Management in Südostasien: Chancen und Herausforderungen
1. Freitag, 1. Januar 2016Asien Kurier
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Management in Südostasien:
Chancen und Herausforderungen
Interview mit Prof. Dr. Doris Gutting, Professorin an der Hochschule für
angewandtes Management, Erding.
Von Dr. Dieter Burgmann
Südostasien gilt immer noch
als Boom-Region und zeigt sta-
bile wirtschaftliche Wachstums-
raten. Deutsche Unternehmen
engagierensichweiterhininSüd-
ostasien. Manager, die entsandt
werden, sind gefordert, sich über
ihr eigentliches Arbeitsgebiet
hinaus mit den kulturellen und
sozio-ökonomischen Gegeben-
heiten der jeweiligen Länder zu
beschäftigen.
Doris Guting hatte 2013 ein
Buch über Management in Süd-
ostasien vorgelegt und beobachtet
weiterhin die Region. Asien Ku-
rier sprach Ende 2015 mit ihr über
die Entwicklungen in der Region.
Asien Kurier: Frau Prof. Gut-
ting, Sie sind im letzten Jahr von
Singapur nach Deutschland zu-
rückgekehrt, aber weiterhin in
Südostasien engagiert, um die
Situation vor Ort zu beobachten.
Wie stellt sich die wirtschaftliche
Lage der Region Ende 2015 dar?
Doris Gutting: Relativ zu den
Entwicklungen der Weltwirt-
schaft ist die Situation recht po-
sitiv einzuschätzen. Indonesien
wächst solide bei ungefähr 5%
und insbesondere die Entwick-
lungen in Vietnam und auf den
Philippinen werden derzeit sehr
positiv beurteilt.
In Thailand wird für 2015
ein Wirtschaftswachstum von
knapp 3% erwartet, aufgrund
einer Kombination aus rückläu-
figen Exporten, abgeschwächter
Binnennachfrage, Verschuldung
privater Haushalte und der unsi-
cheren politischen Situation. Der
Tourismussektor scheint sich zu
erholen.
In Singapur hat sich die Wirt-
schaftsentwicklung zwar abge-
schwächt; das Wachstum lag im
dritten Quartal 2015 nur bei 1,4%.
Längerfristig betrachtet bzw. im
Vergleich 2011 bis 2014 ist die
Wirtschaft dort im Durchschnitt
aber um 4,2 Prozent gewachsen.
Aufgrund des stabilen Umfeldes
und seiner zuverlässigen Institu-
tionen gilt Singapur weiterhin als
der Sicherheitsanker der Region.
Deutsche Unternehmen werden
weiterhin Mitarbeiter in die Re-
gion und vor allem nach Singapur
entsenden.
Asien Kurier: Sie haben in
einem Artikel vor einiger Zeit
von den „Fünf S“ von Singapur
geprochen, die den Mitarbeitern
deutscher Unternehmen eine Ent-
sendung versüßen. Welche Bedin-
gungen finden Expatriates und
ihre Familien dort vor?
Doris Gutting: Singapur lockt
deutsche Unternehmen mit güns-
tigen „harten“ wie „weichen“
Standortfaktoren: Entsandte Mit-
arbeiter können in Singapur mit
ihren Familien in größtmöglicher
Sicherheit in einem gepflegten,
grünen Umfeld leben. Alles ist
gut geregelt, man muss weder
mit Streiks, noch mit politischen
Unruhen rechnen, die Krimina-
lität liegt auf geringem, die Ge-
sundheitsversorgung dagegen auf
höchstem Niveau. Hilfskräfte aus
den Nachbarstaaten sorgen für
preiswerte Serviceleistungen und
somit für ein angenehmens Le-
ben in der Tropenstadt. Ich habe
das Expatriate-Leben in Singapur
deshalb etwas scherzhaft auf die
Formel der „fünf S“ von Singapur
gebracht: „Sonne, Sicherheit, Ser-
vice, Sauberkeit, Stabilität“.
