verlaufen.
Noch nie wurde jemand wegen Falschanzeige
schuldig gesprochen.
Zu Verurteilungen wegen Blasphemie kommt es
dagegen regelmäßig. Das Gesetz stammt aus
der britischen Kolonialzeit und wurde 1986
verschärft. Seitdem sind 1.400 Blasphemie-
Anklagen erhoben worden. 52 Angeklagte wur-
den noch während ihres Gerichtsverfahrens
ermordet. 15 sind zum Tode verurteilt, aber
noch nicht hingerichtet. Das Gesetz wird oft
missbraucht, zum Beispiel um Nachbarstrei-
tigkeiten zu lösen, um sich persönlich zu rä-
chen und um Angehörige religiöser Minderhei-
ten zu belangen. Insgesamt sind die meisten
Anklagen jedoch gegen Muslime gerichtet.
Allerdings werden in internationalen Medien
meist die Fälle von Christen aufgegriffen. Als
der Gouverneur der Provinz Punjab, Salman
Taseer, sich für eine Änderung des Gesetzes
einsetzte, wohlgemerkt nicht für die Abschaf-
fung, wurde er im Januar 2011 ermordet. Das
Gesetz antasten zu wollen, wird von Extremis-
ten oft schon als Blasphemie angesehen. We-
nig später wurde auch der damalige Minder-
heitenminister Shahbaz Bhatti, der ebenfalls
eine Reform des Blasphemie-Gesetzes ange-
regt hatte, von Unbekannten getötet. Partner
der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Frei-
heit, die sich ebenfalls für eine Änderung ein-
setzen, sind längst sehr viel vorsichtiger ge-
worden.
Cover “A Question of Faith”, eine qualitative Studie des
FNF-Partners Jinnah-Institut, untersucht die Situation der
religiösen Minderheiten in Pakistan
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Die Fundamente des Staates werden angegrif-
fen
Die Mischung aus Mangel an Rechtsstaatlich-
keit, Arrangements mit Extremisten und Sym-
pathisieren mit islamistischen Positionen hat zu
einem Anwachsen von islamistischen und ge-
waltbereiten Gruppierungen geführt. Seitdem
hat sich vor allem die Lage von Minderheite n
verschlechtert. Die sektiererische Gewalt – auch
die inner-islamische – hat zugenommen. Zudem
haben erneut mehrere Hundert Hindus in die-
sem Jahr Pakistan verlassen.1
Extremistische Gruppierungen akzeptieren die
aktuelle Staatsform nicht. Vielmehr arbeiten sie
auf einen Umsturz hin. Trotzdem vermeidet der
Staat (mit Ausnahme von Militäroperationen in
nördlichen Gebieten) eine polizeiliche und juris-
tische Auseinandersetzung mit Extremisten.
Ebenso vermieden wird ein gesellschaftlicher
Diskurs über Extremismus und seine Ursachen.
So arbeitet die Zeit für Extremisten – es sei
denn, eine nicht mehr schweigende Mehrheit
könnte ihnen jetzt nach dem Attentat auf die
14-jährige Malala die gesellschaftliche Basis
entziehen. I.A. Rehman, der Direktor der FNF-
Partnerorganisation Human Rights Commission
of Pakistan (HRCP), sieht eine Chance: „Diejeni-
gen, die Malala angegriffen haben verzweifeln
nun aus Angst, dass die Toleranz des Volkes
gegenüber ihren einschüchternden Praktiken
und dem Missbrauch des Glaubens zu einem
Ende kommen könnte. Nun müssten die Männer
und Frauen von Pakistan den Beweis antreten,
dass diese Ängste eine Basis in der Realität ha-
ben.“ Rehman, Pakistans Menschrechts-Ikone,
fordert auch politisches Handeln. Nötig sei eine
„komplette Restrukturierung des Staates“, die
im Einklang mit modernen, demokratischen
Prinzipien stehen müsse. Die Friedrich-
Naumann-Stiftung für die Freiheit arbeitet seit
Jahren für demokratische Prinzipien. Partneror-
ganisationen treten für Reformen ein und erhe-
ben nun ihre Stimme.
1
http://www.dw.de/hindus-leave-pakistan-for-india-
amid-claims-of-persecution/a-16165494
Olaf Kellerhoff ist Projektleiter der Friedrich-
Naumann-Stiftung für die Freiheit für Pakistan.
