Flexibel, selbstbewusst und vermögend: Noch nie hatten
die Kunden in den „besten Jahren“ mehr Macht als heute.
Wie die Generation Gold einen Milliardenmarkt bestimmt
2. Flexibel, selbstbewusst und vermögend: Noch nie hatten
die Kunden in den „besten Jahren“ mehr Macht als heute.
Wie die Generation Gold einen Milliardenmarkt bestimmt
Durchschnittliches monatliches
Haushaltseinkommen nach Altersgruppen in Euro
Familien m. Kindern unter 17 J. 1500
50–59 Jahre 2100
60–69 Jahre 1700
WACHSENDE MACHT
Bevölkerungsentwicklung
in Deutschland in Mio.
(ab 2003 Schätzung)
Bevölkerung
insgesamt
Anteil der über
50-Jährigen
GIPFELSTÜRMER MIT 51
FOCUS 13/2004 183
80
60
40
20
0
1990 2000 2010 2020 2030 2040 2050
Illustration: S. Matlik Foto: A. Griesch/FOCUS-Magazin
Quelle: Statistisches Bundesamt
Quellen: GfK, DIW
In den Bergen kennt sich Günther
Härter aus. Seit mehr als 30 Jah-ren
organisiert der geprüfte Bergführer
beim Spezialreiseanbieter DAV Summit
Club Trekkingreisen sowie Touren für
Extremsportler und Kletterasse auf die
Gipfel dieser Welt. Doch vor zwei Jah-ren
beschloss der Münchner Veranstal-ter,
zusätzlich Reisen für „Kunden in den
besten Jahren“ ab 50 anzubieten – und
musste die Berge plötzlich mit ganz an-deren
Augen sehen.
Unter dem Motto „Genuss Plus – mit
Muße reisen“ standen statt hoher Gipfel
und erschöpfender Mammuttouren plötz-lich
komfortable Hütten, überschaubare
Routen und regionale Kulturerlebnisse
auf dem Programm. Die Genuss-Trup-pen
suchen zwar auch die alpine He-rausforderung,
dürfen sich aber schon
mal das Gepäck bis zur Hütte transpor-tieren
lassen oder den Aufstieg mit dem
Bus verkürzen. „Diese Kunden stellen
andere, ganz klare Ansprüche, die sie
sich auch mehr kosten lassen“, sagt
DICKE BRIEFTASCHE
Günther Härter vom Summit Club hat
Touren für 50-plus-Leute im Gepäck.
• Ältere Kunden . . .
Bis 2002 bot der Spezialreiseanbieter älte-ren
Bergfans nur so genannte Seniorenter-mine
an – keine extra auf sie zugeschnit-tenen
Reisen. Härter: „Als wir festgestellt
haben, dass diese Gruppe spezielle Wün-sche
hat, haben wir reagiert.“
• . . . neue Wege
Seither konzipiert er gezielt Touren für mehr
genussorientierte Kunden – mit Erfolg. „Wir
sind oft ausgebucht. Egal, ob es in die
Alpen, nach Südafrika oder Nepal geht.“
DIE GENERATION GOLD hat im Schnitt mehr
Geld zur Verfügung als junge Familien
IN 25 JAHREN
ist jeder zweite
Deutsche älter als 50
... da fängt das
n an
3. . . . diese Generation ver fügt im Durchschnitt über vier mal so viel Geld w i e
C H R I S TA H Ö H S , 6 3 Reif und schön:
Lebenslinien: Models mit Fältchen oder grauen
Haaren sind für die Werbebranche nicht mehr tabu
starke fi nanzielle Abstriche hinnehmen
müssen, geht es den Älteren laut einer
Untersuchung des Deutschen Instituts für
Wirtschaftsforschung (DIW) vergleichs-weise
gut. Demnach liegen die Einkünf-te
eines 2-Personen-Rentnerhaushalts
mit durchschnittlich 1700 Euro monat-lich
rund 200 Euro über denen einer Fa-milie
mit Kindern. Dank Ersparnissen, ei-gener
Immobilien und einer relativ guten
Altersvorsorge hat diese Generation laut
Statistiken sogar viermal so viel Geld zur
Verfügung wie der Normalbürger.
Die erste Nachkriegsgeneration pro-fi
tiert meist auch von ihren Eltern. Die
haben oft ihr Leben lang jeden Pfennig
zweimal umgedreht und hinterlassen so
laut Schätzungen in den nächsten Jah-ren
eine Erbmasse von etwa zwei Billio-nen
Euro (das sind 2000 Milliarden). Die
glücklichen Erben zeichnen sich dage-gen
durch große Konsumfreude aus: Fast
die Hälfte der über 50-Jährigen stimmt
laut einer Untersuchung der Gesellschaft
für Konsumforschung (GfK) der Aussage
„Ich mache mir lieber ein schönes Leben,
statt immer nur zu sparen“ zu. Vor zehn
Jahren sagten das nur 27 Prozent.
Christa Höhs, Chefi n der Senior-Models-
Agentur, vermittelt ältere Models
mich bei der Gründung der Agentur vor zehn
Jahren auf die Vermittlung älterer Models
konzentriert habe, war eine Entscheidung aus
dem Bauch heraus“, erzählt Höhs. Anfangs
hätten sich fast nur Firmen aus dem Gesund-heitssektor
gemeldet. „Inzwischen steht das
Telefon kaum mehr still. Die Nachfrage nach
älteren Models steigt enorm“, stellt die 63-
Jährige fest. Weil inzwischen auch Banken,
Autohersteller oder Software-Entwickler bei
ihr anklopfen, um das passende Gesicht für
ihre Produktwerbung zu fi nden, ist sie froh,
dass Nicola Siegel 2003 eine Partner agentur
in Berlin gegründet hat. Höhs: „Ich hätte es
sonst nicht mehr geschafft, alle Anfragen zu
bewältigen.“ Schließlich dauere es eine Wei-le,
die idealen Kandidaten zu fi nden. Für den
Hersteller der Rügenwalder Wurst beispiels-weise
hat sich die investierte Zeit gelohnt:
Seit sechs Jahren schneidet eine inzwischen
80-jährige Hausfrau in der TV-Werbung die
Streichwürste der Norddeutschen an – und
ein Ende der Kampagne ist nicht in Sicht.
Dieser Wandel in den Köpfen birgt ein
Milliardengeschäft: Ob Autohersteller,
Banken oder Reiseanbieter – alle wollen
profi tieren. Die Quote an Entscheidern
und Führungskräften ist in der zahlungs-kräftigen
50-plus-Gruppe am höchsten.
Kein Wunder, dass inzwischen fast jede
Branche mit speziell zugeschnittenen
Angeboten und Produkten aufwartet.