Natürlich gibt es auch Nach-
teile. Die Bevölkerung wächst wei-
terhin stark an, inzwischen sind
es ca. 5,5 Millionen Menschen. Da-
durch wird es immer enger und
voller im Stadtstaat. Mieten und
Lebenshaltungskosten liegen auf
sehr hohem Niveau. Auch wenn
die Mietpreise in der letzten Zeit
etwas zurückgehen, bleibt Singa-
pur eine der teuersten Städte der
Welt.
Asien Kurier: Wie stellt sich
das Arbeitsleben für einen deut-
scher Manager dar, wenn er oder
sie erstmals nach Singapur ent-
sandt wird?
Doris Gutting: Neulingen er-
scheint die Arbeitswelt in Sin-
gapur zunächst sehr westlich,
allerdings sollte man sich nicht
darüber täuschen lassen, dass
man sich dennoch in einem asia-
tischen Umfeld bewegt und des-
halb teilweise andere Regeln gel-
ten. Beispielsweise muss man in
Asien und somit auch in Singapur
vorsichtiger kommunizieren. Die
deutsche Art, Probleme direkt an-
zupacken und Kritikpunkte offen
anzusprechen, können Befrem-
den oder Unsicherheit bei den
asiatischen Kollegen auslösen.
Dies erfordert es, dass deutsche
Manager oftmals genau abwägen
müssen, ob es sinnvoll oder eher
kontraproduktiv ist, Probleme un-
mittelbar lösen zu wollen.
In jedem Fall wird er oder sie
in einem multikulturellen Team
arbeiten. Auch hierfür gelten be-
sondere Bedingungen, wenn man
effektiv kooperieren will.
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Asien Kurier: Was bedeutet es,
in einem multikulturellen Team
zu arbeiten? Welche Vorausset-
zungen sollte ein Manager dazu
mit bringen.
Doris Gutting: Die Arbeit in
einem multikulturellen Team er-
fordert erstens die Einsicht, dass
Menschen aus anderen Kultur-
kreisen oder auch aus anderen
Subkulturen nun mal anders ti-
cken und eine persönliche Grund-
haltung, die dies toleriert.
Zweitens wird eine Bereitschaft
benötigt, sich mit dieser „Anders-
artigkeit“ auseinanderzusetzen.
Das bedeutet, Wissen um interkul-
turelle Unterschiede und beson-
dere regionales Gegebenheiten zu
erwerben. Viele westliche Mana-
ger unterschätzen bzw. vernach-
lässigen dies.
Erworbenes Wissen kann dazu
dienen, eine Fähigkeit zum Per-
spektivenwechsel zu entwickeln,
um sich in andere Denkweisen
hinein versetzen zu können. Die
dritte und schwierigste Stufe be-
steht allerdings darin, das ge-
wonnene Wissen in der Praxis
umzusetzen. Man muss sich auch
darüber im Klaren sein , dass die
eigene kulturelle Prägung eine
starke Wirkung hat. Irritationen
im praktischen Umgang können
deshalb dennoch auftreten, allem
guten Willen und dem Wissen um
interkulturelle Unterschiede zum
Trotz.
Bitte nennen Sie mal ein Bei-
spiel für eine solche Irritation in
einem multikulturellen Team und
wie man damit umgehen kann.
Dazu fällt mir eine Bespre-
chung mit meinem früheren Team
in Singapur ein, dem ein junger
Inder angehörte. Um Zustim-
mung zu signalisieren, „wackeln“
Inder mit dem Kopf, bzw. führen
eine Wiegebewegung aus, die
auf Menschen aus unserem west-
lichen Kulturkreis ähnlich wie
Kopfschütteln wirkt. Kopfschüt-
teln signalisiert im westlichen
Kulturen Ablehnung, Kopfnicken
dagegen Zustimmung. In dieser
Besprechung hat mich die spezi-
fische indische Gestik stark ver-
unsichert: Obwohl ich eigentlich
genau wusste, dass der indische
Kollege seine Zustimmung aus-
drücken wollte, bin ich nun mal
an eine andere Gestik gewöhnt
und habe ich ihn ständig gefragt,
ob er mit meinen Vorschlägen ein-
verstanden ist, was dann wiede-
rum ihn etwas irritierte.