Impressum
Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit
Bereich Internationale Politik
Referat für Querschnittsaufgaben
Karl-Marx-Straße 2
D-14482 Potsdam

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  • 1. www.freiheit.org I1 Terror und islamischer Extremismus, mangelnde Rechtsstaatlichkeit und eine politische Führung, die gesellschaftliche Probleme aussitzt statt sie anzugehen - Pakistanis haben sich an Vieles gewöhnt. "Doch jüngst wurde das Maß des Erträglichen mehrfach überschritten. Die schweigende Mehrheit er- hebt ihre Stimme", berichtet Olaf Kellerhof, der Projektleiter Pakistan der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Der Mordversuch der Taliban an einer 14-Jährigen, die Instrumentalisierung der Wut über den Muhammad-Film aus den USA sowie die fingierte Blasphemie-Anklage gegen ein minderjähri- ges Mädchen mit Down-Syndrom nahmen Teile der Zivilgesellschaft nicht mehr hin. Das Aufstehen der sonst schweigenden Mehrheit zeigte Wirkung: Die Taliban gerieten in Bedrängnis und sahen sich zu ihrer bislang ausführlichsten Rechtfertigung genötigt. Vor allem junge Menschen beginnen, sich zu engagieren. Pakistan: Das Schweigen aus Angst ist gebrochen Islamabad, 05.11.2012 Bericht aus aktuellem Anlass N° 38/2012 Olaf Kellerhoff Aktuelle Informationen zur Projektarbeit der Stiftung für die Freiheit finden Sie unter www.freiheit.org In Pakistan gab es innerhalb von drei Monaten drei Fälle, bei denen Menschen innerhalb der sonst schweigenden Mehrheit ihr Missfallen zum Ausdruck brachten: Das Attentat der Tali- ban auf die 14-jährige Malala Yousufzai, die organisierte Gewalt nach dem Muhammad- Film und die Blasphemie-Anklage gegen Rims- ha Masih, ein 14-jähriges Mädchen mit Down-Syndrom. Die drei Fälle zeigen:  Pakistan mangelt es weiterhin an Rechts- staatlichkeit. Eigentlich verbotene Organi- sationen dürfen frei agieren. Die Exekutive lässt sich sowohl von der Oberschicht (Ein- fluss mächtiger Einzelpersonen) als auch von der Unterschicht (bei Auftreten als Mob) zur Aufgabe von rechtsstaatlichen Positionen bringen.
  • 2. www.freiheit.org I2  Die politische Führung vermeidet weiterhin jegliche Konfrontation mit dem gesell- schaftlichen Problem des islamistischen Extremismus. Sie versucht zu beschwichti- gen, auszusitzen und Stimmungen für sich zu nutzen. Damit lässt sie Extremisten, ihre Sympathisanten und ihre aktiven Unterstüt- zer in der Gesellschaft de facto frei gewäh- ren.  Trotz aller Gewöhnung an Terrorakte, Kriege und Drohnenangriffe gibt es Fälle, die das Maß des Erträglichen überschreiten. Dann ist ein kleiner Teil der Zivilgesellschaft be- reit, die Angst vor islamistischen Extremis- ten zu überwinden und aufzustehen. Die Reaktionen zeigen Wirkung: Noch nie fühl- ten sich die Taliban derart genötigt, sich zu rechtfertigen.  Teile der Zivilgesellschaft protestierten bis- lang nur spontan gegen einzelne, schlimme Fälle von Extremismus. Eine organisierte Bewegung, die strukturelle Veränderungen fordert, hat sich noch nicht gebildet.  Vor allem junge Menschen beginnen sich zu engagieren. Sie wollen, so wie alle Jugendli- che, ein selbstbestimmtes Leben führen, ih- re Chancen nutzen. Und sie wollen stolz auf ihr Land sein. Sie wollen kein Pakistan mit Terrorismus-Stigma.  