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Dr. André Zimmermann, RA/FAArbR
BB-Rechtsprechungsreport zur
Arbeitnehmerüberlassung 2012/2013 (Teil 1)
Es ist derzeit in der Unternehmens- und Beratungspraxis nicht leicht,
den Überblick zu behalten über die Rechtsprechung zum AÜG – drei
Stichworte: Schwellenwerte, vorübergehend und Industriedienstleistun-
gen. Der Beitrag soll hier helfen. Er skizziert in zwei Teilen die wesent-
liche Rechtsprechung zum AÜG der Jahre 2012 und 2013, geordnet nach
sieben großen Themenfeldern. Wegen ihrer besonderen praktischen
Bedeutung steht die Rechtsprechung des BAG im Mittelpunkt.
I. Betriebsübergang bei Zeitarbeitsunter-
nehmen – Wirtschaftliche Einheit
Ein Betriebsübergang liegt vor, wenn ein neuer Rechtsträger eine
beim Veräußerer bereits bestehende wirtschaftliche Einheit unter
Wahrung ihrer Identität fortführt.1
Beim Veräußerer muss daher eine
wirtschaftliche Einheit identifiziert und festgestellt werden, dass sie
identitätswahrend beim Erwerber fortgeführt wird.
In Umsetzung der Vorgaben des EuGH2
hat das BAG seine Rechtspre-
chung zur Bestimmung der wirtschaftlichen Einheit bei Zeitarbeits-
unternehmen Ende 2013 dahingehend konkretisiert, dass hier die
wirtschaftliche Einheit aus der Gesamtheit von Verwaltungsangestell-
ten, Leiharbeitnehmern und Fachkenntnissen besteht, um die Dienst-
leistung zu erbringen.3
Leiharbeitnehmer allein stellten daher keine
wirtschaftliche Einheit und damit keinen übergangsfähigen Betrieb
(-steil) dar. Für das Vorliegen einer betriebsübergangsfähigen Einheit
müsse hinzukommen, dass diese ohne Inanspruchnahme anderer
wichtiger Betriebsmittel und ohne Inanspruchnahme anderer Teile
des Veräußerers einsatzbereit sei. Die Übernahme von Auftragsbezie-
hungen mit Entleihern bei Weiterbeschäftigung allein von Leiharbeit-
nehmern, nicht aber der Verwaltungsangestellten, genügt danach
nicht, um einen Betriebsübergang bei Zeitarbeitsunternehmen anzu-
nehmen.
Da gar keine Verwaltungsmitarbeiter übernommen worden waren,
konnte der Achte Senat offenlassen, wie viele Verwaltungsmitarbeiter
hätten übernommen werden müssen, um eine einsatzbereite wirt-
schaftliche Einheit und damit einen Betriebsübergang anzunehmen.
Eine einsatzbereite wirtschaftliche Einheit wird man wohl nur anneh-
men können, wenn so viele Verwaltungsmitarbeiter übernommen
werden, dass sie den Arbeitseinsatz der Leiharbeitnehmer beim Er-
werber organisieren können.4
Von dem Betriebsübergang bei Zeitarbeitsunternehmen zu unter-
scheiden ist der Betriebsübergang beim Entleiher. Bis Ende 2010 ent-
sprach es einhelliger Auffassung, dass Leiharbeitnehmer nicht zu den
übergehenden Arbeitnehmern zählen, wenn es beim Entleiher zu ei-
nem Betriebsübergang kommt. In seiner „Albron Catering“-Entschei-
dung vom 21.10.2010 zu einer dauerhaften konzerninternen Überlas-
sung hat der EuGH die aus nationaler Sicht neue Kategorie eines
„nichtvertraglichen Arbeitgebers“ geschaffen und befunden, dass auch
der „nichtvertragliche Arbeitgeber“ Veräußerer im Sinne der Betriebs-
übergangsrichtlinie 2001/23/EG sein könne.5
Die Folgen aus dieser
Entscheidung sind noch weitgehend ungeklärt. Sie wird teilweise so
verstanden, dass nicht nur in einem Konzern dauerhaft überlassene
Leiharbeitnehmer bei einem Betriebsübergang auf den Erwerber
übergehen, sondern auch sonstige Leiharbeitnehmer.6
Das BAG hat
sich hierzu noch nicht geäußert.
II. Betriebsbedingte Kündigung bei
Zeitarbeitsunternehmen – Sozialauswahl
Eine betriebsbedingte Kündigung ist sozial ungerechtfertigt, wenn sie
nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist, die einer
Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers entgegenstehen, § 1 II 1
KSchG. Der Arbeitgeber muss eine unternehmerische Entscheidung
treffen, die kausal zum Wegfall des Beschäftigungsbedarfs führt. Wei-
ter darf keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit existieren und die
Grundsätze der Sozialauswahl müssen beachtet werden. Für all das
trifft grundsätzlich den Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast,
§ 1 II 4 KSchG.
Zur Darlegung des Wegfalls des Beschäftigungsbedarfs bei einem Zeit-
arbeitsunternehmen hatte sich das BAG schon 2006 geäußert.7
Da-
nach genügt der Hinweis auf einen auslaufenden Auftrag und einen
fehlenden Anschlussauftrag nicht: Der Verleiher muss anhand der
Auftrags- und Personalplanung vielmehr einen dauerhaften Auftrags-
rückgang darlegen; kurzfristige Auftragsschwankungen reichen nicht.
Das ist das unternehmerische Risiko des Verleihers.
Bei Zeitarbeitsunternehmen macht neben der Darlegung des wegge-
fallenen Beschäftigungsbedarfs vor allem die Sozialauswahl Probleme.
So ist fraglich, wie die – nach ständiger Rechtsprechung des BAG be-
triebsbezogene – Sozialauswahl zu erfolgen hat, etwa ob nur Leihar-
beitnehmer miteinander vergleichbar sind, die beim selben Entleiher
eingesetzt sind oder nur Leiharbeitnehmer, die zum Zeitpunkt des
Ausspruchs der Kündigung überlassen sind und wie sich Regelungen
über Austauschrechte des Verleihers oder „Abmeldungen“ durch den
Entleiher im Überlassungs- oder Einsatzvertrag auf den Kreis der ver-
gleichbaren Arbeitnehmer auswirken.
Das BAG hat hier Mitte 2013 wichtige Punkte geklärt.8
Es hat ent-
schieden, dass überlassene Arbeitnehmer auch während der Zeit ihrer
Arbeitsleistung beim Entleiher weiter dem Betrieb des Verleihers zu-
geordnet sind. Zum Betrieb des Verleihers gehören damit nicht nur
Betriebs-Berater | BB 24.2014 | 6.6.2014 1461
Aufsätze | Arbeitsrecht
1 BAG, 23.5.2013 – 8 AZR 207/12, BB 2014, 61.
2 EuGH, 13.9.2007 – C-458/05, NZA 2007, 1151.
3 BAG, 12.12.2013 – 8 AZR 1023/12, BB 2014, 637.
4 Hamann, jurisPR-ArbR 9/2014 Anm. 3.
5 EuGH, 21.10.2010 – C 242/09, NZA 2010, 1225.
6 Vgl. einerseits Willemsen, NJW 2011, 1546, andererseits Forst, RdA 2011, 228.
7 BAG, 18.5.2006 – 2 AZR 412/05, AP Nr. 7 zu § 9 AÜG.
8 BAG, 20.6.2013 – 2 AZR 271/12, NZA 2013, 837.
einsatzfreie, sondern auch die überlassenen Arbeitnehmer. Dement-
sprechend sind grundsätzlich in die Sozialauswahl alle vergleichbaren
Arbeitnehmer des Verleihers einzubeziehen, die von ihm zum Zweck
der Überlassung an Dritte beschäftigt werden. Der Einbeziehung steht
auch nicht entgegen, wenn der Entleiher einen Leiharbeitnehmer „ab-
gemeldet“ hat, jedenfalls dann nicht, wenn der Verleiher den Leihar-
beitnehmer gegen einen der übrigen überlassenen, sozial weniger
schutzwürdigen Arbeitnehmer hätte austauschen können.
Das BAG stellt klar, dass für Zeitarbeitsunternehmen die allgemeinen
Grundsätze der Sozialauswahl gelten. Das heißt: Die Kündigung trifft
nicht „automatisch“ denjenigen Leiharbeitnehmer, der vom Auftrags-
wegfall betroffen ist, sondern es ist eine Sozialauswahl nach den allge-
meinen Grundsätzen durchzuführen. Offengeblieben ist, inwieweit
sich vertragliche Vereinbarungen zwischen Verleiher und Entleiher
über den Ausschluss der Austauschbarkeit von Arbeitnehmern auf die
Sozialauswahl auswirken und ob überlassene Arbeitnehmer, deren
persönliche Überlassung geschuldet ist (z.B. wegen besonderer fachli-
cher Kompetenzen), in die Sozialauswahl einzubeziehen sind.9
Fehlt es an einem vertraglichen Ausschluss des Austauschrechts,
nimmt das BAG ein solches Austauschrecht an – mit der Folge einer
entsprechend weiten Sozialauswahl. Wird ein Ausschluss des Aus-
tauschrechts vereinbart, dürfte dies dazu führen, dass die Arbeitneh-
mer nicht in die Sozialauswahl einzubeziehen sind.10
Der Verleiher
nimmt sich durch den Verzicht auf ein Austauschrecht aber Flexibili-
tät. Bei der Vertragsgestaltung muss er abwägen, welches Interesse
schwerer wiegt.
III. Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern
bei Schwellenwerten
Bei Zeitarbeitsunternehmen sind Arbeitnehmer nach allgemeinen
Grundsätzen bei allen arbeitsrechtlichen Schwellenwerten zu berück-
sichtigen. Weil Leiharbeitnehmer aber in keinem Arbeitsverhältnis
zum Entleiher stehen – nur punktuell weist das Gesetz dem Entleiher
die Arbeitgeberstellung (z.B. § 11 VI, VII AÜG, § 12 II ArbSchG, § 6
II 2 AGG) zu –, ist ihre Berücksichtigung dort fraglich. Bis vor Kur-
zem ließ die Rechtsprechung Leiharbeitnehmer bei den in der Praxis
wichtigen Schwellenwerten des Kündigungsschutzes, der Betriebsver-
fassung und der Unternehmensmitbestimmung unberücksichtigt. Seit
Ende 2011 ist diese Rechtsprechung aber im Wandel.
1. Geltungsbereich des allgemeinen
Kündigungsschutzes
Es entsprach bis Januar 2013 nahezu einhelliger Meinung und der
Rechtsprechung mehrerer Landesarbeitsgerichte, dass Leiharbeitneh-
mer im Einsatzbetrieb für die Schwellenwerte in § 23 I KSchG – un-
abhängig von der Überlassungsdauer – nicht zählen.11
Begründet
wurde das damit, dass nur solche Arbeitnehmer zu den in der Regel
beschäftigten Arbeitnehmern gehören, die in einem Arbeitsverhältnis
zum Inhaber des Betriebs stehen.
Ende Januar 2013 entschied das BAG, dass im Betrieb eingesetzte
Leiharbeitnehmer bei der Bestimmung der Betriebsgröße nach § 23 I
3 KSchG zu berücksichtigen sind, wenn ihr Einsatz auf einem in der
Regel vorhandenen Personalbedarf beruht.12
Zur Berechnung des
Schwellenwertes seien sämtliche für den Betriebsinhaber weisungsge-
bunden tätigen und in den Betrieb eingegliederten Arbeitnehmer mit-
zuzählen, soweit mit ihnen ein regelmäßiger Beschäftigungsbedarf ge-
deckt werde. Dabei könne es sich auch um im Betrieb eingesetzte
Leiharbeitnehmer handeln, soweit ihr Einsatz der den Betrieb im All-
gemeinen kennzeichnenden Beschäftigungslage entspreche.
Das folge aus Sinn und Zweck der Regelung. Der Berücksichtigung
von Leiharbeitnehmern stehe nicht schon entgegen, dass sie kein Ar-
beitsverhältnis zum Betriebsinhaber begründet haben. Die Heraus-
nahme der Kleinbetriebe aus dem Anwendungsbereich des Gesetzes
solle der dort häufig engen persönlichen Zusammenarbeit, ihrer zu-
meist geringen Finanzausstattung und dem Umstand Rechnung tra-
gen, dass der Verwaltungsaufwand, den ein Kündigungsschutzprozess
mit sich bringt, die Inhaber kleinerer Betriebe typischerweise stärker
belaste. Das, so der Zweite Senat, rechtfertige keine Unterscheidung
danach, ob die den Betrieb kennzeichnende regelmäßige Personalstär-
ke auf dem Einsatz eigener oder entliehener Arbeitnehmer beruhe.
Für die Praxis ist damit die Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern
im Rahmen der Schwellenwerte des § 23 I KSchG entschieden: Sie
sind mitzuzählen, wenn ihr Einsatz auf einem in der Regel vorhande-
nen Personalbedarf beruht. Das Eingreifen des allgemeinen Kündi-
gungsschutzes kann daher künftig nicht mehr dadurch verhindert
werden, dass bei einem in der Regel vorhandenen Personalbedarf
Leiharbeitnehmer statt Stammarbeitnehmer beschäftigt werden.13
Die Rechtsprechung ermittelt den in der Regel vorhandenen Perso-
nalbedarf anhand eines Rückblicks und einer Prognose zum Zeit-
punkt des Ausspruchs der Kündigung. Nicht entscheidend ist die
Kopfzahl der tatsächlich bei Ausspruch der Kündigung beschäftigten
Leiharbeitnehmer. Sie ist mehr oder minder zufällig und muss nicht
repräsentativ sein für den Betrieb. Maßgeblich ist die den Betrieb all-
gemein kennzeichnende Beschäftigungslage.14
Zeiten außergewöhn-
lich hohen oder niedrigen Geschäftsanfalls bleiben damit außen vor.
Das gilt beispielsweise für erhöhten Personalbedarf aufgrund von Jah-
resabschlussarbeiten, Inventur, Ausverkauf oder Weihnachtsgeschäfts
und verminderten Bedarfs wegen Ferien. Entsprechend ist zu prüfen,
ob der Einsatz von Leiharbeitnehmern auf solchen außergewöhnli-
chen Umständen beruht. Das sollte entsprechend dokumentiert wer-
den.
Auch dann, wenn auf einem Arbeitsplatz ständig wechselnde Leihar-
beitnehmer eingesetzt werden, sind sie zu berücksichtigen, soweit ihr
Einsatz die regelmäßige Belegschaftsstärke kennzeichnet. Letztlich
zählt das BAG die mit Arbeitnehmern besetzten Arbeitsplätze, ohne
zwischen Stammarbeitnehmern und Leiharbeitnehmern zu unter-
scheiden. Auf Personenidentität der eingesetzten (Leih-)Arbeitneh-
mer kommt es nicht an.15
Den Referenzzeitraum bzw. den Zeitraum, während dessen der Ar-
beitsplatz von einem Stammarbeitnehmer oder einem Leiharbeitneh-
mer besetzt ist bzw. voraussichtlich besetzt sein wird, hat das BAG in
seiner Entscheidung aus Januar 2013 nicht festgelegt. Aufgrund des
identischen Wortlauts („in der Regel“) in § 111 BetrVG, § 9 BetrVG,
§ 17 I 1 KSchG und § 23 I KSchG sind die Grundsätze anzuwenden,
die das BAG zu diesen Vorschriften entwickelt hat. Danach kommt es
darauf an, ob die Arbeitnehmer während des größten Teils eines Jah-
1462 Betriebs-Berater | BB 24.2014 | 6.6.2014
Arbeitsrecht | Aufsätze
Zimmermann · BB-Rechtsprechungsreport zur Arbeitnehmerüberlassung 2012/2013 (Teil 1)
9 Ablehnend etwa Boemke, BB 2006, 997, 998.
10 Schüren/Behrend, NZA 2003, 521, 524.
11 LAG Berlin, 30.1.2001 – 3 Sa 2125/00, juris; LAG Nürnberg, 27.7.2011 – 4 Sa 713/10, ju-
ris.
12 BAG, 24.1.2013 – 2 AZR 140/12, NZA 2013, 726.
13 Kock, BB 2013, 884.
14 BAG, 22.1.2004 – 2 AZR 237/03, BB 2004, 1059.
15 Vgl. Braun, ArbRB 2013, 199; Ginal, GWR 2013, 344.
res, das heißt länger als sechs Monate beschäftigt werden.16
Bei einer
arbeitsplatzbezogenen Sichtweise sind damit für den Schwellenwert in
§ 23 I KSchG alle Arbeitsplätze zu berücksichtigen, die bei Zugang
der Kündigung bei einem Rückblick in die Vergangenheit und einem
Ausblick in die Zukunft innerhalb eines Referenzzeitraums von zwölf
Monaten17
länger als sechs Monate mit Leiharbeitnehmern besetzt
waren bzw. voraussichtlich sein werden.