● Mobiler Luxus. Die deutschen Autobau-er
verkaufen schon heute jeden zweiten
Wagen an Kunden über 50. Der Anteil
der älteren Autobesitzer wird sich so bis
2015 auf nahezu 60 Prozent erhöhen.
Auto experte Ferdinand Dudenhöffer von
der Fachhochschule Gelsenkirchen prog-nostiziert:
„Wer in einigen Jahren kein
optimales Fahrzeug für ältere Menschen
anbieten kann, wird enorm an Marktan-teilen
verlieren.“ Starke Motoren allein
reichen dafür nicht mehr: Abstandssen-soren,
elektronische Türöffner und Spur-haltesysteme
werden zur Standardaus-stattung
gehören. Denn während die
junge Kundschaft beim Autokauf heute
in erster Linie damit beschäftigt ist, mög-lichst
günstige Finanzierungskonditionen
auszuhandeln, geht es den „Silver Shop-
In ihrer Modelagentur fi nden Firmen oft die
richtigen Gesichter für ihre Kampagnen.
Wer Christa Höhs in ihrer Senior-Mo-dels-
Agentur in München besucht, wird
extrem freundlich empfangen: Mindestens
100 fröhliche, lächelnde oder verführerische
Gesichter strahlen einen aus dem Regal an.
Das Auffällige: Weit mehr als die Hälfte der at-traktiven
Models stehen mitten im Leben und
sind zwischen 45 und 65 Jahre alt. „Dass ich
Härter, selbst 51 und inzwischen Ge-schäftsführer
des Summit Clubs. Sein
Konzept ging auf: Die Genuss-Buchun-gen
haben sich in den vergangenen zwei
Jahren verdoppelt.
Wohlhabend, selbstbewusst, offen.
Längst sind die so genannten Best
Ager ab 50 quer durch alle Branchen
die wahren Könige unter Deutsch-lands
Kunden. Immer mehr Unterneh-men
haben diese Altersklasse mit ihren
Bedürfnissen und Wünschen im Visier.
Damit verdrängt die Generation 50 plus
die bislang so umschwärmten 14- bis
49-Jährigen langsam, aber sicher von
ihrem Konsumententhron.
Macht dank Masse: Mehr als 30 Milli-onen
Deutsche sind heute über 50 Jahre
alt. Nach Schätzungen des Statistischen
Bundesamts wird ihr Anteil an der Ge-samtbevölkerung
bis 2050 auf knapp die
Hälfte wachsen (s. Chart S. 183). Mit ei-ner
Kaufkraft von heute mehr als 90 Mil-liarden
Euro pro Jahr bestimmt diese Al-tersgruppe
mehr und mehr den Markt.
Der Durchschnittshaushalt von 50- bis
59-Jährigen hat 2100 Euro im Monat zur
Verfügung. Obwohl viele Rentner derzeit
184 FOCUS 13/2004
4. d i e N o rmalbür g e r . . .
G E R H A R D H A M M A , 6 8
Wie viele Ältere verwirklichte sich der
Rentner seinen Traum einer Top-Wohnung.
Wo Menschen
über 50 wohnen
in Prozent
im eigenen
Haus
49
zur Miete
45 in einer
Eigentums-wohnung
6
„Wie schätzen Sie die eigene wirtschaftliche Lage ein?“
in Prozent 16–34 Jahre
31 50 19
35–59 Jahre
33 50 17
über 60 Jahre
37 46 17
sehr gut
oder gut
teils gut,
teils schlecht
eher
schlecht
FOCUS 13/2004 Fotos: ELE, H. Müller/FOCUS-Magazin
185
Quelle: Hanns-Seidel-Stiftung Quelle: GfK
pern“ um luxuriöse Extras – koste es, was
es wolle. So zählt der Durchschnitts-kunde
beim italienischen Luxuskaros-senhersteller
Ferrari fast 50 Lenze –
Tendenz steigend.
● Haushaltshürden. Ob Kühlschrank,
Waschmaschine oder Staubsauger – für
die Haustechnikbranche ist die Genera-tion
50 plus die wichtigste Kundengrup-pe.
„Sie legt größten Wert auf einfache
Bedienung und gute Qualität“, weiß
Andreas Reidl, Chef der A.GE Agentur
für Generationen-Marketing in Nürn-berg.
Deshalb – und weil ab einem be-stimmten
Alter größere Anschaffungen
möglichst bis ans Lebensende halten sol-len
– seien sie auch bereit, etwa für eine
neue Einbauküche mehr Geld auszuge-ben
als die meisten jüngeren Käufer.
Eine Herausforderung für Entwick-ler
und Designer: So beschriftet etwa
der Hausgerätehersteller Miele seit zwei
Jahren seine Backöfen mit deutlich grö-ßeren
Buchstaben – nachdem ein Test er-gab,
dass die schwarze Schrift auf Edel-stahluntergrund
schwer zu entziffern
ist. „Außerdem arbeiten wir daran, die
Bedienelemente wie Drucktasten oder
Knöpfe noch weiter zu optimieren, da-mit
sie einfach zu handhaben sind“, ver-rät
Frido Jacobs, Leiter der Designabtei-lung
bei Miele in Gütersloh.
● Unternehmungslust. Neben dem Sum-mit
Club bieten auch andere Anbieter
wie Studiosus Reisen oder die TUI Extras
für Best Agers. Bei einem Trip zum Golf
von Neapel offeriert beispielsweise Stu-diosus
den Teilnehmern täglich entspan-nende
Morgengymnastik und berück-sichtigt
jeden persönlichen Diätwunsch.
Im Katalog weist der Veranstalter darauf
hin, dass Fahrstühle in die oberen Eta-gen
führen. Die Mühe sollte sich auszah-len:
Fast 80 Prozent aller 50- bis 69-Jähri-gen
verreisen mindestens einmal im Jahr
(s. Chart S. 190). Die erholsamen Tage
am Strand, in den Bergen oder kulturel-le
Trips rund um die Welt sind erfahre-nen
Globetrottern zwischen 55 und 59 im
Schnitt 1355 Euro pro Reise wert. Zum
Vergleich: Die 30- bis 34-Jährigen geben
pro Urlaub nur 1150 Euro aus.
● Hauptsache, gesund. „Ab einem be-stimmten
Alter machen sich die Leute
mehr Gedanken über ihre Cholesterin-werte“,
beobachtet Claudia Stenske,
MIT IHRER FINANZIELLEN SITUATION sind vor
allem die über 60-Jährigen recht zufrieden
Über den Dächern von Mannheim:
Gerhard Hamma genießt sein Penthouse
Zu groß, zu zeitaufwändig, zu mühsam: 18
Jahre hatte Gerhard Hamma in seinem
268 Quadratmeter großen Einfamilienhaus in
Mannheim gelebt. Als jedoch sein Ruhestand
immer näher rückte, entschloss sich der da-mals
60-Jährige, das Haus aufzugeben und
„eine Eigentumswohnung zu kaufen“. Sein
großes Haus bereitete ihm zu viel Arbeit –
auch wegen des Gartens, erklärt der ehema-lige
Vertriebsleiter. „Und jedesmal wenn eine
Reise anstand, musste ich jemanden bitten,
sich um das Haus zu kümmern“, begründet
Hamma seine damalige Entscheidung.