Bislang nahmen Extremisten mit einer Mi- schung aus Einschüchterung und Propagan- da signifikanten Einfluss auf Staat und Ge- sellschaft. Ihr Einfluss könnte – abhängig von weiteren Aktionen der Bevölkerung – abnehmen. Einen Teil der Unterstützung ha- ben die Extremisten bereits durch Angriffe auf staatliche Einrichtungen verspielt, vor allem beim Militär. Die Öffentlichkeit ist empört über das Mala- la-Attentat Anfang Oktober erregte der Mordversuch von zwei Anhängern der Taliban an der 14-jährigen Malala Yousufzai nationales und internationales Aufsehen. Die Paschtunin aus dem Swat-Tal war durch ihre Blogbeiträge über die Talibanbe- setzung des vormaligen Tourismusgebietes bekannt geworden. Sie hatte sich für Mäd- chenbildung bei den zumeist konservativen Paschtunen eingesetzt. Malala überlebte und wurde zur ärztlichen Behandlung ins Ausland geflogen. Als das Attentat bekannt wurde, empörte sich die pakistanische Öffentlichkeit. Politiker sprangen auf den Zug auf und boten Übernahme der medizinischen Behandlungs- kosten, sei es der Präsident Asif Ali Zardari oder der populäre ehemalige Kricketspieler und Parteigründer Imran Khan. Von Angelina Jolie über Barak Obama und Madonna bis Ban Ki Moon reichten die internationalen Verurtei- lungen. Bislang hatte noch kein Fall solche Einmütigkeit hervorgerufen. Die Taliban gerieten in Bedrängnis und veröf- fentlichten ihre bislang längste Verteidigungs- stellungnahme. Auf sechs Seiten erklärten sie, warum das Mädchen ihrer Meinung nach ster- ben müsse. Erstens sei sie volljährig und damit strafbar. Zweitens sei sie eine Frau, die zwar grundsätzlich im Islam und nach paschtuni- scher Tradition geschützt sei, sich jedoch ge- gen die Scharia versündigt habe. Damit beste- he sogar die Pflicht für das Attentat. Drittens sei die junge Bloggerin eine Spionin, die Ge- heimnisse über die Mujahidin und die Taliban gegenüber der BBC enthüllt habe. Dafür habe sie Belohnungen und Auszeichnungen von „Zionisten“ erhalten. In ihrer Stellungnahme versuchen die Extre- misten, die Inhalte der Proteste gegen den Mordversuch umzudeuten - es ging um ein Mädchenbildung – diesjähriges Motto des SPARC Kalenders (Foto Olaf Kellerhoff)
  • 3. www.freiheit.org I3 Attentat auf ein Kind und um den Einsatz für Bildung. Unter denjenigen, die gegen das Atten- tat protestierten, waren auch Partner der Fried- rich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, darun- ter die Kinderrechtsorganisation SPARC. Der Staat ermöglicht Massenprotest Drei Wochen vor dem Attentat auf die 14- jährige Malala hatte der Film „Innocence of Muslims“ eines amerikanischen Christen zu Demonstrationen von Muslimen in mehreren Staaten geführt. Der Film stellt den Propheten Muhammad als blutrünstigen und sexhungrigen Kinderschänder dar. Auch in Pakistan gingen Menschen aus Protest auf die Straße. Zunächst demonstrierten in dem Land mit 180 Millionen Einwohnern in mehreren Städten insgesamt nur 6.000 Menschen, 1.000 davon laut Medienbe- richten in der 18-Millionen-Stadt Karachi. Solch geringe Zahlen sind normalerweise kaum einer Rede wert in Pakistan, wo bis zu 100.000 Menschen an Wahlkampfveranstaltungen teil- nehmen. Waren die Proteste gegen den Muhammad-Film zu Beginn verhältnismäßig unbedeutend, so sahen mehrere Organisationen und Parteien dennoch die Chance, von der Stimmung zu profitieren. Sie wollten den Pro- test mit eigenen Themen besetzen und sich profilieren. Einige Gruppen, darunter auch ver- botene wie die Jamiat ul-Dawa, die auf den UN- und US-Terrorlisten steht, organisierten größeren Protest. Sie karrten Anhänger mit Bus- sen an. Durch die Demonstrationen sollte in Wahrheit jedoch nicht in erster Linie die Welt- öffentlichkeit angesprochen werden, sondern vor allem Pakistanis. Es ging um die hiesige Deutungshoheit des Islam. Keine Organisation wollte sich nach dem Erscheinen des Muhamm- ad-Filmes nachsagen lassen, eine solche Schmähung des Islams tatenlos hinzunehmen. Je gewaltsamer das Protestauftreten, desto mehr Medienpräsenz war gewiss. Die gefährliche Eigendynamik wurde vom Staat nicht gemildert sondern verstärkt: Die Polizei ließ gewaltsame Demonstranten ungestraft frei, die während der anfänglichen