Vor Ausspruch einer Kündigung sollte der Arbeitgeber, der sich un-
terhalb der Schwelle des § 23 I KSchG wähnt, daher genau prüfen,
welche Arbeitsplätze in der Vergangenheit durch Leiharbeitnehmer
besetzt waren und perspektivisch weiterhin durch Leiharbeitnehmer
besetzt sein werden und weiter prüfen, warum Leiharbeitnehmer ein-
gesetzt wurden. Wenn Rahmenüberlassungs- und die einzelnen Ein-
satzverträge flexibel gestaltet sind (kurze Kündigungsfristen), kann
möglicherweise ein Abbau von Leiharbeitnehmern dazu führen, dass
der Schwellenwert doch nicht überschritten wird, auch wenn es nicht
auf die zufällige Zahl der tatsächlich beschäftigten Leiharbeitnehmer
zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung ankommt.18
Ob Leiharbeitnehmer beim Entleiher für die Schwellenwerte in § 17 I
KSchG zu berücksichtigen sind – § 17 I KSchG enthält zwei Schwellen-
werte: den Schwellenwert der Betriebsgröße und den Schwellenwert der
Zahl der Entlassungen – ist derzeit noch unklar. Das BAG ist in seiner
Entscheidung zu § 111 BetrVG davon ausgegangen,19
dass „die Zahlen-
und Prozentangaben in § 17 I KSchG deutlich überschritten“ seien und
daher eine Betriebsänderung nach § 111 S. 3 Nr. 1 BetrVG vorliege.20
Da der Arbeitgeber nur 20 eigene Arbeitnehmer beschäftigte und da-
rüberhinaus zeitweiseeineLeiharbeitnehmerin, hattedasBAGdieLeih-
arbeitnehmerin für den Schwellenwert der Betriebsgröße in § 17 I
KSchG stillschweigend mitgezählt. Andernfalls wäre die niedrigste
Schwelle des § 17I1 Nr. 1KSchG nichterreicht worden.
In der Praxis verbleibt Unsicherheit. Hinzu kommt, dass die nationale
Sicht nicht entscheidend sein wird: Welcher Arbeitnehmerbegriff
maßgeblich ist und ob Leiharbeitnehmer unter die Schwellenwerte
des § 17 I KSchG fallen, wird bindend nur der EuGH entscheiden
können, da § 17 KSchG die Massenentlassungsrichtlinie 98/59/EG in
nationales Recht umsetzt und dementsprechend richtlinienkonform
auszulegen ist.21
2. Zahl der Betriebsratsmitglieder
Bis zum Frühjahr 2013 entsprach es gefestigter Rechtsprechung des
Siebten Senats, Leiharbeitnehmer bei den Schwellenwerten in § 9
BetrVG nicht zu berücksichtigen, selbst wenn sie länger als drei Mo-
nate eingesetzt werden und damit nach § 7 Satz 2 BetrVG selbst den
Betriebsrat im Einsatzbetrieb wählen dürfen.22
Nur betriebsangehöri-
ge Arbeitnehmer seien zu zählen. Betriebsangehörigkeit setze ein Ar-
beitsverhältnis zum Betriebsinhaber voraus und die Eingliederung in
dessen Betriebsorganisation („Zwei-Komponenten-Lehre“). An einem
Arbeitsverhältnis zum Betriebsinhaber fehle es bei Leiharbeitneh-
mern. Die Kurzformel: „Sie wählen, aber sie zählen nicht.“
Durch Beschluss vom 13.3.2013 hat der Siebte Senat diese Rechtspre-
chung aufgegeben.23
In der Regel beschäftigte Leiharbeitnehmer seien
für die Schwellenwerte in § 9 BetrVG mitzuzählen. Wenige Wochen
zuvor hatte der Senat die „Zwei-Komponenten-Lehre“ für den dritt-
bezogenen Personaleinsatz aufgegeben.24
Bereits vorangegangen wa-
ren Entscheidungen des Ersten und des Zweiten Senats im Oktober
2011 und Januar 2013 zur Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern
bei § 111 BetrVG25
und § 23 I KSchG26
.
Entscheidend für eine Berücksichtigung spreche Sinn und Zweck der
Schwellenwerte. Durch die Staffelung solle sichergestellt werden, dass
die Zahl der Betriebsratsmitglieder in einem angemessenen Verhältnis
zur Zahl der betriebsangehörigen Arbeitnehmer stehe, deren Interes-
sen und Rechte der Betriebsrat zu wahren habe. Die Abhängigkeit der
Betriebsratsgröße von der Zahl der in der Regel im Betrieb beschäftig-
ten Arbeitnehmer trage dem Umstand Rechnung, dass hiervon der
Tätigkeitsaufwand des Betriebsrats maßgeblich bestimmt werde: Je
mehr Arbeit im Betriebsrat anfalle, desto mehr Mitglieder solle er ha-
ben.
Für die Praxis ist schon für die Betriebsratswahlen 2014 die neue
Rechtsprechung des BAG maßgeblich: In der Regel beschäftigte Leih-
arbeitnehmer sind hier bei allen Schwellenwerten des § 9 BetrVG für
die Zahl der zu wählenden Betriebsratsmitglieder zu berücksichtigen.
Auf den ersten drei Stufen, also in Betrieben mit bis zu 100 Arbeit-
nehmern, müssen Leiharbeitnehmer nach § 9 S. 1 BetrVG zusätzlich
wahlberechtigt sein.
Zur Frage, wann Leiharbeitnehmer in der Regel beschäftigt werden und
damit vom Wahlvorstand zu berücksichtigen sind, verweist der Senat
explizit auf seine Rechtsprechung zur Berücksichtigung von Aushilfs-
kräften. In der Regel beschäftigt sind danach die Arbeitnehmer, die nor-
malerweisewährenddesgrößten Teils desJahresin dem Betrieb beschäf-
tigt werden.27
Leiharbeitnehmer sind damit bei den Schwellenwerten
des § 9 BetrVG zu berücksichtigen, wenn sie bei Erlass des Wahlaus-
schreibens bereits länger als sechs Monate eingesetzt wurden oder auf-
grund konkreter Entscheidungen des Entleihers zu erwarten ist, dass sie
länger als sechs Monate eingesetzt werden. Wurden oder werden sie vo-
raussichtlich nur für einen kürzeren Zeitraum eingesetzt, etwa zur Be-
wältigung vonAuftragsspitzen, zählen sienicht mit.
Es spricht auch hier viel dafür, dass die Gerichte bei der Prüfung der
regelmäßigen Beschäftigung nicht auf den einzelnen Leiharbeitneh-
mer abstellen werden, sondern fragen werden, ob ein Arbeitsplatz län-
ger als sechs Monate von einem Leiharbeitnehmer besetzt wird. Die
Auswechslung der Leiharbeitnehmer auf solchen Arbeitsplätzen wird
daher nicht dazu führen, dass keine regelmäßige Beschäftigung von
Leiharbeitnehmern vorliegt. Auch bei Aushilfsarbeitskräften kommt
es nicht darauf an, ob derselbe Arbeitnehmer einen Arbeitsplatz län-
ger als sechs Monate besetzt hat. Maßgeblich ist, ob ein Arbeitsplatz
länger als sechs Monate von Aushilfskräften besetzt ist.28
In seiner ak-
tuellen Rechtsprechung zu § 111 S. 1 BetrVG29
und § 23 Abs. 1 S. 2
KSchG30
stellt das BAG ebenfalls darauf ab, ob ein sechs Monate
überdauernder Beschäftigungsbedarf besteht, der mit Leiharbeitneh-
mern gedeckt wird. Auf Personenidentität der eingesetzten Leihar-
beitnehmer kommt es nicht an.
Betriebs-Berater | BB 24.2014 | 6.6.2014 1463
Aufsätze | Arbeitsrecht
Zimmermann · BB-Rechtsprechungsreport zur Arbeitnehmerüberlassung 2012/2013 (Teil 1)
16 Vgl. BAG, 16.11.2004 – 1 AZR 642/03, AP Nr. 58 zu § 111 BetrVG 1972; BAG, 18.10.2011 –
1 AZR 335/10, BB 2012, 969.
17 Vgl. BAG, 24.2.2005 – 2 AZR 207/04, NZA 2005, 766.
18 Vgl. Range-Ditz, ArbRB 2013, 187, 188.
19 Vgl. Lembke, NZA 2013, 1312, 1316, Fn. 46.
20 BAG, 18.10.2011 – 1 AZR 335/10, NZA 2012, 221, 222.
21 Vgl. Ramstetter/Hartmann, AuA 2013, 410, 412.
22 BAG, 22.3.2000 – 7 ABR 34/98, BB 2000, 2098; BAG, 16.4.2003 – 7 ABR 53/02, BB 2003,
2178; BAG, 10.3.2004 – 7 ABR 49/03, BB 2004, 2753.
23 BAG, 13.3.2013 – 7 ABR 69/11, BB 2013, 2045.
24 BAG, 5.12.2012 – 7 ABR 48/11, NZA 2013, 793.
25 BAG, 18.10.2011 – 1 AZR 335/10, BB 2012, 969.
26 Vgl. oben IV. 1.
27 BAG, 7.5.2008 – 7 ABR 17/07, NZA 2008, 1142; BAG, 12.11.2008 – 7 ABR 73/07, AP Nr. 13
zu § 9 BetrVG 1972.