Hochwertige Eigentumswohnung statt
Haus, ältere Kunden statt junger Familien:
Dieses Phänomen beobachten derzeit vie-le
Immobilienmakler und Bauträger in ganz
Deutschland. „Käufer zwischen 30 und 45
Jahren fragen kaum nach“, stellt Peter Gaul,
Chef der Mannheimer Bauträgergesellschaft
B.A.U., fest. Stattdessen interessiere sich vor
allem die Generation 50 plus für Wohnungen
mit komfortabler Ausstattung und in bester
Lage. Beispiel: „Bei unserem Objekt Sonnen-garten
gingen alle ruhigen Wohnungen mit un-verbautem
Blick an Kunden, die mindestens
50 Jahre alt sind.“ Diese Apartments kosten
pro Quadratmeter bis zu 550 Euro mehr als
die an der Straße gelegenen.
Als Gerhard Hamma nach dreijähriger Su-che
seine Traumwohnung endlich gefunden
hatte, investierte auch er etwas mehr, um
sich das 170 Quadratmeter große Apart-ment
nach seinen Vorstellungen gestalten
zu lassen. „Der Lift sollte direkt in die Woh-nung
führen, Gästezimmer und Büro mög-lichst
klein und das Bad vom Schlafzimmer
aus erreichbar sein.“
Inzwischen wohnt Hamma seit zwei Jahren
im neuen Zuhause. Seine Entscheidung hat
er bisher „noch keine Minute bereut“.
Wichtige
Details:
Ältere Käufer
legen viel Wert
auf breitere
Türen oder
einen Lift
EIGENTUM STATT MIETE
MEHR ALS DIE HÄLFTE der Menschen über 50
wohnt in den eigenen vier Wänden
POSITIVE STIMMUNG
5. . . . mehr als die Hälfte der Best Ager hält sich für selbstsicher im Auftreten . . .
Tagesausfl ug ins hohe Alter
Mit Hilfe des „Age Explorers“ testen Ingenieure und Designer ihre Produkte aus der
Sicht von Senioren. FOCUS probierte den Simulationsanzug am eigenen Leib.
Alt sein ist anstrengend. Jede Bewegung
UNTERWEGS
ALS GREISIN
186
kostet Kraft. Arme und Beine fühlen sich
an wie Blei. Mein Blick ist trüb, alles scheint
gelb und unscharf. Wo ist die Rolltreppe?
Was steht auf dem Preisschild? Und wo
geht’s zur Kasse? Die Geräusche um mich
herum sind diffus. Die Werbedurchsagen,
die Musik aus den Lautsprechern, die Wor-te
der Kassiererin – alles klingt dumpf und
hohl. So ähnlich wird es sich wohl anfühlen,
wenn ich einmal 70 Jahre alt bin.
„Feeling 70“ steht auf dem Ärmel des „Age
Explorer“ – eines Anzugs aus schwerem ro-tem
Stoff mit Bleigewichten an Beinen und
Armen. Mit Gelenkschienen, die Kniekehlen
und Ellenbogen versteifen. Mit einem Helm,
dessen gelbliches Visier Grauen Star und
Altersfarbempfi nden simuliert. Mit einem
wattierten Kopfhörer, der räumliches Hören
erschwert. Mit dicken Handschuhen, die von
innen stachelig beschichtet sind und so das
Fingerspitzengefühl lähmen – die Krankheit
Arthritis soll sich so ähnlich anfühlen.
Doch was weiß ich schon? Ich bin 30 Jah-re
alt – so wie die meisten Produktentwick-ler
und Designer. „Die ahnen oft gar nicht
einmal, was sie den Kunden antun“, sagt
Hanne Meyer-Hentschel. Sie ist die Erfi n-derin
des Age Explorer, dieser Mischung
aus Tankstellenkluft und Tauchanzug. Den
Age Explorer vermietet die Marketingexper-tin
aus Saarbrücken an Unternehmen, öf-fentliche
Einrichtungen, Krankenhäuser –
sprich: an alle, die mehr über Bedürfnisse
und Befi ndlichkeiten älterer Menschen er-fahren
wollen. Sechs Exemplare des Senio-ren-
Smokings sind inzwischen im Einsatz –
bis heute haben schon 5500 Testpersonen
darin am eigenen jungen Leib erfahren, wie
sich das Alter anfühlen kann.
„Natürlich ist das keine Simulation, die
eins zu eins aufgeht“, weiß Hanne Meyer-
Hentschel. „Es geht darum, mehr Sensibili-tät
zu schaffen.“ Quer durch alle Branchen
setzen Produktentwickler oder Marketingma-nager
bei ihrer Arbeit auf die Beratung des
Meyer-Hentschel-Instituts und auf einen Test-lauf
mit dem Age Explorer: so etwa Hersteller
Miele, der die Knöpfe an seinen Haushaltsge-räten
bedienerfreundlicher designen will, die
Autobauer Ford und BMW, die ihre Modelle
auf Bewegungs- und Beinfreiheit überprüfen,
oder der Reiseleiter des Veranstalters Stu-diosus,
der herausfi nden will, welche Touren
der reifen Kundschaft zuzumuten sind. „Die
meisten sind verblüfft“, beschreibt Meyer-
Hentschel die Erfahrungen der Probanden.
FOCUS-Redakteurin
Melanie Contoli, 30,
testet den
„Age Explorer“
Mühe bereitet die
schwere Kluft schon
beim Anziehen
Packung als Sehtest: Details verschwimmen im trüben Blick
Leistungssport Shopping: Wenn Einkaufstüten schmerzen
Abenteuer Autoausstieg: schwere Glieder, steife Gelenke
Tastentest am Geldautomaten: fehlendes Fingerspitzengefühl
6. Erfand den Anzug, der das Altsein simuliert:
Marketingexpertin Hanne Meyer-Hentschel
Oft sind es gerade die Details, die große
Hindernisse darstellen: Küchenmaschinen,
deren Schalter zu eng beieinander liegen –
da wird schnell geraspelt, wo eigentlich ge-knetet
werden sollte. Geschirrspüler, de-ren
Besteckkörbe dieselbe Farbe haben
wie der Rest des Gestells – da steckt man
als Fehlsichtiger schon mal die Gabel dane-ben.
Oder Waschmaschinen, bei denen man
Kugelstoßer-Kräfte braucht, um die Tür zu-zuwerfen.