Proteste festge- nommen worden waren. Somit war jedem neuen Demonstranten klar, dass er keine Strafverfolgung fürchten musste, was immer er auch anstellen mag. Zudem versuchte die Regierung, sich an die Spitze der Proteste zu setzen. Wahrscheinlich wollte sie Sympathie gewinnen im Hinblick auf die Wahlen im nächsten Frühjahr. Die Regierung verurteilte den Film und blockierte YouTube, wo er zu sehen war. Außerdem wurde kurzfristig ein zusätzlicher Feiertag angekündigt, Yaum-e Ishq-e Rasool, den „Tag der Liebe zum Prophe- ten“. Der Feiertag wurde auf einen Freitag gelegt, also auf den Wochentag, der traditio- nell ohnehin schon der Hauptprotesttag ist. Durch den Feiertag gab die Regierung jedem die Möglichkeit, an Protesten teilzunehmen. Das Ergebnis dieser Politik war ein „Tag der Liebe zum Propheten“ mit Massendemonstra- tionen, 23 Toten, 200 Verletzten, zerstörten Autos, geplünderten Geschäften, ausgebrann- ten Kinos und einer niedergebrannten Kirche in Mardan. Die pakistanische Öffentlichkeit erschrak. Poli- tik, Medien, die organisierte Zivilgesellschaft und viele Bürger reagierten mit betroffenen Äußerungen und kritisierten die Gewalt. Viele waren beschämt. Auch die pakistanischen Alumni der Internationalen Akademie für Füh- rungskräfte der Naumann-Stiftung (Free- domGate Pakistan, FGP) verurteilten öffentlich die Gewalt. Bürger gründeten auf Facebook das „Project Cleanup for Peace“. Sie folgten dem Aufruf eines 23-Jährigen aus Islamabad und räumten verwüstete Straßen auf. Die Ak- tion sollte auch Pakistans Image helfen. Rund 100 Menschen kehrten in Islamabad Straßen, frischten Farbe an Bordsteinen auf und sam- melten Müll ein. In Karachi halfen 40 Freiwil- lige, in Lahore 50. Andere Bürger sammelten Spenden für den Wiederaufbau der zerstörten Kirche. Ein Werkstattbesitzer ließ auf eigene Rechnung das Auto eines Ausländers reparie- ren, das während der Proteste stark beschädigt worden war. Die Zahl derjenigen, die an sol- chen Aktionen teilnahmen, war zwar relativ gering - aber endlich gab es öffentliche Reak-
  • 4. www.freiheit.org I4 tionen aus der normalerweise schweigenden Mehrheit. In der Weltöffentlichkeit kam nicht diese positive Entwicklung an, sondern vielmehr das Kopfgeld von 100.000 US-Dollar, das Eisen- bahnminister Ghulam Ahmed Bilour auf den Urheber des Films aussetzte. Bilour besitzt eines der zerstörten Kinos in Peshawar. Zwar distan- zierten sich die Regierung und seine Partei von dem Minister, doch er durfte im Amt bleiben. Auch wurde keine Anklage gegen ihn erhoben. Geistliche, die im Fernsehen zum Mord aufru- fen, werden ja auch nicht belangt. Das Blasphemie-Gesetz als Waffe Sehr wohl belangt wurde dagegen Rimsha Masih, ein 14-jähriges Mädchen mit Down- Syndrom, das im August verhaftet und der Blasphemie angeklagt worden war. Angeblich hatte sie Seiten des Korans verbrannt. Die Poli- zei musste das Mädchen, das der christlichen Minderheit angehört, vor einem aufgebrachten Mob schützen, der sie lynchen wollte. Verhaf- tung und Anklage folgte öffentlicher Protest, weil Rimsha minderjährig und behindert ist. Zudem stellte sich heraus, dass der Mann, der sie angezeigte, angebliche Beweismittel fingiert hatte. Es ist nicht klar, ob ein Nachbarschafts- streit oder Vertuschung einer sexuellen Straftat der wahre Hintergrund der Anzeige war. Rimsha kam frei, der Mann wurde verhaftet. Allerdings kippten während des Verfahrens gegen ihn drei von vier Belastungszeugen um. Verteidiger drohten mit außergerichtlicher Gewalt: „Rimsha ist schuldig. Wenn der Staat die Gerichte außer Kraft setzt, dann wird Gott jemanden finden, der den Job erledigt.” Das Mädchen muss bis heute versteckt werden. Der Prozess gegen den Mann dürfte, wie so viele, im Sande verlaufen. Noch nie wurde jemand wegen Falschanzeige schuldig gesprochen. Zu Verurteilungen wegen Blasphemie kommt es dagegen regelmäßig. Das Gesetz stammt aus der britischen Kolonialzeit und wurde 1986 verschärft. Seitdem sind 1.400 Blasphemie- Anklagen erhoben worden. 