28 LAG Düsseldorf, 26.9.1990 – 12 TaBV 74/90, BeckRS 1990, 30458466.
29 BAG v. 18.10.2011 – 1 AZR 335/10, BB 2012, 969.
30 Vgl. oben IV. 1.
Es wird allgemein davon ausgegangen, dass das BAG seine neue
Rechtsprechung auf die Zahl der Freistellungen, § 38 BetrVG, über-
tragen wird.31
In vielen Betrieben dürften daher (mehr) Betriebsrats-
mitglieder freizustellen sein, weil jetzt die Schwelle für (weitere) Frei-
stellungen erreicht wird.
Für einige Schwellenwerte des BetrVG ist die Berücksichtigung von
Leiharbeitnehmern noch ungeklärt – etwa §§ 1 I, 99 I, 106 I BetrVG.
In seiner jüngeren Rechtsprechung betrachtet das BAG jeden Schwel-
lenwert isoliert und fragt, ob Sinn und Zweck des Schwellenwertes
eine Einbeziehung von Leiharbeitnehmern gebietet. Für die Praxis ist
das verbunden mit Rechtsunsicherheit, weil nach der Rechtsprechung
des BAG zu §§ 9, 111 BetrVG selbst innerhalb desselben Gesetzes die
Begriffe „wahlberechtigte Arbeitnehmer“ unterschiedliche Bedeutung
haben können und der Schutzzweck einer Norm nicht immer klar be-
stimmbar ist. Möglicherweise kommt der Gesetzgeber der Rechtspre-
chung zuvor: Nach dem Koalitionsvertrag „Deutschlands Zukunft ge-
stalten“ soll gesetzlich klargestellt werden, „dass Leiharbeitnehmer bei
den betriebsverfassungsrechtlichen Schwellenwerten grundsätzlich zu
berücksichtigen sind, sofern dies der Zielrichtung der jeweiligen
Norm nicht widerspricht.“32
3. Unternehmensmitbestimmung
Im Bereich der Eingangsschwellenwerte der Unternehmensmitbestim-
mung (§ 1 Abs. 1 MitbestG: 2000 Arbeitnehmer; § 1 Abs. 1 DrittelbG:
500 Arbeitnehmer) ist die zivilgerichtliche Rechtsprechung bislang
der „Zwei-Komponenten-Lehre“ des BAG gefolgt und hat Leiharbeit-
nehmer dementsprechend nicht mitgezählt.33
Im August 2012 ent-
schied aber das Arbeitsgericht Offenbach, dass wahlberechtigte Leih-
arbeitnehmer bei der Ermittlung der Arbeitnehmerzahl nach § 9
Abs. 1 MitbestG zu berücksichtigen sind.34
Es verwies hierbei auf die
Entscheidung des BAG vom 18.10.2011 zu § 111 Satz 1 BetrVG35
und
führte vor allem Sinn und Zweck der Norm an.
Das Hessische LAG hat diese Entscheidung im April 2013 bestätigt.36
Eine am Sinn und Gesetzeszweck orientierte Gesetzesauslegung führe
dazu, dass wahlberechtigte Leiharbeitnehmer bei der Berechnung der
Überschreitung des Schwellenwertes des § 9 MitbestG mitzuzählen
seien. Zur konkreten Feststellung der Unternehmensgröße verweist
das LAG auf einen Referenzzeitraum von sechs Monaten bis zwei Jah-
ren, für den Rückblick und Prognose vorzunehmen seien. Für die
Frage der regelmäßigen Beschäftigung nimmt das Gericht Bezug auf
den Beschluss des BAG vom 18.10.2011 und stellt darauf ab, ob Leih-
arbeitnehmer normalerweise während des größten Teils eines Jahres,
also länger als sechs Monate beschäftigt werden.
Gegen den Beschluss wurde Rechtsbeschwerde zum BAG eingelegt.37
Auch hierfür ist der Siebte Senat zuständig. Es spricht einiges dafür,
dass der Siebte Senat seine neue Rechtsprechung zu § 9 BetrVG auf
§ 9 MitbestG übertragen wird. Das dürfte dann auch für § 1 I Mit-
bestG und § 1 I DrittelbG gelten – mit der Folge, dass wesentlich
mehr Unternehmen Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat hätten.
Eine Entscheidung des Senats aus März 2013 zum aktiven Wahlrecht
nach dem Drittelbeteiligungsgesetz im Gemeinschaftsbetrieb weist in
diese Richtung.38
Hier war wesentliches Argument für die Anerken-
nung des Wahlrechts der mit einem Unternehmen arbeitsvertraglich
verbundenen Arbeitnehmer bei der Wahl der Arbeitnehmervertreter
in den Aufsichtsrat bei jedem Trägerunternehmen, dass die Arbeit-
nehmer eines Gemeinschaftsbetriebes nicht nur durch die Entschei-
dungen desjenigen Unternehmens betroffen seien, mit dem sie einen
Arbeitsvertrag geschlossen haben, sondern gleichermaßen von den
unternehmerischen Entscheidungen der weiteren am Gemeinschafts-
betrieb beteiligten Unternehmen. Nachdem das BAG die „Zwei-Kom-
ponenten-Lehre“ für den drittbezogenen Personaleinsatz ausdrücklich
aufgegeben hat und hier die vertragliche Beziehung zu einem Träger-
unternehmen ausreichen lässt, spricht einiges dafür, dass der Siebte
Senat diese Begründung auf Leiharbeitnehmer übertragen und sie bei
dem Schwellenwerten der Unternehmensmitbestimmung mitzählen
wird.39
Möglicherweise wird das BAG anknüpfen an eine Entscheidung zum
Gemeinschaftsbetrieb aus 1961.40
Danach soll es keine Rolle spielen,
wie die vertraglichen Beziehungen der einzelnen Arbeitnehmer be-
schaffen sind.41
Wichtig sei nur, wie viele Arbeitnehmer beschäftigt
werden. Es sei auf die ständig besetzten Arbeitsplätze abzustellen.
Größe und wirtschaftliche Bedeutung eines Unternehmens könnten
nach dem Arbeitsanfall, den ständig besetzten Arbeitsplätzen oder
den Arbeitspensen bestimmt werden. Deshalb müssten außer den in
einem Arbeitsvertragsverhältnis zu den betreffenden Unternehmen
stehenden Arbeitnehmern auch diejenigen hinzugezählt werden, die
in dieses eingegliedert sind und in diesem Arbeiten verrichten, sei es
auch als Leiharbeiter oder in ähnlicher Form. Wer ihr vertraglicher
Arbeitgeber ist, sei nicht entscheidend.
Knüpft das BAG an diese Rechtsprechung an, werden Leiharbeitneh-
mer für die Schwellenwerte der Unternehmensmitbestimmung zäh-
len, wenn sie auf dauerhaft bestehenden Arbeitsplätzen eingesetzt
werden.42
In Zukunft wird der Einsatz von Leiharbeitnehmern daher
wohl keine taugliche Strategie zur Vermeidung der Unternehmens-
mitbestimmung43
mehr sein.
Auch in der Unternehmensmitbestimmung ist eine klare Tendenz in
der jüngeren Rechtsprechung der Gerichte für Arbeitssachen erkenn-
bar, Leiharbeitnehmer bei den Schwellenwerten zu berücksichtigen.
Die Gerichte für Arbeitssachen sind allerdings nur zuständig für An-
fechtungssachen (§ 22 I MitbestG, § 11 I DrittelbG). Im Übrigen sind
die Zivilgerichte zuständig (§§ 97f. AktG). Es bleibt daher abzuwar-
ten, ob die Zivilgerichte die Entwicklung der arbeitsgerichtlichen
Rechtsprechung nachvollziehen werden.
Dr. André Zimmermann, RA/FAArbR, ist Counsel im Frank-
furter Büro von King & Wood Mallesons LLP. Er verfügt über
besondere Expertise im Bereich Fremdpersonaleinsatz.
1464 Betriebs-Berater | BB 24.2014 | 6.6.2014
Arbeitsrecht | Aufsätze
Zimmermann · BB-Rechtsprechungsreport zur Arbeitnehmerüberlassung 2012/2013 (Teil 1)
31 Vgl. LAG Hessen, 12.8.2013 – 16 TaBV 25/13, BeckRS 2013, 74895; Bissels, BB 2013, 2047;
Dzida, ArbRB 2013, 338.
32 Vgl. dazu Zürn/Maron, BB 2014, 629, 631.
33 OLG Hamburg, 29.10.2007 – 11 W 27/07, BeckRS 2007, 19416; OLG Düsseldorf,
12.5.2004 – 19 W 2/04 AktE, 19 W 2/04 AktE, BeckRS 2004, 07727.
34 ArbG Offenbach, 22.8.2012 – 10 BV 6/11, BeckRS 2012, 75531.
35 BAG, 18.10.2011 – 1 AZR 335/10, BB 2012, 969.
36 LAG Hessen, 11.4.2013 – 9 TaBV 308/12, BeckRS 2013, 70446.
37 7 ABR 42/13.