„Schon kleine Feinjustierungen
können ein Produkt viel benutzerfreundli-cher
machen.“ Beispiel Staubsauger: Ob
der nun hochglanz- oder matt lackiert ist,
spielt für den Verkaufserfolg wohl kaum eine
Rolle. „Aber die Schrift lässt sich auf einer
matten Lackierung viel besser lesen.“ Auch
junge Kunden wüssten schließlich bediener-freundliche
Produkte zu schätzen.
Stimmt. Die größte Herausforderung bei
meinem Altersausfl ug durch die Saarbrücker
Innenstadt: der Geldautomat. Die Karte aus
der Börse fi ngern, die richtigen Tasten drü-cken
und dann auch noch auf dem milchigen
Display die korrekte Zahlenfolge erkennen –
kein Wunder, dass sich laut Statistik vor al-lem
ältere Menschen dreimal hintereinander
bei ihrer Geheimzahl vertippen.
Aber auch das Geldausgeben im Age Ex-plorer
schlaucht. Jeder normale Schritt fühlt
sich an wie Treppensteigen auf den Kölner
Dom. Die Einkaufstüte schneidet schmerz-haft
in die Handfl ächen. Bummeln als Leis-tungssport
– schon nach einer halben Stun-de
bin ich nass geschwitzt. Im Elektromarkt
will ich nur schnell einen Film kaufen. Die Pa-ckungen
liegen als Sonderangebot in einer
Wühltruhe. Unbeholfen fi ngere ich ein Päck-chen
heraus und versuche, die Aufschrift zu
entziffern. 24 oder 36 Aufnahmen? Schwarz-weiß
oder Farbe? Ich bin müde und habe kei-ne
Lust mehr. Ich möchte raus aus dem An-zug.
Mein Alter einfach wieder abschütteln.
Gut, dass ich die Wahl noch habe. ■
MELANIE CONTOLI
. . . fast 40 Prozent schätzen sich als sehr aktiv ein . . .
Marketingleiterin beim Lebensmittelpro-duzenten
Schneekoppe. Laut einer Um-frage
der Bundesarbeitsgemeinschaft der
Senioren-Organisationen stellen 82 Pro-zent
der 50- bis 80-Jährigen ihre Ernäh-rung
im Alter um. Davon verzehren 85
Prozent weniger Fleisch, drei Viertel es-sen
mehr Obst und Gemüse. „Wir müssen
unsere Produktpalette an die Bedürfnisse
anpassen“, sagt Stenske. Schneekoppe,
eine klassische Lieblingsmarke von Se-nioren,
setzt beispielsweise verstärkt auf
Frühstücksfl ocken mit Getreide. Doch
auch die Äußerlichkeiten müssen stim-men:
Ältere Shopper achten genauer
auf die Verpackungsangaben. „Wer da
nicht gut lesbar und ausführlich über das
Produkt informiert, läuft Gefahr, seine
Kunden zu verlieren“, weiß Stenske.
Zwar sind sich Hersteller und Dienst-leister
einig, dass Kunden ab 50 immer
wichtiger werden. Vielen fehlt aber noch
das Gefühl für die richtige Ansprache.
Markante Gesichter für gestandene
Kunden. Auch die Werbewirtschaft muss-te
dazulernen: Mit Models, die gerade
den Kinderschuhen entschlüpft sind,
gewinnt sie nicht mehr automatisch die
SPASS AUF ROLLEN
Viele jung gebliebene
50-Jährige sind offen für neue
Trends wie Inline-Skaten.
• Tolle Erinnerungen
Die Popularität der Sportart
weckt das Interesse der dynami-schen
50-Jährigen. In erster Li-nie
sind es Kinder und Enkel, die
sie auf die Rollen bringen. „Eini-ge
erinnern sich an ihre ersten
Erfahrungen auf Rollschuhen –
auch wenn das manchmal 40
Jahre zurückliegt“, erzählt Ale-x
ander Brauer, der in Berlin eine
Inline-Skate-Schule betreibt.
• Neugierige Talente
Sobald die Skates-Neulinge das
Bremsen beherrschen, wollen
die meisten das komplette Tech-nikspektrum
erlernen. Brauer:
„Und danach sind sie am liebs-ten
mit den anderen Teilneh-mern
unterwegs.“
RASANTE ROLLER Viele Best
Ager genießen ihre Ausfl üge
auf Inline-Skates
Aufmerksamkeit der jungen Alten. „Die
meisten Firmen haben erkannt, dass
sie ihre Kunden mit ungefähr gleich-altrigen
Models ansprechen müssen“,
weiß Christa Höhs. Sie leitet die Münch-ner
Agentur Senior Models und vermit-telt
gestandene Männer und Frauen mit
markanten Gesichtszügen. Die Nachfra-ge
nach Kandidaten über 45 ist bei ihr
seit 2002 um stattliche 60 Prozent gestie-gen.
„Inzwischen fragen nicht nur die ty-pischen
Zipperlein-Firmen nach, die für
Gesundheitstee oder Pfl aster werben
wollen“, erzählt das 63-jährige Ex-Mo-del.
Jetzt stehen auch Firmen wie Audi,
die Deutsche Bank, Maggi, Wrigley oder
SAP bei ihr Schlange. Höhs: „Und die ha-ben
meist ganz genaue Vorstellungen,
wie die Models aussehen sollen.“
Hausaufgabe für den Chef: Hohe An-forderungen
stellen auch die Best Ager
selbst – was immer sie kaufen. An Qua-lität
und persönlichem Service darf es
nicht mangeln. „Die haben schon sehr
viel erlebt und bringen entsprechend
Erfahrung mit“, weiß Johann Konradt,
Generationenexperte aus Darmstadt.
„Wer ihnen zum Beispiel ein Finanz-
FOCUS 13/2004 Fotos: A. Bello & W. Knapp/FOCUS-Magazin (6), Getty Images 187
7. DOLCE VITA
„Ich mache mir lieber ein schönes
Leben, statt immer nur zu sparen.“
über 50-Jährige in Prozent
45
2002
39
1999
27
1992
SPARBUCH ADE
Fast jeder Zweite
erfüllt sich seine
Träume, statt
auf jeden Cent zu
achten
188 Fotos: W. Heider-Sawall, M. Bogdahn/beide FOCUS-Magazin
FOCUS 13/2004
Quelle: GfK
produkt verkaufen will, muss mit extrem
kritischen Fragen rechnen.“ Auch bei
Verkäufern und Beratern legen die neu-en
Superkunden strenge Maßstäbe an.
Jeder zweite zieht laut „Reader’s Di-gest“
für seine Einkäufe Fachgeschäfte
mit persönlicher Beratung vor.