Umgehen kann man damit,
indem man sich zueigen macht,
was die Wissenschaft „Ambigu-
itätstoleranz“ nennt, nämlich die
Bereitschaft und Fähigkeit, un-
klare oder widersprüchliche Si-
tuationen ganz einfach auszuhal-
ten und anzuerkennen, dass man
nicht immer für alle Situationen
ein geeignetes Verhaltensreper-
toire zur Verfügung hat.
Asien Kurier: Wie sieht es in-
zwischen mit der Korruption in
den südostasiatischen Ländern
aus?
Doris Gutting: Der „Corrup-
tion Perception Index“ von Trans-
parency International ist zur
Einschätzung ein brauchbarer
Indikator. Singapur liegt darin
stets auf einem der guten Plätze,
2014 auf Rang 7. Deutschland hat
im Vergleich nur den Rangplatz
12 erreicht. Weiterhin sehr proble-
matisch ist das Ausmaß der Kor-
ruption in auf den Philippinen, in
Thailand, Indonesien, und insbe-
sondere in Vietnam.
Auf den Philippinen hat sich
die Lage ein klein wenig verbes-
sert, seit Präsident Aquino der
Korruption explizit den Kampf
angesagt hat. Allerdings ist es sehr
schwierig, Korruption tatsächlich
zurückzudrängen: Auch wenn
der obersten Führung die nega-
tive Wirkung der Korruption auf
die Wirtschaft klar ist, so dauert
es lange, bis sich Veränderungen
nach unten bzw. auf allen Verwal-
tungsebenen durchsetzen können.
Um Entwicklungen in dieser für
das Geschäftsleben wichtigen Fra-
ge abschätzen zu können, müssen
sich Manager auch mit der Politik
der Länder, in denen sie tätig sind,
beschäftigen.
Asien Kurier: Wie äußert sich
Korruption konkret für die Unter-
nehmen?
Doris Gutting: In jedem Land
zeigt sich die Korruption etwas
anders. Zum Beispiel in Vietnam
besteht zwar ein gesetzliches Rah-
menwerk, es klafft aber noch einen
Lücke zwischen Theorie und Pra-
xis. Da nicht immer klar ist, welche
Behörde wofür zuständig ist, kön-
nen schlecht bezahlte Staatsdiener
die Lücke nutzen, um Gelder für
Vermittlungsleistungen fragwür-
diger Art zu fordern.
Sich ändernde gesetzliche
Rahmenbedingungen sind ein
Nährboden für Korruption; ihr
Zusammenspiel bereitet den
Unternehmen große Schwierig-
keiten. Im „Asien Kurier“ vom
November 2015 fand sich ein inte-
ressanter Artikel über die Risiken
von Investitionen in Indonesien,
der auch diese Problempunkte
ansprach: Korruption, ständige
Änderungen von Regelungen und
Gesetzen, sich widersprechende
Vorschriften und Bürokratie ma-
chen es hier den Unternehmen
schwer. Die Unternehmen können
nicht sicher sein, welche Gesetze
tatsächlich angewandt werden
und ob es überhaupt möglich ist,
Recht durchzusetzen oder einzu-
klagen.
Asien Kurier: Stichwort In-
donesien: Sie haben eingangs die
Situation in Indonesien doch recht
positiv eingeschätzt?
Doris Gutting: Die Wirtschafts-
daten sind in der Tat nicht schlecht.
Indonesien wächst derzeit zwar
etwas schwächer als im Langzeit-
vergleich: Zwischen 2011 und 2014
betrug des Wirtschaftswachstum
durchschnittlich 5,7 Prozent, 2014
waren es ca. 5 Prozent, 2015 dürfte
es nur knapp darunter liegen. Der
Handelbilanzsaldo ist seit kurzem
postiv. Die Experten sehen die
wirtschaftliche Lage mit Zuver-
sicht.