38 BAG, 13.3.2013 – 7 ABR 47/11, BB 2013, 2298; näher zum Gemeinschaftsbetrieb Lüers/
Schomaker, BB 2013, 565.
39 Vgl. Mückl, BB 2013, 2298, 2300.
40 Vgl. Löw, BB 2012, 3135.
41 BAG, 1.12.1961 – 1 ABR 15/60, AP Nr. 1 zu § 77 BetrVG.
42 Löw, BB 2012, 3135.
43 Vgl. Rieble, BB 2006, 2018, 2019.
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BB-Rechtsprechungsreport zur Arbeitnehmerüberlassung 2012/2013, BB 2014, 1461 (Teil 1)

  • 1. Dr. André Zimmermann, RA/FAArbR BB-Rechtsprechungsreport zur Arbeitnehmerüberlassung 2012/2013 (Teil 1) Es ist derzeit in der Unternehmens- und Beratungspraxis nicht leicht, den Überblick zu behalten über die Rechtsprechung zum AÜG – drei Stichworte: Schwellenwerte, vorübergehend und Industriedienstleistun- gen. Der Beitrag soll hier helfen. Er skizziert in zwei Teilen die wesent- liche Rechtsprechung zum AÜG der Jahre 2012 und 2013, geordnet nach sieben großen Themenfeldern. Wegen ihrer besonderen praktischen Bedeutung steht die Rechtsprechung des BAG im Mittelpunkt. I. Betriebsübergang bei Zeitarbeitsunter- nehmen – Wirtschaftliche Einheit Ein Betriebsübergang liegt vor, wenn ein neuer Rechtsträger eine beim Veräußerer bereits bestehende wirtschaftliche Einheit unter Wahrung ihrer Identität fortführt.1 Beim Veräußerer muss daher eine wirtschaftliche Einheit identifiziert und festgestellt werden, dass sie identitätswahrend beim Erwerber fortgeführt wird. In Umsetzung der Vorgaben des EuGH2 hat das BAG seine Rechtspre- chung zur Bestimmung der wirtschaftlichen Einheit bei Zeitarbeits- unternehmen Ende 2013 dahingehend konkretisiert, dass hier die wirtschaftliche Einheit aus der Gesamtheit von Verwaltungsangestell- ten, Leiharbeitnehmern und Fachkenntnissen besteht, um die Dienst- leistung zu erbringen.3 Leiharbeitnehmer allein stellten daher keine wirtschaftliche Einheit und damit keinen übergangsfähigen Betrieb (-steil) dar. Für das Vorliegen einer betriebsübergangsfähigen Einheit müsse hinzukommen, dass diese ohne Inanspruchnahme anderer wichtiger Betriebsmittel und ohne Inanspruchnahme anderer Teile des Veräußerers einsatzbereit sei. Die Übernahme von Auftragsbezie- hungen mit Entleihern bei Weiterbeschäftigung allein von Leiharbeit- nehmern, nicht aber der Verwaltungsangestellten, genügt danach nicht, um einen Betriebsübergang bei Zeitarbeitsunternehmen anzu- nehmen. Da gar keine Verwaltungsmitarbeiter übernommen worden waren, konnte der Achte Senat offenlassen, wie viele Verwaltungsmitarbeiter hätten übernommen werden müssen, um eine einsatzbereite wirt- schaftliche Einheit und damit einen Betriebsübergang anzunehmen. Eine einsatzbereite wirtschaftliche Einheit wird man wohl nur anneh- men können, wenn so viele Verwaltungsmitarbeiter übernommen werden, dass sie den Arbeitseinsatz der Leiharbeitnehmer beim Er- werber organisieren können.4 Von dem Betriebsübergang bei Zeitarbeitsunternehmen zu unter- scheiden ist der Betriebsübergang beim Entleiher. Bis Ende 2010 ent- sprach es einhelliger Auffassung, dass Leiharbeitnehmer nicht zu den übergehenden Arbeitnehmern zählen, wenn es beim Entleiher zu ei- nem Betriebsübergang kommt. In seiner „Albron Catering“-Entschei- dung vom 21.10.2010 zu einer dauerhaften konzerninternen Überlas- sung hat der EuGH die aus nationaler Sicht neue Kategorie eines „nichtvertraglichen Arbeitgebers“ geschaffen und befunden, dass auch der „nichtvertragliche Arbeitgeber“ Veräußerer im Sinne der Betriebs- übergangsrichtlinie 2001/23/EG sein könne.5 Die Folgen aus dieser Entscheidung sind noch weitgehend ungeklärt. Sie wird teilweise so verstanden, dass nicht nur in einem Konzern dauerhaft überlassene Leiharbeitnehmer bei einem Betriebsübergang auf den Erwerber übergehen, sondern auch sonstige Leiharbeitnehmer.6 Das BAG hat sich hierzu noch nicht geäußert. II. Betriebsbedingte Kündigung bei Zeitarbeitsunternehmen – Sozialauswahl Eine betriebsbedingte Kündigung ist sozial ungerechtfertigt, wenn sie nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers entgegenstehen, § 1 II 1 KSchG. Der Arbeitgeber muss eine unternehmerische Entscheidung treffen, die kausal zum Wegfall des Beschäftigungsbedarfs führt. Wei- ter darf keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit existieren und die Grundsätze der Sozialauswahl müssen beachtet werden. Für all das trifft grundsätzlich den Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast, § 1 II 4 KSchG. Zur Darlegung des Wegfalls des Beschäftigungsbedarfs bei einem Zeit- arbeitsunternehmen hatte sich das BAG schon 2006 geäußert.7 Da- nach genügt der Hinweis auf einen auslaufenden Auftrag und einen fehlenden Anschlussauftrag nicht: Der Verleiher muss anhand der Auftrags- und Personalplanung vielmehr einen dauerhaften Auftrags- rückgang darlegen; kurzfristige Auftragsschwankungen reichen nicht. Das ist das unternehmerische Risiko des Verleihers. Bei Zeitarbeitsunternehmen macht neben der Darlegung des wegge- fallenen Beschäftigungsbedarfs vor allem die Sozialauswahl Probleme. So ist fraglich, wie die – nach ständiger Rechtsprechung des BAG be- triebsbezogene – Sozialauswahl zu erfolgen hat, etwa ob nur Leihar- beitnehmer miteinander vergleichbar sind, die beim selben Entleiher eingesetzt sind oder nur Leiharbeitnehmer, die zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung überlassen sind und wie sich Regelungen über Austauschrechte des Verleihers oder „Abmeldungen“ durch den Entleiher im Überlassungs- oder Einsatzvertrag auf den Kreis der ver- gleichbaren Arbeitnehmer auswirken. Das BAG hat hier Mitte 2013 wichtige Punkte geklärt.8 Es hat ent- schieden, dass überlassene Arbeitnehmer auch während der Zeit ihrer Arbeitsleistung beim Entleiher weiter dem Betrieb des Verleihers zu- geordnet sind. Zum Betrieb des Verleihers gehören damit nicht nur Betriebs-Berater | BB 24.2014 | 6.6.2014 1461 Aufsätze | Arbeitsrecht 1 BAG, 23.5.2013 – 8 AZR 207/12, BB 2014, 61. 2 EuGH, 13.9.2007 – C-458/05, NZA 2007, 1151. 3 BAG, 12.12.2013 – 8 AZR 1023/12, BB 2014, 637. 4 Hamann, jurisPR-ArbR 9/2014 Anm. 3. 5 EuGH, 21.10.2010 – C 242/09, NZA 2010, 1225. 6 Vgl. einerseits Willemsen, NJW 2011, 1546, andererseits Forst, RdA 2011, 228. 7 BAG, 18.5.2006 – 2 AZR 412/05, AP Nr. 7 zu § 9 AÜG. 8 BAG, 20.6.2013 – 2 AZR 271/12, NZA 2013, 837.