Diese Erfahrung hat auch Peter Gaul
gemacht. Für den Geschäftsführer
der Mannheimer Bauträgergesellschaft
B.A.U. ist es selbstverständlich, dass
Kunden über 50 von der Erstberatung
bis zum Abschluss des Kaufvertrags von
ihm persönlich betreut werden wollen.
„Sie sind bereit, viel Geld in eine Immo-bilie
zu investieren. Da erwarten sie eine
Vertrauensperson, die auf all ihre Wün-sche
eingeht“, erklärt Gaul.
Das wissen Kunden wie Gerhard Ham-ma
zu schätzen. Der 68-Jährige hatte drei
Jahre vergeblich nach einer passenden
Wohnung gesucht, ehe er auf das Pent-house-
Angebot von der B.A.U. in Mann-heim-
Feudenheim stieß. „Ich hatte eini-ge
Bedingungen, die ich mit Herrn Gaul
intensiv durchsprechen konnte“, erzählt
Hamma (s. Kasten S. 185). „Sonderwün-sche
wie der Lift ins Apartment haben
mich schon etwas mehr gekostet“, gibt
der agile Rentner zu, „aber das war mir
die maßgeschneiderte Wohnung wert.“
Kompromisslose Ansprüche. Auch
Andreas Reidl von der Agentur für Ge-nerationen-
Marketing beobachtet, dass
sich diese Altersgruppe „noch mal was
gönnen will“. In seinem Auftrag nehmen
deutschlandweit mehr als 500 freie Mit-arbeiter
im Alter zwischen 50 und 80 Jah-ren
Produkte und Dienstleistungen unter
die Lupe. Mit Hilfe dieser so genannten
Senior Scouts (s. oben) erforscht Reidl
die Verbraucherseele der Generation 50
plus – die nach Untersuchungen der GfK
lange als vernachlässigte Zielgruppe ihr
Konsumentendasein fristen musste. In-zwischen
ist ihre Meinung sehr gefragt:
So schickt Reidl seine Schützlinge im
Auftrag von Unternehmen und Dienst-leistern
los, um etwa Supermärkte oder
Banken zu testen.
Spätzünder. Viele Firmen springen
erst jetzt auf den Zug auf. „Irgendwie
haben die meisten gepennt oder sich
nicht an dieses Thema rangetraut“, be-stätigt
Bernd Michael, Chef der Werbe -
agentur Grey in Düsseldorf (s. rechts).
Mit Hilfe seiner Senior Scouts erforscht
Andreas Reidl die Kundenseele der Älteren.
Othmar und Inge Hintringer hatten einen
klaren Auftrag: „Sie bekommen 100 000
Euro aus Ihrer Lebensversicherung ausgezahlt
und wollen das Geld anlegen. Welche Bank
bietet die besten Konditionen?“ Seit fünf Jah-ren
arbeiten der 72-jährige ehemalige Außen-dienstler
und seine 68-jährige Frau als freie
Marktforscher für die A.GE Agentur für Gene-rationen-
Marketing in Nürnberg. Als Senior
Scouts testen sie Produkte und Dienst leis-tungen
aus dem Blickwinkel älterer Men-schen.
500 Scouts im Alter von 50 bis 80
Jahren sind für Agenturchef Andreas Reidl un-terwegs
und nehmen Verpackungen oder den
Service in Supermärkten unter die Lupe. Fünf
Bankfi lialen besuchten die Hintringers im Okto-ber,
um ihre fi ktiven 100 000 Euro Gewinn brin-gend
anzulegen. „Die Credit Suisse hat uns am
besten bedient. Da wurden uns neben einer
ordentlichen Rendite sogar Kaffee und Kekse
angeboten“, erinnert sich Inge Hintringer. Am
schlechtesten schnitt in ihren Augen eine Be-raterin
der Dresdner Bank ab. „Die bot uns nur
die marktüblichen Sparbuchzinsen an und hat
uns dann schnell wieder heimgeschickt.“ Als
unangenehm empfand die Rentnerin auch das
Alter der Bankberater. „Man will über so etwas
nicht mit einem 20-Jährigen sprechen.“
Ein Bedürfnis, das andere Anbieter schon
erkannt haben: So will etwa Finanzdienstleis-ter
AWD Kunden über 50 nur noch von Bera-tern
im gehobenen Alter betreuen lassen.
D I E S E R V I C E - P FA D F I N D E R
Erfahrene Berater:
Andreas Reidl, 38, baut bei der
Marktforschung auf 50- bis 80-Jährige
Marktforschung als spätes Hobby: Die Senior Scouts Inge, 68, und Othmar Hintringer, 72
GENERATION GOLD Auch die Finanz-branche
nimmt ältere Kunden ins Visier
8. . . . knapp die Hälfte des deutschen Geldvermögens befindet sich in den Händen der Best Ager . . .
INTERVIEW
„Irgendwie haben alle gepennt“
Bernd M. Michael, einer der mächtigsten Werbebosse Deutschlands, ist überzeugt,
dass die Generation 50 plus für Firmen ein Milliardenpotenzial birgt.
FOCUS: Seit einiger Zeit bemühen sich
immer mehr Firmen, die über 50-Jähri-gen
als Kunden zu gewinnen . . .
Michael: Ja, endlich! Es hat lang ge-nug
gedauert, bis die Firmen diese
Chance erkannt haben. Irgendwie ha-ben
alle gepennt, oder niemand hat sich
getraut, an dieses Thema ranzugehen.
FOCUS: Warum diese Scheu?
Michael: Das hatte mehrere Gründe.
Noch vor kurzem erzielten die Firmen
wachsende Umsätze, indem sie die 20-,
30- und 40-Jährigen ansprachen. Inzwi-schen
ist die Not groß, da die potenziel-len
Kunden auf dem Spartrip sind. Dem-entsprechend
halten jetzt alle nach einer
neuen kaufkräftigen Zielgruppe Aus-schau.
Da bietet sich die 50-plus-Gene-ration
an. Nach Statistiken verfügt diese
Altersgruppe im Schnitt über viermal so
viel Geld wie der Normalbürger.
FOCUS: Was hat die Firmen bisher
noch abgehalten?
Michael: Unter anderem die Psyche.
Stellen Sie sich vor, Sie sind ein 30-jäh-riger
Produktmanager und gerade Ih-rem
Elternhaus entkommen. Da wollen
Sie keine Werbestrategien für die Gene-ration
von Mama und Papa entwickeln.
Dabei ist die Chance, diese Zielgruppe
erfolgreich anzusprechen, enorm hoch.
FOCUS: Was können Werber alles
falsch machen?
Michael: Es beginnt mit den Worten.