Management in Indonesien ist
jedoch aufgrund der oben ange-
sprochenen Probleme eine Her-
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Freitag, 1. Januar 2016Asien Kurier
ausforderung. Infrastrukturmän-
gel kommen erschwerend zur
Korruption und den unklaren ge-
setzlichen Rahmenbedingungen
hinzu. Auch sollte man eine Vor-
stellung davon haben, wie die In-
donesier als Mitarbeiter „ticken“,
um mit ihnen effektiv kooperieren
zu können.
Ein Problem wird in rein wirt-
schaftlichlichen Analysen ver-
nachlässigt: die enorme Um-
weltverschmutzung. Das Land
ist inzwischen einer der größten
Wasserverschmutzer der Welt. Die
Waldbrände in Indonesien haben
in diesem Jahr der ganzen Region
buchstäblich die Luft genommen.
ZueinemgroßenTeilsindsiehaus-
gemacht, durch Brandrodung, die
für die Bauern billiger ist als der
Einsatz mechanischer Werkzeuge.
Sog. „Haze“ überzieht die Region,
in einigen Gebieten ist der Qualm
lebensbedrohlich. Die Hotspots
liegen auf den Inseln Sumatra
und Borneo, haben dort ernst-
hafte Atemwegserkrankungen
und sogar Todesfälle verursacht.
Auch die Nachbarstaaten wie Ma-
laysia, Singapur, sogar Thailand
und die Philippinen leiden un-
ter dem Haze, auch dort mussten
zeitweise Schule geschlossen und
Flüge gestrichen werden. Für die
Ökologie werden sich langfristige
Folgen und für die Ökonomie ent-
sprechende Folgekosten ergeben.
Das Beispiel zeigt deutlich, dass
in die Einschätzung einer Region
viele Faktoren einfließen müssen.
Asien Kurier: Sie haben im ver-
gangenen Jahr an einem neuen
Buch gearbeitet. Worum geht es
darin?
Doris Gutting: Ich beschäftige
mich darin mit interkulturellem
Management und internationaler
Kooperation. Ein Schwerpunkt
liegt auf dem Thema Diversity
bzw. dem Umgang mit kultureller
Vieltfalt in den Organisationen.
Durch die massenhafte Zuwan-
derung nach Deutschland im Jahr
2015 bzw. die Tatsache, dass jetzt
auch Deutschland sich zu einer
multikulturellen Gesellschaft ent-
wickelt, erfährt das Thema gegen-
wärtig ja eine besondere Brisanz.
Die Handlungskompetenz in-
ternational tätiger Manager muss
meiner Meinung nach auf drei
Säulen stehen: Sie benötigen zu-
nächst ein Grundverständnis für
interkulturelle Kommunikation
und Psychologie. Weiter sollte
man sich Wissen über die Länder
oder Regionen, in denen gehan-
delt werden soll oder aus denen
Mitarbeiter oder Kooperations-
partner stammen, systematisch
erschließen können. Hilfreich ist
zudem, zentrale Teildisziplinen
des Managements wie Führung,
Kooperation, Konfliktmanage-
ment und Verhandlungsführung
auch in ihrer interkulturellen Be-
deutung erfassen zu können. Die-
se Themen bereite ich in dem neu-
en Buch auf.
Literaturempfehlungen
Gutting, Doris, Management in Südostasien.
Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur in Indonesien,
Malaysia, Singapur, Thailand, Vietnam und auf
den Philippinen, NWB Verlag, Herne, 2013.
Gutting, Doris, Diversity Management als
Führungsaufgabe: Potenziale multikultureller
Kooperation erkennen und nutzen, Springer
essentials, Springer Gabler Wiesbaden, 2015.
Neu: Gutting, Doris, Interkulturelles Management,
Diversity und internationale Kooperation, er-
scheint bei NWB, Herne, im Februar 2016.
Kontakt
Doris.Gutting@fham.de