  • 2. einsatzfreie, sondern auch die überlassenen Arbeitnehmer. Dement- sprechend sind grundsätzlich in die Sozialauswahl alle vergleichbaren Arbeitnehmer des Verleihers einzubeziehen, die von ihm zum Zweck der Überlassung an Dritte beschäftigt werden. Der Einbeziehung steht auch nicht entgegen, wenn der Entleiher einen Leiharbeitnehmer „ab- gemeldet“ hat, jedenfalls dann nicht, wenn der Verleiher den Leihar- beitnehmer gegen einen der übrigen überlassenen, sozial weniger schutzwürdigen Arbeitnehmer hätte austauschen können. Das BAG stellt klar, dass für Zeitarbeitsunternehmen die allgemeinen Grundsätze der Sozialauswahl gelten. Das heißt: Die Kündigung trifft nicht „automatisch“ denjenigen Leiharbeitnehmer, der vom Auftrags- wegfall betroffen ist, sondern es ist eine Sozialauswahl nach den allge- meinen Grundsätzen durchzuführen. Offengeblieben ist, inwieweit sich vertragliche Vereinbarungen zwischen Verleiher und Entleiher über den Ausschluss der Austauschbarkeit von Arbeitnehmern auf die Sozialauswahl auswirken und ob überlassene Arbeitnehmer, deren persönliche Überlassung geschuldet ist (z.B. wegen besonderer fachli- cher Kompetenzen), in die Sozialauswahl einzubeziehen sind.9 Fehlt es an einem vertraglichen Ausschluss des Austauschrechts, nimmt das BAG ein solches Austauschrecht an – mit der Folge einer entsprechend weiten Sozialauswahl. Wird ein Ausschluss des Aus- tauschrechts vereinbart, dürfte dies dazu führen, dass die Arbeitneh- mer nicht in die Sozialauswahl einzubeziehen sind.10 Der Verleiher nimmt sich durch den Verzicht auf ein Austauschrecht aber Flexibili- tät. Bei der Vertragsgestaltung muss er abwägen, welches Interesse schwerer wiegt. III. Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern bei Schwellenwerten Bei Zeitarbeitsunternehmen sind Arbeitnehmer nach allgemeinen Grundsätzen bei allen arbeitsrechtlichen Schwellenwerten zu berück- sichtigen. Weil Leiharbeitnehmer aber in keinem Arbeitsverhältnis zum Entleiher stehen – nur punktuell weist das Gesetz dem Entleiher die Arbeitgeberstellung (z.B. § 11 VI, VII AÜG, § 12 II ArbSchG, § 6 II 2 AGG) zu –, ist ihre Berücksichtigung dort fraglich. Bis vor Kur- zem ließ die Rechtsprechung Leiharbeitnehmer bei den in der Praxis wichtigen Schwellenwerten des Kündigungsschutzes, der Betriebsver- fassung und der Unternehmensmitbestimmung unberücksichtigt. Seit Ende 2011 ist diese Rechtsprechung aber im Wandel. 1. Geltungsbereich des allgemeinen Kündigungsschutzes Es entsprach bis Januar 2013 nahezu einhelliger Meinung und der Rechtsprechung mehrerer Landesarbeitsgerichte, dass Leiharbeitneh- mer im Einsatzbetrieb für die Schwellenwerte in § 23 I KSchG – un- abhängig von der Überlassungsdauer – nicht zählen.11 Begründet wurde das damit, dass nur solche Arbeitnehmer zu den in der Regel beschäftigten Arbeitnehmern gehören, die in einem Arbeitsverhältnis zum Inhaber des Betriebs stehen. Ende Januar 2013 entschied das BAG, dass im Betrieb eingesetzte Leiharbeitnehmer bei der Bestimmung der Betriebsgröße nach § 23 I 3 KSchG zu berücksichtigen sind, wenn ihr Einsatz auf einem in der Regel vorhandenen Personalbedarf beruht.12 Zur Berechnung des Schwellenwertes seien sämtliche für den Betriebsinhaber weisungsge- bunden tätigen und in den Betrieb eingegliederten Arbeitnehmer mit- zuzählen, soweit mit ihnen ein regelmäßiger Beschäftigungsbedarf ge- deckt werde. Dabei könne es sich auch um im Betrieb eingesetzte Leiharbeitnehmer handeln, soweit ihr Einsatz der den Betrieb im All- gemeinen kennzeichnenden Beschäftigungslage entspreche. Das folge aus Sinn und Zweck der Regelung. Der Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern stehe nicht schon entgegen, dass sie kein Ar- beitsverhältnis zum Betriebsinhaber begründet haben. Die Heraus- nahme der Kleinbetriebe aus dem Anwendungsbereich des Gesetzes solle der dort häufig engen persönlichen Zusammenarbeit, ihrer zu- meist geringen Finanzausstattung und dem Umstand Rechnung tra- gen, dass der Verwaltungsaufwand, den ein Kündigungsschutzprozess mit sich bringt, die Inhaber kleinerer Betriebe typischerweise stärker belaste. Das, so der Zweite Senat, rechtfertige keine Unterscheidung danach, ob die den Betrieb kennzeichnende regelmäßige Personalstär- ke auf dem Einsatz eigener oder entliehener Arbeitnehmer beruhe. Für die Praxis ist damit die Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern im Rahmen der Schwellenwerte des § 23 I KSchG entschieden: Sie sind mitzuzählen, wenn ihr Einsatz auf einem in der Regel vorhande- nen Personalbedarf beruht. Das Eingreifen des allgemeinen Kündi- gungsschutzes kann daher künftig nicht mehr dadurch verhindert werden, dass bei einem in der Regel vorhandenen Personalbedarf Leiharbeitnehmer statt Stammarbeitnehmer beschäftigt werden.13 Die Rechtsprechung ermittelt den in der Regel vorhandenen Perso- nalbedarf anhand eines Rückblicks und einer Prognose zum Zeit- punkt des Ausspruchs der Kündigung. Nicht entscheidend ist die Kopfzahl der tatsächlich bei Ausspruch der Kündigung beschäftigten Leiharbeitnehmer. Sie ist mehr oder minder zufällig und muss nicht repräsentativ sein für den Betrieb. Maßgeblich ist die den Betrieb all- gemein kennzeichnende Beschäftigungslage.14 Zeiten außergewöhn- lich hohen oder niedrigen Geschäftsanfalls bleiben damit außen vor. Das gilt beispielsweise für erhöhten Personalbedarf aufgrund von Jah- resabschlussarbeiten, Inventur, Ausverkauf oder Weihnachtsgeschäfts und verminderten Bedarfs wegen Ferien. Entsprechend ist zu prüfen, ob der Einsatz von Leiharbeitnehmern auf solchen außergewöhnli- chen Umständen beruht. Das sollte entsprechend dokumentiert wer- den. Auch dann, wenn auf einem Arbeitsplatz ständig wechselnde Leihar- beitnehmer eingesetzt werden, sind sie zu berücksichtigen, soweit ihr Einsatz die regelmäßige Belegschaftsstärke kennzeichnet. Letztlich zählt das BAG die mit Arbeitnehmern besetzten Arbeitsplätze, ohne zwischen Stammarbeitnehmern und Leiharbeitnehmern zu unter- scheiden. Auf Personenidentität der eingesetzten (Leih-)Arbeitneh- mer kommt es nicht an.15 Den Referenzzeitraum bzw. den Zeitraum, während dessen der Ar- beitsplatz von einem Stammarbeitnehmer oder einem Leiharbeitneh- mer besetzt ist bzw. voraussichtlich besetzt sein wird, hat das BAG in seiner Entscheidung aus Januar 2013 nicht festgelegt. Aufgrund des identischen Wortlauts („in der Regel“) in § 111 BetrVG, § 9 BetrVG, § 17 I 1 KSchG und § 23 I KSchG sind die Grundsätze anzuwenden, die das BAG zu diesen Vorschriften entwickelt hat. Danach kommt es darauf an, ob die Arbeitnehmer während des größten Teils eines Jah- 1462 Betriebs-Berater | BB 24.2014 | 6.6.2014 Arbeitsrecht | Aufsätze Zimmermann · BB-Rechtsprechungsreport zur Arbeitnehmerüberlassung 2012/2013 (Teil 1) 9 Ablehnend etwa Boemke, BB 2006, 997, 998. 10 Schüren/Behrend, NZA 2003, 521, 524. 11 LAG Berlin, 30.1.2001 – 3 Sa 2125/00, juris; LAG Nürnberg, 27.7.2011 – 4 Sa 713/10, ju- ris. 12 BAG, 24.1.2013 – 2 AZR 140/12, NZA 2013, 726. 13 Kock, BB 2013, 884. 14 BAG, 22.1.2004 – 2 AZR 237/03, BB 2004, 1059. 15 Vgl. Braun, ArbRB 2013, 199; Ginal, GWR 2013, 344.