Begriffe wie Senioren oder alt sind da ab-solut
tabu. Man darf diese Altersklasse in
der Werbung nicht in die Ecke der ,Alten‘
schubsen. Ein US-Unterwäsche-Herstel-ler
hat kürzlich beispielsweise Tochter,
Mutter und Oma in eine Reihe gestellt
und so für sein Produkt geworben. Das
ist gut gedacht, geht aber zu weit.
FOCUS: Wie lockt man die Älteren
denn richtig?
Michael: Nehmen Sie beispielsweise
die VisaCard-Werbung: Da lacht ein jun-ger
Mann in einem Musikladen einen äl-teren
aus, weil der sich noch eine Schall-platte
kaufen will. Als der junge für seine
CD dann mühsam Bargeld zusammen-kramt,
amüsiert sich der ältere Herr – und
zückt lässig seine VisaCard. Da ist der
Erfahrenere in ein Umfeld gebettet, das
er souverän meistert und in dem zufälli-gerweise
er die grauen Haare hat. Das ist
eine geschickte Lösung, um diese Gene-ration
selbstbewusst anzusprechen.
FOCUS: Klingt gar nicht so schwer.
Michael: Mag sein. Aber egal, ob Tou-rismus-,
Möbel- oder Fitnessanbieter –
alle sind noch auf Entdeckungsreise,
wie sie die Generation 50 plus noch bes-ser
und effektiver ansprechen können.
Das Potenzial, das diese Gruppe birgt,
ist längst noch nicht ausgeschöpft.
FOCUS: Inzwischen haben bestimmt
alle Branchen diese Chancen erkannt.
Michael: Von wegen! Die PC- und IT-Branche
hat in den vergangenen Jahren
ältere Leute kaum ermutigt, ins Internet
zu gehen oder E-Mails zu schreiben.
FOCUS: Aber die Zahl der 50- bis 64-
Jährigen, die sich mit dem Internet be-schäftigen,
steigt doch seit einiger Zeit
permanent?
Michael: Ja, aber das haben nicht die
Hersteller erreicht. Es sind die Enkel und
Kinder, die hier täglich Druck machen.
Die schreiben ihren Eltern und Großel-tern
Mails oder SMS und erwarten eine
Antwort auf dem gleichen Weg. Da bleibt
den 50ern keine andere Wahl, als sich
schnell mit dem Computer anzufreun-den.
Sonst klinken sie sich selbst aus. ■
STEFFI SAMMET
WERBEPROFI
Bernd M. Michael, 58, leitet Grey, die
zweitgrößte deutsche Werbeagentur.
• Erfolgreiche Bilanz
Obwohl es in der Werbebranche 2003
stark kriselte, erwirtschafteten die 1200
Mitarbeiter im vergangenen Jahr einen
ähnlichen Umsatz wie 2002 – mehr als
eine Milliarde Euro.
• Bekannte Kampagnen
Grey entwarf die Werbung des Mobil-funkanbieters
O2 mit Dieter Bohlen, Anke
Engelke und Franz Beckenbauer. Auch die
Allianz und Seat zählen zu den Kunden.
Ran an die Wäsche:
Werbekampagnen,
in denen Firmen
wie Jockey ältere
Menschen neben
jüngere stellen,
sind Grey-Chef
Michael zu passiv
FOCUS 13/2004 189
9. Menschen pro Altersgruppe, die mindestens
einmal im Jahr verreisen in Prozent
30–39
2002
77,7
1971 49,3
40–49 47,4
78,1
50–59 46,8
78,5
60–69 38,5
77,1
über 70
Jahre
30,8
59,2
Durchscnittliche Ausgaben in den verschiedenen
Altersgruppen pro Reise in Euro
50–54 Jahre 1340
55–59 Jahre 1355
60–64 Jahre 1166
65–69 Jahre 1183
„Wie wichtig ist es Ihnen, sich modisch
zu kleiden?“ in Prozent
50–59
2002
38 44 18
60–69 47 40 13
70–75
Jahre
55 38 7
50–59
1992
wenig
wichtig wichtig
sehr
wichtig
48 43 9
60–69 61 33 6
70–75
Jahre
70 26 4
Durchschnittsalter von Pkw-Fahrern
aktuelle und Vorgängermodelle
Mercedes C-Klasse 53,6
Mercedes E-Klasse 51,0
Audi 80/90 50,6
Mercedes 190 50,4
Opel Omega 49,9
Opel Vectra, Vectra 2000 48,7
Renault Mégane 48,5
Mazda 323 47,9
190 Fotos: C. Savage/Corbis
FOCUS 13/2004
Quelle: GfK Quelle: European Trend Monitor Quellen: StfT, F.U.R.
Etliche Unternehmen zieren sich bis
heute, altersgerechte Produkte auch als
solche zu vermarkten. So legen Autoher-steller
viel Wert darauf, dass bestimmte
Modelle nicht als „Seniorenauto“ gelten.
„Zusätzlichen Komfort, aber dennoch
ein dynamisches Image: Silberpfeil statt
Silbermobil“, heißt es dazu etwa bei
DaimlerChrysler.
Die Furcht, am eigenen Image zu
kratzen und junge Kunden zu vergrät-zen,
ist häufi g noch größer als der Mut,
eine neue Zielgruppe zu erschließen.
Hinzu kommt: Die kategorische Eintei-lung
in junge und alte Zielguppe funkti-oniert
nicht mehr. Die Rentner von heute
sind mit den Rolling Stones aufgewach-sen
und verdrängen ihre Enkel bei den
Konzerten schon mal aus der ersten Rei-he.
50-jährige Familienväter müssen sich
an Dieter Bohlen, Teenie-Kultfi gur und
ebenfalls 50, messen lassen. Und mode-bewusste
Mütter in den besten Jahren
leihen ihren Töchtern ab und zu den teu-ren
Designerfummel aus. „Von denen hat
niemand Lust, sich mit so genannten Se-niorenprodukten
abstempeln zu lassen“,
sagt Marketingexpertin Hanne Meyer-
Hentschel. Mit der Erfi ndung des Age
Explorers, eines Anzugs, in dem junge
Menschen erfahren, wie sich das Altsein
anfühlt, hat die Saarbrückerin den Markt
für Seniorenmarketing revolutioniert (s.
Reportage S. 186) – allerdings vermeidet
auch sie das Wort Senioren inzwischen.
Aber wie nennt man nun politisch
korrekt die neuen Superkunden über 50
beim Namen? „Am besten gar nicht“, rät
Senior-Scout-Chef Reidl. Eine indirekte
Ansprache über die Bedürfnisse sei die
beste Methode. Nur wenige Anbieter
haben diesen Spagat bisher bewältigt:
● Schicke Falten. Die Werbung für die
Pfl egeserie Nivea Vital vermittelt reifen
Kundinnen, dass sie auch mit über 50
attraktiv sind – und nicht nur, dass ihre
Haut spezielle Pfl ege braucht. Der Kos-metikhersteller
Beiersdorf steigerte den
Marktanteil gemeinsam mit Nivea Visage
auf 25 Prozent – dabei hatten die Mar-ketingexperten
in den 90er-Jahren noch
Bedenken, mit einer „Senioren-Linie“
die Marke Nivea zu verwässern.