52 Angeklagte wur- den noch während ihres Gerichtsverfahrens ermordet. 15 sind zum Tode verurteilt, aber noch nicht hingerichtet. Das Gesetz wird oft missbraucht, zum Beispiel um Nachbarstrei- tigkeiten zu lösen, um sich persönlich zu rä- chen und um Angehörige religiöser Minderhei- ten zu belangen. Insgesamt sind die meisten Anklagen jedoch gegen Muslime gerichtet. Allerdings werden in internationalen Medien meist die Fälle von Christen aufgegriffen. Als der Gouverneur der Provinz Punjab, Salman Taseer, sich für eine Änderung des Gesetzes einsetzte, wohlgemerkt nicht für die Abschaf- fung, wurde er im Januar 2011 ermordet. Das Gesetz antasten zu wollen, wird von Extremis- ten oft schon als Blasphemie angesehen. We- nig später wurde auch der damalige Minder- heitenminister Shahbaz Bhatti, der ebenfalls eine Reform des Blasphemie-Gesetzes ange- regt hatte, von Unbekannten getötet. Partner der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Frei- heit, die sich ebenfalls für eine Änderung ein- setzen, sind längst sehr viel vorsichtiger ge- worden. Cover “A Question of Faith”, eine qualitative Studie des FNF-Partners Jinnah-Institut, untersucht die Situation der religiösen Minderheiten in Pakistan
  • 5. www.freiheit.org I5 Die Fundamente des Staates werden angegrif- fen Die Mischung aus Mangel an Rechtsstaatlich- keit, Arrangements mit Extremisten und Sym- pathisieren mit islamistischen Positionen hat zu einem Anwachsen von islamistischen und ge- waltbereiten Gruppierungen geführt. Seitdem hat sich vor allem die Lage von Minderheite n verschlechtert. Die sektiererische Gewalt – auch die inner-islamische – hat zugenommen. Zudem haben erneut mehrere Hundert Hindus in die- sem Jahr Pakistan verlassen.1 Extremistische Gruppierungen akzeptieren die aktuelle Staatsform nicht. Vielmehr arbeiten sie auf einen Umsturz hin. Trotzdem vermeidet der Staat (mit Ausnahme von Militäroperationen in nördlichen Gebieten) eine polizeiliche und juris- tische Auseinandersetzung mit Extremisten. Ebenso vermieden wird ein gesellschaftlicher Diskurs über Extremismus und seine Ursachen. So arbeitet die Zeit für Extremisten – es sei denn, eine nicht mehr schweigende Mehrheit könnte ihnen jetzt nach dem Attentat auf die 14-jährige Malala die gesellschaftliche Basis entziehen. I.A. Rehman, der Direktor der FNF- Partnerorganisation Human Rights Commission of Pakistan (HRCP), sieht eine Chance: „Diejeni- gen, die Malala angegriffen haben verzweifeln nun aus Angst, dass die Toleranz des Volkes gegenüber ihren einschüchternden Praktiken und dem Missbrauch des Glaubens zu einem Ende kommen könnte. Nun müssten die Männer und Frauen von Pakistan den Beweis antreten, dass diese Ängste eine Basis in der Realität ha- ben.“ Rehman, Pakistans Menschrechts-Ikone, fordert auch politisches Handeln. Nötig sei eine „komplette Restrukturierung des Staates“, die im Einklang mit modernen, demokratischen Prinzipien stehen müsse. Die Friedrich- Naumann-Stiftung für die Freiheit arbeitet seit Jahren für demokratische Prinzipien. Partneror- ganisationen treten für Reformen ein und erhe- ben nun ihre Stimme. 1 http://www.dw.de/hindus-leave-pakistan-for-india- amid-claims-of-persecution/a-16165494 Olaf Kellerhoff ist Projektleiter der Friedrich- Naumann-Stiftung für die Freiheit für Pakistan. Impressum Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit Bereich Internationale Politik Referat für Querschnittsaufgaben Karl-Marx-Straße 2 D-14482 Potsdam