  • 3. res, das heißt länger als sechs Monate beschäftigt werden.16 Bei einer arbeitsplatzbezogenen Sichtweise sind damit für den Schwellenwert in § 23 I KSchG alle Arbeitsplätze zu berücksichtigen, die bei Zugang der Kündigung bei einem Rückblick in die Vergangenheit und einem Ausblick in die Zukunft innerhalb eines Referenzzeitraums von zwölf Monaten17 länger als sechs Monate mit Leiharbeitnehmern besetzt waren bzw. voraussichtlich sein werden. Vor Ausspruch einer Kündigung sollte der Arbeitgeber, der sich un- terhalb der Schwelle des § 23 I KSchG wähnt, daher genau prüfen, welche Arbeitsplätze in der Vergangenheit durch Leiharbeitnehmer besetzt waren und perspektivisch weiterhin durch Leiharbeitnehmer besetzt sein werden und weiter prüfen, warum Leiharbeitnehmer ein- gesetzt wurden. Wenn Rahmenüberlassungs- und die einzelnen Ein- satzverträge flexibel gestaltet sind (kurze Kündigungsfristen), kann möglicherweise ein Abbau von Leiharbeitnehmern dazu führen, dass der Schwellenwert doch nicht überschritten wird, auch wenn es nicht auf die zufällige Zahl der tatsächlich beschäftigten Leiharbeitnehmer zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung ankommt.18 Ob Leiharbeitnehmer beim Entleiher für die Schwellenwerte in § 17 I KSchG zu berücksichtigen sind – § 17 I KSchG enthält zwei Schwellen- werte: den Schwellenwert der Betriebsgröße und den Schwellenwert der Zahl der Entlassungen – ist derzeit noch unklar. Das BAG ist in seiner Entscheidung zu § 111 BetrVG davon ausgegangen,19 dass „die Zahlen- und Prozentangaben in § 17 I KSchG deutlich überschritten“ seien und daher eine Betriebsänderung nach § 111 S. 3 Nr. 1 BetrVG vorliege.20 Da der Arbeitgeber nur 20 eigene Arbeitnehmer beschäftigte und da- rüberhinaus zeitweiseeineLeiharbeitnehmerin, hattedasBAGdieLeih- arbeitnehmerin für den Schwellenwert der Betriebsgröße in § 17 I KSchG stillschweigend mitgezählt. Andernfalls wäre die niedrigste Schwelle des § 17I1 Nr. 1KSchG nichterreicht worden. In der Praxis verbleibt Unsicherheit. Hinzu kommt, dass die nationale Sicht nicht entscheidend sein wird: Welcher Arbeitnehmerbegriff maßgeblich ist und ob Leiharbeitnehmer unter die Schwellenwerte des § 17 I KSchG fallen, wird bindend nur der EuGH entscheiden können, da § 17 KSchG die Massenentlassungsrichtlinie 98/59/EG in nationales Recht umsetzt und dementsprechend richtlinienkonform auszulegen ist.21 2. Zahl der Betriebsratsmitglieder Bis zum Frühjahr 2013 entsprach es gefestigter Rechtsprechung des Siebten Senats, Leiharbeitnehmer bei den Schwellenwerten in § 9 BetrVG nicht zu berücksichtigen, selbst wenn sie länger als drei Mo- nate eingesetzt werden und damit nach § 7 Satz 2 BetrVG selbst den Betriebsrat im Einsatzbetrieb wählen dürfen.22 Nur betriebsangehöri- ge Arbeitnehmer seien zu zählen. Betriebsangehörigkeit setze ein Ar- beitsverhältnis zum Betriebsinhaber voraus und die Eingliederung in dessen Betriebsorganisation („Zwei-Komponenten-Lehre“). An einem Arbeitsverhältnis zum Betriebsinhaber fehle es bei Leiharbeitneh- mern. Die Kurzformel: „Sie wählen, aber sie zählen nicht.“ Durch Beschluss vom 13.3.2013 hat der Siebte Senat diese Rechtspre- chung aufgegeben.23 In der Regel beschäftigte Leiharbeitnehmer seien für die Schwellenwerte in § 9 BetrVG mitzuzählen. Wenige Wochen zuvor hatte der Senat die „Zwei-Komponenten-Lehre“ für den dritt- bezogenen Personaleinsatz aufgegeben.24 Bereits vorangegangen wa- ren Entscheidungen des Ersten und des Zweiten Senats im Oktober 2011 und Januar 2013 zur Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern bei § 111 BetrVG25 und § 23 I KSchG26 . Entscheidend für eine Berücksichtigung spreche Sinn und Zweck der Schwellenwerte. Durch die Staffelung solle sichergestellt werden, dass die Zahl der Betriebsratsmitglieder in einem angemessenen Verhältnis zur Zahl der betriebsangehörigen Arbeitnehmer stehe, deren Interes- sen und Rechte der Betriebsrat zu wahren habe. Die Abhängigkeit der Betriebsratsgröße von der Zahl der in der Regel im Betrieb beschäftig- ten Arbeitnehmer trage dem Umstand Rechnung, dass hiervon der Tätigkeitsaufwand des Betriebsrats maßgeblich bestimmt werde: Je mehr Arbeit im Betriebsrat anfalle, desto mehr Mitglieder solle er ha- ben. Für die Praxis ist schon für die Betriebsratswahlen 2014 die neue Rechtsprechung des BAG maßgeblich: In der Regel beschäftigte Leih- arbeitnehmer sind hier bei allen Schwellenwerten des § 9 BetrVG für die Zahl der zu wählenden Betriebsratsmitglieder zu berücksichtigen. Auf den ersten drei Stufen, also in Betrieben mit bis zu 100 Arbeit- nehmern, müssen Leiharbeitnehmer nach § 9 S. 1 BetrVG zusätzlich wahlberechtigt sein. Zur Frage, wann Leiharbeitnehmer in der Regel beschäftigt werden und damit vom Wahlvorstand zu berücksichtigen sind, verweist der Senat explizit auf seine Rechtsprechung zur Berücksichtigung von Aushilfs- kräften. In der Regel beschäftigt sind danach die Arbeitnehmer, die nor- malerweisewährenddesgrößten Teils desJahresin dem Betrieb beschäf- tigt werden.27 Leiharbeitnehmer sind damit bei den Schwellenwerten des § 9 BetrVG zu berücksichtigen, wenn sie bei Erlass des Wahlaus- schreibens bereits länger als sechs Monate eingesetzt wurden oder auf- grund konkreter Entscheidungen des Entleihers zu erwarten ist, dass sie länger als sechs Monate eingesetzt werden. Wurden oder werden sie vo- raussichtlich nur für einen kürzeren Zeitraum eingesetzt, etwa zur Be- wältigung vonAuftragsspitzen, zählen sienicht mit. Es spricht auch hier viel dafür, dass die Gerichte bei der Prüfung der regelmäßigen Beschäftigung nicht auf den einzelnen Leiharbeitneh- mer abstellen werden, sondern fragen werden, ob ein Arbeitsplatz län- ger als sechs Monate von einem Leiharbeitnehmer besetzt wird. Die Auswechslung der Leiharbeitnehmer auf solchen Arbeitsplätzen wird daher nicht dazu führen, dass keine regelmäßige Beschäftigung von Leiharbeitnehmern vorliegt. Auch bei Aushilfsarbeitskräften kommt es nicht darauf an, ob derselbe Arbeitnehmer einen Arbeitsplatz län- ger als sechs Monate besetzt hat. Maßgeblich ist, ob ein Arbeitsplatz länger als sechs Monate von Aushilfskräften besetzt ist.28 In seiner ak- tuellen Rechtsprechung zu § 111 S. 1 BetrVG29 und § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG30 stellt das BAG ebenfalls darauf ab, ob ein sechs Monate überdauernder Beschäftigungsbedarf besteht, der mit Leiharbeitneh- mern gedeckt wird. Auf Personenidentität der eingesetzten Leihar- beitnehmer kommt es nicht an. Betriebs-Berater | BB 24.2014 | 6.6.2014 1463 Aufsätze | Arbeitsrecht Zimmermann · BB-Rechtsprechungsreport zur Arbeitnehmerüberlassung 2012/2013 (Teil 1) 16 Vgl. BAG, 16.11.2004 – 1 AZR 642/03, AP Nr. 58 zu § 111 BetrVG 1972; BAG, 18.10.2011 – 1 AZR 335/10, BB 2012, 969. 17 Vgl. BAG, 24.2.2005 – 2 AZR 207/04, NZA 2005, 766. 18 Vgl. Range-Ditz, ArbRB 2013, 187, 188. 19 Vgl. Lembke, NZA 2013, 1312, 1316, Fn. 46. 20 BAG, 18.10.2011 – 1 AZR 335/10, NZA 2012, 221, 222. 21 Vgl. Ramstetter/Hartmann, AuA 2013, 410, 412. 22 BAG, 22.3.2000 – 7 ABR 34/98, BB 2000, 2098; BAG, 16.4.2003 – 7 ABR 53/02, BB 2003, 2178; BAG, 10.3.2004 – 7 ABR 49/03, BB 2004, 2753. 23 BAG, 13.3.2013 – 7 ABR 69/11, BB 2013, 2045. 24 BAG, 5.12.2012 – 7 ABR 48/11, NZA 2013, 793. 25 BAG, 18.10.2011 – 1 AZR 335/10, BB 2012, 969. 26 Vgl. oben IV. 1. 27 BAG, 7.5.2008 – 7 ABR 17/07, NZA 2008, 1142; BAG, 12.11.2008 – 7 ABR 73/07, AP Nr. 13 zu § 9 BetrVG 1972. 28 LAG Düsseldorf, 26.9.1990 – 12 TaBV 74/90, BeckRS 1990, 30458466. 29 BAG v. 18.10.2011 – 1 AZR 335/10, BB 2012, 969. 30 Vgl. oben IV. 1.