● Zugbegleiter. Die Deutsche Bahn for-derte
reiselustige Senioren in einer Kam-pagne
zu neuen Ausfl ügen auf („Weil
VON WEGEN STUBENHOCKER
FÜR URLAUBSTRIPS geben die Jungsenio-ren
im Durchschnitt mehr als 1100 Euro aus
BLOSS NICHT ALT(MODISCH)
AUF SCHICKE KLEIDUNG legten die über
50-Jährigen 2002 viel mehr Wert als 1992
EIN STERN VORNEWEG
DAS FERNWEH treibt die 50- bis 69-Jährigen
mindestens einmal pro Jahr aus dem Haus
AB IN DEN URLAUB
Mit Extraseiten oder eigenen Katalogen
werben Reiseveranstalter wie Studiosus
oder Summit Club um die anspruchsvolle
und ausgabenfreudige Klientel 50 plus
EXTRAS GEFRAGT
Als Zweitwagen macht
der Generation 50 plus
auch ein Oldtimer Spaß
GRÖSSERE MODELLE werden von älteren
Autofahrern bevorzugt
SATTES URLAUBSGELD
Quelle: compact
10. . . . mehr als die Hälfte dieser Generation lebt in der eigenen Immobilie . . .
JEDE MENGE FRÜHRENTNER
Anteil der Erwerbstätigen bei
55- bis 64-Jährigen in Prozent
38,4
2002
38,6
2000
36,8
1990
42,2
1980
Z W E I T E C H A N C E S C H U L B A N K
Sie mehr vorhaben, als Ihre Enkel glau-ben!“).
Doch auf der BahnCard taucht
das Wort Senioren nicht auf. Schließlich
will die Bahn diesen Kunden vermitteln,
dass sie so wichtig sind wie die jüngeren
– auch wenn sie ab 60 nur noch die Hälfte
für die BahnCard 50 bezahlen müssen.
● Sicherheits-Handy. Der Mobilfunkkon-zern
Vodafone startete 2003 gemeinsam
mit der Deutschen Seniorenliga die Ini-tiative
„Einfach mobil telefonieren“, um
Ältere über die Vorteile des Handys auf-zuklären
und als Kunden zu gewinnen.
Mit dem Vitaphone 1200 und dem Mobi-
Click Senior Tel bietet Vodafone Model-le
mit Notruftaste und Satellitenortungs-system
an, die das Sicherheitsbedürfnis
der Kunden bedienen.
Ein universelles „Senioren-Handy“
fehlt bislang noch auf dem Markt. Se-nio,
ein Fachhändler für Seniorenbedarf,
(Slogan: „Jeder wird Kunde von Senio –
früher oder später“) hat deshalb ein eige-nes
Modell entworfen, das dank breiter
Tasten und großem Display „vernünftig
bedienbar“ sein soll. Noch sucht Senio
allerdings einen Partner, der das Telefon
marktreif entwickelt.
„Dabei geht es nicht immer darum,
Hilfsmittel zu produzieren oder dank mo-derner
Technik Defi zite des Alters auszu-gleichen.
Gerade die Elektronikhersteller
haben einfach lange an den Bedürfnis-sen
der älteren Generation vorbeient-wickelt“,
sagt Age-Explorer-Erfi nderin
Hanne Meyer-Hentschel.
Nachholbedarf hat der deutsche Markt
auch im internationalen Vergleich: Im ös-terreichischen
Bergheim bei Salzburg
eröffnete die Handelskette Adeg 2003
den europaweit ersten „50-plus-Super-markt“,
eine weitere Filiale in Wien folg-te
Anfang dieses Jahres. In Skandinavi-en
haben Forscher eigene verbindliche
Normen für die Entwicklung von benut-zerfreundlichen
Hausgeräten festgelegt.
Und auch die Japaner haben das Poten-zial
ihrer älteren Kunden viel früher als
die Deutschen entdeckt – fast 40 Milliar-den
Euro werden dort pro Jahr allein mit
altersgerechten Produkten umgesetzt.
Erfahrung zählt. Schlecht schneidet
Deutschland auch im internationalen
Vergleich ab, wenn es um die Akzep-tanz
älterer Arbeitnehmer geht. Während
2002 beispielsweise in Schweden
Um bei älteren Kunden zu punkten, setzen
Hersteller auf Größe und leichte Bedienung.
192 Fotos: S. Lasse/Zeitenspiegel/FOCUS-Magazin
FOCUS 13/2004
Quelle: IWD
Erfahren und kompetent: Das Wissen älte-rer
Mitarbeiter kann Firmen viel bringen.
Neuland: An der Gewerbeakademie Rottweil bilden sich Ältere zu „Betriebsmanagern Qualität“ fort
Helmut Steinl ist ein ausgesprochen gu-ter
Schatzsucher: Als sein Arbeitgeber,
die Unternehmensberatung Martin Stumpe
aus dem württembergischen Rottweil, für
ihr Fortbildungsangebot „Betriebsmanager
Qualität“ passende Kandidaten ab 50 Jah-ren
suchte, wurde der 55-jährige Projektlei-ter
schnell fündig. Unter den mehr als 150
– überwiegend arbeitslosen – Bewerbern
für den neunmonatigen Lehrgang entdeck-te
Steinl Ingenieure, Techniker und sogar
promovierte Biochemiker mit extrem viel
Wissen und Berufserfahrung.
Während viele deutsche Unternehmen im-mer
noch glauben, auf die Kompetenz der
Job-Routiniers verzichten zu können, und
sie stattdessen entlassen oder mit Abfi n-dungen
abspeisen, will Steinl diesen Wis-sensschatz
heben. „Bei uns in der Region
wollen viele kleinere Firmen die Verwaltungs-aufgaben
für die Zertifi zierung ihres Betriebs
am liebsten einem älteren Mitarbeiter anver-trauen“,
erzählt er. Und für genau die eigne-ten
sich die künftigen Absolventen des Lehr-gangs
besonders gut.
Eine Chance, die sich der Geschäftsfüh-rer
der Burger Industriewerk GmbH, Wolfgang
Förtsch, nicht entgehen lassen will: „Unter
den 15 Teilnehmern haben wir schon einen
passenden Kollegen gefunden.“ Förtsch setzt
vor allem auf die lange Berufserfahrung und
die gute Einstellung der Älteren. Schon ab
Herbst soll sein 52-jähriger neuer Schützling
das frisch erworbene Wissen in der Verwal-tung
der Schonacher Firma einsetzen.
EINFACHE LÖSUNGEN
SICHTBAR
Das Gigaset E 150
von Siemens gilt
dank großem Display
und weniger Tasten
als seniorentaugli-ches
Festnetztelefon
BEDIENBAR
Hausgerätehersteller
Miele legt bei der
Entwicklung Wert auf
leichte Handhabung
von Knöpfen und
Drehschaltern
LESBAR
Mit größerer Schrift und
frischen, nicht fl ippigen
Farben will Schnee-koppe
älteren Kunden
Geschmack auf ge-sunde
Flocken machen
Zehn Prozent mehr Best Ager als heute
standen 1980 noch im Berufsleben
11. Nicht nur online aktiv: Die Frankfurter Regionalgruppe und Feierabend-Chef Alexander Wild (r.)
gebot fi nanziert sich dank Werbebanner und
Ko operationen, etwa mit Versandhäusern
oder Marktforschern. So stellte Feierabend
kürzlich im Auftrag des Viagra-Konkurrenz-produkts
Cialis einen „Online-Potenztest“
ins Forum. „Innerhalb weniger Stunden ha-ben
2000 Leute mitgemacht“, berichtet
Alexander Wild, Vorstand der Feierabend
AG. Längst sind die „Silver Surfer“ auch au-ßerhalb
des Web aktiv: Neben gemeinsamen
Freizeitaktivitäten in deutschlandweit 43 Re-gionalgruppen
68 Prozent und in der Schweiz fast 65
Prozent aller 55- bis 64-Jährigen noch
im Berufsleben standen, waren es in
Deutschland nur 38 Prozent.
Auf dem deutschen Arbeitsmarkt sind
ältere Beschäftigte im Wettbewerb mit
den jüngeren meist noch die Verlierer.
Inzwischen erkennen einige Firmen das
brachliegende Potenzial routinierter Job-
Veteranen. So schrieb Autozulieferer Bro-se
jüngst seine offenen Stellen gezielt für
Mitarbeiter ab 45 Jahren aus. Für gute
Teamarbeit „ist ein gesunder Mix zwi-schen
jungen und erfahrenen Beschäftig-ten
sehr wichtig“, argumentierte Brose.
Einen ähnlichen Weg verfolgt auch die
Martin Stumpe AG aus dem württember-gischen
Rottweil. Die Unternehmensbe-ratung
hatte in einer Umfrage herausge-funden,
dass vielen kleinen und mittleren
Firmen in der Region qualifi zierte Mit-arbeiter
im Qualitätsmanagement feh-len.
Diese verantwortungsvolle Tätigkeit
trauen die Betriebe in der Regel vor al-lem
älteren Mitarbeitern zu. Die Reak-tion
der Berater: Sie entwickelten eine
Schulung, in der so genannte „Betriebs-manager
Qualität“ ausgebildet werden –
werden sie manchmal auch zu
Produkttests, etwa für Computerhardware,
eingeladen.
Auf den Namen Feierabend ist Gründer Wild
besonders stolz. „Der drückt genau das Le-bensgefühl
unserer Mitglieder aus: Die ha-ben
viel Zeit, um sich mit allem zu beschäfti-gen,
was sie interessiert. Feierabend heißt:
Es ist Zeit, zu tun, was man will!“ Und so ha-ben
sich bei Feierabend bis heute schon mehr
als zehn Hochzeitspaare kennen gelernt.
„alte Hasen“, die dann sowohl ihr neues
Wissen als auch ihre jahrelange Berufs-erfahrung
in die Unternehmen einbrin-gen
(siehe Kasten S. 192).
Online-Oldies. Neue Erfahrungen für
„Menschen in den besten Jahren“ bie-tet
auch www.feierabend.com. Deutsch-lands
größter Internet-Club für „Sil-ver
Surfer“ hat fast 56 000 Mitglieder,
im Schnitt 61 Jahre alt. Für Unterneh-men
birgt die Internet-Community ein
wertvolles Marktforschungspotenzial:
So testeten Feierabend-Mitglieder kürz-lich
für den Hardware-Anbieter Wacom
einen Stift, der an Stelle der PC-Maus
etwa in der digitalen Bildbearbeitung
zum Einsatz kommt. Nur etwas für Ex-perten?
„Nein, diese Zielgruppe ist ge-nau
die richtige für dieses Produkt. Die
haben Zeit und investieren gern in Reisen
und andere Hobbys“, sagt Sabine Men-de
von Wacom. Beim Test war sie jedoch
selbst überrascht: Von den Feierabend-
Teilnehmern brachten die meisten neben
Urlaubsfotos gleich die eigene Digitalka-mera
mit – oft das neueste Modell. ■
MELANIE CONTOLI/STEFFI SAMMET
D I E O N L I N E - O L D I E S
Auf www.feierabend.com tauschen sich
„Menschen in den besten Jahren“ aus.
Hermine schreibt über ihren Erfolg beim
Fasten auf Schloss Dhaun, „Azalee“
hat sich endlich ihren Traum erfüllt und ei-nen
Mini Cooper gekauft. Im Gesundheits-forum
geht es heute ums „Tabuthema reife
Erotik“, und in der Rubrik Kleinanzeigen ver-kauft
„Cooly“ seinen Dach-Skiträger.
www.feierabend.com gilt als eine der be-liebtesten
Internet-Adressen für „Menschen
in den besten Jahren“. 56 000 eingetrage-ne
Mitglieder tauschen hier
ihre Interessen, Sorgen und
Fragen aus. Feierabend ist
Info-Portal und Online-Club,
Kontaktbörse, Flohmarkt
und bietet Lese- sowie Dis-kussionsstoff.
Die Mitglied-schaft
ist kostenlos, das An-
Im Test – Stift statt Maus:
Die Frankfurter Feierabend-
Mitglieder Bärbel Dreyer,
63, und Helmut Becker, 62
Computer- bzw. Internet-Nutzer
zwischen 50 und 64 Jahren
In Millionen
6,4
4,1
Computer
Internet
4,3
0,8
1998
4,5
1,3
1999
5,0
1,9
2000
5,6
3,1
2001
2002
Anteil der über 50-Jährigen an den
Kinogängern in Prozent
9,7
2001
8,3
1995
6,8
1990
4,2
1985
194 Fotos: T. Wegner/FOCUS-Magazin
FOCUS 13/2004
Quellen 0: AWA, IfD Allensbach Quelle: ACTA
. . . eine Generation mit einer Kaufkraft von 90 Milliarden Euro pro Jahr . . .
WACHSENDE BEGEISTERUNG
DIE ZAHL DER „SILVER SURFER“ hat sich
seit 1998 mehr als verfünffacht
FILM AB!
FAST JEDER ZEHNTE KINOGÄNGER
gehört zur Generation der Best Ager