  • 4. Es wird allgemein davon ausgegangen, dass das BAG seine neue Rechtsprechung auf die Zahl der Freistellungen, § 38 BetrVG, über- tragen wird.31 In vielen Betrieben dürften daher (mehr) Betriebsrats- mitglieder freizustellen sein, weil jetzt die Schwelle für (weitere) Frei- stellungen erreicht wird. Für einige Schwellenwerte des BetrVG ist die Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern noch ungeklärt – etwa §§ 1 I, 99 I, 106 I BetrVG. In seiner jüngeren Rechtsprechung betrachtet das BAG jeden Schwel- lenwert isoliert und fragt, ob Sinn und Zweck des Schwellenwertes eine Einbeziehung von Leiharbeitnehmern gebietet. Für die Praxis ist das verbunden mit Rechtsunsicherheit, weil nach der Rechtsprechung des BAG zu §§ 9, 111 BetrVG selbst innerhalb desselben Gesetzes die Begriffe „wahlberechtigte Arbeitnehmer“ unterschiedliche Bedeutung haben können und der Schutzzweck einer Norm nicht immer klar be- stimmbar ist. Möglicherweise kommt der Gesetzgeber der Rechtspre- chung zuvor: Nach dem Koalitionsvertrag „Deutschlands Zukunft ge- stalten“ soll gesetzlich klargestellt werden, „dass Leiharbeitnehmer bei den betriebsverfassungsrechtlichen Schwellenwerten grundsätzlich zu berücksichtigen sind, sofern dies der Zielrichtung der jeweiligen Norm nicht widerspricht.“32 3. Unternehmensmitbestimmung Im Bereich der Eingangsschwellenwerte der Unternehmensmitbestim- mung (§ 1 Abs. 1 MitbestG: 2000 Arbeitnehmer; § 1 Abs. 1 DrittelbG: 500 Arbeitnehmer) ist die zivilgerichtliche Rechtsprechung bislang der „Zwei-Komponenten-Lehre“ des BAG gefolgt und hat Leiharbeit- nehmer dementsprechend nicht mitgezählt.33 Im August 2012 ent- schied aber das Arbeitsgericht Offenbach, dass wahlberechtigte Leih- arbeitnehmer bei der Ermittlung der Arbeitnehmerzahl nach § 9 Abs. 1 MitbestG zu berücksichtigen sind.34 Es verwies hierbei auf die Entscheidung des BAG vom 18.10.2011 zu § 111 Satz 1 BetrVG35 und führte vor allem Sinn und Zweck der Norm an. Das Hessische LAG hat diese Entscheidung im April 2013 bestätigt.36 Eine am Sinn und Gesetzeszweck orientierte Gesetzesauslegung führe dazu, dass wahlberechtigte Leiharbeitnehmer bei der Berechnung der Überschreitung des Schwellenwertes des § 9 MitbestG mitzuzählen seien. Zur konkreten Feststellung der Unternehmensgröße verweist das LAG auf einen Referenzzeitraum von sechs Monaten bis zwei Jah- ren, für den Rückblick und Prognose vorzunehmen seien. Für die Frage der regelmäßigen Beschäftigung nimmt das Gericht Bezug auf den Beschluss des BAG vom 18.10.2011 und stellt darauf ab, ob Leih- arbeitnehmer normalerweise während des größten Teils eines Jahres, also länger als sechs Monate beschäftigt werden. Gegen den Beschluss wurde Rechtsbeschwerde zum BAG eingelegt.37 Auch hierfür ist der Siebte Senat zuständig. Es spricht einiges dafür, dass der Siebte Senat seine neue Rechtsprechung zu § 9 BetrVG auf § 9 MitbestG übertragen wird. Das dürfte dann auch für § 1 I Mit- bestG und § 1 I DrittelbG gelten – mit der Folge, dass wesentlich mehr Unternehmen Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat hätten. Eine Entscheidung des Senats aus März 2013 zum aktiven Wahlrecht nach dem Drittelbeteiligungsgesetz im Gemeinschaftsbetrieb weist in diese Richtung.38 Hier war wesentliches Argument für die Anerken- nung des Wahlrechts der mit einem Unternehmen arbeitsvertraglich verbundenen Arbeitnehmer bei der Wahl der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat bei jedem Trägerunternehmen, dass die Arbeit- nehmer eines Gemeinschaftsbetriebes nicht nur durch die Entschei- dungen desjenigen Unternehmens betroffen seien, mit dem sie einen Arbeitsvertrag geschlossen haben, sondern gleichermaßen von den unternehmerischen Entscheidungen der weiteren am Gemeinschafts- betrieb beteiligten Unternehmen. Nachdem das BAG die „Zwei-Kom- ponenten-Lehre“ für den drittbezogenen Personaleinsatz ausdrücklich aufgegeben hat und hier die vertragliche Beziehung zu einem Träger- unternehmen ausreichen lässt, spricht einiges dafür, dass der Siebte Senat diese Begründung auf Leiharbeitnehmer übertragen und sie bei dem Schwellenwerten der Unternehmensmitbestimmung mitzählen wird.39 Möglicherweise wird das BAG anknüpfen an eine Entscheidung zum Gemeinschaftsbetrieb aus 1961.40 Danach soll es keine Rolle spielen, wie die vertraglichen Beziehungen der einzelnen Arbeitnehmer be- schaffen sind.41 Wichtig sei nur, wie viele Arbeitnehmer beschäftigt werden. Es sei auf die ständig besetzten Arbeitsplätze abzustellen. Größe und wirtschaftliche Bedeutung eines Unternehmens könnten nach dem Arbeitsanfall, den ständig besetzten Arbeitsplätzen oder den Arbeitspensen bestimmt werden. Deshalb müssten außer den in einem Arbeitsvertragsverhältnis zu den betreffenden Unternehmen stehenden Arbeitnehmern auch diejenigen hinzugezählt werden, die in dieses eingegliedert sind und in diesem Arbeiten verrichten, sei es auch als Leiharbeiter oder in ähnlicher Form. Wer ihr vertraglicher Arbeitgeber ist, sei nicht entscheidend. Knüpft das BAG an diese Rechtsprechung an, werden Leiharbeitneh- mer für die Schwellenwerte der Unternehmensmitbestimmung zäh- len, wenn sie auf dauerhaft bestehenden Arbeitsplätzen eingesetzt werden.42 In Zukunft wird der Einsatz von Leiharbeitnehmern daher wohl keine taugliche Strategie zur Vermeidung der Unternehmens- mitbestimmung43 mehr sein. Auch in der Unternehmensmitbestimmung ist eine klare Tendenz in der jüngeren Rechtsprechung der Gerichte für Arbeitssachen erkenn- bar, Leiharbeitnehmer bei den Schwellenwerten zu berücksichtigen. Die Gerichte für Arbeitssachen sind allerdings nur zuständig für An- fechtungssachen (§ 22 I MitbestG, § 11 I DrittelbG). Im Übrigen sind die Zivilgerichte zuständig (§§ 97f. AktG). Es bleibt daher abzuwar- ten, ob die Zivilgerichte die Entwicklung der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung nachvollziehen werden. Dr. André Zimmermann, RA/FAArbR, ist Counsel im Frank- furter Büro von King & Wood Mallesons LLP. Er verfügt über besondere Expertise im Bereich Fremdpersonaleinsatz. 1464 Betriebs-Berater | BB 24.2014 | 6.6.2014 Arbeitsrecht | Aufsätze Zimmermann · BB-Rechtsprechungsreport zur Arbeitnehmerüberlassung 2012/2013 (Teil 1) 31 Vgl. LAG Hessen, 12.8.2013 – 16 TaBV 25/13, BeckRS 2013, 74895; Bissels, BB 2013, 2047; Dzida, ArbRB 2013, 338. 32 Vgl. dazu Zürn/Maron, BB 2014, 629, 631. 33 OLG Hamburg, 29.10.2007 – 11 W 27/07, BeckRS 2007, 19416; OLG Düsseldorf, 12.5.2004 – 19 W 2/04 AktE, 19 W 2/04 AktE, BeckRS 2004, 07727. 34 ArbG Offenbach, 22.8.2012 – 10 BV 6/11, BeckRS 2012, 75531. 35 BAG, 18.10.2011 – 1 AZR 335/10, BB 2012, 969. 36 LAG Hessen, 11.4.2013 – 9 TaBV 308/12, BeckRS 2013, 70446. 37 7 ABR 42/13. 38 BAG, 13.3.2013 – 7 ABR 47/11, BB 2013, 2298; näher zum Gemeinschaftsbetrieb Lüers/ Schomaker, BB 2013, 565. 39 Vgl. Mückl, BB 2013, 2298, 2300. 40 Vgl. Löw, BB 2012, 3135. 41 BAG, 1.12.1961 – 1 ABR 15/60, AP Nr. 1 zu § 77 BetrVG. 42 Löw, BB 2012, 3135. 43 Vgl. Rieble, BB 2006, 2018, 2019. Powered by TCPDF (www.tcpdf.org)